„Anschein von Normalität und Legalität“ – Prozess gegen Zschäpe & Co. beginnt im Frühjahr

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Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Auffliegen des NSU hat die Bundesanwaltschaft Anfang November erhoben. Der Prozess gegen und die anderen vier mutmaßlichen NSU-Unterstützter beginnt voraussichtlich in den nächsten Monaten in München.

Knapp 500 Seiten hat die Anklageschrift, die die Bundesanwaltschaft im November 2012 an den Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München gesendet hat. Dazu kommt noch eine LKW-Ladung mit Akten: über 1.000 Ordner, gefüllt mit den Aussagen von mehreren hundert Zeug_innen, Gutachten und Beweismitteln umfasst die komplette Anklage. Ort des Prozesses wird München sein, da ein Schwerpunkt der NSU-Taten mit fünf Morden in Nürnberg und München in Bayern liegt und dort auch eine entsprechende Infrastruktur für den Mammut-Prozess vorhanden ist.

Vier Unterstützer angeklagt

Neben Beate Zschäpe werden beim ersten NSU-Prozess all jene vor Gericht stehen, die in Untersuchungshaft saßen oder noch sitzen. Während die anderen mutmaßlichen NSU-Unterstützer nach kurzer Zeit (spätestens im Frühsommer 2012) frei kamen, sitzt als einziger noch in Haft. Der Düsseldorfer Carsten S. hat gestanden, im Auftrag von Wohlleben die Tatwaffe für die Mordserie, die Ceska-Pistole, besorgt und dem Trio in Chemnitz übergeben zu haben. Während Wohlleben weiterhin schweigt, hat Schultze umfangreich ausgesagt und wurde dafür in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Mit dem Besorgen der Waffe hätten beide auch deren Einsatz billigend in Kauf genommen – was als Beihilfe zum Mord an den neun Migranten zu werten sei, so die Ankläger.

Etwas anders sieht es bei . und Holger G. aus. Ihnen wird die Unterstützung des NSU vorgeworfen. Bei beiden geht es um Papiere, die sie an die Untergetauchten weitergaben und damit ihre Identitäten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zur Verfügung stellten. Zudem mietete Eminger der Anklage zufolge für mehrere Raubüberfälle Wohnmobile an, ebenso wie für den ersten NSU-Anschlag auf die Inhaber_innen des Lebensmittelladens in der Kölner Probsteigasse. Dies wird als Beihilfe für den Anschlag und versuchten Mord gewertet. Warum Eminger trotz dieser Vorwürfe nicht in U-Haft sitzt, ist kaum nachvollziehbar.

Zschäpes Aufgabe

Nachdem vor Monaten noch mancherorts diskutiert wurde, ob Beate Zschäpe überhaupt mehr als eine Bewährungsstrafe zu erwarten hat, ist nun klar, dass die Anklagebehörde die überlebende des untergetauchten Trios als unverzichtbaren Teil des NSU sieht und für sie neben einer langjährigen Haftstrafe auch Sicherungsverwahrung ins Spiel bringt.

Auch wenn Zschäpe nicht direkt an der Ausführung der Morde beteiligt war, hatte sie laut Bundesanwaltschaft die Aufgabe, dem Trio den „Anschein von Normalität und Legalität“ zu geben und eine „unauffällige Fassade zu pflegen“. Bereits 1998, im Jahr ihres Abtauchens, soll Zschäpe gemeinsam mit Böhnhardt und Mundlos die terroristische Vereinigung gegründet und spätestens ab 2001 den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ benutzt haben. Damals wurde eine erste Version des Bekenner-Videos angefertigt. Ziel sei ein Vernichtungskampf gegen den Staat gewesen. Orientiert hätten sie sich dabei an den Blood & HonourKonzepten „the Way Forward“ und dem „Field Manual“. Darin wird der Schwede John Ausonius als Vorbild beschrieben, der als „Lasermann“ Anfang der 90er Jahre auf insgesamt elf Menschen, die er für Migranten hielt, geschossen und sein Leben mit Banküberfällen finanziert hatte.

