Bericht von der 57. Sitzung des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum NSU vom 1. März 2013. Als Zeugen waren anwesend: Erster Kriminalhauptkommissar (EKHK) Jürgen Dressler des Thüringer LKA, Kriminalhauptkommissar (KHK) Michael Brümmendorf des BKA und Ministerialdirigent (MDg) Hans-Georg Engelke des Bundesministerium des Innern (BMI)
Für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses war es abermals ein ernüchternder Sitzungstag, der schon mit schlechter Laune begann und woran sich bis zum Ende nichts änderte. Bereits bei der morgendlichen Presserunde brachten die Vertreter_innen aller Parteien ihre Unzufriedenheit über die Ereignisse des Vortages zum Ausdruck. Zum Einen lag das an den abermals erschreckenden Erkenntnissen über die fatalen Arbeitsweisen in Bezug auf V-Mann-Führungen, die in den ansonsten ergebnislosen Verhören offensichtlich wurden, wie Eva Högl (SPD) es beklagte. Denn die Befragungen der beiden V-Mann-Führer von Tino Brandt und Carsten Szczepanski hatten aufgrund der eklatanten angeblichen Erinnerungslücken zu keinerlei neuen Erkenntnissen geführt. Clemens Binninger (CDU) zeigte sich zudem erbost über die lückenhaften und in einem miserablen Zustand befindlichen Unterlagen, die der Brandenburgische Verfassungsschutz dem Untersuchungsausschuss zugesandt hatte. Binninger betonte , keinesfalls nach Potsdam fahren zu wollen, um umfassende Akteneinsicht zu erhalten. Vielmehr forderte er das LfV Brandenburg vor laufenden Kameras auf, die entsprechenden Akten an den Ausschuss zu übermitteln.
Neues Beweisstück und die richtigen Zeugen…
Ein weiterer Umstand hatte am Donnerstag allerdings noch für viel mehr Empörung gesorgt und sollte auch die Befragungen am Freitag maßgeblich bestimmen. So war erst am Vortag bekannt geworden, dass bei den Garagendurchsuchungen am 26. Januar 1998, in deren Zusammenhang Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt „abtauchten“, neben der bereits bekannten Adress- und Telefonliste noch eine weitere gefunden worden war. Dabei handelte es sich um eine aktualisierte und erweiterte Fassung. In den Akten hatte diese Liste keinerlei Erwähnung gefunden. Im Sicherstellungsprotokoll der Garagendurchsuchungen war sie scheinbar in dem Vermerk „Mappen mit diversen Papieren“, die sich im Fundstück „Rewe-Plastiktüte A“ befunden hatten, „untergegangen“.
Immerhin hatten die Ausschussmitglieder in einem Punkt „Glück“, wie es Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die GRÜNEN) am Nachmittag ausdrücklich betonte. Denn nur durch einen Zufall war es ihnen nicht wie so oft vergönnt, die richtigen Zeugen auch zum richtigen Zeitpunkt vor Ort zu haben und sie mit entsprechenden Fakten konfrontieren zu können. Allzu oft waren solche Informationen wie die der „neuen Liste“ erst dem Ausschuss zugegangen, nachdem sie die Zeug_innen, die etwas dazu hätten sagen können, bereits verhört hatten. An diesem Freitag waren nun jedoch als Zeugen der Erste Kriminalhauptkommissar (EKHK) Jürgen Dressler vom LKA Thüringen und Kriminalhauptkommissar (KHK) Michael Brümmendorf vom BKA geladen worden. Beide waren infolge der Garagendurchsuchungen am 26. Januar 1998 vor allem mit der Spurensuche und somit auch mit der Auswertung der Asservate befasst. Drei Beamt_innen des BKA waren im Zuge einer Amtshilfe ab Mitte Februar 1998 für zwei Wochen zur Unterstützung in Thüringen im Einsatz. Dressler (LKA) und Brümmendorf (BKA) waren jedoch in dieser Sitzung des PUA mehr oder minder zufällig zugegen, weil sie sich in ihren Vernehmungen am 22. Februar 2013 so eklatant widersprochen hatten, dass sie nun eine Woche später noch einmal gemeinsam verhört werden sollten.
