Ahnungslos im Süd-Westen – Baden-Württembergische Behörden im NSU-Untersuchungsausschuss

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Bericht aus dem Untersuchungsausschuss, 65. Sitzung am 18.04.2013

Polizisten beim – diese Schlagzeile hatte vor Monaten für Aufsehen gesorgt. In seiner mittlerweile 65. Sitzung beschäftigte sich nun der -Untersuchungsausschuss beim Bundestag mit diesen Vorgängen und der rechten Szene in Baden-Württemberg.

Zeug_innen:

  • ORR’in Bettina Neumann, LfV Baden-Württemberg
  • Dr. Helmut Rannacher, LfV Baden-Württemberg
  • KD Joachim Rück, LKA Baden-Württemberg
  • EKHK‘in Angelika Baumert, BKA

Als „Expertin“ für die Szene in dem Bundesland war Bettina Neumann geladen, die bis 2011 18 Jahre lang die Referatsleiterin Auswertung beim Baden-Württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz war. Doch Erhellendes konnte oder wollte sie an diesem Tag nicht sagen. Beobachter_innen mussten den Eindruck gewinnen, dass sich manche Ausschuss-Mitglieder mittlerweile besser mit der Materie auskennen, als die Beamt_innen, die sich tagtäglich mit der Szene beschäftigen. Die am häufigsten benutze Phrase war mal wieder „ich kann mich nicht erinnern“ – und von ihrem eigenen Vergessen war die Zeugin „auch erschüttert, aber das ist eben so“.

Baden-Württemberg sei nie eine Hochburg des Rechtsextremismus gewesen und die vorhandenen Strukturen habe man gut im Blick gehabt. Kontakte in den Osten habe es nicht gegeben, auch Tino Brandt sei keine Person mit Bezügen zu Baden-Württemberg gewesen, war Neumann der Meinung. Dass Brandt Ende der 90er Jahre ein Haus in dem Bundesland kaufte, dass zahlreiche -Kader in den Raum Stuttgart und Ludwigsburg zogen, dass in einem Brief an begeistert von den zahlreichen Waffen in der Region Ludwigsburg schrieb, dort hätten sie sogar einen regelrechten „kleinen Waffenladen“ – von all dem will die Chef-Auswerterin nichts gewusst haben. Der Raum Ludwigsburg sei eben schon immer ein weißer Fleck gewesen. „Wo die Kontakte des Trios zu Ludwigsburg herkommen habe ich mich auch gefragt, das ist mir ein Rätsel“, sagte Neumann vor dem Ausschuss.

Schredder-Aktion schon weit vor Fromms Rücktritt bekannt

Von einem anderen Thema wurde die Zeugin offensichtlich völlig überrascht. Heute arbeitet Bettina Neumann als Chef-Auswerterin beim Bundesamt für Verfassungsschutz und ist dort Kollegin des Akten-Schredderers, der nach dem Bekanntwerden des NSU im November 2011 seine Kolleg_innen anwies mehrere Akten zu schreddern. Das machte die Ausschuss-Mitglieder hellhörig und zog Fragen über den Vorgang nach sich. Nervös schaute sich Neumann nach dem Vertreter des Bundesinnenministeriums um, der auch gleich intervenierte und meinte, dieser Komplex sei nicht von der Ladung der Zeugin abgedeckt – doch es half nichts. Dennoch wollte Neumann offensichtlich nicht zur Aufklärung beitragen. „Es war eine total hektische Zeit mit viel Arbeit, da passieren halt auch Fehler“, erklärte sie die Akten-Vernichtung. Zwar habe sie mit dem Schredderer auch über die Aktion gesprochen, doch um was es konkret ging und wann das war, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern – aber jedenfalls nicht im Sommer, so die Zeugin.

Dies deutet darauf hin, dass die Schredder-Aktion in der Behörde schon weit vor dem Rücktritt des BfV-Chefs Fromm bekannt gewesen sein muss. Dies bestätigte auch der Ausschuss-Vorsitzenden Edathy, der von der Vernehmung der Beamtin berichtete, die die Akten schließlich in den Schredder steckte: der Vorgang sei intern bereits kurz nach der Akten-Vernichtung diskutiert worden, habe die Behördenleitung aber erst Monate später erreicht und dann dem Chef den Kopf gekostet.

Verfassungsschutz löst KKK auf

Besser als über die Region Ludwigsburg, war das Landesamt für Verfassungsschutz über die Gründung einer KKK-Sektion in Schwäbisch-Hall informiert. Über Internet-Recherchen und Zeug_innen wurden bereits 1998/99 erste Hinweise auf KKK-Aktivitäten bekannt. Neumann berichtete, das Amt habe bundesweit 20 Mitglieder identifiziert, davon 5-6 in Baden-Württemberg. 2002 löste sich die Zelle dann auf – nach einer koordinierten Aktion des Bundes-Verfassungsschutzes und der Landesämter. Zeitgleich wurden 2002 alle Mitglieder für Gefährdenansprachen aufgesucht, woraufhin die Aktivitäten aufhörten. Ziel sei „wehret den Anfängen“ gewesen, so Neumann. Man habe so früh wie möglich verhindern wollen, dass etwas passiert: „laufenlassen und dann Einschreiten ist eine feine Sache, wenn es funktioniert“.

