Nach der Zeugenvernehmung folgen Beweisanträge der Nebenklage Yozgat.
RA Kienzle beginnt.
Er beantragt:
A) Die Originalmitschnitte der Telefonate des Zeugen Hess mit dem damaligen Beschuldigten Temme vom 09.05.2006, 15:13 Uhr und vom 20.06.2006, 14:54 Uhr, beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie den damaligen Geheimschutzbeauftragten des LfV Hessen, Hess, dazu zu vernehmen.
Die Beweiserhebung werde ergeben: dass Temme schon vor dem 06.04.2006, 17:01 Uhr, über konkretes Wissen hinsichtlich der Täter, des Tatorts, der Tatzeit und der Tatbegehung eines drohenden Mordes zum Nachteil Halit Yozgats verfügte; dieses Wissen ist der Grund für die Anwesenheit Temmes in dem Internetcafé der Familie Yozgat während der Tat; der Zeuge Hess erfuhr hiervon im Rahmen seiner Befassung mit den Tatumständen.
Dies ergebe sich sämtlich aus den Telefonaten. Die insofern unvollständige polizeiliche Verschriftung des Telefonats vom 09.05.2006 liege dem Senat bereits vor. Aus der Inaugenscheinnahme des vollständigen Mitschnitts der Telefonate ergebe sich, dass sich Temme und Hess wörtlich wie folgt äußern würden:
Temme: „Ja, Hallo?“
Hess: „Ja, hier ist Hess.“
Temme: „Ah, guten Tag, Herr Hess.“
Hess: „Ich habe einen Anruf bekommen, wie ich auf meinem Display feststelle.“
Temme: „Hallo, Herr Hess.“
Hess: „Hallo, Herr Temme, grüße Sie.“
Temme: „Ich wollte mich mal bei Ihnen melden.“
Hess: „Ah, alles klar, äh. Ja, keine einfache Situation für Sie.“
Temme: „Ne, das stimmt.“
Hess: „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren. – Ja. es ist: Sch…. Ja, wie sieht’s bei Ihnen aus, wie fühlen Sie sich?“
Kienzle weiter: Es besteht also Konsens zwischen den Telefonierenden, dass Temme schon vor der Tat wusste, „dass […] so etwas passiert“ und entgegen den Anweisungen trotzdem „vorbeigefahren“ ist. Diese Äußerung des Zeugen Hess bleibt durch den Beschuldigten Temme unwidersprochen.
Das Gespräch dauere noch über eine halbe Stunde an. Im weiteren Verlauf weise Hess Temme an, sich hinsichtlich seiner dienstlichen Erklärung und der polizeilichen Vernehmung wie folgt zu verhalten:
Hess: „Mhm, Mhm. Also ich – gut, ich habe mit der Frau Pi. gesprochen. Ich nehme an, die hat Sie ja dann auch kurz danach irgendwie kontaktiert oder man ist da ins Gespräch gekommen oder hat einen Kanal eröffnet. Ähm, kann nur immer sagen, was ich grundsätzlich aber auch Jedem sage bei der Arbeit, also: So nah wie möglich an der Wahrheit bleiben. Äh…“
Temme: „Mhm.“
Hess: „Äh, alles andere kann ich Ihnen immer wieder nur sozusagen ans Herz legen, um Himmels Willen nichts anderes. Ähm, wenn man was vielleicht nicht sagen möchte oder dann, dann würde ich das vielleicht auch artikulieren, sei es also: muss ich mir erst nochmal, möchte ich im Augenblick oder kann im Augenblick nicht oder wie auch immer, äh, oder direkt sagen, was weiß ich, ähm, welche Gefühle man hat, dass es einem, ähm, was weiß ich, peinlich ist oder dies oder jenes, äh, da müssen Sie mir noch ein bisschen Zeit lassen, oder so. Aber ansonsten, immer nah dran bleiben. Ähm, äh, von meiner Seite kann ich sagen, ähm, meine ich schon auch auf Verständnis, ähm, hinsichtlich Ihrer beruflichen Tätigkeit, hinsichtlich überhaupt unseres Amtes auf der anderen Seite zu stoßen…“
Kienzle weiter: Der Hinweis darauf, Temme möge sich bei Erklärungen und Vernehmungen lediglich in der Nähe der Wahrheit positionieren, soweit dies opportun erscheint, erfolgt in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erörterten Vorwissen Temmes um die am 06.04.2006 bevorstehende Tatbegehung.
Weiter würden Hess und Temme in dem Telefonat vom 20.06.2006 ab 15:54 Uhr Wissen zu den Tätern erörtern:
Hess: Hm, hm, hm. Naja, äh, gut, das, das, das ist ja schon gut für alle Beteiligten, äh, ja: Da ist was passiert, nicht, und man kriegt es gar nicht so richtig mit…
Temme: Ja, also ich, ich, ich habe auch schon…
Hess: … wenn Profis arbeiten, kriegt man eben wahrscheinlich wenig von mit.
Kienzle: Aus der Beweiserhebung ergibt sich, dass das LfV Hessen zumindest in der Person des Mitarbeiters Temme bereits vor dem Mord an Halit Yozgat über Kenntnisse zu der bevorstehenden Tat verfügte. Es wäre dem LfV Hessen bei Weitergabe der erlangten Informationen möglich gewesen, die Tat zu verhindern. Auch die weitere Tat zu Lasten der Polizeibeamtin Kiesewetter hätte bei Offenbarung der Kenntnisse von Temme verhindert werden können. Außerdem wird sich indiziell ergeben, dass neben den bekannten Tätern des NSU auch weitere, namentlich bislang unbekannte Personen aus dem rechtsextremistischen Umfeld in Kassel an der Planung der Tat zum Nachteil Halit Yozgats beteiligt waren.
