Am 185. Verhandlungstag ist zunächst Berndt Tödter als Zeuge geladen. Er hatte während eines Gefängnisaufenthalts Angaben bei der Polizei gemacht, er könne Angaben machen zu einem Treffen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahr 2006 – kurz vor dem Mord an Halit Yozgat in Kassel. In der Vernehmung vor Gericht kündigt Tödter bereits zu Beginn an, er werde keine Angaben machen, um sich selbst nicht der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen. Später gibt er an, sich nicht erinnern zu können. Seine Vernehmung wird schließlich unterbrochen. Anschließend sagen zwei Sachverständige zu ihren Gutachten zur Sprengwirkung der Nagelbombe in der Keupstraße aus.
Zeugen und Sachverständige:
- Bernd Tödter (Erkenntnisse zu Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt u. deren Verbindungen u.a. nach Kassel)
- Dr. Rüdiger Mölle (LKA Bayern, Gutachten zum Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße)
- Prof. Dr. Oliver Peschel (Rechtsmedizinisches Gutachten zum Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Anwesend sind heute zwei Nebenklägerinnen, u.a. die Mutter des am 06.04.2006 in Kassel ermordeten Halit Yozgat. Erster Zeuge ist Bernd Tödter. Tödter tritt im Naziskin-Outfit der 90er Jahre auf, trägt Glatze, schwarze Bomberjacke, Armeehose und Springerstiefel. Auf Frage nach seinem Beruf sagt er: „Selbstständiger Unternehmer.“ Götzl sagt, es gehe um Erkenntnisse und Kontakte zu Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt. Tödter unterbricht: „Kann ich keine Angaben zu machen.“ Götzl fragt, was das bedeuten solle. Tödter: „Das bedeutet, man hat mir gesagt, gegen mich wird ermittelt und deswegen möchte ich da keine Angaben zu machen.“ Götzl erwidert, davon sei ihm nichts bekannt. Tödter: „Dann kann ich mich an nichts erinnern.“ Götzl sagt, es seien einfache Fragen: „Wenn ich Ihnen die Frage stelle, kannten Sie Uwe Mundlos, dann können Sie dazu eine Aussage machen.“ Tödter: „Nein.“ Götzl: „Kannten Sie Uwe Böhnhardt?“ Tödter: „Nein.“ Götzl: „Frau Zschäpe?“ Tödter: „Nein.“
Götzl: „Sind Sie von der Polizei, vom BKA, vernommen worden?“ Tödter: „Ja die haben mir eine Menge in den Mund gelegt.“ Er habe aber nichts unterschrieben. Tödter weiter: „Man hat versucht mich zu vernehmen und mir Angebote gemacht.“ Auf Frage nach den Angeboten sagt Tödter: „Man hat mir Hafterleichterungen angeboten und ich habe das nicht angenommen.“ Götzl: „Ja, haben Sie Angaben gemacht gegenüber Polizeibeamten?“ Tödter: „Nein.“ Götzl sagt, es liege ein Protokoll des GBA vom 29.03.2012 vor. Tödter: „Würde mal sagen, da ist bestimmt nicht meine Unterschrift drunter.“ Tödter nimmt eine Unterschrift am Richtertisch in Augenschein. Tödter: „Ja. Ich habe aber nichts ausgesagt.“ Götzl: „Wer war denn anwesend?“ Tödter: „Keine Ahnung, drei Personen.“ Götzl hält vor: Vernehmung durch StA Dr. Wied, KHK Gr., BKA, und KHK We., PP Nordhessen, in der JVA Hünfeld. Götzl: „Fand das Gespräch in der JVA Hünfeld statt, waren Sie da in Haft?“ Tödter: „Ja.“ Götzl fragt die Vertreter_innen der BAW, ob gegen Tödter irgendein Verfahren vorliege. Die BAW bestätigt das. Götzl: „Sie waren in Haft, wann sind Sie entlassen worden?“ Tödter: „21.01.2014.“ Götzl: „Und das mit Hafterleichterungen, worauf bezog sich das, in welcher Situation waren Sie? Sie waren in Haft?“ Tödter: „Ja.“ Götzl: „Und Haftende war 21.01.2014?“ Tödter: „Ja.“ Götzl fragt, was Tödter angeboten worden sei und von wem. Tödter: „Man hat nur gesagt, man will irgendwas tun. Und ich habe gesagt, ich habe da kein Interesse dran.“ Götzl: „Haben Sie sich an die Behörden gewandt, einen Brief geschrieben?“ Tödter: „Ja.“ Auf Frage, worum es ihm gegangen sei, sagt Tödter: „Ich wollte einfach mal gucken, was passiert.“ Auf Frage, wann das ungefähr gewesen sei, sagt Tödter: „Ein halbes Jahr vor dem Termin, den Sie da genannt haben.“
Götzl sagt: „Uns liegt ein Schreiben vor, vom 15.12.2011, an das LfV in Wiesbaden, Abteilung Rechtsextremismus. War das dieses Schreiben?“ Tödter: „Ja.“ Götzl: „Vor diesem 29.03.2012, war da noch ein Kontakt zu Ihnen von Seiten der Behörden?“ Tödter: „Irgendwelche Leute vom LKA waren da.“ Götzl: „Worum ging es bei diesem Kontakt?“ Tödter: „Die wollten Informationen, ich habe ihnen keine gegeben.“ Götzl fragt, wozu die Informationen hätten haben wollen. Tödter: „Alles Mögliche, Szene in Kassel.“ Götzl hakt nach und Tödter sagt: „Das Erstgespräch hat vielleicht fünf Minuten gedauert. Dann habe ich das beendet, weil ich wollte mit denen nicht reden.“ Götzl: „Aber Sie nannten jetzt nur einen Punkt. Was wollten die denn noch wissen?“ Tödter: „Wen ich kenne, ob ich ein Aussteigerprogramm will [phon.]. Da hab ich nichts zu gesagt. Dann haben die mir Zeugenschutz angeboten. Da habe ich sie ausgelacht. Und da war das Gespräch auch beendet.“ Götzl: „Wann war das ungefähr, dass die Leute vom LKA bei Ihnen waren?“ Tödter: „Februar vielleicht.“
Götzl: „Ist denn da nochmal von Ihnen angesprochen worden, dass Sie etwas wollen von den Behörden im Hinblick auf Haft oder anderes? Denn Sie hatten ja den Brief geschrieben.“ Tödter: „Ja, wie gesagt, war halt aus dem Spaß heraus, wollte gucken, was passiert.“ Götzl: „Worin sollte denn der Spaß bestehen und für wen?“ Tödter: „Langeweile, hatten einige im Knast gemacht.“ Vorhalt aus dem Brief: Ich befinde mich wegen Bedrohung und Beleidigung in einer 10-monatigen Haftstrafe und möchte meine Hilfe anbieten; könnte Informationen über die Netzwerke, Namen, Adressen, Fluchtwohnungen, Geldgeber u. v. m. beschaffen; ich verfüge über viele bundesweite Kontakte. Tödter: „Ja, habe ich geschrieben.“ Vorhalt: Als Gegenleistung erwarte ich, dass man sich für mich einsetzt, dass ich so schnell wie möglich aus der Haft entlassen werden kann. Genaueres in einem persönlichen Gespräch, aber aus Sicherheitsgründen nicht mit dem ZK 10, Kassel. Tödter: „Wenn Sie das so vorlesen, dann kann das schon so sein. Ich möchte aber angeben: aus hafttaktischen Gründen war das so gewesen.“
Götzl: „Dann kommt es im Februar zu diesem Gespräch mit dem LKA. Dann das Gespräch am 29.03.2012, haben Sie am 29.03.2012 jetzt Informationen gegeben im Hinblick auf Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, was Kennen und Kontakt anbelangt?“ Tödter: „Ich habe im Endeffekt da gar nichts zu gesagt, die Polizei hat da was erzählt, irgendwas mit Autos.“ Götzl: „Diese Unterschrift, wann haben Sie die geleistet?“ Tödter: „Vor dem Gespräch.“ Vorhalt: Mir wurde in Aussicht gestellt, dass ich bei einer umfangreichen Aussage in einem Verfahren wegen 86a [Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen] mit der Rücknahme der Anklage oder Einstellung rechnen könne. Tödter sagt, er könne sich nicht daran erinnern. Götzl: „Ja, gab es da ein Verfahren zu der Zeit nach 86a?“ Tödter: „Kann sein, gab so viele Verfahren, habe da keinen Überblick.“ Vorhalt: Ich möchte noch darauf hinweisen, dass ein weiteres Verfahren gegen mich anhängig ist, darauf wurde ich in der Vollzugskonferenz [phon.] hingewiesen; heute möchte ich nur demonstrieren, dass ich in der Lage bin, weitere Fakten zu liefern.
