Zwischen Verherrlichung und Schuldverschiebung – Die Reaktionen der extremen Rechten auf die Attentate des NSU

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Motive mit NSU-Bezugen auf der Homepage der „Kameradschaft Aachener Land“

Die Anschläge des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) lösen in den rechten Szenen in NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen unterschiedliche Reaktionen aus. Ob offene Sympathien, klammheimliche Freude oder strategische Distanz: Auswirkungen auf die Aktivitäten oder Strategien der extremen Rechten haben diese Diskussionen bislang kaum.

Aus:  LOTTA – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen #46, Schwerpunkt „Nationalsozialistischer Untergrund“

„Wir distanzieren uns von diesen kriminellen Elementen“, ruft Axel Reitz, Kopf der Freien Kräfte Köln, ins Mikrofon. Rund 50 „Kameraden“ sind an diesem zweiten Dezembersamstag in den Kölner Stadtteil Kalk gekommen, um gegen angebliche „Medienhetze“ und „Polizeirepression“ zu demonstrieren. Die Polizei hatte zuvor David Duke verhaftet und dadurch eine von der rheinländischen Neonazi-Szene organisierte Veranstaltung mit dem ehemaligen Ku-Klux-Klan-Chef verhindert. „Die um die sogenannten ‘Döner-Morde’ entfachte Hysterie reicht sogar so weit, dass in der BILD-Zeitung offen der ‘Ausrottung’ von ‘Nazis’ das Wort geredet werden kann“, fabulieren Reitz und Co im Aufruf – und sehen sich einmal mehr als die eigentlichen Opfer. In einer solch aufgeheizten Stimmung sei es kein Wunder, dass „friedliche Nationalisten“ immer öfter zum Angriffsziel würden. Friedlich? Der Aufmarsch hatte erst verspätet beginnen können, da viele der OrdnerInnen von der Polizei aufgrund von Verfahren wegen Körperverletzung und ähnlichen Delikten nicht akzeptiert wurden. Denn wie immer, wenn Reitz zum Aufmarsch ruft, versammeln sich seine MitstreiterInnen aus den „Freien Kameradschaften“, für die Gewalt gegen politische GegnerInnen und MigrantInnen zum Alltag gehört.

Reitz hat aber allen Grund, verbal auf Distanz zur rechtsterroristischen Zelle aus Zwickau zu gehen. In einer WDR-Reportage hatte ein „Augenzeuge“ aus dem Umfeld der Kameradschaft Aachener Land behauptet, dass Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bei einer Veranstaltung im November 2009 in Erftstadt auf Einladung von Reitz anwesend gewesen seien. Axel Reitz bestreitet das. Weitere Belege für ihre Anwesenheit liegen nicht vor. Von den Vorwürfen zeigten sich die lokalen Neonazis wenig beeindruckt: Einige Tage nach den Medienberichten beschmierten sie das Rathaus von Erftstadt-Liblar unter anderem mit Hakenkreuzen und der Parole „Ausländer raus“. Auch in anderen Regionen gab und gibt es weiterhin ähnliche Aktionen.

Schwerer als die Äußerungen des Augenzeugen dürfte allerdings wiegen, dass in Ermittlerkreisen mit Thomas Gerlach nun ein enger Weggefährte von Reitz als möglicher Unterstützer der Zwickauer Zelle genannt wird. Er war wie die HaupttäterInnen im Thüringer Heimatschutz aktiv gewesen und arbeitete später mit Reitz in der „Organisationsleitung“ des Kampfbundes Deutscher Sozialisten zusammen. Neben zwei Anschlägen in Köln wurde am 4. April 2006 in Dortmund Mehmet Kubasik in seinem Kiosk an der Malinckrodtstraße ermordet. Die Ermittler gehen davon aus, dass die TäterInnen über HelferInnen vor Ort verfügten, welche die Anschlagsorte auskundschafteten. Der Kiosk von Kubasik befand sich nur wenige Meter von der Gaststätte Deutscher Hof entfernt, die damals der Dortmunder Kameradschaft als Treffpunkt diente. In der Nähe wohnte auch der einflussreiche Neonazi Siegfried Borchardt. Sicher ist auch, dass der Anführer des Nationalen Widerstands Dortmund, Dennis Giemsch, mit dem als Terrorhelfer inhaftierten Ralf Wohlleben bekannt ist, der in Thüringen das Rechtsrock-Festival Tag der nationalen Jugend organisierte. Dort warben die Dortmunder 2009 für ihren „Antikriegstag“, Giemsch hielt eine Rede auf der Bühne.