B) die Originalmitschnitte des Telefonats von Hess mit Temme vom 01.08.2006, 16:08 Uhr, beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen sowie Hess auch hierzu zu vernehmen. Dies diene der Feststellung folgender Tatsachen: Der Zeuge wird bekunden, dass er aufgrund seiner nach dem 06.04.2006 als Geheimschutzbeauftragter des LfV Hessen erlangten Erkenntnisse den damaligen Beschuldigten Temme für die Person hielt, die den Mord an Halit Yozgat „verursacht“ habe. In diesem Zusammenhang wird er bekunden, vielfach mit Temme wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts telefoniert zu haben. Insbesondere wird er bekunden, mit Temme am 01.08.2006 telefoniert und über eine angebliche Gefährdungslage gesprochen zu haben. Er wird bekunden, dass er Temme über Erkenntnisse des LfV Hessen informiert habe wonach in „türkischen Kreisen“ darüber gesprochen werde, dass „gegen den Mann, der das verursacht hatte“ „etwas unternommen“ werden müsse.
Wörtlich habe sich Hess wie folgt geäußert:
Hess: Also deswegen frage ich. Es kann durchaus sein, dass, äh, vielleicht die, ähm, Polizei, äh, mal Sie aufsucht oder ein Gespräch führt. Also wir haben, äh, mitbekommen, dass, äh, da in, äh, türkischen, äh, äh, Kreisen, äh, ja, darüber gesprochen wird, ob man da nicht was machen sollte gegen den Mann, der das verursacht hatte, ne? Die wollen versuchen, Namen rauszukriegen – was weiß ich. Also, das, äh, dasselbe – sagen wir mal – die Polizei, die hat ja mit Ihnen mal über Ihre Gefährundungssituation allgemein gesprochen, ne?
Temme: Ja.
Hess: Ich glaube, das sagten Sie mir auch.
Temme: Ja.
Hess: Ich hatte ja auch gesagt, ggf., wo, wo, wo, wo, woher das kommen könnte, ne, einmal von dem Vater des Toten, ne…
Temme: Mhm.
Hess: … und dann ggf. aus dem Umfeld. Und was wir so haben, bestätigt praktisch auch diese Information, die ich da von der Polizei habe. Es gibt da Leute, die, die sind noch vernünftig, ne, und es gibt auch Leute, bei denen gehen die Gefühle ein bisschen durch, ne?
Temme: Mhm.
Hess: Auch bis zu so, äh, ja, man vermutet, dass wieder so von der Polizei, dass man, dass die Polizei vielleicht den Täter deckt oder was weiß ich auch immer. Die phantasieren sich da was zusammen. Jedenfalls gut, Sie sollten nur wissen, dass wir diese, diesen Fakt praktisch, dass man da guckt: Ist da was, tut sich was? Wo die Polizei ja auch – wie Sie sagen – immer aufpasst, haben wir also jetzt festgestellt, dass da jedenfalls in einem Zeitraum in einer Moschee mal die Gefühle etwas höher gingen und das ist dann nicht so schön. Also, wir haben es der Polizei mitgeteilt, weil, ok, die Polizei ja auch für Ihre Sicherheit, äh, verantwortlich ist. Sie muss einmal sehen, dass sie bald mit dem Ding zu Rande kommt.
Temme: Mhm.
Mit dem Mann, „der das verursacht hat“, sei unzweifelhaft Temme gemeint, so Kienzle. Bemerkenswert an diesem Telefonat sei, dass Temme nicht ein einziges Mal darauf verweise, mit dieser Tat nichts zu tun zu haben. Darüber hinaus ergebe sich, dass das LfV, namentlich Hess, sich darum bemüht habe, ggü. der Polizei den Eindruck zu erwecken, dass entgegen der Ausrichtung der Ermittlungen gegen Temme tatsächlich Teile der türkischen Gemeinde in Kassel Gegenstand der Ermittlungen zu sein hätten, weil sie den Mitarbeiter des LfV bedrohen würden.
C)
1. den Originalmitschnitt des Telefonats des Zeugen Mu. mit Temme vom 09.05.2006, 14:39 Uhr beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie Mu. dazu zu vernehmen.
Dazu führt Kienzle aus: Mu. habe die Vertretung von Frau Dr. Pi. übernommen und in dem Telefonat, noch vor Eingang der dienstlichen Erklärung Temmes, versichert, dass er oder Pi. keine offenen Frage mehr sehen würden. Sie seien durch Temme bereits umfassend informiert worden. Mu. habe mitgeteilt, dass Hess die Angelegenheit jetzt intern in der Hand habe, maßgeblich dafür seien nicht inhaltliche, sondern optische Gründe. Mu. werde bekunden, dass man die Aufmerksamkeit von der Fachabteilung, in der auch die Quellen geführt worden seien, habe ablenken wollen. Außerdem habe Mu. sich in dem Telefonat zunächst dafür ausgesprochen, dass Temme in seiner dienstlichen Erklärung die Dinge so schildern solle, wie sie stattgefunden haben. Diesen Ratschlag habe er kurz darauf wieder zurückgenommen, weil dafür jetzt Hess zuständig sei und weil er auch mit dem Rat zur Wahrheit keinen falschen Rat geben wolle.