Götzl sagt, und dann gehe es da um ein Konzert 2006. Tödter: „2006, da saß ich in Haft. Ich habe in der Zeitung gelesen, ich soll auf dem Konzert gewesen sein. Kann nicht sein.“ Vorhalt: Geburtstagsfeier, bei der die Musikgruppe „Oidoxie“ spielte; Feier von Stanley Rö.; da waren auch Böhnhardt und Mundlos anwesend. Tödter: „Habe ich nie gesagt.“ Vorhalt: Die waren an dem Tag der Feier mit dem Zug angereist, zum Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. Tödter: „Die Aussage stammte von dem BKA-Mann.“ Götzl: „Gab es jemanden, der da jetzt federführend aufgetreten ist?“ Tödter: „Also, einer hat geredet, einer hat geschrieben, einer hat immer zwischengefragt und irgendwelche Sachen in den Raum geschmissen.“ Auf Nachfrage sagt Tödter: „Ja, der hat erzählt, wir wissen das und das und Sie waren doch dabei, geben Sie es doch zu. Ich habe gar nichts gesagt. Und der andere ist dem einen immer ins Wort gefallen: Das war doch so und so.“ Götzl: „Was wurde denn jetzt von den betreffenden Personen gesprochen?“ Tödter: „Das weiß ich jetzt nicht mehr.“ Götzl hält nochmal die Stelle mit der Anreise zum Bahnhof Wilhelmshöhe vor. Tödter: „Kann ich nicht sagen, weiß ich nicht, habe die Personen nie gesehen.“ Götzl erwidert, Tödter habe gesagt, dass die Aussage von dem BKA-Beamten stamme. Tödter: „Der hatte das gefragt bzw. der eine hat das in den Raum gestellt. Ich habe dazu gar nichts gesagt. Und, wie gesagt, die Personen sind mir nicht bekannt und in Kassel waren sie auch nicht. Also, da hab ich sie auch nicht gesehen.“ Götzl fragt, ob Tödter an dem 29.03.2012, bei dieser Befragung oder „nennen wir es Gespräch“ etwas davon gesagt habe, dass er Mundlos und Böhnhardt schon mal in Kassel gesehen habe. Tödter: „Nein.“
Götzl: „Vorher sagten Sie: ‚Diese Aussage stammte vom BKA-Beamten.‘ Was hat er Ihnen denn gesagt?“ Tödter: „Der hat versucht mir Sachen in den Mund zu legen.“ Götzl: „Wie hat er das gemacht?“ Tödter: „Er hat erzählt und erzählt und wollte dann eine Bestätigung von mir. Und ich habe nichts bestätigt.“ Götzl: „Ja, um welche weiteren Punkte ging es denn jetzt?“ Tödter sagt, er könne sich nicht dran erinnern, was die gesagt haben. Götzl fragt, ob die Geburtstagsfeier von Stanley Rö. angesprochen worden sei. Tödter: „Kann möglich sein.“ Auf Frage sagt er, Rö. sei ein Bekannter von ihm. Götzl: „Hier geht es um 2006. Waren Sie da 2006 auf der Feier?“ Tödter verneint das, er habe in Haft gesessen.. Götzl: „Waren Sie Freigänger?“ Tödter bejaht das. Götzl fragt, ob Tödter da damals nicht zugegen gewesen sei. Tödter: „Nein.“ Vorhalt: Ich habe sie dort abgeholt mit meinem blauen Bus VW T3, geführt von meinem Bruder. “ Tödter sagt, er erinnere sich nicht. Götzl fragt, ob Tödter damals einen blauen VW T3 gehabt habe. Tödter: „Nein, früher, 2003, 2004.“ Auf Frage, ob er das damals so angegeben habe, sagt Tödter, er könne sich nicht erinnern. Vorhalt: Eigentlich müsste die Polizei hiervon Bilder haben. Tödter: „Das weiß ich nicht, müssen Sie die Polizei fragen.“ Götzl: „Ja, haben Sie das gesagt?“ Tödter: „Nein. Woher soll ich wissen was die Polizei für Bilder hat?“
Vorhalt: Soweit ich weiß, müssen die irgendwie informiert worden sein; jedenfalls habe ich Beamte erkannt, die dort auch Fotos gemacht haben; mir waren sie bekannt, deswegen geh ich davon aus, dass es sich um Kasseler Beamte gehandelt hat, die sind hinter uns her gefahren in einem roten Opel Kombi, nicht KS-Kennzeichen, evtl. HSK; wir bemerkten die Beamten. Tödter: „Die Polizei fährt öfter mal hinter uns her. Aber ob ich das gesagt habe, kann ich mich nicht dran erinnern. Aber diese Aktion ist nicht gerade untypisch.“ Vorhalt: Wir sind dann angehalten worden; es wurde gesagt, dass wir persönlich bekannt seien, … müsste auch rauszufinden sein; die Fotos, die ich angesprochen habe, sind solche, die wir selbst gemacht haben; wir haben seit 2000 Zivilfahrzeuge fotografiert und online gestellt. Ob er das so angegeben habe, wisse er nicht, sagt Tödter dazu. Aber Fotos hätten sie gemacht und auf der Internetseite veröffentlicht. Ob das 2005 oder 2006 oder 2002 gewesen sei, könne er nicht sagen. Dann geht es wieder um die Geburtstagsfeier von Rö. Vorhalt: Mundlos und Böhnhardt kamen zu dieser Feier mit sieben Leuten; Frauen waren zu diesem Zeitpunkt keine dabei, aber später auf der Feier. Götzl: „Haben Sie das gesagt?“ Tödter: „Das habe ich nicht gesagt, nein.“ Vorhalt: Anlässlich dieser Feier haben Mundlos und Böhnhardt auch in Kassel übernachtet, bei wem genau möchte ich heute nicht sagen. Tödter: „Ich kenne die Personen ja nicht mal. Woher soll ich wissen, wo die übernachtet haben?“ Götzl: „Ja, haben Sie das gesagt?“ Tödter: „Nein, das habe ich nicht gesagt.“
Götzl: „Dann eine andere Frage: ‚Sturm 18 Cassel‚, was sagt Ihnen das?“ Tödter: „Dazu mache ich keine Angaben.“ Götzl: „Wieso nicht?“ Tödter: „Weil vom Innenministerium ein Verbotsverfahren geführt wird. ich möchte dazu gar nichts sagen.“ Götzl: „Geht es um Ermittlungsverfahren, die sie befürchten?“ Tödter sagt, er sei im Vereinsgericht als Präsident eingetragen, deswegen gehe er davon aus, dass er der erste sei, gegen den ermittelt werde. Tödter bejaht, mal auf einer Feier in Zwickau gewesen zu sein: „Das war 2002, 2003 vielleicht. Mein Bruder hat dort gewohnt.“ Götzl: „Wann hat der dort gewohnt?“ Tödter: „Gehe davon aus, so zehn Jahre wird das schon her sein.“ Götzl fragt, um welche Feier es da gegangen sei. Tödter: „Mein Bruder hat eine Feier organisiert und mich eingeladen.“ Auf Frage sagt Tödter, er wisse nicht mehr, wie die Lokalität hieß in der dies stattfand. Er bejaht, öfters in Zwickau gewesen zu sein, er habe alle zwei Monate seinen Bruder besucht. Götzl: „Und was jetzt Feiern anbelangt: Gab es da öfters Feiern oder war das die einzige?“ Tödter: „Es gab bestimmt öfters mal Feiern.“ Auf Frage sagt Tödter, sein Bruder sei zwei, drei Jahre in Zwickau gewesen.
