2. Offener Brief zum Prozessbeginn gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und zur Beteiligung weiterer Frauen im Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds
veröffentlicht am 12.April 2013 auf www.frauen-und-rechtsextremismus.de
Am 17. April 2013 [aktualisiert: am 6. Mai 2013. Redaktion NSU-Watch] wird am Oberlandesgericht in München der Prozess gegen Beate Zschäpe beginnen. Ihr wird die Mittäterinnenschaft an zehn Morden, Sprengstoffanschlägen, besonders schwere Brandstiftung, Beihilfe zum Raub sowie die Gründung der terroristischen Vereinigung ‚Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)‘ vorgeworfen. Neben ihr sind vier Männer wegen unterschiedlicher Unterstützer- und Helferdienste angeklagt, mindestens einer auch wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Unter ExpertInnen wird vermutet, dass das größte Problem sein wird, Beate Zschäpe in dem Prozess die Mittäterinnenschaft an den vom NSU verübten Morden nachzuweisen. Der konstitutiven Funktion Zschäpes und anderer Frauen für das Funktionieren des NSU als rechtsterroristischem Netzwerk kann ein solches Urteil kaum gerecht werden.
Entgegen aktueller wissenschaftlicher und empirischer Forschung und Erkenntnisse reproduzieren Medien und Behörden in ihren Berichten noch viel zu häufig Frauenbilder, die extrem rechte Akteurinnen, wenn überhaupt, als Mitläuferinnen, Freundinnen, Ehefrauen, harmlos, unpolitisch und unbedeutend darstellen.
Beate Zschäpes Aktivitäten zeigen, dass diese Wahrnehmungen und Umdeutungen eine Sackgasse sind. Die Verharmlosung der Rolle von Frauen in der extremen Rechten spiegelt nicht nur sexistische Stereotype wider, sie verharmlost auch die rassistisch und antisemitisch motivierten Taten selbst. Extrem rechte Frauen handeln ebenso wie ihre männlichen Kameraden gewalttätig und aus politischer Überzeugung. Sie sind mitnichten als das „friedfertige Geschlecht“ anzusehen, als das sie mitunter dargestellt werden. Im Gegenteil: Ohne das Engagement von Mädchen und Frauen würde die extreme Rechte weder lebensweltlich noch ideologisch funktionieren: sie sind aktiver Part in Skinheadgruppen, Kameradschaften, extrem rechten Parteien und Terrorgruppen. Häufig üben sie Funktionen in den Bereichen Vernetzung, Kommunikation, Organisation, Logistik, Finanzierung, Tarnung, Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit aus – und übernehmen damit Aufgaben, ohne die extrem rechte Terrorakte, Morde und Überfälle kaum denkbar wären. Zum anderen sind auch in der Vergangenheit seit 1945 extrem rechte Frauen als Anstifterinnen, vorbereitende Kaderinnen, Fluchthelferinnen und gewalttätige Täterinnen in Erscheinung getreten und dafür zum Teil zu Haftstrafen verurteilt worden. All dies steht im Widerspruch zum Versuch extrem rechter Frauenorganisationen, die Gewaltbereitschaft der Szene zu leugnen und für eine vermeintliche „Politik der Harmlosigkeit“ einzustehen. In dem Umfeld und Unterstützungsnetzwerk des NSU, dem nach Angaben der Ermittlungsbehörden weit über einhundert Personen zugerechnet werden können, beträgt der Frauenanteil laut Recherchen des „Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums e.V.“ (APABIZ) rund 20 Prozent. Die Frauen aus diesem Umfeld haben Ausweise und Wohnungen bereitgestellt, Kontakte gepflegt und vermittelt. Zschäpe selbst nutzte neun weibliche Pseudonyme von realen Frauen. Einige davon waren bzw. sind in der extremen Rechten aktiv. Es steht zu befürchten, dass im Prozess diesen Unterstützerinnen zu wenig Beachtung geschenkt wird – bisher ist nur eine der Frauen vorgeladen. Nach dem jetzigen Wissensstand ist davon auszugehen, dass sich Zschäpe aus eigener Überzeugung und bewusst für das Leben in der Illegalität und somit auch für die Morde entschieden hat. Beate Zschäpe hat, wie ihre MittäterInnen, die rassistischen Morde (mit-)geplant und vielleicht durchgeführt. In dem Prozess muss alles dafür getan werden, die Formen ihrer und der Beteiligung anderer Frauen jenseits von Geschlechterstereotypen genau zu rekonstruieren. Ziel aller Beteiligten muss es sein, die Verbindungen des gesamten Netzwerkes NSU dezidiert aufzudecken, um erfassen zu können, ob, und wenn ja, in welcher Weise von diesen Strukturen noch immer Gefahren ausgehen.
Für das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus:
Prof. Dr. Michaela Köttig, FH Frankfurt (koettig@fb4.fh-frankfurt.de) und Rena Kenzo (rena.kenzo@gmx.de)