Wörtlich habe Mu. gesagt:
Temme: „Und weil es jetzt schon wieder Dienstag ist, äh, wollte ich mich von meiner Seite einfach nochmal melden, fragen, ob es irgendwas gibt, was ich machen kann oder, äh, irgendwas noch was zu klären ist, jetzt im Moment.“
Mu.: „Aus meiner, aus meiner Sicht wüsste ich im Moment nicht. Ich habe also keine Fragen, die offen sind, ähm, jetzt von uns aus, von der Frau Dr. Pi. oder von mir an Sie. Äh, Sie – das wäre jetzt aber ein Ratschlag: Sie könnten mal mit dem Herrn Hess schwätzen, wenn Sie wollen.“
Temme: „Mhm.“
Mu.: „Der hat das hier federführend in die Hand genommen, das Thema. Ähm, dass das jetzt nicht bei uns in der Fachabteilung liegt aus – denke ich mal – verständlichen Gründen.“
Temme: „Mhm.“
Mu.: „Ähm, den können Sie ruhig mal fragen, wenn Sie wollen. Ist ja auch Ihr Geheimschutzbeauftragter und, äh, das ist ein vernünftiger Gesprächspartner. Mehr will ich dazu gar nicht sagen.“
[…]
Mu.: „Aber, äh, tippen Sie doch mal das Thema bei Herrn Hess an.
Temme: „Mhm.“
Mu.: „Der unterhält sich häufiger, äh, mit ihm da drüber, weil – wie gesagt – ihn haben wir so ein bisschen hier im Hause jetzt als auch den Ansprechpartner, äh, für alle Dinge, dass das etwas neutraler von Statten geht und, äh, nicht die Fachabteilung, ähm, das händelt. Wobei wir das genauso wie Herr Hess händeln würden, aber das sieht optisch einfach besser aus.“
Weiter, so Kienzle, habe Mu. Temme zur dienstlichen Erklärung den Rat gegeben:
Temme: „Ja. Ja, ich bin dann jetzt auch, äh, dran und schreibe diese dienstliche Erklärung. Das muss ich ja noch machen.“
Mu.: „Mhm.“
Temme: „Äh, ich weiß nicht, wie sieht das da aus: Äh, ich habe so etwas ja noch nie gehabt. Soll ich mich da kurz auf die Vorwürfe beschränken oder das Ganze ausführlicher schildern?“
[…]
Mu.: „Ja, ähm, oh, keine Ahnung. Schwierig. Äh, ich – dienstliche Erklärung. Schreiben Sie so, wie es war.“
Temme: „Mhm. Ja.“
Mu.: „Alles andere, alles andere da jetzt, ähm, für ein taktisches Geplänkel, äh, denke ich mal, ist das, ist das kein Thema. Aber das wäre zum Beispiel – ich will Ihnen keinen falschen Rat geben, Herr Temme…“
Es würden sich, so Kienzle, zusätzliche Erörterungen finden, ob sich Temme lediglich auf die Vorwürfe bezogen äußern solle oder „das Ganze ausführlicher“ schildern solle. Das sei ein Hinweis darauf, dass die Vorwürfe der Polizei und des LfV Hessen gegen Temme nicht Abbild des vollständigen, dem LfV bekannten Sachverhalts sind.
2. den Originalmitschnitt des Telefonats des Zeugen Hess mit Temme vom 09.05.2006, 15:13 Uhr auch in Bezug auf 1. beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie Hess auch dazu zu vernehmen.
Dazu führt Kienzle aus: Aus dem Telefonat werde sich weiter ergeben, dass dienstliche Vorkenntnisse von Temme im LfV thematisiert wurden, und Temme sich in seiner dienstlichen Erklärung auch zu seinen Kenntnissen vor der Tat verhalten solle, ohne dass dies letztlich geschehen wäre.
Wörtlich habe Hess gesagt:
Hess: „Also soweit ich, ich hier, hier mitbekommen habe, ist, ist, sagen wir mal, so oder hat sich die, die Frage gestellt, Sie können sich auch noch mal überlegen, äh, ab, ab wann auf der Außenstelle bzw. Sie als Person mit der Frage, äh, konfrontiert worden sind oder mitbekommen haben, da sind in der Bundesrepublik, das war also teilweise – weiß ich jetzt nicht – vor den Geschehnissen in Kassel, nach dem Geschehnis, sind da Morde passiert…“
Temme: „Mhm.“
Hess: „Und äh, ab, ab wann ist Ihnen, äh, klar geworden, dass Sie sozusagen, ja, ob nun bewusst oder unbewusst, das müssen Sie dann schreiben, äh, einen, ja, einen mitbekommen haben. Oder, oder, oder sagen wir mal, an, an – an einem Tatort anwesend waren.“
Temme: „Mhm.“
Hess: „Ne, da, darauf wird man natürlich auch ein bisschen, äh, Wert legen und sagen, und, ab wann war ihm eben das bewusst, ok, dann stellt sich hält die nächste Frage: Hätte der Kollege sich dann vielleicht mal äußern müssen?“
Temme: „Hm.“
Hess: „Dem Amt gegenüber. Ne, dass Sie da irgendwie Stellung zu nehmen…“
Temme: „Ja.“
Hess: „…nicht, zu dieser Frage. Die ist nicht so ganz, ganz unwichtig und dann, dann, dann erspart man sich auch das, bei Ihnen nochmal nachzufragen: Ja, wie war denn das, ab wann und – Haben Sie es mitgekriegt oder haben Sie es nicht mitgekriegt und wie haben Sie es bewertet, so. Das scheint so ein Komplex zu sein, der nicht so ganz unwichtig ist, ne?“
Weiterhin werde sich ergeben, dass das LfV Temme dahingehend beraten habe, nicht seine originären Erinnerungen an den Sachverhalt vom 06.04.2006 zu schildern, sondern eine bereinigte Version einer dritten Person aus „übergeordneter Warte“ schildern solle. Außerdem sei Temme beraten worden, wie sich bei Nachfragen der Ermittler zu verhalten habe.