Ob die Mitgliedschaft zweier Polizeibeamten beim KKK ein Grund für diese einmalige Aktion gewesen sein könnte blieb auch beim zweiten Zeugen des Tages offen. Der frühere Baden-Württembergische VS‚ler Helmut Rannacher brachte es in seinen 35 Jahren bei der Behörden vom Sachbearbeiter bis zum Chef. Er berichtete über die beiden beim KKK. Die Landesbehörde war deshalb so gut informiert, da der V-Mann des Bundesamtes Thomas Richter(„“) regelmäßig über die Treffen und ihre Mitglieder berichtete. Das führte zur Abschaltung des zweiten V-Manns im KKK-Kreis Achim Schmidt, der zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre für das Landesamt arbeitete, aber seinem Arbeitgeber nichts von der Gründung der KKK-Zelle erzählte. Das Amt fühlte sich angelogen und schaltete ihn ab.

Hellhörig wurde das Amt bei zwei anderen Mitgliedern. Zwei Polizisten waren regelmäßig beim KKK dabei, doch sehr aktiv seien beide nie gewesen, „einem war es zu lasch“, so Rannacher. Einschreiten konnte die Behörde aber erst über ein Jahr nachdem sie davon erfuhr, da die Information aus Quellenschutzgründen erst „handhabbar“ gemacht werden musste. Die disziplinarischen Reaktionen der Landespolizei waren verhalten. Ein Beamter bekam eine Rüge ausgesprochen, der zweite nicht einmal dies. Der VS bekam noch weitere Hinweise auf drei weitere Polizist_innen, die auch bei Kreuzverbrennungen und im Umfeld des KKK dabei gewesen sein sollen, doch verifizieren ließen sich dies Meldungen nie, so dass auch die Konsequenzen ausblieben.

Seinen Unmut äußerte Hannacher über den öffentlichen Umgang mit den Geheimdiensten. Zwar räumte er ein, dass die „Institution Verfassungsschutz“ im Bereich Rechtsterrorismus versagt hat. „Das Ergebnis ist desaströs“, beim Amt fehlte die Vorstellungskraft für derartige Taten von Neonazis. Doch verwahrte er sich gegen Kritik: „über den gesamten Verfassungsschutz werden Kübel von Häme und Missachtung ausgeschüttet, das ist bitter für die Aktiven, die undifferenziert zu den Deppen der Nation heruntergemacht und heruntergeschrieben werden“.

Als dritter Zeuge war der Leiter der Organisationseinheit Staatsschutz beim LKA Joachim Rück geladen, der sich in erster Linie mit Präventionsprogrammen beschäftigte. Zwar konnte er stolz vermelden, dass die rechten Konzerte mit einem neuen Konzept (Verbote, Ansprachen und polizeiliche Maßnahmen) ab 2000 verdrängt und verringert werden konnten, doch Erhellendes zum Thema konnte er nicht beitragen.

Auch das BKA kennt eigene Akten nicht

Letzte Zeugin des Tages war die Angelika Baumert, Erste Kriminalhauptkommissarin (EKHK‚in) beim BKA, die über Jahre mit Ermittlungsverfahren gegen Thorsten Heise befasst war. Bei einer Durchsuchung wurden 2007 Tonbänder bei Heise beschlagnahmt, auf denen er Jahre zuvor heimlich Gespräche mit Tino Brandt aufgenommen hat. Auf einem Band unterhalten sich beide auch über ein abgetauchtes Trio aus Jena, die Namen Mundlos, und fallen und Heise spekuliert, ob die Behörden das Trio als terroristischen Arm des Thüringer Heimatschutzes () bewertet haben. Doch nach der Beschlagnahme der Bänder passierte erstmal nichts. Zwei Jahre später, 2009, wurden die Bänder dann zwar verschriftlicht, aber es passierte weiterhin nichts. Erst als der Ermittlungsbeauftragte des Untersuchungsausschusses die Akten des BKA nach Stichworten durchsuchte, stieß er auf die brisanten Akten. Dass die Bänder zwei Jahre lang nicht ausgewertet wurden und auch dann nichts passierte, erklärte die spätere Verfahrensführerin mit Überlastung: „Es war bei uns wirklich ein Zeitproblem, ich hatte Verfahren die höherwertiger, aktueller waren“. Warum der Fund später nicht an Thüringen weitergemeldet wurde, konnte sie auch nicht erklären. Heute arbeitet Baumert bei der „EG Trio“, der Sonderkommission des BKA.
Ob in dieser Abteilung die eigenen Akten gelesen und die Asservate zeitnah und nicht erst in einigen Jahren ausgewertet werden, wissen wir jedoch nicht.