Götzl fragt nach dem Namen des Bruders und Tödter nennt Sven Ha. Vorhalt aus dem Protokoll der Vernehmung Tödters: Ich selbst war auch einmal in Zwickau auf einer Feier in einer Garagenanlage am Stadtrand und habe dort auch Mundlos und Böhnhardt getroffen; Frauen waren keine anwesend. Tödter: „Da kann ich mich nicht dran erinnern, sowas gesagt zu haben.“ Vorhalt: Das war zu der Zeit, als mein Bruder Sven Ha. dort gewohnt hat. Tödter: „Ich war nie in Zwickau, wo mein Bruder weggezogen ist. Und auf den Feiern waren auch keine Leute, die politisch motiviert waren, denn mein Bruder hat mit der Szene gar nix zu tun.“ Götzl: „Ja, gab es mal eine Feier in Zwickau in einer Garage?“ Tödter: „Nein.“ Vorhalt: Bei dieser Feier und anderen wurden stets Bilder gemacht. Tödter bestätigt. Und die Bilder habe der Staatsschutz mitgenommen und ausgewertet: „Es war kein Böhnhardt, kein Mundlos, kein gar nix auf den Bildern.“ Götzl: „Woher wissen Sie das?“ Tödter sagt, er habe einen Beschluss gekriegt, dass er die Sachen wiederbekomme. Götzl fragt, welche Bilder. Tödter sagt, das müsse man die die StA fragen, die hätten „sämtliche Wohnungen“ durchsucht. Götzl: „Bei Ihnen?“ Tödter: „Bei mir und anderen, bundesweit. Und es wurden nirgendwo Bilder gefunden von Mundlos, Böhnhardt oder sonst was.“
Götzl fragt, ob Tödter etwas von der Tötung von Yozgat am 06.04.2006 in Kassel mitbekommen habe. Tödter: „Ja, aus der Zeitung.“ Vorhalt: Zur Tatzeit befand ich mich im Freigängerhaus in Baunatal; ich musste morgens zur Arbeit und mich um 21 bzw. 22 Uhr dort wieder melden, mittwochs sogar früher wegen Reinigungsarbeiten; die Wochenenden hatte ich meistens frei. Tödter: „Das hört sich richtig an. Und am 06.04. war ich schon um 17 Uhr in der JVA.“ Götzl: „Wenn wir die Frage, ob sie Mundlos oder Böhnhardt kannten, beiseite lassen: Haben Sie irgendwelche Informationen, ob sich Mundlos oder Böhnhardt damals am 06.04. in Kassel aufgehalten haben?“ Tödter: „Nein, habe ich nicht.“ Auf Frage, ob über diese Tat in Tödters Freundeskreis besprochen worden sei, sagt Tödter: „Ja, das was in der Zeitung stand. Da hat ganz Kassel drüber gesprochen.“ Er verneint, dass es da Informationen zu den möglichen Tätern ihm gegenüber gegeben habe.
Vorhalt: Ich weiß, dass Mundlos und Böhnhardt dort waren, in Kassel; ich weiß, wer Sie eingeladen hat und wo sie geschlafen haben. Tödter: „Das habe ich nie gesagt. Ich weiß ja nicht mal wer das ist. Jetzt weiß ich es durch die Presse.“ Götzl: „Haben Sie so etwas angegeben, weil Sie sich Hafterleichterungen versprochen haben?“ Tödter: „Ich habe gar nichts angegeben über diese Personen, weder in der Haft noch nach der Haft.“ Vorhalt: Auch wurde über die Tat natürlich nachträglich in der Szene gesprochen, hier werde ich auch etwas zu sagen können, was Inhalt dieser Gespräche war. Tödter: „Diese Aussage stammt von dem Typen vom LKA. Der hat gesagt, er hätte mit Leuten gesprochen und er wüsste dies und das und ich müsste das ja auch wissen, weil ich aus Kassel komme. Ich habe dazu gar nichts gesagt. Und solche Gespräche hat es in Kassel nicht gegeben.“
Götzl fragt, ob an dem 29.03. nur von Kassel oder auch von anderen Orten, anderen Tötungsdelikten die Rede gewesen sei. Tödter sagt, die hätten nur vom 06.04.2006 gesprochen. Götzl fragt nach Nürnberg. Tödter: „Kann ich nicht mehr sagen, weiß ich nicht.“ Vorhalt: Ich kann Ihnen den Anlaufpunkt von Mundlos und Böhnhardt nennen, darüber hinaus auch den Anlaufpunkt in Nürnberg. Tödter: „Nein, ich kenne niemand in Nürnberg.“ Vorhalt: Diese Anlaufpunkte sind bekannt, sie können auch in Netzwerken nachvollzogen werden. Tödter: „Habe ich nicht gesagt, kann ich mich nicht erinnern.“ Vorhalt: Damit meine ich jetzt nicht speziell das „Sturm 18“-Netzwerk. Tödter sagt nichts. Götzl fragt, ob Tödter das Netzwerk „ATB“ etwas sage. Tödter verneint das. Götzl nennt „Arische Terror-Brigade“. Tödter: „Habe ich mal irgendwo gelesen.“ Auf Nachfrage sagt er: „In irgendeinem Forum, wo genau, weiß ich nicht mehr.“ Vorhalt: Hierbei handelt es sich um das Netzwerk ATB, bei diesem handelt es sich lediglich um einen kleineren Ableger von einem größeren Netzwerk, das vom Ausland betrieben wird, das Netzwerk ATB, Arische Terror-Brigade, das aus Österreich operiert. Tödter: „Kann ich mich nicht erinnern.“ Vorhalt: Hierbei handelt es sich um das ehemalige B&H-Netzwerk. Götzl fragt, ob das Tödters Äußerung sei. Tödter: „Nein.“ Es folgt eine Pause bis 11:23 Uhr.
Götzl sagt dann, er habe eine Nachfrage zu dem Thema Freigang: Tödter habe ja angegeben, dass der Vorhalt zum Freigang richtig gewesen sei. Tödter: „Ja, das ist in Baunatal Gang und Gäbe.“ Götzl sagt, er habe in Erinnerung gehabt, dass Tödter ihm gesagt habe, dass er nur vormittags die Möglichkeit gehabt habe, außerhalb zu sein und nachmittags die Möglichkeit nicht gehabt habe. Tödter: „Vormittags ging es arbeitstechnisch von morgens bis 16 Uhr. Dann musste man sich in der JVA einfinden und dann haben die entschieden, ob man nochmal rausgehen darf oder nicht.“ Vorhalt aus Tödters Vernehmung zur „ATB“: Mir wäre es auch möglich, hierzu einen Zugang zu schaffen, hierbei handelt es sich um das ehemalige B&H-Netzwerk, das setzt aber voraus dass ich wieder auf freiem Fuß bin. Tödter: „Habe ich nie gesagt.“ Vorhalt: Ich gehe davon aus, dass meine Zugangsdaten mit meiner Inhaftierung gesperrt wurden; hierzu muss ich klarstellen, dass ich nicht nur davon ausgehe, sondern mir sicher bin; wenn jemand im Netzwerk inhaftiert wird, werden sämtliche Zugänge geändert, dass einem Hacker nicht die Möglichkeit geschaffen wird, sich Zugang zu verschaffen. Tödter sagt, da könne er sich nicht dran erinnern.
Götzl: „Und was die tatsächliche Information anbelangt, ist das zutreffend oder nicht?“ Tödter sagt, er habe mit derartigen Netzwerken nichts zu tun, also sei das nicht zutreffend. Götzl: „Und was das Sperren von Zugangsdaten anbelangt?“ Tödter: „Keine Ahnung, da müssen Sie den Provider fragen oder den Administrator.“ Götzl wiederholt, dass sich Tödter laut Protokoll sogar sicher sei: „Sind denn im Zusammenhang mit Ihrer Inhaftierung Ihre Zugangsmöglichkeiten gesperrt gewesen?“ Tödter: „Zu unserem Netzwerk? Nein.“ Götzl hält vor, dass im Protokoll stehe, dass Tödter auf Nachfrage nochmals bestätigen könne, dass das Konzert sicher 2006 gewesen sei, als Mundlos und Böhnhardt anwesend gewesen seien. Tödter: „Und 2006 war ich auf keinem Konzert.“ Vorhalt: Es gab aber weitere Konzerte dieser Gruppe in Kassel, wobei es sich 2006 um eine Geburtstagsfeier handelte; ein weiteres Konzert gab es z. B. 2008 in Hessisch-Lichtenau. Tödter: „Keine Ahnung.“ Vorhalt: Die Geburtstagsfeier von Rö. fand definitiv vor der Tat zum Nachteil Halit Yozgat statt. Tödter sagt, er wisse nicht mal, wann der Geburtstag hat.
Vorhalt: In Zusammenhang mit dem Konzert 2006 ist es noch zu einem Polizeieinsatz wegen Ruhestörung gekommen. Tödter: „Also, die Polizei kommt jedes Mal und jedes Jahr. und, wie gesagt, 2006 kann ich nicht bestätigen.“ Er verneint, diese Äußerungen gemacht zu haben. Vorhalt: Weitere Angaben mache ich heute nicht; ich werde mich nochmal mit meinem Rechtsanwalt besprechen und ggf. nochmal an Sie herantreten. Tödter verneint, das gesagt zu habe. Götzl fragt, ob Tödter Repressalien von Seiten Dritter befürchte. Tödter: „Nein.“ Er verneint auch, damals Befürchtungen geäußert zu haben. Götzl fragt, ob es da noch um weitere Themen als die rechte Szene Kassel gegangen sei. Tödter sagt, da könne er sich nicht dran erinnern.
