Auch am 3. Verhandlungstag ging es um Strafprozessuales. So wurden Anträge auf Aussetzung der Hauptverhandlung gestellt. Die Verteidigung Wohlleben stellte zudem einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens gegen Wohlleben, u.a. wegen angeblicher „medialer Vorverurteilung“. Es folgten außerdem Anträge, die Hauptverhandlung in Bild und/oder Ton aufzuzeichnen. Danach nahmen die Verfahrensbeteiligten Stellung zur am 14. Mai von Richter Götzl aufgeworfenen Frage nach der möglichen Abtrennung des Tatkomplexes Nagelbombenanschlag in Köln 2004. Alle Verfahrensbeteiligten sprachen sich gegen eine Abtrennung aus. NK-Vertreter RA Hoffmann stellte fest, dass der Bombenanschlag Keupstraße 2004 im Zentrum der Aktivitäten des NSU liege, er sei ein eindeutiges Bekenntnis zum rassistisch motivierten Massenmord, zum Krieg gegen Migrant_innen. Wenn das Gericht die Abtrennung jetzt ohne Not mache, sei das ein Zeichen an alle Nebenkläger_innen, dass es ab jetzt gegen sie verhandele.
Im Saal sitzt erneut Maik E., der diesmal aber kurz vor Verhandlungsbeginn den Saal verlässt, nachdem er von Polizisten angesprochen worden ist. Unklar bleibt, warum. Am Vortag hatte er in Richtung einer Kamera den Mittelfinger gezeigt, was zu einer Schlagzeile in der Bild-Zeitung führte. Zudem stellt sich immer noch die Frage, ob Maik E. nicht auch als Zeuge in Betracht kommt. Laut Polizei ist E. aus freien Stücken gegangen.
Gegen 9.40 Uhr betreten die Angeklagten den Saal. Schon um 9.45 Uhr betritt das Gericht den Saal und der Vorsitzende Götzl beginnt mit der Feststellung der Anwesenheit. Wieder beginnt der Verhandlungstag mit einer Auseinandersetzung zwischen Götzl und RA Heer, einem der Verteidiger_innen von Zschäpe, bei der es um die Worterteilung geht. RA Heer hat eine Frage zur Anwesenheit. Sie einigen sich darauf, dass Heer nach den noch ausstehenden Stellungnahmen zu den beiden Besetzungsrügen vom 14. Mai das Wort erteilt wird.
Die Bundesanwaltschaft gibt ihr Statement ab. Die Besetzungsrügen seien unbegründet abzuweisen. Es sei alles rechtlich korrekt gelaufen, das Gericht sei vorschriftsmäßig besetzt. Der Antrag von RA Klemke, Verteidiger von Wohlleben, offenbare eine „krude“ Rechtsauffassung, so die Bundesanwaltschaft. Nebenklage und Verteidigung verzichten auf weitere Stellungnahmen.
Götzl verkündet, dass bis zur Entscheidung über die Besetzungsrügen die Hauptverhandlung fortgesetzt werde. RA Stahl, Anwalt von Zschäpe, widerspricht der Fortsetzung der Hauptverhandlung, dem schließt sich die Verteidigung Wohlleben an. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Um 10.25 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt. Götzl verkündet den Beschluss, dass die Verhandlung fortgesetzt wird. Danach versucht RA Stahl erneut das Wort zu ergreifen. Erneut fragt er, wie die Worterteilung in dieser Verhandlung gehandhabt werde. Götzl sieht keinen Unterschied zu anderen Strafverfahren. Er erteilt RAin Schneiders das Wort für ihre bereits angekündigten Anträge auf Aussetzung der Hauptverhandlung und Einstellung des Verfahrens gegen Wohlleben.
Schneiders verliest zunächst den Antrag auf Aussetzung der Verhandlung wegen angeblicher Unvollständigkeit der Akten. Dabei erwähnt sie auch Akten zu den angeblichen Geheimdienstmitarbeitern „Mehmet“ und „Mevlüt Kar“ und zitiert einen Spiegel-Artikel von 2011 vor der Aufdeckung des NSU. Spätestens hier bekommt der Antrag von Schneiders eher den Charakter einer politischen Erklärung und es werden viele Register rechter Verschwörungstheorien gezogen.
