Ein Gastbeitrag von René Heilig, zuerst erschienen im Neuen Deutschland vom 30.1.2013.
Rückhaltlose NSU-Aufklärung? Brandenburger Realitäten
Die Terrorzelle des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), der mindestens zehn Morde, mehrere Bombenanschläge und über ein Dutzend Banküberfälle zugeordnet werden, entstand in Thüringen. Sie operierte von Sachsen aus. Die Mörder hätten auch in Brandenburg Nährboden gefunden. Trotz (oder dank?) zahlreicher V-Leute des Verfassungsschutzes.
Man lasse sich nicht verleumden, schimpft der Minister. Der SPD-Mann ist sauer. Dietmar Woidke, zuständig für Inneres, glaubt, irgendwer will Brandenburg in die Nähe des NSU rücken.
Irgendwer? Es ist sein eigener Verfassungsschutz. Ein Abteilungsleiter hat der Geheimdienstchefin Winfriede Schreiber Informationen über »Piato« zusammengetragen: Der V-Mann »gab als bundesweit einzige Informationsquelle weiterführende Hinweise auf den Verbleib dreier flüchtiger Neonazis aus Thüringen«. Der V-Mann hieß, bevor man ihn im Zeugenschutzprogramm versteckte, Carsten Szczepanski. Die drei flüchtigen Neonazis aus Thüringen – das waren die beiden toten NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sowie die angeklagte Beate Zschäpe.
Woidke behauptet, dass sich alle Akten über »Piatos« Nähe zu den Dreien beim NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages befinden. Wie »nd«-Recherchen ergaben, fehlen wichtige Teile. Zudem hat er seinen Geheimdienstlern vor der Weitergabe eine hemmungslose Schwärzungsorgie gegönnt.
Szczepanski ist so ziemlich das Widerlichste, was Neonazis aufzubieten haben. Diese Meinung vertritt nicht irgendein ideologieharter Linker, sondern der Bundesanwalt Hans-Jürgen Förster. Als der im November 1996 als frisch ernannter Verfassungsschutzchef in Potsdam feststellte, dass Szczepanski »sein« V-Mann war, wollte er den Typen rasch los werden. Vorsichtshalber fragte er seinen Minister. Der hieß damals Alwin Ziel. Auch er sei aus allen Wolken gefallen, bestätigte der heutige SPD-Landtagsabgeordnete.
Der unbekannte Ratgeber ist tot
Er und Förster holten sich Rat und das Okay zur Weiterbeschäftigung von »Piato«. Bei wem? Schweigen. Förster sagt nur, diese Persönlichkeit, mit der Ziel befreundet gewesen sei, wäre inzwischen verstorben. Ziel attestiert seinem Ratgeber sogar internationale Bekanntheit. Wer war der Ratgeber? Nur ein Freund? Vielleicht ein Kirchenfürst? Kaum. Ziel brauchte irdische Rückendeckung. Was sagen Woidkes Akten? Nichts.
Keine Auskunft geben sie auch darüber, wann Szczepanski bei welchem Dienst seine Zuträgerkarriere begonnen hat. Der Neonazi, geboren in Berlin-Neukölln und nach der Wende in Königs Wusterhausen gemeldet, betrieb bereits Anfang der 90er Jahre den Aufbau einer deutschen Ku-Klux-Klan-Bruderschaft. RTL begleitete ihn, als er im September 1991 gemeinsam mit dem US-Klan-Boss Dennis Mahon und anderen Rassisten ein Hasskreuz abfackelte.
Bei den anschließenden Vernehmungen durch das Bundeskriminalamtes plauderte der Neonazi. Angeblich hatte man ihm schmackhaft gemacht, dass er durch weitere Kooperation in den Genuss des Paragrafen 153e kommen könnte. So erkannte man seine »tätige Reue«. Der von der Bundesanwaltschaft gegen den Herausgeber des United-Skin-Magazins und Ortschef der Königs Wusterhausener NPD gehegte Verdacht, er habe eine terroristische Vereinigung gebildet, löste sich im Nichts auf. Die Rohrbomben, die in einer von ihm gemieteten Wohnung gefunden wurden, ließ die Berliner Justiz klammheimlich unter den Tisch fallen.