Götzl: „Ist denn die Tötung des Herrn Yozgat damals angesprochen worden Ihnen gegenüber?“ Tödter: „Nein, nicht vom LKA, sondern dann vom BKA, die haben das angesprochen. Die haben irgendwas erzählt, ich habe nicht genau zugehört. Beantwortet habe ich nichts. Die haben gefragt, ob ich was weiß, ich hab Nein gesagt.“ Auf Frage sagt er, er könne zu dem Gespräch mit den LKA-Beamten inhaltlich gar nichts mehr sagen, er meine, es sei nur um Kassel gegangen. Vorhalt aus einem Vermerk des LKA: Herr Tödter war sich bewusst, dass die Polizei den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zunächst prüfen müsse, deswegen stellte er in Aussicht zu folgendem Komplex aussagen zu können: NSU – Tödter wisse, wo sich die Täter 2006 aufgehalten, zu welchen Personen in Kassel sie Kontakt unterhalten und wo sie Unterschlupf vor der Tat gefunden hätten. Da könne er nichts zu sagen, antwortet Tödter. Vorhalt: Er selbst habe in Haft gesessen, habe einen Tag vor der Tat Ausgang gehabt und so von der Tat erfahren. Götzl: „Haben Sie das angegeben?“ Tödter: „Nein.“
Vorhalt: Auf die Frage, ob Böhnhardt und Mundlos in der rechten Szene Kassels als Konzertbesucher 2004 und 2008 auftauchten, bestätigte Tödter die Konzerte, ließ die Anwesenheit der beiden jedoch offen; Tödter bemerkte jedoch, dass Böhnhardt und Mundlos in Kassel bekannt gewesen seien. Tödter verneint, das gesagt zu haben. Götzl: „Dann zu ‚Sturm 18‘, da wollen Sie sich auf den § 55 berufen?“ Tödter bejaht das. Götzl: „Und dann ging es hier noch um zwei weitere Punkte. ‚Combat 18‚, was können Sie dazu sagen?“ Tödter: „Gar nichts.“ Vorhalt: Tödter benannte C18 als Splittergruppe der verbotenen Organisation B&H, und dass man aufgrund des Verbots von B&H unter anderem Namen agiere. Tödter: „Habe ich nicht gesagt.“ Vorhalt: Tödter könne Angaben zu den Strukturen von C18 in Deutschland machen. Tödter: „Kann ich nicht machen.“
Vorhalt: Dazu gehörten Informationen zu Produktion und Handeln von Tonträgern….Konzertveranstaltungen. Tödter: „Davon weiß ich nichts.“ Vorhalt: Tödter könne Angaben zu den Strukturen von C18 in Deutschland machen, Informationen zur Produktion und Handeln von Tonträgern, Bekleidungsgegenständen, zu Konzertveranstaltungen … C18 habe Strukturen, die sich in Veränderung befinden, denn wichtige Personen sitzen in Haft. Tödter: „Die Aussagen stammen nicht von mir.“ Vorhalt: Die Autonomen Nationalisten Dortmund und die Skinhead Front Dorstfeld. Tödter: „Kenne ich nicht.“ Götzl nennt den Namen Klemens Otto. Tödter: „Nein.“ Dann nennt Götzl den Namen Bo.. Tödter: „Mit dem habe ich mal in Haft gesessen.“ Das sei in den 90ern gewesen. Der habe aber mit der rechten Szene nichts zu tun.Vorhalt: An Personen von C18 nannte Tödter Klemens Otto und einen Inhaftierten Bo. Tödter: „Den Namen habe ich nie genannt.“ Vorhalt: Angaben zu weiteren rechten Strukturen und Organisationen: Hier benannte Tödter die Arische Bruderschaft, die seit 2008 vermehrt aktiv sei und zu der er auch im Gefängnis Kontakt habe. Tödter: „Die gibt’s doch nur in Amerika, oder nicht?“ Götzl: „Haben Sie das damals so angegeben?“ Tödter: „Nein.“
Vorhalt: Aryan Terror Brigade, von Tödter als Nachfolgeorganisation des NSU bezeichnet. Tödter: „Das ist dummes Zeug.“ Vorhalt: Befinde sich im Aufbau, europaweit, die Angehörigen rekrutieren sich aus Straftätern, die der rechten Szene angehören; Spitzel … [phon.] ; wer anderen zu radikal ist, geht zur ATB. Tödter: „Die Aussagen kommen nicht von mir.“ Vorhalt: Auf die Frage ob Tödter eine Bedrohung Deutschlands aktuell durch die ATB sehe, verneinte er, mit dem Hinweis auf den derzeitigen Aufbau. Tödter: „Weiß ich nix von.“ Götzl: „Ja, haben Sie das damals gesagt.“ Tödter: „Nein, habe ich nicht gesagt.“ Auf Frage, wie lang dieses Gespräch damals gedauert habe, sagt Tödter: „Viertelstunde, 20 Minuten.“ Vorhalt: Am heutigen Tag wurde der Gefangene Bernd Tödter von 10:35 bis 11:35 Uhr aufgesucht. Tödter: „Kann ich nicht bestätigen.“ Götzl: „Haben Sie Befürchtungen, dass Sie bei Ihren Freunden oder in der Szene Ansehensverlust erleiden oder Repressalien?“ Das verneint Tödter.
Götzl sagt, der Vermerk zu dem Treffen beginne mit dem Satz: Hintergrund des Treffens waren die zur Person Tödter eingegangenen Hinweise der BAO Trio und das Schreiben des Tödter an das LfV Hessen mit dem Angebot, Angaben zur rechten Szene machen zu können; zu Beginn des Gesprächs bekräftigte Tödter die Bedingungen, unter denen er zu Angaben bereit sei. Tödter: „Da kann ich mich gar nicht dran erinnern.“ Vorhalt: Dazu zähle auch, dass er einen Kontakt zur Polizei in Kassel, Staatsschutz, ablehne. Tödter: „Ich lehne generell den Kontakt zur Polizei ab.“ Götzl erwidert, hier stehe aber ausdrücklich: „Staatsschutz Kassel“. Tödter: „Kann ich nix zu sagen.“ Götzl: „Und Sie hatten heute hier von hafttaktischen Gründen gesprochen.“ Tödter bejaht das. Auf Nachfrage sagt er: „Das hat für meine Sozialprognose gut ausgesehen.“ Götzl fragt, was er sich denn versprochen habe von diesem Schreiben. Tödter: „Im Endeffekt ging es mir nur um den Sozialdienst der JVA. Denen hab ich vorgespielt dass ich aus der Szene aussteigen will.“ Götzl: „Was wollten Sie erreichen?“ Tödter: „Vollzugslockerung wollte ich erreichen.“ Tödter nennt auf Frage Ausgang, Urlaub. Es habe keine gegeben, weil er keine Information gegeben habe. Götzl sagt, man unterbreche die Einvernahme bis morgen um 9:30 Uhr.
Es folgt die Mittagspause. Um 13:08 Uhr geht es weiter mit dem SV Mölle. Götzl bittet Mölle sein Gutachten zu erstatten. Es gehe um die Explosion in der Keupstraße, die Sprengwirkung, Aufbau der Vorrichtung, auch die Bewertung des Spurenbildes, die tatsächlichen Auswirkungen. Mölle sagt, er habe am 09.04.2013 den Auftrag vom OLG zu einer gutachterlichen Stellungnahme hinsichtlich der Wirkung und Reichweite der Nagelbombe in der Kölner Keupstraße erhalten. Mölle sagt, er wolle zunächst etwas zu Bau- und Funktionsweise der Sprengvorrichtung sagen, dann zu den Sprengversuchen des BKA und zu weiteren Versuchsergebnissen „aus unserem Haus“ und dann werde er das konkrete Ausmaß der Explosion beleuchten und die Bewertungen vornehmen. Dann werden die Bilder von Mölles Präsentation an die Leinwände projiziert. Mölle stellt eine blaue Gasflasche auf den Richtertisch. [Sämtliche techn. Angaben, Zahlen und Maße phon.]
Mölle sagt, der äußere Aufbau sei hinlänglich bekannt: ein Citybike Marke Seiko von Aldi, ein Hartschalenkoffer Kappa, fixiert, und seitlich die Packtasche. Dieses Fahrrad sei unmittelbar vor dem Frisörsalon in der Keupstraße 29 abgestellt worden. Dann eine 5-Liter-Druckgascampingflasche, „wie Sie hier ein Vergleichsmodell sehen“; Stahl, 2 mm Wand, Sicherheitsdruck von 20 bar und Volumen von 5 Litern. Es seien maximal 5,5 kg Schwarzpulver eingebracht worden. Die Spurenauswertung habe ergeben, dass die Zündung einerseits um eine Glühwendel aus einer 6-Volt-Glühlampe, aus einer Taschenlampe oder Fahrradlampe, gezündet worden sei.