Hess: „Ne, ne, man soll wirklich – gut, Sie haben das ja auch bei Ihrer Tätigkeit gelernt, äh, der gesunde Menschenverstand hilft einem noch am besten weiter. Ist natürlich in so einer Lage immer bisschen, fast unmöglich oder nur sehr schwierig, sagen wir mal, aus seiner subjektiven Sicht dann raus zu kommen, in der man nun drinsteckt, ne?“
Temme: „Mhm.“
Hess: „Äh und und versuchen, das mal sozusagen aus übergeordneter Warte zu sehen aber wenn Sie es irgendwie hinkriegen, machen Sie das einfach so, ne, sehen Sie sich als 3. Person und versuchen Sie mal alles zu sagen so und so war es, das und das ist abgelaufen, ich kann mir das zwar, wie das jetzt ist, auch nicht erklären. Wenn dann irgendwie: Ja, Sie haben doch, Sie müssten doch oder wieso, ne, wieso nicht…? und so, dann sag‘: Stellt mir mal ein paar einfache Fragen! Ich kann es mir auch nicht erklären. Wenn es so ist, wie Ihr schildert, äh, jaja, hätte ich da auch vielleicht schon Schwierigkeiten. Es ist nun mal so wie es ist, ne? Und mehr kann ich da, da, dazu nicht sagen, und, ich will mir das alles nochmal überlegen, aber, aber wie gesagt…“
3. den Originalmitschnitt des Telefonats des Zeugen Fe. (104. Verhandlungstag) mit Temme vom 15.05.2006, 10:01 Uhr beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie Fe. auch hierzu erneut zu vernehmen. Dazu führt Kienzle aus: Aus dem Telefonat ergebe sich, dass der Mord an Halit Yozgat aufgrund der dienstlichen Anwesenheit des Temme am Tatort nicht nur dessen Problem, sondern auch ein Problem des LfV war.
Wörtlich habe Fe. gesagt: „Ähm, äh, hier gibt es nicht viel Neues. Wir sind natürlich in, in, in enormen Schwierigkeiten.“
Außerdem werde sich ergeben, so Kienzle, dass man aufgrund dessen im LfV einen konkreten Plan verfolgte, was die polizeilichen Ermittlungen anging.
Wörtlich habe Fe. gesagt:
„Und, äh, es ist alles ruhig, es ist alles, äh, es läuft alles nach Plan und wie es weitergeht, müssen wir mal sehen. Und wie es bei Dir weitergeht, das weiß ich auch nicht, da habe ich keine Informationen. Ich kann Dir auch nichts stecken. Ich kann Dir auch nichts sagen.“
4. den Originalmitschnitt des Telefonats des Zeugen Fe. mit Temme vom 02.05.2006, 9:45 Uhr beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie Fe. auch hierzu erneut zu vernehmen.
Dazu führt Kienzle aus: Es wird sich ergeben, dass Fe. Temme mitgeteilt hat, dass nach seiner Ansicht das dienstliche Verhalten Temmes „gar nicht so schlimm“ gewesen sei. Dienstlich solle Temme sich keine Sorgen machen, das habe man „im Griff“. Fe. wird bekunden, dass er sodann mit Temme erörtert habe, welche Maßnahmen das LfV eingeleitet habe, um die polizeilichen Ermittlungen zu behindern und zu steuern. Er habe ihm mitgeteilt, dass man Sorge dafür getragen habe, dass die Ermittlungsbehörden keinen Zugriff auf seine Quellen erlangen würden. Außerdem trage man Sorge dafür, dass die mit der Sache in Zusammenhang stehenden Berichte Temmes der Polizei nicht bekannt würden.
Wörtlich habe Fe. gesagt:
Fe.: „Aber dienstlich gehe ich davon aus, was ich so sehe: Hier mit Deinen V-Leuten geht da nichts. Und in Deine Berichte haben Sie noch nicht geguckt.“
Temme: „Mhm.“
Fe.: „Ja? Da wollen sie reingucken, aber da kommt erst ein Jurist mit nach Kassel von Wiesbaden, der wird noch bestimmt. Und, ähm, jetzt führe ich erstmal, ich führe, äh, die drei Kasseler beziehungsweise den 631.“
Sodann, so Kienzle weiter, sie auch noch über das der Polizei ggü. verschwiegene Wissen Temmes gesprochen worden. Fe. und Temme seien sich im Klaren gewesen, dass Temme bei einer konkreten Überprüfung seiner in Vernehmungen geäußerten Version von den Abläufen am 06.04.2006 im Internetcafé dies nicht würde durchhalten können und die falschen Angaben offenkundig würden. Sie seien sich einig gewesen, dass es großes Glück gewesen sei, dass die Polizei diese Überprüfung noch nicht vorgenommen habe.
Wörtlich heiße es:
Fe.: „Ja, gut, ich hatte schon – ich hatte gehört von dem, von dem, äh, Ho., dass Sie – und von dem We., dass Sie eine, eine Standort- oder wie das heißt – Tatortüberprüfung gemacht haben. Habe ich schon gedacht: Wenn sie ihn da mitnehmen, ist er tot. Aber sie haben dich – Gott sei Dank – da nicht mitgenommen, ne?“
Temme: „Mm.“
Fe.: „Alles klar, das ist schonmal wichtig. […]“
5. den auch betreffend dieses Beweisziels erheblichen Originalmitschnitt des Zeugen Hess mit Temme am 20.06.2006, 14:54 Uhr beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie Hess auch dazu zu vernehmen,
Dazu führt Kienzle aus: Gegenstand des Gesprächs war, dass die ermittelnden Polizeibeamten Temme vorgeschlagen hatten, sich im Beisein eines Psychologen vernehmen zu lassen, um weitere Fakten hierdurch zu erlangen. Temme kündigt in dem Telefonat ggü. Hess an, dass die Polizei sich wieder melden wolle, wenn eine solche Vernehmung anstünde, und er dann weitere Einzelheiten zum Ablauf und den Zeiträumen, um die es in der Vernehmung gehen solle, erfahre. Temme teilt Hess mit, er werde sich nach der Mitteilung der Polizei mit ihm in Verbindung setzen, um zu klären, worauf aus Sicht des LfV bei einer solchen Vernehmung geachtet werden müsse und um das, was „mit der Quelle zu tun hat“, auf alle Fälle „in Griff zu behalten“.
