Es ist nicht nur ein Strafprozess

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Ein Kommentar zu der nichtexistenten Nebenklägerin und ihrem Anwalt

von NSU-Watch

Ein Skandal um eine nicht existierende Nebenklägerin und ihren Anwalt schlägt in der Presse und den online-Kommentaren hohe Wellen. Nach jetzigem Stand der Erkenntnisse hat der Anwalt aus Eschweiler eine nichtexistente Person, die als „“ bezeichnet wurde, im NSU-Prozess als „Nebenklägerin“ vertreten und dafür die entsprechenden Honorare bekommen. Er reichte 2013 beim OLG ein Attest ein, das angeblich Meral Keskins Verletzungen beim Nagelbombenanschlag in der Keupstraße und damit ihren Nebenkläger-Status beweisen sollte. Sein CDU-Kommunalratsmandat legte er mit Verweis auf seine Eingebundenheit im NSU-Prozess nieder. [1] Seine Schein-Mandantin war mehrmals als Zeugin geladen, erschien jedoch nie. Der Anwalt Willms hat auch laut seiner eigenen Presseerklärung niemals persönlichen Kontakt mit ihr gehabt – hingegen hatte er in der vergangenen Verhandlungswoche noch von einem Treffen im Juni gesprochen. Nun hat er Strafanzeige gegen den angeblichen Vermittler, an den er für die Vermittlung der Mandantin mutmaßlich mehrere Tausend Euro Provision bezahlte, gestellt und sein Mandat niedergelegt.

Die Keupstraße ist eine belebte Geschäftsstraße Köln-Mülheim. Eine Nagelbombe verletzt im Juni 2004 22 Menschen teilweise schwer. Mehrere Läden werden verwüstet. (Foto: apabiz)

Die Keupstraße ist eine belebte Geschäftsstraße Köln-Mülheim. Eine Nagelbombe verletzt im Juni 2004 mindestens 21 Menschen teilweise schwer. (Foto: apabiz)

Unabhängig davon, ob der Anwalt anfänglich vielleicht einem Betrüger aufgesessen ist oder nicht ist allerdings klar, dass er offensichtlich gegen seine anwaltlichen Pflichten verstoßen hat; ohne solche Verstöße wäre es nie zu dem Skandal gekommen. Eine weitere Aufklärung ist aus unserer Sicht unbedingt notwendig, insbesondere auch im Interesse der Betroffenen und Angehörigen der NSU-Opfer. Wenn das Fehlverhalten des Anwaltes und das des angeblichen Vermittlers der Mandantin strafrechtlich relevant ist, dann wird und muss es dafür Sanktionen geben.

Ärgerlich sind in diesem Zusammenhang allerdings auch Pressestimmen, die gleich das „Ansehen der Nebenklage“ als geschädigt sehen und das Instrument der Nebenklage an sich in Frage stellen oder eine Wende im Prozess herbei reden. Der Betrug, den es hier anscheinend gegeben hat, ändert nichts an der Tatsache der schweren Verletzungen und Traumatisierungen der Betroffenen des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße im Jahr 2004 und der weiterhin unvollständigen Aufklärung der Tatfolgen und -umstände. Ohne Zweifel ist die Notwendigkeit, dass diese Menschen im Prozess ihre Interessen durch Anwält_innen vertreten lassen können. Das Fehlverhalten Einzelner kann dies nicht in Frage stellen.

Der NSU-Prozess dient nicht nur der Klärung der Frage der Schuld der Angeklagten, sondern auch der Aufklärung der den Angeklagten vorgeworfenen Taten, der Rehabilitation der selber in Verdacht geratenen Nebenkläger und dem Versuch, Rechtsfrieden wieder herzustellen: Nebenkläger können vor Gericht aus der Opferrolle heraustreten und bei der Aufarbeitung der Verbrechen aktiv mitwirken. Gerade im NSU-Prozess haben viele der über fünfzig Anwält_innen der Nebenklage den Prozessverlauf im Sinne einer Aufklärung auch gegen die Interessen der anklagenden Bundesanwaltschaft maßgeblich gestaltet: Es sind die Nebenklage-Anwält_innen, die durch ihre beständigen Nachfragen und Beweisanträge zum neonazistischen Umfeld des NSU dazu beigetragen haben, dass das durch die BAW vertretene Bild einer abgeschotteten Drei-Personen-Neonazi-Zelle nicht haltbar ist. Sie thematisieren im Prozess immer wieder den institutionellen Rassismus und die rassistischen Ermittlungsarbeiten der Polizei, denen ihre Mandant_innen ausgesetzt waren. Die Nebenklage trägt so zu einer gesellschaftlichen und vielleicht sogar behördlichen – jedenfalls aber parlamentarischen – Aufarbeitung des Rassismus bei. Auch thematisiert die Nebenklage von Anfang an die Rolle des Verfassungsschutzes und seiner V-Männer: Der Verfassungsschützer , der am Tatort des Mordes von Halit Yozgart saß, oder des V-Mann , der bereits 1998 über Bewaffnung und Überfälle des Trios berichtete, wären ohne die Nebenklage im Prozess nie zur Sprache gekommen. Und sie weist beständig auf die offenen Fragen hin, die dann hoffentlich irgendwann an anderer Stelle aufgeklärt werden. Das Verfahren in München kann und darf nicht außerhalb des gesellschaftlichen Kontextes gestellt und auf die Schuldfrage der lediglich fünf Angeklagten reduziert werden. Dass der Skandal um RA Willms und seine angebliche Mandantin dazu beiträgt, die Aufklärungsbemühungen der Nebenklage zu diskreditieren und z.B. die Ablehnung der zahlreichen Beweisanträge – auch um mögliche Mitwisser_innen der Anschläge in Köln – durch das Gericht der Presse kein Thema wert ist, ist für die Nebenkläger_innen fatal.

So wenig Raum und Stimme die Betroffenen der NSU-Taten am OLG in München tatsächlich haben, so wichtig ist es, diesen Raum nun nicht auch noch in Frage zu stellen. Der Prozess hat noch viel aufzuklären und aufzuarbeiten.

[1]    http://www.aachener-zeitung.de/lokales/eschweiler/ralph-willms-zieht-sich-aus-der-kommunalpolitik-zurueck-1.732835, eingesehen am 5.10.2015