Als „Splittermantel“ seien ca. 800 Nägel, Länge 100 mm, Durchmesser 4 mm, Einzelgewicht über 11 g, verwendet worden. Es sei thermisch belastete Watte [phon.] im direkten und erweiterten Umkreis gefunden worden, das spreche eindeutig dafür, dass im unteren Bereich des Koffers vermutlich viel Watte gewesen sei. Da stelle sich die Frage, wie die Nägel positioniert waren. Zu einem an die Wand projizierten Bild sagt Mölle, hier sehe man eine Variante, für die sich das BKA bei den Versuchen entschieden habe: Zwei- bis dreischichtiger Mantel ringsum die Gasflasche fixiert, so dass man sie auch in den Koffer hätte stellen und den Koffer schließen können. Mölle: „Das Spurenbild spricht eindeutig dafür, dass die Nägel um die Flasche herum positioniert waren.“ Die Zündeinleitung sei via Fernsteuerung erfolgt. Am Tatort seien Reste von zwei Graupner-Modellbaumotoren C 508 gefunden worden. Auf dem Bild sehe man ein entsprechendes sichergestelltes Asservat. Um eine Fernsteuerung durchzuführen brauche man einen Empfängerquarz, auch der sei asserviert worden. Auf dem Bild, das zu sehen ist, sehe man das Asservat mit Explosionsspuren. Dann sei ein Wippschalter gefunden worden, so Mölle weiter, der für eine Transportsicherung spreche, um eine frühzeitige Umsetzung der Sprengvorrichtung zu vermeiden.
Mölle nennt zu den Explosionsverletzungen vier Kategorien. Primär: Auswirkungen der Druckwelle. Schwarzpulver alleine, ohne Verdämmung oder ohne Einschluss angezündet, würde zu einer Stichflamme führen. Die Eindämmung sei durch die stabile Gasflasche gewährleistet gewesen. 1 kg Schwarzpulver setze sich um auf 340 Liter Gasvolumen. 5,5 kg würden über 1800 Litern entsprechen, was einen immensen Innendruck hervorrufe. Das führe zu einen impulsartigen Behälterzerknall, zum Freiwerden einer über 2000 Grad heißen Gaswolke unter Feuerschein und zu einer schlagartigen Beschleunigung der Splitter und der Fragmente der Gasflasche. Ein weiteres Charakteristikum sei eine inhomogene, schwer prognostizierbare Ausdehnung der Druckgaswolke. Das spiegele sich auch bei den Sprengversuchen des BKA wider.
Die Wirkung der Druckwelle könne zu Lungenquetschungen, die tödlich enden könnten, bzw. zu Trommelfellrupturen führen. Sekundär: Splitter und Fragmente, hier vor allem die Nägel und Fragmente von Gasflasche, Fahrrad und Außenverpackung, des Kunststoffkoffers. Diese Splitter würden zu penetrierenden Verletzungen führen. Es könne auch zu stumpfen Verletzungen kommen, wenn ein Splitter nicht eindringt, sondern aufschlägt. Tertiär: Aufprall auf Gegenstände. Hier sei geschildert worden, dass Menschen durch den Frisörsalon geschleudert wurden. Quartär: Verletzungen in Form von Hitze. Durch die extrem heiße Gaswolke und den Feuerschein könne im Umkreis von etlichen Metern Verbrennungsgefahr oder Brandentstehungsgefahr bestehen. Zudem noch Verletzungen durch giftige Gase wie Stickoxide und Kohlenmonoxid, Salze und feiner Staub, die letztendlich bei Einatmen zu Intoxikationen und Inhalationstraumata führen könnten.
Nun habe die Frage im Raum gestanden, so Mölle, ob man mit Versuchen nachvollziehen könne, welche Wirkung der Sprengsatz hatte. Man habe den Sprengsatz nachbauen können. Da sei es einerseits um die primäre Wirkung im Nahbereich gegangen: Wie nahe musste einen Person am Sprengzentrum sich befinden, um mglw. Trommelfellrisse oder Lungenquetschungen zu erleiden? Und in der zweiten Versuchsreihe sei es darum gegangen, die Splitterenergie und der Splitterverteilung im so genannten „Sprenggarten“ gemäß einer Standardmethode der Nato zu eruieren. Ein Durchschlag eines Splitters müsse eine Mindestenergie von 79 Joule haben, was zu einer potentiell tödlichen Verletzung führen könne, insbesondere im Kopf-, Hals- und Rumpfbereich. Die Messungen hätten ergeben, dass der Schwellenwert von 2,5 bar, der in der Medizin beschrieben wird, wo es zu Lungenquetschungen kommen kann, in einem Umkreis von bis zu 2,8 Metern vom Sprengzentrum dazu führen könne. Im erweiterten Bereich bis 8,5 m sei ein Überdruck von 0,3 bar, wo es zu Trommelfellrupturen kommen könne. Zu einer Folie sagt Mölle, man habe im Radius von 3 und 5 Meter zahlreiche und eine signifikant hohe Zahl an Splitterdurchschlägen und im militärischen Sinne „wirksamen Treffern“ beobachten können.
Die Explosion führe auch zu einer Fragmentierung der Gasflasche in äußerst scharfkantige Stahlfragmente mit Gewicht bis zu knapp einem halben Kilo. Die Splittergeschwindigkeit, ermittelt durch Highspeedkamera belaufe sich auf bis zu 770 km/h. Bis in 55 Meter Entfernung habe man Fragmente und Splitter finden können, wenngleich dazu gesagt werden müsse, dass nur die Hälfte aller Splitter auf dem freien Feld des Truppenübungsplatzes habe gefunden werden können. Man müsse also davon ausgehen, dass auch in weiterer Entfernung Nägel und Splitter gelandet seien. In 5 Metern bestehe also auf jeden Fall tödliche Gefahr durch Splitter. Zur Frage, was jenseits der 5 Meter sei, habe er den erfahrensten Ballistiker des LKA konsultiert, der angeboten habe, entsprechende Versuche im Schießkeller durchzuführen. Dabei werde ein Dopplerradar genutzt und dann die kinetischen Energien berechnet. Zu einer Grafik sagt Mölle, man sehe hier eine nichtlineare Abnahme der Geschwindigkeit, was konkret bedeute: je niedriger die Geschwindigkeit eines Splitters, hier eines Nagels, desto geringer wird der Einfluss des Luftwiderstandes. Hier sehe man einen Nagel mit 165 m/s beschleunigt, der in 25 Metern immer noch 125 m/s Geschwindigkeit aufweise, der habe in über 25 Metern Entfernung immer noch eine Energie höher als 80 Joule.
Somit müsse man sagen, dass die Nägel auch in 25 Metern Entfernung noch eine erhebliche kinetische Energie aufweisen, die auf jeden Fall das Potenzial für schwere Verletzungen mit Todesfolge haben. Der Wert 79 Joule sei nur ein Anhaltspunkt und kein fester Wert. Man sehe auf der Folie den großen Splitter der Gasflasche: „Da sehen Sie hier, dass ein Splitter, wenn er auf einen Mensch auftrifft, er von dieser Seite eine andere Wirkung hat als von dieser Seite. Ein Nagel der frontal auftrifft, wird deutlich einfacher und schneller eindringen als wenn er seitlich aufkommt.“ Es sei daher gefährlich, sich an den 79 Joule festzuklammern. Entscheidend sei, wie groß die Auftrefffläche ist: „Und im Bereich von 86 Joule ist man beim vielfachen Hundertfachen [phon.], was ein Nägel benötigen würde, der mit der Spitze voraus auf die Haut trifft. Das lässt die Aussage zu, dass auf jeden Fall in Entfernung von 100 Metern mit akuten Verletzungen im Kopf-Hals-Rumpf Bereich zu rechnen ist, gesetzt den Fall es sind keinen Hindernisse im Weg.“
Ein Zeuge habe geschildert dass, vor dem Haus 78, in einer Entfernung von 90 bis 100 m in PKWs noch deutliche Nageleinschlagspuren hätten beobachtet werden können. Zu Bildern vom Tatort sagt Mölle, man sehe auf einem Bild die gewaltigen Druckauswirkungen im Bereich der Fenster bis in den ersten Stock. Der Ermittler Wa. (173. Verhandlungstag) habe berichtet, dass bis weit in das Innere der Wohnung im 1. Stock Splitter und Explosionsschäden vorzufinden gewesen seien. Auf einer Länge von ca. 100 Metern seien Splitterschäden und auch an den Fenstern Explosionsschäden zu finden gewesen. Das Spurenbild deute darauf hin, dass das Fahrrad in diese Richtung aufgestellt gewesen sei. Es sei deformiert 6 Meter weiter in Richtung Hausnummer 31 gelandet. Im Laden habe sich danach das Bild gezeigt, so Mölle zu einer Aufnahme aus dem Frisörladen: gewaltige Druckschäden, man sehe Spraydosen am Boden liegen. Es sei beschrieben worden, dass Spraydosen geplatzt seien.