Wörtlich habe Temme gesagt:
„Weil ich ja dann – die wollen halt vorher nochmal mit mir sprechen. Und da werde ich ja dann wahrscheinlich auch erfahren, wie das abläuft und um welchen Zeitraum es da geht. Dass wir da nochmal drüber sprechen, was wir eventuell beachten müssen vielleicht für die Zeit davor, was jetzt möglicherweise mit der Quelle zu tun hat. Was man da macht, dass – dass man das im Griff behält. Aber da werde ich mich auf jeden Fall dann vorher nochmal bei Ihnen melden.“
6. den Originalmitschnitt des Telefonats des Zeugen Ha. mit Temme vom 28.04.2006, 21:26 Uhr beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie Ha. hierzu zu vernehmen.
Dazu führt Kienzle aus: Ha. wird bekunden, Kollege Temmes beim LfV gewesen zu sein. Ha. wird weiter bekunden, Temme habe ihm in dem Telefonat mitgeteilt, nur bei einem Gespräch unter vier Augen „das ganze am Stück“ erzählen zu können, was Temme darauf zurückgeführt habe, dass von dem „ganzen anderen Drumrum“ niemand außerhalb des LfV „auch nur irgendwas erfahren“ dürfe. Dies habe Temme Ha. ggü. zu einem Zeitpunkt geäußert, als die offizielle Version zu seiner Tatortanwesenheit der Polizei bereits durch Vernehmung bekannt gewesen sei.
Wörtlich habe Temme gesagt:
Temme: „Aber das war schon ganz schön heftig letzten Freitag. Ich sage es Dir. Wenn der ganze Spaß soweit rum ist, dann muss ich mal vorbeigucken, dann…“
Ha.: „Mhm.“
Temme: „…kann ich dir das Ganze ja…“
Ha.: „Jaja, genau.“
Temme: „…am Stück erzählen. Das ist am Telefon ein bisschen schlecht,…“
Ha.: „Jaja.“
Temme: „…auch wegen dem ganzen anderen Drumrum, wegen – von wegen, äh, dass ja niemand außerhalb darüber auch nur irgendwas erfahren darf,…“
Ha.: „Naja, klar.“
Temme: „…da muss man ein bisschen uffpassen.“
Zu Begründung der Anträge führt Kienzle abschließend aus: Aus der Beweiserhebung wird sich die enge Zusammenarbeit des LfV Hessen mit dem unter Mordverdacht stehenden Mitarbeiter Andreas Temme ergeben, die ausschließlich dem Ziel diente, die polizeilichen Ermittlungen hinsichtlich des Gesamtsachverhalts zu behindern und inhaltlich zu steuern. Ergebnis dieser Steuerung war u.a. die dienstliche Erklärung Temmes, die sich inhaltlich mit seinen Angaben in den polizeilichen Vernehmungen deckt. Diese ist offenkundig in Kooperation mit verschiedenen Gesprächspartnern aus dem LfV zustande gekommen und damit nicht die originäre Erinnerungsleistung des Beschuldigten Temme. Zudem wird sich ergeben, dass es mindesten zwei mögliche Versionen einer Erklärung Temmes gab, über die im LfV diskutiert wurde. Dieses Verhalten seitens des LfV ist nur auf dem Hintergrund erklärbar, dass Temme dienstlich am Tatort des Mordes war und es deshalb ein eigenes Interesse des LfV daran gab, die Ermittlungen der Polizei in eine andere Zielrichtung zu steuern.
Außerdem beantragt Kienzle die dem Antrag anhängenden Verschriftungen der TKÜ in Augenschein zu nehmen.
D)
Dann verliest RA Top den Antrag, zum Beweis der Angaben des Zeugen A.-T. (76. Verhandlungstag), dass der frühere Beschuldigte Temme am 06.04.2006 eine Plastiktüte mit einem schweren Gegenstand in das Internetcafé der Familie Yozgat mitbrachte und dies ggü. den Ermittlungsbehörden und dem Senat bislang wahrheitswidrig bestritt, den Originalmitschnitt des Telefonats der Frau von Temme vom 28.04.2006, 19:06 Uhr, beizuziehen und Temmes Frau dazu zu vernehmen. Es würden sich aus dem Telefonat der Zeugin die folgenden Tatsachen ergeben, zu denen auch Temme selbst erneut zu vernehmen sei:
Die Zeugin wird bekunden, dass Temme mit ihr über die Inhalte der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung zwischen dem 21. und 28.04.2006 gesprochen habe. Ihm sei seitens der Polizei, so habe er berichtet, wiederholt vorgehalten worden, dass ein Zeuge gesehen habe, dass er 06.04.2006 bei Betreten des Internetcafés gegen 16:50 Uhr eine Plastiktüte mit einem schweren Gegenstand dabei gehabt habe. Gegenüber der Zeugin habe Temme eingeräumt, tatsächlich eine Plastiktüte dabei gehabt zu haben Sie habe ihm aufgrund der Tatsache, dass er eine Plastiktüte dabei gehabt habe, Vorwürfe gemacht und gesagt, dass sie ihm schon vielfach geraten habe, keine Plastiktüten mitzunehmen, weil dies bei Männern auffällig sei.