Die Kasse des NSU mit dem Geld aus den überfällen soll Beate Zschäpe verwaltet haben, da sie unter anderem die Ausgaben für Papiere und Schulden bei Holger G. beglich. Ebenso soll sie an der Erstellung der NSU-DVD beteiligt gewesen sein, die sie auf ihrer Flucht aus Zwickau verschickte. Daher wird sie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Beteiligung an den zehn Morden und mehreren Mordversuchen bei den beiden Kölner Anschlägen und auf den Kollegen der getöteten Polizistin, sowie als Mittäterin bei 15 Banküberfällen angeklagt. Darüber hinaus muss sich Zschäpe auch noch für die Brandstiftung an der letzten Wohnung des Trios in Zwickau verantworten, die die Behörden zugleich auch als versuchten Mord an ihrer Nachbarin und zwei Handwerkern werten.

Logistische und juristische Probleme

Neben Carsten S. sagte auch Holger G. vor den Ermittlungsbehörden aus. Dagegen schweigen Wohlleben, Eminger und Zschäpe weiterhin. Den rund zehn Anwält_innen der Angeklagten stehen die Vertreter_innen der über 50 Nebenkläger_innen gegenüber. Wie das Gericht schon alleine den logistischen Aufwand bewältigen will, ist bisher noch unklar. Der größte in München zur Verfügung stehende Gerichtssaal fasst lediglich 160 Plätze, viel Raum für Presse und öffentlichkeit wird es daher kaum geben. Beim Prozess gegen den SS-Wachmann John Demjanjuk vor dem gleichen Gericht waren über 200 Medienvertreter_innen akkreditiert und und die Justiz damit vollkommen überfordert. Doch absehbar ist auch, dass das öffentliche Interesse an dem Prozess, der sich wohl mindestens ein Jahr hinziehen wird, schnell abnehmen wird. Während antifaschistische Gruppen schon seit mehreren Monaten auf über 100 Beteiligte im ganzen NSU-Komplex hinweisen, spricht mittlerweile auch die Bundesanwaltschaft von einer ähnlichen Größenordnung. Trotzdem bleibt das juristische Problem, dass viele Unterstützungsleistungen nicht mehr verfolgt werden können, da die Unterstützung einer terroristischen Gruppe nach zehn Jahren verjährt. Ermittelt wird lediglich gegen weniger als ein Dutzend weitere Personen. Ob es hier überhaupt zu Anklagen kommt, wird wohl erst der Verlauf des ersten NSU-Prozesses zeigen. Aber auch zahlreiche Vorwürfe gegen die Angeklagten im ersten Prozess sind mittlerweile verjährt. Beispielsweise soll G. dem Trio eine Waffe im Auftrag von Wohlleben überbracht und beide sollen Geld aus überfällen verwahrt haben.

Zahlreiche Fragen offen

An zahlreichen Stellen der Anklage zeigt sich, dass viele Fragen weiterhin offen sind oder als juristisch nicht relevant für das Verfahren erachtet werden. So zeichnet sich zwar immer mehr ab, welche Kontakte das Trio in die Regionen der Tatorte hatte, doch scheinen die Anklagebehörden mit der Beantwortung der Frage nach lokalen Unterstützungsstrukturen und der Wahl der tatorte überfordert zu sein. Auch andere wichtige Fragen sind noch offen: Was passierte in den teilweise mehrjährigen Pausen zwischen den Morden? Warum endet die Mordserie nach dem Heilbronner Mord abrupt? Was ist mit möglichen Auslandsaufenthalten?

Eine kontinuierliche Beobachtung der juristischen Aufarbeitung des NSU ist daher unerlässlich. Da diese Aufgabe neben der alltäglichen Arbeit sämtliche Kapazitäten sprengen würde, planen antifaschistische Initiativen, eine Beobachtungsstelle einzurichten, um das Verfahren mit Analysen und Bewertungen zu begleiten.

Felix Hansen

Erschienen in Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen Nr. 50

Der Artikel basiert auf dem Stand von Mitte Dezember 2012.