Zum nächsten Bild sagt Mölle, hier sei das Fenster zum Hof des Anwesens 29 zu sehen. Durch dieses Fenster seien nach Zeugenaussagen viele Menschen geflüchtet. Man habe hier eine Totalentglasung. Ein Zeuge habe geschildert, dass Holzrahmen auf ihn niedergestürzt seien. Glassplitter seien natürlich überall entstanden. Man sehe auf jeden Fall auch gegenüber im Haus 52/54 noch sehr große, scharfkantige Glassplitter und vor der 31 auch viele unterschiedlich große Glassplitter. Diese könnten natürlich, wenn sie beschleunigt werden, erhebliche Schnittverletzungen hervorrufen. Vier Häuser weiter, Nummer 25, Entfernung vom 15 Metern: mächtige Splitteraktivität und -Energie. In diesem PKW, zeigt Mölle, finde sich der Einschlag eines großen Flaschenfragments und daneben ein eingeschlagener Nagel. Unmittelbar vis a vis vom Sprengzentrum habe sich dieser große Transporter befunden vor der 52/54: deutliche Einschläge der Nägel. Schräg gegenüber, bei Nummer 50, 48 finde sich ein in die Fassade eingedrungener Nagel in der Höhe 6,5 Meter und Abstand von 20 Meter Luftlinie zum Explosionsort. Das bestätige in eindrucksvoller Weise die splitterballistischen Versuche. Nebenan seien noch Fenster zerstört worden. Dann nennt Mölle, in welchem der Spurenbereiche wieviele Nägel und Splitter gefunden worden seien. Danach geht Mölle auf alle gehörten Zeug_innen und weitere anwesende Personen, deren Standort und ihre Gefährdung durch die Explosion ein. Es folgt eine Pause bis 14:34 Uhr.
Danach fasst Mölle zusammen: Infolge der Explosion einer ferngezündeten Sprengvorrichtung vor der Keupstraße 29 seien zahlreiche Personen innerhalb und außerhalb des Geschäftes teilweise schwer verletzt worden. Zudem seien im Umkreis von 100 Metern zahlreiche Schäden an Gebäuden und Fahrzeugen entstanden. Die Sprengvorrichtung sei in einem Motorradkoffer bzw. einer Packtasche, am Rad fixiert, verborgen gewesen. Sie habe aus einer äußerst druckstabilen Gasflasche, 5 Liter, maximal 5,5 kg Schwarzpulver, umgeben von ca. 800 Metallnägeln, bestanden. Die Sprengversuche des BKA hätten ergeben, dass die Energie ausgereicht hätte, im Umkreis weniger Meter tödliche Verletzungen und im weiteren Bereich Trommelfellrupturen durch die Druckwelle herbeizuführen. Die zweite Gefahrenquelle sei die Gefahr durch Splitter und Stahlnägel mit Geschwindigkeiten über 200 m/s. Bei hindernisfreier Flugbahn sei je nach Körperregion bei bis zu 100 Metern mit schweren Verletzungen zu rechnen gewesen. Mit den bis zu 300 g schweren und scharfkantigen Flaschenstücken und den Bruchstücken des Fahrrads habe es sich entsprechend verhalten. Außerdem komme [als Gefahren]dazu die druckwellenbedingter Beschleunigung für nahe am Zentrum befindlichen Personen sowie die starke explosionsbedingte Hitzeeinwirkung. Mölle nennt zudem scharfkantige Glassplitter im Nahbereich aller zerberstenden Fensterscheiben. Mölle: „Betrachtet man rückblickend Sprengvorrichtung und Ausmaß der Explosion musste zweifelsfrei mit tödlichen Verletzungen gerechnet werden.“
Als erstes fragt André Emingers Verteidiger RA Kaiser. Er möchte wissen, wer bei der Versuchsanordnung bei den Sprengversuchen des BKA die Parameter vorgegeben habe. Das sei in Absprache zwischen Dr. Ibisch (177. Verhandlungstag) und ihm selbst vereinbart worden, so Mölle. Ansonsten sei das aufgrund der in Deutschland gültigen Kriterien, z. B. die Entfernungen von 3 und 5 Metern und die Videoaufnahme. Kaiser sagt, es gehe ihm um den Sprengkörper selbst, die Befüllung. Es sei einmal mit 5,4 und 5,3 kg durchgeführt worden, so Kaiser: „Sind Versuche durchgeführt worden mit der Hälfte?“ Das verneint Mölle. Sie hätten auch darüber gesprochen. Sie hätten das aufgefüllt, denn das gesamte Spurenbild einerseits, aber auch die technischen Probleme bei der Zündung, wenn nur halb gefüllt wäre, würden dafür sprechen, dass die Auffüllung maximal war. Wenngleich das Spurenbild bei z. B. 4,5 kg vergleichbar gewesen wäre, so Mölle. Aber dann wäre, so Mölle weiter, die Zündeinleitung durch die Glühbirne technisch aufwändiger geworden.
Kaiser: „Konnten Sie Feststellungen zur Beschaffenheit des Schwarzpulvers machen?“ Mölle: „Nein, das ist nicht möglich. Wir haben in der Vergangenheit immer mal wieder Schwarzpulver aus Silvesterkrachern gehabt, da ist meistens die Tonsorte Kaolin beigemengt.“ Das sei das orange Pulver am Boden nach Silvester. Das sei hier nicht nachgewiesen worden, deswegen handele es sich wohl um rieselfähiges Jagdschwarzpulver. Kaiser sagt, es gehe ihm dann um die Anordnung der Nägel um den Sprengsatz, die seien mit Klebeband befestigt. Er fragt, wie es dazu gekommen sei, es seien keinen Rückstände von Klebeband zu entdecken gewesen. Mölle sagt, das sei eine Fixierhilfe, die auf den Verlauf der Explosion und die Wirkungsentfaltung keinerlei Einfluss habe. Die Erfahrung des BKA sei, dass die Nägel häufig in Form eines Mantels fixiert werden. Vergleiche man es mit der geschütteten Variante, wenn man also die Gasflasche in die Mitte lege und außenrum auffülle, dann würden Unterschiede nur dann sein, wenn die Flasche im Korb liegen würde, weil die Splitterverteilung horizontal deutlich geringer wäre.
Kaiser: „Ich schließe daraus, dass sie davon ausgehen, dass die Flasche gestanden hat.“ Mölle: „Das ist nicht richtig. Das wissen wir nicht. Entscheidend ist die Anordnung der Nägel um die Flasche herum, nicht ob die Flasche lag oder stand.“ In der Variante, dass die Nägel aufgeschüttet wurden um die Flasche herum, sei es nicht von Bedeutung, ob die Flasche liegt oder steht. Rechtsanwalt Kaiser fragt: „Je enger sich die Nägel an der Flasche befinden, desto höher sei die Beschleunigung. Wenn die Nägel mit Watte um den Sprengort herum gebunden worden wären, hätte das die Beschleunigung der Nägel verhindert?“ Mölle antwortet, das lasse sich aus seiner Sicht schwer beantworten. In der geschütteten Variante hätte sich ein Teil der Nägel in einem Bereich von 10 bis 15 cm von der Flasche befunden, so Mölle weiter. Aber da auf das gesamte Spurenbild zu schließen sei aus seiner Sicht nicht möglich. Aus seiner Sicht sei die Watte dazu da, den Bodenbereich auszulegen im Koffer und darauf die Nägel zu positionieren, um nicht den Effekt zu bekommen, dass Nägel, die unter der Flasche zu liegen kommen, Richtung Boden beschleunigt würden. Und in Sachen Transport und Schalldämpfung habe die Watte natürlich auch einen Effekt. Watte an sich solle keinen Einfluss auf das Spurenbild haben.