Die Zeugin [Temmes Ehefrau, wir nennen diese hier A – nsu-watch] habe sich, so Top weiter, in einem Telefonat mit einer Freundin (C) wörtlich wie folgt geäußert:
A: „Ich sage: Ja, Schätzchen, und mir erzählst du dann irgendwie: Später komme ich nach Hause? Ja, weißt Du, Du hast unsere Zeit verplempert in so einer – weißt Du, es gibt ja auch, ähm, in der Königsgallerie ein Internetcafé, zum Beispiel, ne?“
C: „Mhm“
A: „Sage ich: Du hast unsere Zeit verplempert in so einer Asselbude in Kassel-Nord in der Holländischen Straße […]?“
[…]
A: Oder dann ging es ja darum, er hätte angeblich eine Plastiktüte gehabt, ne.
C: „Wieso?“
A: „Na, dieser Mensch, der ihn da angeblich gesehen hat, hat doch gesehen, dass er eine Plastiktüte in der Hand hatte.“
C: „Ja, und?“
A: und ich habe dann zu ihm gesagt: Pass mal auf! ich kann das nicht leiden, wenn wir einkaufen oder wenn er einkaufen geht und nimmt immer Plastiktüten.“
C: „Ätzend, ne?“
A: „Das kann ich nicht haben. Das sieht so asi aus.“
C: „Mhm.“
A: „Na, ich habe dann schon ein paar Mal zu ihm gesagt: So, weißt Du, Männer, die Plastiktüten tragen, sehen doof aus. Ich sage: Nimm einen Korb oder nimm einen Beutel oder weiß der Kuckuck: Nimm es lose in die Hand oder einen Karton. Ich sage: Aber bitte, laufe nicht mit irgendwelchen Tüten durch die Gegend. Ne, und nun hat er mir das dann erzählt mit dieser Plastiktüte, dass die da dauernd drauf rumgeritten sind. Sage ich: Was habe ich Dir gesagt? Ne, willst du nicht mal auf mich hören? Nimm keine Plastiktüte! Ich sage noch, ne: Nimm keine Plastiktüte mit! Ich habe es doch gesagt, echt!“
C: „Sonst hätten sie gesagt, er wäre mit einem schwarzen Korb da gewesen.“
A: „Da hätte ich mir aber Gedanken gemacht. Dann hätte ich aber gewusst, dass da was dran ist. […] Ich habe gesagt: Hast Du nicht gleich geantwortet: Ich darf keine Plastiktüten mitnehmen, meine Frau hat es mir verboten? Ich war es nicht!“
Zur Begründung führt Top aus: Es ergibt sich, dass Temme sowohl als Beschuldigter als auch als Zeuge in Vernehmungen wiederholt die Unwahrheit bekundet hat mit Blick auf einen zentralen, ihn belastenden Ermittlungsansatz. A.-T. schilderte ohne jeden Zweifel, dass die Person, die sich später als Temme herausstellte, bei Betreten des Internetcafés am 06.04.2006 gegen 16:50 Uhr eine Tüte dabei gehabt habe. Er gab hierzu an, die Tüte sei „irgendwie zu“ gewesen, man habe „nicht reingucken“ können. Die Tüte sei „schwer“ gewesen, die habe „nach unten gezogen“. Ergänzend gab der Zeuge an, dass in der Tüte „ein Gegenstand gewesen sein“ müsse. Wörtlich sagte der Zeuge darüber hinaus: „Die Tüte war unten ausgebeult es war was drin. Ich habe was Eckiges gesehen, denn der Gegenstand zeichnete sich in der Tüte ab. […] Es waren aber nicht viele Teile in der Plastiktüte, dann wäre sie ja unten auch dicker gewesen.“ Diese Bekundungen von A.-T. entsprachen ausweislich des Telefonats der Ehefrau von Temme der Realität. Temme brachte eine Plastiktüte mit in das Café und bestritt dies wahrheitswidrig in seinen bisherigen Vernehmungen.
E)
Dann beantragt Top:
1. den Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Volker Bouffier, als Zeugen zu vernehmen.
Dazu führt Top aus: Bouffier wird bekunden, dass er aus einem Schreiben der StA Kassel spätestens am 12.07.2006 über die den Tatverdacht gegen Temme begründenden Tatsachen informiert wurde. Bouffier wird außerdem bekunden, dass er am 17.07.2006 in der Innenausschusssitzung des Landtages Hesse wahrheitswidrig bekundete, dass er von dem Tatverdacht gegen Temme erst aus der Zeitung erfahren habe und ihm keine Ermittlungsberichte vorlägen. Er habe gleichwohl mit Blick auf Temme bekundet, dass „der Mann unschuldig“ sei. Bouffier wird weiter bekunden, dass er sich in den Folgemonaten über den Ermittlungsstand informieren ließ. Abschließend wird Bouffier bekunden, dass am 20.7.2006 im Innenministerium Hessen ein Gespräch stattgefunden habe, an dem er teilgenommen habe. Dort sei man sich einig gewesen, dass eine Suspendierung Temmes nur durch ein förmliches Disziplinarverfahren sichergestellt werden könne. Er habe allerdings sichergestellt, dass dem Beamten Temme keinerlei finanzielle Nachteile durch das Disziplinarverfahren erwachsen sollten.
2. den ehemaligen Innenminister des Freistaats Bayern, Günther Beckstein, als Zeugen zu vernehmen.
Dazu führt Top aus: Beckstein wird bekunden, dass er Anfang August 2006 im Rahmen eines Telefonats versucht habe, seinen hessischen Amtskollegen Bouffier davon zu überzeugen, dass die Ermittlungen gegen Temme dadurch gefördert werden müssten, dass die Quellen Temmes zur Vernehmung freigegeben würden. Hintergrund von Becksteins Anruf sei gewesen, dass Beckstein von den Beamten der „BAO Bosporus“ davon überzeugt worden sei, dass der Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes der Täter sein müsse.
