Themen der Woche: Sächsischer NSU-Untersuchungsausschuss | Gedenktafeln für die Mordopfer | Das Doppelleben der NSU-Mitglieder | Die Methoden des NSU | Der seltsame „Schlussakkord“ am 4.11. | Die Rolle von Blood & Honour | Katze entnazifiziert
Am 4. April hat der Landtag die Mitglieder des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses gewählt. Damit kann das Gremium seine Arbeit aufnehmen. Das Besondere in Sachsen: Die NPD ermittelt mit (siehe Süddeutsche Zeitung v. 5. April 2012). Ohne ein Mitglied der neonazistischen NPD hätte der Ausschuss seine Arbeit nicht aufnehmen können. In der geheimen Wahl kam es dann zu einem, wie manche Medien kommentierten, Eklat. Der NPD-Abgeordnete Arne Schimmer erhielt zehn Stimmen mehr – aus den Reihen der demokratischen Parteien. Warum deren Abgeordnete nicht wie gewohnt sich der Stimme enthielten, bleibt unklar.
Am 4. April wird bekannt, das sieben Städten, in denen der NSU mordete, Gedenktafeln für die Opfer planen. Und wer wurde nicht gefragt? Die Angehörigen! Dies sei gedankenlos, beklagt Barbara John.
Der bayerische Neonazi Gerhard Ittner steht laut FOCUS vom 6. April 2012 im Verdacht, dem NSU geholfen zu haben. Dies erfuhr FOCUS angeblich aus Ermittlerkreisen. Ittner ist seit 2005 untergetaucht. Er sein das letzte Mal 2006 in Finnland gesehen worden.
Der taz-Autor Wolf Schmidt veröffentlicht am 6. April einen Hintergrundartikel mit dem Titel „Die netten Mörder von Platz M80. Das Doppelleben der NSU-Mitglieder„. Schmidt schreibt: „Die Naziterroristen des NSU wirkten freundlich – sogar auf Nachbarn mit Migrationshintergrund. Für die bürgerliche Fassade des Trios war Beate Zschäpe zuständig“. Er widmet sich den sozialen Kontakten, die das Trio in Zwickau ebenso wie bei ihren Ostsee-Urlauben pflegte.
Der Autor hatte für den Artikel mehrere Tausend Seiten aus den Ermittlungsakten ausgewertet. Ein Resumee lautet:
„Aus den Akten ergibt sich aber auch das Bild einer Terrorzelle, die zumindest in den letzten Jahren ein unverfroren offenes Leben führen konnte, Bekannten bei Hannover zum Geburtstag Hallo sagen konnte, in Zwickau regelmäßig von mutmaßlichen Helfern besucht wurde und vom Jahr 2000 an regelmäßig in den Urlaub fuhr.“
Am gleichen Tag erschien ein Überblick von Schmidt zu den „Ausspähmethoden der (sic!) NSU„: „Gutes Objekt und geeigneter Inhaber“. Wolf schreibt:
„Eine der Fragen: Wie haben die Terroristen des NSU die Auswahl ihrer Opfer getroffen? (…) Aus den Ermittlungsakten ist ersichtlich, dass die Neonazis in drei Stufen vorgingen. Zuerst legten sie eine Datenbank mit rund 10.000 Adressen an. Darin finden sich Abgeordnetenbüros von DKP bis CSU, türkische Kulturvereine und Geschäfte, Flüchtlingseinrichtungen, islamische Verbände und jüdische Gemeinden.
Im zweiten Schritt besorgten sich die NSU-Täter Karten von Städten in ganz Deutschland. (…) Auf diese Karten übertrugen die Neonazis dann einzelne ausgesuchte Adressen von ihrer 10.000er-Liste. Politikerbüros markierten sie dabei mit einem roten Stern, türkische und islamische Vereine mit einem gelben und jüdische Einrichtungen mit einem Smiley, das eine Sonnenbrille trägt. (…)
Im dritten Schritt spähten die NSU-Terroristen gezielt die Städte aus, in denen sie dann auch zuschlugen. Über Nürnberg, München und Dortmund fand die Polizei im Zwickauer Brandschutt entsprechende Notizen. Hier ermordete der NSU sechs seiner zehn Opfer. Deren Namen waren merkwürdigerweise zuvor aber auf keiner der Listen und Karten aufgetaucht. Nur in einem Fall war ein Imbiss eingezeichnet, wo die Mörder denn auch töteten.“
Merkwürdigerweise spricht der letzte Fakt gegen die zuvor so schön hergeleitete Vorgehensweise, oder? „Quod erat demonstrandum“ geht irgendwie anders.