Mölle bejaht, mal selbst in der Keupstraße gewesen zu sein. Auf Frage, ob er sich dort die Beschädigungen angeschaut habe, sagt Mölle, er sei erst kurz vor Weihnachten 2014 da gewesen, er habe den Auftrag zum Gutachten ja erst 2013 bekommen. Mölle sagt auf Frage, das Gros der Nägel werde primär in horizontaler Weise beschleunigt. Natürlich gebe es auch Nägel, die nach oben beschleunigt werden, z. B. beim gegenüberliegenden Haus in 6,5 Metern Höhe. Das gesamte Spurenbild und die Verletzungen der Zeugen [A] und [B] im unteren Bereich würden auf jeden Fall dafür sprechen, dass die Nägel um die Falsche drumherum gewesen seien. Die Flasche sei nur 26 cm hoch und der Durchmesser auch nicht viel größer, das entscheidende Kriterium sei also nicht, ob die Flasche stand oder lag, Hauptsache die Nägel seien außen angebracht. Kaiser: „Passten diese angenommenen 800 Nägel eigentlich problemlos in den Koffer hinein?“ Mölle sagt, das hätten sie nicht ausprobiert. Kaiser fragt, wie laut der Explosionsknall gewesen sein könne. Da habe er keine Erkenntnisse, so Mölle. Er verneint, dass das gemessen worden sei.
NK-Vertreter RA Kuhn sagt, Ibisch habe geschildert, wieviel Joule Energie die in 5 Metern Entfernung gemessenen Nagelgeschwindigkeiten von 188 bis 215 m/s entsprechen würden. Er fragt, ob man daraus errechnen könne, in welcher Entfernung diese Teilchen noch als wirksame Treffer gelten könnten. Mölle sagt, man könne Rechenexempel anstellen. Entscheidend sei, dass mit sinkender Geschwindigkeit der Einfluss des Luftwiderstandes sinke. Das sei eine nichtlineare Abhängigkeit. Aber zu berechnen, in welcher Entfernung ein Splitter noch die nötige Energie hat, sei hier nicht maßgebend, nicht zuletzt weil die Versuche mit den Tatortbefunden abgestimmt worden seien bzw. andersherum. Und aus den Zeugenaussagen heraus sei der am weitesten entfernte Nageleinschlag im Bereich 100 Meter gewesen.
RA Reinecke sagt, Mölle habe angegeben, dass beim selben Versuchsaufbau das Ergebnis immer anders sein könne, und fragt, wie weit Mölle real stattgefundene Anschläge auswerte hinsichtlich der Sprengstoffmenge, wie weit die Splitter fliegen. Mölle sagt, Explosionen von Bomben mit Schwarzpulver seien sicher keine Seltenheit, aber in dieser Dimension und mit dieser Menge an großen Nägel, das sei für sie doch einmalige Angelegenheit gewesen, so dass sie da keine Vergleichsmöglichkeiten hätten heranziehen können. Reinecke fragt nach Nagelbombenanschlägen in London, ob Mölle da Kenntnisse von Scotland Yard bekommen habe Er habe da in der Presse drüber gelesen, so Mölle, könne da aber sonst nichts sagen. Reinecke fragt, ob es wegen des Sicherheitsschalters, der scharf gestellt werden musste, davor also keine Gefahr einer Selbstentzündung gegeben habe. Mölle: „Gut, das ist angesichts der Spurenauswertung alles spekulativ, aber es ist durchaus üblich bei derart gebauten Sprengsätzen, dass man mehrere Schaltkreise einbaut, die alle vor der Explosion geschlossen werden müssen.“
Und man habe durch Herrn Wa. gehört, dass durch die Fernsehsender in der Nähe die Gefahr eines Frequenzübersprungs bestanden habe. Man habe auch zwei Graupner-Motoren und diesen Wippschalter, aber das sei spekulativ und lasse sich nur mutmaßen. Reinecke sagt, es gebe die Aussage einer Zeugin, die sage, das Fahrrad sei sehr vorsichtig geschoben worden. Mölle sagt, der gesamte Sprengsatz habe ein Gewicht von ca. 18 kg gehabt. In Verbindung mit einer möglicherweise ungeschützten Glühwendel im Schwarzpulver lasse sich nachvollziehen, warum das Fahrrad vorsichtig geschoben wurde. Sonst wäre vielleicht die Glühwendel zerbrochen, so Mölle, spätestens wenn das Fahrrad umgefallen wäre. Vorhalt aus der Fallanalyse 2006: Ausgehend von dieser Annahme, dass die Täter jegliche Einstreuung anderer Signale und eine spätere Fehlzündung vermeiden wollten, ist davon auszugehen dass sich beide Täter bereits mit eingeschaltetem Sender und Empfänger durch den Bereich bewegten, wo die Zeugin sie sah. Reinecke fragt, was mit „Einstreuung“ gemeint sei. Das gehe deutlich in den Bereich der Physik, so Mölle, da müsse er Wa. zitieren, der gemeint habe, dass durchaus durch Frequenzübersprünge seitens der Fernsehanstalten die Graupner-Motoren hätten in Bewegung gesetzt werden können, dass die Sorge bestanden habe seitens der Täter, dass eine frühzeitige Initiierung der Explosion stattfinden würde. Aber das entziehe sich seinem, Mölles, Fachbereich.
Reinecke sagt, es gehe ihm nun um den Transport nach Köln. Götzl wirft ein, zu der Frage werde der Sachverständige nichts sagen können, aber er, Götzl, lasse sich überraschen. Reinecke fragt, in welchen Einzelteilen man die Bombe halbwegs sicher transportieren könne, was man vor Ort zusammensetzen müsse: „Sind 5,5 kg Schwarzpulver schon für sich gesehen hitzeempfindlich oder kann es sich entzünden?“ Mölle verneint das, es müsse nur ferngehalten werden von Zündquellen aller Art. Reinecke fragt, wieweit man es vorher schon zusammensetzen könne. Die Zündquelle müsse ferngehalten werden, so Mölle, das heißt die Glühwendel könne man früher einbringen, wenn man gewährleiste, dass diese nicht aufglühen. Aber hier seien physikalische Beanspruchungen vorzubringen, z. B. dass Erschütterungen die Wendel zerbrechen könnten. Man könne das Schwarzpulver in die Gasflasche einbringen und kurz vor dem Aufbau auf das Fahrrad oder dem Transport in Köln die Glühwendel ins Schwarzpulver vorsichtig einbringen. Entscheidend sei, die Zündquelle fernzuhalten. Aber wenn beachtet werde, dass die Zündquelle ferngehalten wird, dann könne man das über größere Entfernungen in einem PKW oder so transportieren.
RA Hoffmann: „Wäre das bei der hier ins Auge gefassten Konstruktion einfach möglich, diese Glühwendel vor Ort einzubringen, oder ein großer Aufwand?“ Das sei spekulativ, sagt Mölle, aber wenn die entsprechenden Bohrungen durchgeführt worden seien, dann solle das möglich sein, das vor Ort zu machen ohne größere Umstände. Hoffmann fragt, ob bei der Wohnung seiner Mandantin in den zwei Zimmern mit Fenstern zur Keupstraße hin Gefahr für Leib und Leben von Menschen bestanden habe. Mölle: „Ja.“ Hoffmann fragt, ob im gesamten Bereich der Zimmer. Mölle sagt, da müsse man Berechnungen anstellen wegen der Winkel: „Im Nahbereich der Fenster auf jeden Fall.“ RA Langer fragt, ob Druckwelle, Nägel und Splitter jeweils zeitgleich angekommen seien oder ob die Druckwelle erst die Scheiben zerstört habe oder Nägel und Splitter ggf. durch die Fensterscheiben gemusst hätten. Mölle antwortet, im direkten Nahbereich müsse davon ausgegangen werden, dass die Druckwelle schneller ist als die Nägel. Dann fragt nochmal RA Kaiser. Er fragt, ob bei der Geschwindigkeitsmessung bei der Versuchsanordnung die Nägel eine stabile Fluglage gehabt hätten oder sie instabil gewesen seien. Mölle sagt, sie seien auf jeden Fall erwartungsgemäß stark rotiert. Aber instabil im Sinne von Hin- und Herschwanken habe nicht gemessen werden können. Im Flug gebe es eine Rotation des Nagels um die eigene Achse. Dann sagt Götzl, er wolle, bevor Mölle entlassen werde, zunächst den SV Peschel hören.