Es war am 9. Mai 1992, als der nigerianische Lehrer und Asylbewerber Steve Erenhi im brandenburgischen Wendisch-Rietz eine Disco betrat. Im Nu hatten ihn Neonazis umzingelt. »Ausländer raus« und Heil Hitler« riefen sie und schlugen den Hilflosen zusammen. »Anstecken die Kohle … verbrennt das Schwein«, brüllte jemand. Mangels Benzin schleifte die Bande ihr Opfer zum Scharmützelsee, versuchte es zu ertränken. Steve Erenhi entging nur knapp dem Tod.
Im Februar 1995 verurteilte das Landgericht Frankfurt (Oder) den »Führer der Meute« wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft. Szczepanski habe seine Kumpane in einen »Tötungsrausch« getrieben. Man erkannte bei ihm eine »tiefverfestigte rechtsradikale, neofaschistische, gewaltverherrlichende und menschenverachtende Gesinnung«. Es fällt auf, dass Szczepanski erst Jahre nach seinen Spießgesellen vor den Richter musste.
Als Häftling der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Brandenburg hatte Szczepanski nicht viel auszustehen. Nachdem er per Post und Krakelschrift vom Landesamt den aktuellen Verfassungsschutzbericht erbeten hatte, kümmerte sich die Behörde intensiv um ihren »Piato«. Juli 1994 gibt der Dienst als »Einstellungszeitpunkt« an.
Seit Anfang April 1998 war der V-Mann Freigänger, durfte also von Montag bis Freitag zwischen 6 Uhr und 21 Uhr seiner Wege gehen, bekam 18 Tage Urlaub pro Vollstreckungsjahr. Seine Führungsleute holten ihn am Knast ab, brachten ihn zu seinen Nazitreffs und sorgten dafür, dass der Häftling pünktlich wieder in der Zelle war. 1000 Mark pro Monat soll er erhalten haben. Jederzeit war man per Diensthandy verbunden.
Staatsanwaltschaft drückte Augen zu
Volkmar Schöneburg (LINKE), der Justizminister von Brandenburg, bedauert, dass man nicht mehr sagen kann, an welchen Tagen Szczepanski unterwegs war. Die Gefangenenpersonalakten sind fristgemäß vernichtet worden. Doch einige andere Details, über die das Ressort seines Kollegen Woidke eigentlich den Untersuchungsausschuss hätte unterrichten müssen, förderten Schöneburgs Mitarbeiter jetzt doch zutage. Das Material soll dem Untersuchungsausschuss demnächst zugehen. Darin wird deutlich, wie arglistig die Richterin getäuscht wurde, die über Szczepanskis vorzeitige 2/3-Haftentlassung zu entscheiden hatte. Zwar hatte sie extra einen Psychiater als Gutachter bestellt, doch gegen die Hinterlist des Verfassungsschutzes, der sich auf das »Funktionieren« der Staatsanwaltschaft und der JVA-Leitung verlassen konnte, hatte das Gericht keine Chance. Der Richterin sagte man: Der Häftling sei durch »positives vollzugliches Verhalten« aufgefallen, man attestierte dem Neonazi Fleiß und Zielstrebigkeit. Er habe sich von der rechtsextremen Szene gelöst und keinen Kontakt mehr zu den »alten Kameraden«. Szczepanski habe sich eigenständig und erfolgreich um seine Wiedereingliederung gekümmert. Er wies einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer Firma Probst in Limbach (Sachsen) vor, bei der der Freigänger ein Praktikum absolviert hatte. Man plante sogar eine Zweigstelle im Raum Berlin.
Mit dieser Firma Probst war Szczepanski schon vor seiner Haftzeit verbunden. Sie handelte mit NS-Devotionalien. Das sächsische Blood&Honour-Mitglied Antje Probst betrieb mit ihrem Ehemann Michael den Szeneladen »Sonnentanz« in Chemnitz und war bereit, der Terroristin Zschäpe ihren Pass zur Flucht zu überlassen.