Entlastende Verschwörungstheorien

Offiziell bezeichnen die Dortmunder Neonazis die Morde an den „unbedeutenden fremdvölkischen Kleinunternehmern“ (NW Dortmund) als politisch sinnlos. Auch die Freien Kräfte Waldeck-Frankenberg argumentieren in einer Erklärung ähnlich: Der Nationale Widerstand kämpfe gegen das „System selbst und nicht gegen seine Symptome“. So stünden nicht „die Ausländer“ im Visier, sondern „die asoziale, volksfeindliche Politik, die diese Überfremdung zulässt.“

Von vielen Neonazis werden die Geheimdienste für die Taten verantwortlich gemacht. „Es bleibt das ungute Gefühl, dass durchaus noch ‘Andere’ hinter der omniösen ‘NSU-Terrorzelle’ stecken könnten“, orakelt der NW Dortmund. Und Sven Skoda fabulierte am 19. November in Remagen: „Dieser Staat sucht sich seine Terroristen. Er baut sie sich im

Notfall selbst, wenn er keine findet.“ Ins gleiche Horn bläst die von einem erneuten Verbotsverfahren bedrohte NPD: Bei der „VS-Terrorzelle“ handele es sich um eine „einzig und alleine (…) von Staatsdiensten aufgebaute(…) und finanzierte(…) Gruppe“. Trotz oder gerade wegen der Verstrickung führender NPD-Funktionäre empört sich die Parteizeitung Deutsche Stimme, dass es ein „absoluter Hohn sei, die Taten dieser Kriminellen nun mit einer Partei wie der NPD in Zusammenhang bringen zu wollen.“ Auch der Lüdenscheider NPD-Ratsherr Stephan Haase behauptet, dass er „jedwede Form von Terrorismus“ ablehne, nur um im nächsten Satz den scheinheiligen Opferdiskurs der extremen Rechten zu bedienen. Er spreche allen Hinterbliebenen seine „Anteilnahme und Bestürzung aus, wie auch allen Angehörigen der 7500 Deutschen, die seit der Wiedervereinigung von Ausländern getötet oder ermordet wurden.“ Über den offiziellen Facebook-Account äußert sich dagegen der NRW-Landesverband der „Nationaldemokraten“, bei dem Haase immerhin den stellvertretenden Landesvorsitzenden gibt, deutlich affirmativer: Der Landesvorsitzende habe auf Fragen von Medienvertretern „nach einer ‘Verbindung der NPD mit irgendwelchen Zellen’“ geantwortet, nach „einer nationalen Wende“ werde es ganz viele Zellen geben: „Für jeden dieser Volksverräter und Politversager die unser Land verkaufen […] eine Zelle, in der sie viele Jahre lang sitzen dürfen.“ Auch andere Parteifreunde gehen wenig subtil vor. Auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes Unna/Hamm, deren Vorsitzender Hans-Jochen Voß beste Kontakte zu den „Autonomen Nationalisten“ in der Region hält, begrüßte Paulchen Panther die BesucherInnen – versehen mit dem Goethe-Zitat „die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“. Diese augenzwinkernde Distanz weicht bei der Kameradschaft Aachener Land der Glorifizierung. Einige Tage lang prangte auf ihrer Website der rosarote Panther zusammen mit dem Slogan „Zwickau Rulez!!“ Wer von diesem Zynismus noch nicht genug hatte, konnte das Bild anklicken und den Text des Songs „Döner-Killer“ lesen. „Neun mal hat er es jetzt schon getan. Die SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm. Die Ermittler stehen unter Strom. Eine blutige Spur und keiner stoppt das Phantom“, heißt es in dem Song der Meppener Neonazi-Band Gigi & Die braunen Stadtmusikanten, der bereits im Jahr 2010 auf der CD „Adolf Hitler lebt“ erschienen ist. „Am Dönerstand herrschen Angst und Schrecken. Kommt er vorbei, müssen sie verrecken“, textete die Band und endete mit dem Satz: „Neun sind nicht genug“.

Rechtspopulistische Distanzierung

An fast genau der gleichen Stelle, an der Axel Reitz über die „kriminellen Elemente“ sinnierte, hatte zwei Wochen zuvor, am 19. November 2011, die Bürgerbewegung pro Köln eine Gedenkminute für die Terroropfer abgehalten. Eigentlich hatten sich die RechtspopulistInnen versammelt, um gegen das in Kalk ansässige Autonome Zentrum zu demonstrieren; dem aktuellen Diskurs konnte pro Köln sich jedoch nicht entziehen. Hatte doch selbst der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters den Aufmarsch in Anbetracht der Ereignisse als Provokation gewertet. Entsprechend der Selbstinszenierung als bürgerliche Kraft distanzierte man sich per handgemaltem Schild gleichsam von „braunen und roten Nazis“. Der pro NRW-Vorsitzende Markus Beisicht griff in seiner Rede auf die vielfach erprobte Formel „Wir sind nur in einem Punkt radikal: In der Ablehnung der Extremisten von links und rechts“ zurück. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den rassistischen Morden war nicht zu erwarten, die vom Parteichef vorgegebene Bewertung lautet: Der Verfassungsschutz war maßgeblich in die Morde involviert, deswegen „muss nun die ganze Arbeitsweise des Inlandsgeheimdienstes auf den Prüfstand, der offenbar zahlreiche Ressourcen bei der Ausspitzelung völlig friedlicher und rechtschaffener Oppositioneller vergeudet“. Und so ist die „Bürgerbewegung“ auch hier sogleich wieder bei ihrem eigentlichen Thema Nummer 1 angekommen: sich selbst.

Torben Heine und Johannes Lohmann

Zwischen Verherrlichung, Bewunderung, Schadenfreude, Zynismus und Vernichtungsfantasien: Motive mit NSU-Bezügen auf den Homepages von „Kameradschaft Aachener Land“ (ganz oben), „Reconquista reloaded“ (unten) und „Nationaler Widerstand Zweibrücken“

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