Peschel nimmt am Zeugentisch Platz. Er sagt, er wolle auf die medizinisch wesentlichen Fakten zusammenfassend und auf einzelne Verletzungen und Verletzungsbilder, wie sie sich aus Zeugenaussagen ergeben hätten, eingehen. [Sämtliche med. Angaben, Maße und Zahlen phon.] Verletzungen durch solche Explosionen, so Peschel, könne man in primäre, sekundäre, tertiäre und quartäre Verletzungen unterscheiden. Ergänzend zu dem, was Mölle dazu bereits ausgesagt habe, wolle er sagen, dass es sich bei primären Verletzungen im Wesentlichen um Verletzungen an Lunge, Magendarmtrakt und Ohr handele. Die höchste Letalität finde sich bei Verletzungen der Lunge. Das finde sich bei dem hier vorliegenden Sprengmittel allenfalls im Bereich von wenigen Meter. Der Grenzwert 2,5 bar sei hier erwähnt worden. In der medizinischen Literatur finde man 1 bis 10 bar. Bei entsprechend massiven Druckschwankungen komme es zu Zerreißungen mit Blutungen bzw. Schocklunge – Eiweißbestandteile würden sich absondern in den Bereich des Lungengewebes hinein. Ein derartiges Verletzungsbild sei zwar typisch für solche Explosionen, finde sich hier aber nicht. Das gleiche gelte für Verletzungen des Magendarmtraktes. Häufiger seien hier Veränderungen an den Ohren beschrieben worden. Der Grenzwert für das Trommelfell sei 0,35 bar: Ruptur des Trommelfells, Luxationen der Gehörknöchelchen bis letztlich zum klassischen Knalltrauma. Es gebe Schädigungen des Innenohres, die irreparabel sein könnten.
Wichtig sei aus medizinischer Sicht und auch was das Gefährdungspotenzial angehe, dass man keine strenge lineare Abhängigkeit zwischen Verletzungsschwere und Entfernung vom Explosionsort habe. Da würden eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielen, die sich nicht exakt reproduzieren ließen. Z. B. Standorte von Gegenständen mit Abschirmungen, Drucktäler, Gasflussventile, Körperhaltungen einzelner Personen, die sich nicht vernünftig rekonstruieren ließen. Schon aufgrund dieser basalen Gegebenheiten habe man ein hohes Maß an Variabilität im Verletzungsausmaß und werde keine eindeutig bestimmbare Distanz für eine Gefährdung angeben können, das sei nicht möglich. Sondern man müsse sagen: Je größer die Entfernung, um so geringer wird das Risiko aufgrund der Detonationsschockwelle und aufgrund der Splitter.
Bei den Geschossen gebe es Primärgeschosse, also die Splitter vom Sprengkörper und Nägel, und Sekundärgeschosse, z. B. Glassplitter, die sich in der Druckwelle befinden. Wenn man sich die Fragmente der Gasflasche anschaue, seien sie kantig, unregelmäßig, zum Teil mit Spitzen. Wenn die auf einen Körper auftreffen würden, dann ergebe das ein hohes Gefährdungspotenzial. Entscheidend sei, auf welche Fläche sich das verteilt. An einem der Restaurants in der Keupstraße habe ein Nagel in der Holzverkleidung gesteckt. Entscheidend sei, wie der Gegenstand trifft. Beim Versuch habe es auf der einen Seite flache Treffer und auf der anderen Seite feine Durchsetzungen des Bleches gegeben. Zum Begriff „wirksamer Treffer“ habe Mölle gesagt, es handele sich um einen militärischen Begriff. Kategorisierungen für militärische Zwecke würden keinen Rückschluss auf die Verletzungsschwere im Einzelfall zulassen. Es sei nicht so, dass unter 79 Joule keine Verletzungen zu erwarten wären.
Von der wundballisistischen Seite her benötige man eine Energie von 0,1 Joule pro Quadratmillimeter um die Haut zu perforieren. Aber Haut sei nicht an jeder Stelle gleich dick. Dann komme man auf Werte von bis zu 0,5 Joule pro Quadratmillimeter. Bei einem Durchmesser des Nagels von 4 mm sei man hier bei einem Grenzbereich in der Größenordnung von 6 Joule, bei dem, wenn ein Nagel exakt orthograd auftreffe, er die Haut, Bindegewebe und Knochen durchsetzen könne. Das sehe anders aus, wenn er schräg auftreffe oder nicht stabil fliege. Bei der Spitze brauche es weniger Energie um gravierendere Verletzungen hervorzurufen: „Wir müssen davon ausgehen, dass auch bei deutlich niedrigeren Energiewerten als denjenigen, die hier zur Sprache gekommen sind, es zu gravierenden Verletzungen kommen kann, nicht nur an Auge und Ohr, sondern auch zu Perforationen der Haut mit darunterliegenden Organen.“
Dann gebe es Beschreibungen von Zeugen zu Glassplittern, die tief ins Gewebe eingebracht gewesen seien. Glas sei ein sehr heterogener Stoff. Das sei schwierig zu beurteilen, weil die Art wie Glas bricht, extrem unterschiedlich sein könne. Wenn Glas durch eine sehr schnelle Druckwelle breche, würden die Glasfragmente umso kleiner sein und umso weniger Verletzungspotenzial besitzen. Aber große Glassegmente würden nicht auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt. Und die Glasscherben würden natürlich ein Risikopotenzial besitzen: „Wir sehen bei den Sektionen bei uns auch tödliche Glassplitter, im Wesentlichen bei Stürzen in große Scherben oder Türen.“ Bei Sprengwirkungen, wo Glas als Sekundärpotenzial in Betracht komme, sei ihnen kein Fall in Erinnerung, wo ausschließlich durch Glas eine tiefgreifende Verletzung erfolgt sei.
Tertiäre Verletzungen, Beschleunigungs- oder Verzögerungstraumata, so Peschel weiter, spielten hier weniger eine Rolle. Man müsse es bei einigen diskutieren. Tertiäre Verletzungen würden üblicherweise nur sehr nahe am Detonationsort vorkommen. Der Umfang sei hier beschränkt. Bei den weiteren Verletzungen seien thermische Veränderungen zu berücksichtigen. Das treffe bei zwei der hier gehörten Zeugen zu. Außerdem breite sich unmittelbar auf die Explosion folgend eine Gasdruckwelle von um 1.000 Grad aus, die dann aber schnell auskühle. Wenn überhaupt, gebe es flächenhafte thermische Veränderungen in erster Linie der Haut, die aber oberflächlich bleiben dürften. Es sei denn Kleidung brenne, dann komme es auch zu tiefergehenden Verbrennungen. Das sei hier nicht der Fall.
Nicht detailliert wolle er auf die psychischen Folgen eingehen, so Peschel. Es könne natürlich eine derartige Explosion zu psychischen Folgen führen, z. B die PTBS [Posttraumatische Belastungsstörung], die sich in der ICD-10 [Internationale Klassifikation von Krankheiten und Gesundheitsproblemen] finde mit den entsprechenden Kriterien. Peschel schließt seine Ausführungen dazu und sagt: „Sonst gehe ich nicht weiter auf die psychischen Beschwerden ein, eben weil es nicht meinem Fachgebiet entspricht und selbst wenn, eine differenzierte Diagnostik solcher Störungen im Rahmen der Zeugenvernehmung schlicht nicht möglich ist.“
Dann geht Peschel auf die Verletzungen der verschiedenen Betroffenen des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße ein, soweit ihm dazu Informationen vorliegen. Dann kommt Peschel zu seiner Zusammenfassung: Im Nahbereich, den man auf die Größenordnung 20, 25 Meter eingrenzen könne, ohne dass es eine exakte Maßzahl sein solle, würden sich gehäuft Personen mit gravierenden und zum Teil gravierendsten Verletzungen finden. Zum Teil so gravierend, dass trotz Klinikbehandlung hier auch tödliche Konsequenzen denkbar gewesen wären. Im weiteren Verlauf müsse das Ergebnis abstrakt bleiben, abhängig von Postionen von Personen im Raum. Wenn man sich die Verteilung der Fragmente anschaue, sei das Gefährdungspotenzial nachvollziehbar, dass Mölle hier ausgeführt habe. Es gibt keine Fragen an Peschel, der SV wird entlassen. Auch Mölle wird entlassen. RA Hoffmann und RA Kuhn behalten sich Erklärungen vor. Der Verhandlungstag endet um 16:15 Uhr.
Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert:
„Klar wurde insgesamt erneut: alle Personen aus der Keupstraße, die hier als Zeuginnen und Zeugen ausgesagt haben, befanden sich in einem Bereich, in dem mit tödlichen Verletzungen zu rechnen war. […] Die Vielzahl der NebenklägerInnen ergibt sich, das wurde heute nochmals deutlich, aus der besonderen Gefährlichkeit der hier verwendeten Nagelbombe, die mit dem Ziel der Vernichtung und Vertreibung einer größtmöglichen Anzahl von BewohnerInnen der Keupstraße gezündet wurde.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/02/11/11-02-2015/