Weiter geht es mit dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens gegen Wohlleben. Schneiders argumentiert, dass ein unaufhebbares Verfahrenshindernis bestehe und kein faires Verfahren mehr möglich sei. Dafür führt sie zwei Gründe an: Zum einen eine angebliche „mediale Vorverurteilung“ und zum anderen „geheimdienstliche Verstrickungen“ in den NSU.
Das Akkreditierungsverfahren habe gezeigt, dass versucht werde, von Außen Einfluss auf die Unabhängigkeit der Justiz zu nehmen. Es sei zudem zu Stigmatisierungen und Vorverurteilungen auch ihres Mandanten gekommen. Seit nunmehr November 2011 werde Stimmung gegen die Angeklagten gemacht, es finde ein „Parallelverfahren“ in den Medien statt. Außerdem habe es Einflussnahmen und Vorverurteilungen auch durch die Politik gegeben. Etwa durch Barbara John, die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des NSU, die in Bezug auf die NSU-Morde von rassistischen Morden gesprochen habe. Dabei stellt RAin Schneiders sogar Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen und das Opfergedenken – etwa Gedenksteine für die Opfer, Straßenumbenennungen nach Opfern des NSU und die zentrale Gedenkfeier – in den Zusammenhang einer „Vorverurteilung“, die zu Lasten ihres Mandanten Wohlleben gehe.
Bislang habe sich der Senat „standhaft“ gezeigt, aber, so fragt sie: „Kann dieser Senat das über die lange Verfahrensdauer durchhalten?“
Die tatsächlichen Verstrickungen und Fehler der Behörden bieten jetzt der Anwältin Nicole Schneiders, die Beginn der 2000er Jahre selbst NPD-Mitglied im KV Jena war, Ansätze ihren Mandanten reinzuwaschen. Schneiders zitiert dabei nicht beispielsweise aus den Unterlagen der Untersuchungsausschüsse, in denen Informationen etwa über V-Leute im Umfeld des NSU zu finden gewesen wären, sondern einen [unzutreffenden]Bild-Artikel sowie das rechte verschwörungsideologische „Compact-Magazin“.
Bei den anschließenden Stellungnahmen nennt Nebenklage-Vertreter RA Bliwier die Anträge „heiße Luft“ und „Show“. Schneiders nutze die Hauptverhandlung für ein politisches Statement. Er weist außerdem darauf hin, dass die Verteidigung Wohllebens am letzten Verhandlungstag noch einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden gestellt hat, den sie heute „standhaft“ nennt.
Es folgt erneut das schon bekannte Wortgefecht zwischen dem Vorsitzenden Götzl und RA Heer darum, wer das Wort habe, dieses Mal darum, ob Heer selbst oder Nebenklage-Vertreter_in Lunnebach. Das führt zu Gelächter und Zwischenrufen im Saal. Heers Kollege RA Stahl: „Ich beantrage die Unterbrechung, es kann nicht angehen, dass hier gelacht wird, so kann man keine Verhandlung führen.“ Es müsse geregelt werden, wie das Wort erteilt wird. Nachdem Götzl dem nicht nachkommt, verlässt Stahl kurzzeitig den Saal. Götzl bittet den Vertreter des Generalbundesanwalts um eine Stellungnahme. Dieser bezeichnet das Verhalten Heers als „ungehörig“, Lachen sei nun mal ein Reflex und der Vorsitzende erteile das Wort. Es schließt sich eine Beratungspause zum Thema an. Um 11.35 Uhr verkündet Götzl den Senatsbeschluss, dass die Anordnung, Heer das Wort nicht zu erteilen, bestätigt wird. RAin Sturm, Kollegin von Heer und Stahl, stellt einen Antrag auf eine Unterbrechung von einer Dreiviertelstunde, um das weitere Vorgehen mit ihrer Mandantin zu besprechen. Götzl fragt, ob es sich um einen Befangenheitsantrag
handele. Das bestätigt Sturm zunächst nicht, deutet es aber dann doch an und beantragt erneut die Unterbrechung.
Es folgt die Mittagspause bis 13.30 Uhr.
Mit einer kurzen Auseinandersetzung darum, ob der angekündigte Antrag von Sturm, Stahl und Heer nun gestellt werden müsse, beginnt die Verhandlung wieder. Da es sich jedoch nicht um einen unaufschiebbaren Antrag, wie einen Befangenheitsantrag, handelt, fährt Götzl unter Protest von Heer zunächst mit den Stellungnahmen zu den Anträgen von Schneiders fort.