Über Michael Probst hat »Piato« Jan Botho Werner, den sächsischen Sektionsleiter von Blood&Honour, kennengelernt. Dass der für das untergetauchte NSU-Terror-Trio Waffen beschaffen sollte, hat der Brandenburger Verfassungsschutz angeblich dank »Piato« erfahren. Dabei spielt eine SMS eine besondere Rolle: »Hallo, was ist mit den Bums«, soll der Nazi in einer SMS »Piato« gefragt haben. Das war am 25. August 1998 um 19:21 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das angerufene Handy in Chemnitz, wo sich die NSU-Mörder versteckt hielten, sagt das Thüringer Landeskriminalamt, das Werner überwachte. Mag sein, sagt der Brandenburger Geheimdienst. Doch »Piato« sei zu diesem Zeitpunkt mit seinem V-Mann-Führer im Raum Brandenburg gewesen. Der Aktionsradius der Quelle sei überdies »auf Besuche bei der Familie und Freunden in Berlin und Königs Wusterhausen beschränkt« gewesen.
Eine seltsame SMS an irgendwen
Im Prinzip ja … Doch im Detail nein. Die Chefin des Brandenburger Dienstes relativiert. Ja, am 24. August 1998 seien V-Mann-Führer und V-Mann in Chemnitz gewesen, doch just am 25. habe »Piato« ein neues Handy mit einer anderen Nummer bekommen. Wer das alte übernahm, sei unbekannt, folglich auch, wer die SMS empfangen hat. Geht’s dümmer? Frau Schreiber bleibt dabei, »Piato« war so dicht wie kein anderer am NSU dran.
Kann »Piato« das bestätigen? Nachdem der V-Mann im Jahr 2000 aufgeflogen ist, hat der Geheimdienst ihm mit Unsummen ein scheinbar neues Leben verpasst. Der Geheimdienst löste sogar die Bewährungshelferin durch einen eigenen Mitarbeiter ab. Kein Kontakt ist möglich. Also müssen wir uns auf das stützen, was »Piato« zwei Vernehmern des Bundeskriminalamtes im letzten Sommer erzählte. Sie befragten den angeblichen Insider im Auftrag des Generalbundesanwaltes, der die Anklage gegen Zschäpe und die NSU-Unterstützer erarbeitete.
Frage: »Inwiefern haben Sie Informationen erlangt, in denen eine Waffenbeschaffung durch WERNER für das »Trio« Gegenstand war? Antwort: »Garnich.« Auf weitere Vorhaltungen meinte »Piato«: »Nein, das sagt mir jetzt gar nichts.« Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe? Fehlanzeige. Der NSU-Sprengstoffbeschaffer und Berliner V-Mann Thomas Starke? Null Aussage. NSU-Helfer Ralf Wohlleben? »Nein, sagt mir gar nichts.«
»Piato« war dicht am NSU dran?! Man darf nach dem Studium des Befragungsprotokolls durchaus annehmen, dass sich Szczepanski trotz Aussagegenehmigung des Verfassungsschutzes viele Erinnerungslücken gegönnt hat. Doch eine seiner Antworten klingt plausibel. Gefragt nach der »Bums-Anfrage« und anderen SMS-Kontakten, bei denen er mit seinen Initialen CS unterschreiben haben soll, meinte »Piato«: »Ich unterschreibe SMS an sich nie. Also in der Regel weiß man, von wem man welche SMS bekommt.« Minister Woidke, übernehmen Sie! Wer hat mit dem Geheimdiensthandy Kontakte zum NSU gepflegt?
Vielleicht können ja Szczepanskis V-Mann-Führer Auskunft geben. Zwischen 1996 und 2000 soll es drei gegeben haben. Einer wird sicher gern öffentlich Auskunft geben, denn Gordian Mayer-Plath steht angeblich für Transparenz. Gerade jetzt, wo er als Präsident den sächsischen Verfassungsschutz aus dem NSU-Sumpf ziehen soll.