…und trotzdem keine weiterbringenden Erkenntnisse
Diese erneute Anhörung war dann allerdings ebenso ernüchternd wie schockierend. Die Widersprüchlichkeiten wurden keinesfalls ausgeräumt, und es wurde erneut ein erschreckendes Zeugnis über die katastrophal dilettantische Arbeit von LKA und BKA in Bezug auf die Fahndung nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt abgeliefert. Wie zu erwarten war, hatten weder Dressler (LKA) noch Brümmendorf (BKA) die „neue“ Liste aus der Rewe-Tüte angeblich jemals gesehen bzw. war ihnen zumindest „nicht mehr erinnerlich“. Die Liste war also offenkundig auch nicht im Zuge der Ermittlungen 1998 ausgewertet worden. Darüber hinaus wurde abermals bestätigt, dass auch die erste Liste nur mangelhaft ausgewertet und vor allem in fataler Weise bewertet worden war. Obwohl sich auf der Liste zahlreiche bekannte Kader der bundesdeutschen Naziszene befanden, wiederholte Brümmendorf gebetsmühlenartig, dass er bei der damaligen Auswertung „keinerlei Fahndungsansätze“ habe ausmachen können. Und das obwohl etliche von diesen nachweislich Unterstützungsarbeit für das Trio geleistet haben und z.T. noch bis zum Schluss mit diesem in Kontakt standen
Brümmendorf will angeblich gegen Ende seiner Unterstützungsarbeit 1998 für das Thüringer LKA mit dieser Liste zu Dressler gegangen sein und mit diesem verbindlich vereinbart haben, dass sich Dressler um das weitere Vorgehen kümmere. Denn schließlich seien sechs der Personen aus Jena gewesen, die Dressler durch seine bisherige Arbeit bereits kannte. Brümmendorf habe daher als quasi Abschlussbericht nur einen „Entwurf eines Vermerkes“ verfasst und das weitere Vorgehen Dressler als ermittlungsleitendem Beamten überlassen haben. Dressler konnte sich nicht an eine solche Absprache erinnern, wollte es jedoch auch nicht abstreiten. Er sagte aber, dass ein solches Vorgehen nicht üblich sei und er sich auf die Arbeit des BKA-Kollegen verlassen habe. Zudem waren die Notizen Brümmendorfs sehr knapp und wenig zielgerichtet formuliert, so dass bezüglich der Liste seitens des LKA Thüringen keine weiteren Maßnahmen eingeleitet worden waren. Auch Clemens Binninger (CDU) ließ Brümmendorfs Erklärung nicht gelten und übte scharfe Kritik, da dieses Vorgehen den üblichen kriminalpolizeilichen Maßnahmelogiken widerspräche. Denn schließlich hätten mehr als 35 Namen und Adressen von z.T. bekannten Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet auf der Liste gestanden. Somit wäre es zwingend Aufgabe des BKA gewesen, sich des Falls anzunehmen. Auch sei es ein grobes und in keinster Weise nachvollziehbares Versäumnis, dass nur in einem Fall (Berlin) der Kontakt zum LKA anderer Bundesländer gesucht worden ist.
Fatale Ignoranz konkreter Fahndungsansätzen
Außerdem wurde in einem besonders schwerwiegenden Fall die Aussage Brümmendorfs als falsch entlarvt. Dieser hatte nämlich bei der Auswertung der Adressliste und anderer Unterlagen sehr wohl einen sehr konkreten Fahndungsansatz erkannt und die Notiz gemacht, dass Thomas Starke als Fluchthelfer oder seine Wohnung gar als Unterschlupf in Betracht käme. Ein Hinweis, der möglicherweise also schon im Februar 1998 die Flucht des Trios hätte beenden und die Mordserie hätte verhindern können. Denn Starke unterstützte das Trio nicht nur tatsächlich auf der Flucht vor der Zielfahndung sondern beschaffte ihnen auch Sprengstoff. Eine Erklärung dafür, warum dem Hinweis auf Starke nicht nachgegangen wurde, blieben Dressler wie auch Brümmendorf schuldig. Sebastian Edathy zeigte sich fassungslos über die untätige wie unfähige Polizeiarbeit. Denn die Adressliste allein wäre ein „erstklassiger Aufhänger für die Suche“ und vor allem der konkrete Fahndungsansatz ein regelrechter „Volltreffer“ gewesen. Dressler räumte darauf immerhin ein: „Da haben Sie recht. Es ist offensichtlich nicht alles so gelaufen, wie es hätte laufen müssen.“ Brümmendorf hingegen beharrte auf seinem selbstgefälligen Standpunkt, alles richtig gemacht zu haben.