Es nehmen mehrere Nebenklage-Vertreter_innen und die Bundesanwaltschaft Stellung. Bundesanwalt Diemer stellt fest, dass mediale Vorverurteilungen von der höchsten Rechtsprechung nicht als Verfahrenshindernis anerkannt seien. Auch inhaltlich positioniert sich Diemer zum Einstellungsantrag und zwar wie schon in der Pressekonferenz zum Prozessstart. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts hätten „keinen Hinweis darauf erbracht, dass Sicherheitsbehörden und Geheimdienste in die Verbrechen verstrickt waren.“
Nebenklage-Vertreter Scharmer nennt den Antrag, „ein Verfahren wegen Beihilfe zum rassistischen Mord in neun Fällen aufgrund von Medienveröffentlichungen einzustellen“, absurd. Nebenklage-Vertreterin Pinar nennt die Anträge zwar unbegründet, sagt aber auch: „Wir wissen, dass es diese behördlichen Verwicklungen gibt, dass Akten unvollständig sind und Zeugen gesperrt. Aber wir gehen davon aus, dass das zum Aufklärungsinteresse dieses Gerichts wird.“
Klemke wirft dem Nebenklage-Vertreter Bliwier vor, der Verteidigung von Wohlleben einen rechtsextremistischen Hintergrund unterstellt zu haben: „Ich möchte darum bitten, von solch hetzerischen Sätzen Abstand zu nehmen. Ich möchte nicht wissen, wie reagiert werden würde, wenn ich Vertreter der Nebenklage als Linksradikale bezeichnen würde.“
Nun kündigt Zschäpe-Anwalt Stahl weitere Anträge an. Stahl beantragt, dass die Verteidigung das Wort grundsätzlich vor der Nebenklage erteilt bekommen soll. RA Heer beantragt die Verhandlungen auszusetzen, hilfsweise für drei Wochen zu unterbrechen. Dabei geht es ihm um Akten und Einsichtnahme in die Protokolle der diversen NSU-Untersuchungsausschüsse, die, da deren Beweisaufnahme zum Teil noch läuft, teilweise nur in der Geschäftsstelle des OLG einsehbar sind. Zuletzt forderte er, die Vertreter_innen des Generalbundesanwalts Diemer und Greger als Sitzungsvertreter_innen abgelöst werden – Diemer, weil er die Akten der Staatsanwaltschaften der Länder zum Teil nicht in die Akten zum NSU-Verfahren aufgenommen habe. Und Greger habe in der Pressekonferenz zu Beginn der Hauptverhandlung in der Öffentlichkeit eine subjektive Einschätzung von Beate Zschäpe vorgenommen, und das vor Verlesung der Anklage.
Heer beantragt dann, die Hauptverhandlung in Bild und Ton aufzuzeichnen, hilfsweise nur akustisch. Der Umfang und die Besonderheiten des Verfahrens machten dies nötig. Es sei absehbar, dass sich im weiteren Verlauf des Verfahrens Diskussionen um den Wortlaut etwa von Zeugenvernehmungen ergeben. Hilfsweise beantragt er ferner, sämtliche Aussagen der Zeug_innen durch den Stenografischen Dienst des Bundestags dokumentieren zu lassen.
Auch Nebenklage-Vertreterin RAin Lunnebach beantragt die Audioaufzeichnung, damit diese dann später in Abschrift den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung gestellt werden können.
Es folgen die Stellungnahmen zur am 14. Mai von Götzl aufgeworfenen Frage nach der möglichen Abtrennung des Tatkomplexes Nagelbombenanschlag in Köln 2004. Zunächst äußert sich die Bundesanwaltschaft, die zum derzeitigen Zeitpunkt aus prozessökonomischen Gründen das Verfahren nicht aufteilen würde. Zahlreiche Nebenklage-Vertreter_innen aus verschiedenen Tatkomplexen wehren sich in engagierten Redebeiträgen gegen die Abtrennung. Einige weisen darauf hin, dass noch fraglich ist, ob überhaupt noch viele Nebenkläger_innen dazu kommen. Andere sprechen davon, dass ihre Mandant_innen schockiert seien von der Idee der Abtrennung. Es wird von einer „Beerdigung des Tatkomplexes Keupstraße“ gesprochen. Denn, so Nebenklage-Vertreter Schön, es bestehe die konkrete Gefahr, dass das Verfahren nach einer Abtrennung nach § 154 StPO eingestellt wird. Allen ist wichtig, dass gemeinsam weiter verhandelt wird. Der Vertreter des Sohns des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubașik stellt fest, dass es um die Frage darum geht, was die Mitglieder der terroristischen Vereinigung NSU von der Vorbereitung und Durchführung des Bombenanschlags wussten.