Am 9. April legten Schmidt und Andreas Speit mit einem Artikel über die angebliche „Internationale der Nationalisten“ nach: sie skizzieren die Blood & Honour-Kontakte, die den Untergetauchten geholfen haben – oder könnten. Das internationale Neonazi-Skinhead-Netzwerk Blood & Honour (B&H) war schon früh auch durch antifaschistische Recherchen ins Visier geraten. „Der NSU pflegte enge Verbindungen zu militanten Nazirockern. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vollstreckten die Ideen, die „Blood and Honour“ propagierte.“, schreiben Schmidt und Speit.
Im Zentrum des Artikels stehen die Aktivitäten von Thomas S., auf die laut Ermittlungen auch der in U-Haft sitzende Holger G. hingewiesen habe. Thomas S. sei damals entscheidender Mann der Chemnitzer Nazi-Skinhead-Szene und B&H-Mitglied gewesen. Er habe sogar eventuell den Sprengstoff für das Trio geliefert – und sei eventuell mit Beate Z. liiert gewesen. Puhh! Ebenfalls relevant: die Kontakte des frisch untergetauchten Trios zu den führenden B&H-Kadern Jan W. und Antje P., ebenfalls aus Chemnitz.
Eine Anfrage der Linkspartei in Sachsen zu dem Wissen über die damaligen Aktivitäten des Nazi-Netzwerkes in Sachsen beantwortete die dortige Landesregierung übrigens nicht. Begründung: „Der Antrag sei „zu großen Teilen auf die Vergangenheit ausgerichtet“, antwortete der Landesinnenminister. Die „aktuellen Prioritäten“ seien andere.“
Die Anfrage findet ihr hier (pdf).
Eine Randnotiz aus der Westdeutschen Zeitung online vom 9. April 2012: „Als vermutlich höchste Belohnung in der deutschen Kriminalgeschichte gilt die Belohnung, die für Hinweise auf die „Phantommörderin“ von Heilbronn ausgesetzt worden waren. Dabei ging es um den Mord an der Polizistin, welcher inzwischen dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugeordnet wird. Die Belohnung betrug zuletzt 300 000 Euro.“
Andreas Förster widmete sich am 10. April in zwei gleich lautenden Artikeln in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau dem merkwürdigen „Schlussakkord“ der NSU-Terrorzelle. Förster versucht die Abläufe am 4. November 2011 und die Tage danach zu klären. Er schreibt einleitend: „Eine unbekannte vierte Person hat vermutlich die Abläufe am letzten Tag der Zwickauer Terrorzelle entscheidend beeinflusst. Wie sonst hätte Beate Zschäpe vom Tod ihrer Freunde erfahren und die Wohnung in Brand stecken können?“ Förster konnte bei der Beantwortung der Frage auf Ermittlungsunterlagen zurück greifen, die FR und Berliner Zeitung einsehen konnten. Er erörtert auch die viel diskutierte Frage, wie die Abläufe zwischen Mundlos und Böhnhardt im Wohnmobil gewesen sein könnten:
„Gesichert scheint, dass Mundlos mit seiner Pumpgun Böhnhardt in den Kopf geschossen hat – möglicherweise nachdem dieser auf die Polizisten gefeuert hatte. Anschließend soll er laut einem Brandgutachten Papier in der Mitte des Wohnwagens angehäuft und angezündet haben, bevor er sich selbst mit der Pumpgun erschoss – alles in wenigen Sekunden. (…) Warum aber töten sich die beiden Männer sofort, als die beiden Polizisten eintreffen? Haben sie vielleicht einen Vertrauten erwartet, der sie abholen wollte, und glauben sich nun verraten?
Und last not least dürfen auch die Katzen von Beate Zschäpe mal wieder für eine Story herhalten. Der FOCUS weiß zu berichten, dass die erste der beiden Katzen bei einem neuen Besitzer untergebracht sei. Wen das interessiert, lese bitte hier weiter.