3. den Originalmitschnitt des Telefonats zwischen Ho. vom LfV Hessen mit Temme vom 21.07.2006, 13:17 Uhr beizuziehen und durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, sowie Ho. dazu zu vernehmen.
Dazu führt Top aus: Am 21.07.2006 rief der Zeuge Ho. Temme an. Ho. wird bekunden, dass er Temme mitgeteilt habe, dass man gerade mit dem Ministerium zusammensitze. Es sei um weitere Maßnahmen gegangen, die man aufgrund der Veröffentlichung ergreifen müsse. Er habe Temme mitgeteilt, dass diesem „auch dienstrechtlich“ das Wasser am Halse stehe. Er habe den Eindruck gehabt, dass Temme sich auf die Unterstützung des LfV so verlassen habe, dass er dies nicht ernst genug genommen habe. Er habe Temme geraten, gegen sich selbst ein förmliches Disziplinarverfahren einzuleiten, andernfalls werde das durch das Ministerium getan. Er habe Temme diktiert, was er in das Schreiben aufnehmen müsse:
„Schreiben Sie sich das auf! Ich, Andreas Temme, beantrage gemäß § 30 der Hessischen Disziplinarordnung gegen mich ein – die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens.“
Top führt weiter aus, dass Ho. Temme noch die Folgen des Antrags und den Willen des Ministers mitgeteilt habe:
„Die Folge davon ist, dass Sie, äh, dann vom Dienst weiter suspendiert werden, Ihre Bezüge im Moment nach dem Willen des Ministers behalten und ansonsten, äh, zunächst mal ist in dem Zustand der, in dem Istzustand bleibt.“
Top weiter: Aus der Beweisaufnahme wird sich ergeben, dass Bouffier nicht nur die Sperrerklärung betreffend eine Vernehmung der Quellen Temmes erließ und damit weitere polizeiliche Ermittlungen gegen Temme verhinderte, sondern sich zu einem Zeitpunkt, zu dem Temme Beschuldigter des Mordes war, sich selbst für eine weitere volle Bezahlung Temmes aussprach. Ho. wird weiter bekunden, dass er Temme darauf hingewiesen habe, dass die Selbsteinleitung des Disziplinarverfahrens der „vorteilhaftere Weg“ sei, dadurch werde ein „Selbstreinigungszweck in Gang“ gesetzt. Das Ministerium sitze dem LfV „auf der Pelle“ und es gebe „keinerlei Überlegungszeiträume“ mehr, er habe Temme aufgefordert, den Antrag spätestens binnen eineinhalb Stunden per Fax zu übersenden. Außerdem habe er Temme aufgefordert, sich erneut mit Hess in Verbindung zu setzen, weil man sich in einigen Punkten zum Umgang mit Ermittlungen und Öffentlichkeitskenntnissen Gedanken machen müsse.
Wörtlich habe Ho. gesagt:
„Und am Montagmorgen, da soll aber der Herr Hess Sie nochmal anrufen, am Montagmorgen müssten Sie nochmal hier runterkommen. Das ist also unbedingt notwendig. Denn auch für die sonstige, äh, Dauer und die ganzen Überlegungen, die da angestellt waren, da muss neu drüber nachgedacht werden in verschiedenen Punkten. Und das ein oder andere muss Ihnen also vielleicht noch einmal ein bisschen verdeutlicht werden.“
Top: Die Beweiserhebung ist erheblich, weil sich aus ihr ergeben wird, dass die Angaben des Zeugen Temme gesteuert und nicht glaubhaft sind, dass die seinerzeit durchgeführten Ermittlungen politisch nicht gewollt waren und unterbunden wurden. Kenntnisse, die Temme und ggf. weitere Mitarbeiter des hessischen LfV über die geplante Tat und die (weiteren) Täter hatten, wurden den Ermittlungsbehörden vorenthalten. Außerdem ergibt sich die offenkundige Rückendeckung für den Beschuldigten Temme.
Dann zitiert Top aus Schreiben der StA Kassel von 2006, dass diese der Auffassung gewesen sei, Ziel der Gespräche mit dem LfV Hessen sei die „feststellbare Unterstützungshandlung LfVH-Verantwortlicher für den Tatverdächtigen aufzuheben“, weil zu erwarten sei, dass Temme bisher zurückgehaltene Informationen preisgibt, sobald er feststellt, dass er keine „Rückendeckung“ von Vorgesetzten mehr hat. Daher sei es erforderlich, so Top, auch die Hintergründe dieser „Rückendeckung“ aufzuklären und damit entfallen zu lassen. Abschließend beantragt Top, die Verschriftung des Telefonats zu verlesen.
Danach sagt Bundesanwalt Diemer, die Anträge der Kanzlei Bliwier, Dierbach, Kienzle würden in vielen Fällen dem gleichen Schema folgen. Es werde zunächst eine möglichst medienwirksame Behauptung aufgestellt. Dann würden Beweismittel ausschließlich im Lichte betrachtet… Nicht ohne hier die Medien ausführlich zu informieren, wollten die Anwälte hier den Beweis antreten, dass Temme und Mitarbeiter des LfV schon vor der Tat gegen Halit Yozgat davon gewusst hätten. Die als Grundlage für diese Beweiserhebung vorgetragenen Telefonate würden aber nicht nur bei nüchterner Betrachtung, sondern auch schon dann, wenn man sie mal von Anfang bis Ende durchlese, zeigen, dass das Gegenteil der Fall sei: „Es wird nun vom Senat zu entscheiden sein, ob die Beweiserhebung zulässig und geboten ist, wir treten dieser Beweiserhebung entgegen.“
Dann gibt OStA Weingarten eine Stellungnahme ab.