Nebenklage-Vetreter RA Alexander Hoffmann kündigt ein Höchstmaß an Kooperation seitens der Nebenklage an, falls es, was nicht zu erwarten sei, im Saal voll werde. Hoffmann führt eindrücklich aus, was eine Abtrennung des Tatkomplexes wirklich bedeutet:
„Wir müssen ehrlich zu uns sein und Sie [das Gericht]ehrlich zu den Opfern der Keupstraße. Es ist völlig klar: wenn jetzt abgetrennt wird, dann wird das abgetrennte Verfahren in München allenfalls nach Abschluss dieses Verfahrens in München durchgeführt werden. Wenn die Angeklagten hier erst einmal verurteilt sind wegen mehrfachen Mordes, das ist ganz klar und müssen Sie den Opfern direkt sagen, dann wird das Verfahren eingestellt in Hinblick auf die bereits erfolgte Verurteilung. Dann fallen, ich trau mich gar nicht das zu sagen, 31 versuchte Mordtaten nicht weiter ins Gewicht. Das kann nicht sein. Meine Mandantin hat bis zum Herbst 2011 eine Situation erlebt, dass jeder den Nachbarn verdächtigt hat, weil Schily gesagt hat, das war kein rechter Anschlag. Die Verdächtigen sind unter den Bewohnern gesucht worden bis ein Bekennerschreiben in Videoform auftauchte. Man hat sie nicht ernst genommen, man hat sie im Stich gelassen. Wenn wir jetzt sagen, wir trennen ab, weil dieser Teil Schwierigkeiten macht, dann wiederholt man das, dann sagt man, für Euch gibt es keine Gerechtigkeit, ihr seid halt doch Bürger zweiter Klasse. Und damit verhilft man dem NSU im Nachhinein zu einem Erfolg. Die Taten, siehe field manuals der terroristischen Gruppen, zielten darauf, eine Spaltung in die Gesellschaft zu bringen. (…) Wenn man jetzt den Anschlag, der nicht von ungefähr an den Oktoberfestanschlag erinnert, raus nimmt und zur Einstellung frei gibt, dann nimmt man den Tatopfern wieder die Möglichkeit, aufzutreten als Teil dieser Verhandlung.
(…) Der Bombenanschlag Keupstraße 2004 liegt im Zentrum der Aktivitäten des sogenannten NSU. Er ist ein eindeutiges Bekenntnis zum rassistisch motivierten Massenmord, zum Krieg gegen Migranten. (…) In dem Moment wo eine Bombe gezündet wird für ein Maximum an Toten muss jedem in der Gruppe klar gewesen sein, dass es hier um Mord, Mord, Mord geht. Es müssen erhebliche Vorbereitungshandlungen zum Bau dieser Bombe gemacht worden sein. (…) Wenn das Gericht das [die Abtrennung]jetzt ohne Not macht, ist das ein Zeichen an alle Nebenkläger – nicht nur aus der Keupstraße – dass es ab jetzt gegen sie verhandelt. Das Gericht muss sich jetzt entscheiden, ob es das Verfahren ab jetzt gegen die Opfer dieses Anschlags führen will.“
Auch die Verteidigung Zschäpes lehnt eine Abtrennung des Tatkomplexes Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße ab. RA Stahl weist allerdings besonders darauf hin, dass sie es nicht für ausgeschlossen halten, dass noch eine größere Anzahl Nebenkläger_innen hinzu kommt.
Auf die Stellungnahmen zur Abtrennung folgt ein weiterer prozessualer Antrag von Wohlleben-Verteidiger Olaf Klemke. Das Fragerecht soll den Angeklagten und Verteidiger_innen sogleich nach dem Senat und hilfsweise nach der Bundesanwaltschaft zugewiesen werden.
Die Bundesanwaltschaft tritt den Anträgen auf Aufzeichnung der Verhandlung entgegen. Vertreter_innen der Nebenklage und die Verteidiger von André E. und Carsten S. schließen sich den Anträgen auf Aufzeichnung an.
Damit endet um 17 Uhr die Verhandlung.