Petra Pau (Die LINKE) konfrontierte Brümmendorf mit einer weiteren Angelegenheit, die den BKA-Beamten in Bedrängnis brachte. Bereits 1995-1996 war dieser – ebenfalls nach einem Amtshilfeersuchen des Thüringer LKA – in die Ermittlungen gegen das Thule Netz eingebunden. Laut der damaligen Akten war Brümmendorf vor allem mit der Person Kai Dalek befasst, der beim Thule Netz für den Bereich Sicherheit zuständig war und zudem eine höhere Funktion in der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) inne hatte. Kai Dalek steht als Eintrag „Kai D.“ auch auf der Garagen-Liste, die Brümmendorf damals auswertete. Er hatte es dennoch nicht für nötig befunden, das Thüringer LKA davon in Kenntnis zu setzen. Darüber hinaus musste er auf Nachfrage von Pau eingestehen, dass ihm bei seinen Arbeiten im Februar 1998 bereits der Verdacht bekannt war, dass Dalek V-Mann sein könnte. Die These Paus, dass dies möglicherweise seinen Ermittlungseifer gedämpft habe, um Dalek nicht zu sehr in den Fokus zu rücken, vermochte Brümmendorf nicht zu entkräften.
Zu guter Letzt gab es noch einen weiteren Fall aus dem Jahr 1999, der einen weiteren Fahndungsansatz geliefert hätte, aber nicht weiter verfolgt wurde. Anlässlich der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944“ war es zu massiven Protesten und Aktionen von Rechtskonservativen bis Neonazis gekommen. Einer sehr perfider und bedrohlicher Vorfall waren Bombenattrappen, die u.a. dem damaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Deutschlands, Ignatz Bubis, zugeschickt worden waren. Brümmendorf war auch hier in die Ermittlungen eingebunden und hatte damals bei der Bauart der Attrappen Parallelen zu denen des Trios festgestellt. Da es zudem einen Hinweis gab, dass die Bombenattrappen an u.a. Bubis in Österreich gefertigt worden waren, hatte Brümmendorf angeregt, die Fahndung nach dem Trio auf Österreich auszuweiten.
Die Ausschussmitglieder zeigten fraktionsübergreifende Fassungslosigkeit ob der polizeilichen Untätigkeit trotz zahlreicher konkreter Hinweise und Fahndungsansätze, die – wären sie denn verfolgt worden – möglicherweise die NSU-Mordserie hätten verhindern können. Wolfgang Wieland (die Grünen) erhob am Ende der Vernehmung zudem schwere Vorwürfe gegen die Generalbundesanwaltschaft (GBA), der die Existenz der zweiten Adress- und Telefonliste seit langer Zeit bekannt gewesen sei. Durch das Zurückhalten dieser wichtigen Information sei die Arbeit des Untersuchungsausschusses bewusst torpediert worden. Der Vorwurf wurde seitens der GBA abgestritten, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.
Aktenvernichtung ohne böse Absicht!?
Der dritte Zeuge, Ministerialdirigent (MDg) Hans-Georg Engelke des BMI, wurde zur Aktenvernichtung beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) am 11. November 2011 verhört. Die Akten seien mittlerweile vollständig rekonstruiert worden und nach eingehender Prüfung könne angeblich ausgeschlossen werden, dass die Löschung bewusst erfolgt sei, um gezielt brisante Einträge oder aber offensichtliche behördliche Fehlleistungen zu vertuschen. Genauere Informationen bekam die Öffentlichkeit dann aber nicht zu hören. Der Hauptteil der Vernehmung wurde in den nicht-öffentlichen Teil der Sitzung verlegt.