Weingarten: „Der Beweisantrag Telefonate Temme /Hess beantrage ich abzulehnen.“ Das Beweismittel sei völlig ungeeignet und könne zur Sachaufklärung nichts beitragen. Der Inhalt der Telefonate sei gänzlich ungeeignet, die behauptete Tatsache zu beweisen. Vielmehr ergeben sich in der Gesamtschau der Telefoninhalte keinerlei diesbezügliche Anhaltspunkte. Temme beschreibe seine Schwierigkeiten, zwischen eigenen Wahrnehmungen und Informationen aus Zeitungen und Vernehmungen zu unterscheiden. Hess sage, der Zeuge Temme solle alles sagen, was Sache sei. Hess weise Temme darauf hin, er möchte sich auch dazu erklären, ob er die Ermordung mitbekommen habe. Dieser Gesprächsverlauf belege nun das genaue Gegenteil der beantragten Beweistatsache. Selbiges gelte für die Bemerkung Hess: Man solle nicht vorbeifahren. Das beziehe sich drauf, dass niemand vom LfV bisher einen Besuch bei Temme abgestattet hat. Es gebe auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Gespräch einen konspirativen Charakter hatte.
Zum Antrag, Hess zu laden, sagt Weingarten: „Beantrage ich abzulehnen. Die Antragssteller haben nicht überzeugt dargetan, weshalb Hess zu den Beweistatsachen bekunden können soll.“ Ebenso beantragt Weingarten den nächsten Antrag abzulehnen. „Ladung Hess ist wegen Bedeutungslosigkeit abzulehnen. Es kann nichts erbringen, keine entscheidungsrelevanten Schlüsse.“ Auch die weiteren Anträge, so beantragt Weingarten, sollten abgelehnt werden.
RA Heer sagt, die Verteidigung Zschäpe stelle eine Stellungnahme zurück, wundere sich aber, warum der Senat der BAW ein Privileg gegeben habe, sich hier vorbereiten zu können. Götzl: „Der Senat hat gar kein Privileg gegeben.“ Heer: „Dann nehme ich das zurück.“ RA Hoffmann sagt, er wolle nur ganz kurz Stellung nehmen: „Ich wundere mich schon: Das Motto des GBA scheint zu sein: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Fall in Kassel ist ein ganz zentraler Fall für die Serie des NSU, es hat Änderungen gegeben danach. Und der Verfassungsschutz war vor Ort. Wir haben hier den Zeugen Temme erlebt und ich zweifle, dass irgendjemand, der Herrn Temme erlebt hat, nicht überzeugt davon ist, dass der hier nicht die Wahrheit gesagt hat. Jeder noch so geringe Hinweis, dass ein Mitarbeiter des VS mit diesem Mord was zu tun hatte, muss aufgeklärt werden. Vielleicht wären wir ja schlauer, hätten wir die Ermittlungsakte Temme durchgelesen. Wir haben sie aber nicht gekriegt.
Wenn sich aus Telefonaten nur der Hauch eines Hinweises ergibt, dass Temme beispielsweise eine Plastiktüte dabei hatte, mit einem schweren Gegenstand, dann muss dem nachgegangen werden. Das gilt auch für die anderen Behauptungen. Deswegen schließe ich mich an.“ Weitere NK-Vertreter_innen schließen sich an. RAin v. d. Behrens sagt: „Wenn man Temme gehört hat, waren die Angaben nicht glaubhaft. Sie jetzt als Begründung dafür herzunehmen, die Anträge wegen Bedeutungslosigkeit zurückzuweisen, ist ironisch. Der Mord an Mehmet Kubaşık ist zwei Tage vorher geschehen. Wenn es Informationen vor Kassel gegeben hat, gab es möglicherweise auch Informationen vor Dortmund.“ RA Narin sagt, er wolle an den Beweisantrag vom 12.03.2014 [phon.] erinnern. Daraus ergebe sich, dass zwei Wochen vor dem Mord in der Holländischen Straße das LfV mit dieser Mordserie befasst war. Es gebe eine Rundmail der Vorgesetzten von Temme und insoweit sei die hier aufgestellte Beweistatsache im Hinblick auf eine dienstliche Befassung sehr wohl plausibel: „Es dürfte sich herausstellen, dass Temme nicht zufällig am Tatort eines Mordes zur Tatzeit aufhältig war, nachdem er zwei Wochen vorher eine entsprechende E-Mail erhalten hat.“ RA Matt: „Und selbst wenn es so wäre, Herr Weingarten, wie Sie es darstellen, würde ich mir gerne selbst ein Bild hier im Saal machen.“ RA Kienzle sagt, er behalte sich eine ausführliche Erwiderung vor, wolle aber darauf hinweisen, dass man, wenn man die Telefonate gehabt hätte, vor Temmes Befragung und der Befragung weiterer LfV-Mitarbeiter, man diese den Zeugen hätte vorhalten können. Jetzt zu sagen, man brauche sie nicht, weil es bedeutungslos sei, das aber dann über eine halbe Stunde zu begründen, sei abenteuerlich.
RA Sturm sagt, der Vorsitzende solle darauf hinwirken, dass die Ausführungen der BAW zur Verfügung gestellt werden. OStA Weingarten sagt, für den Fall, dass der Vorsitzende die Stellungnahme anfordere, würden selbstverständlich überhaupt keine Bedenken bestehen. Götzl: „Ich würde Sie bitten, uns die zukommen zu lassen.“ Der Verhandlungstag endet um 16:43 Uhr.