Bericht zur 68. Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschusses am 25.4.2013
Am Donnerstag, den 25. April, tagte der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum mittlerweile 68. Mal, um die Beweisaufnahme im Fall NSU fortzusetzen. Auch nach etwa eineinhalb Jahren Arbeit kamen in dieser Sitzung erneut verschiedenste Ermittlungsfehler zum Vorschein. Befragt wurden drei Zeugen, die in Zusammenhang mit den Ermittlungen nach dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße von 2004 stehen, außerdem ein BKA-Beamter, welcher 1998 Verbindungsmann in der Schweiz war, sowie zuletzt ein Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Auskunft zur aktuellen V-Leute-Praxis geben sollte.
Zeugen:
KHK Spliethoff, LKA Nordrhein-Westfalen
PK Voß, Polizeipräsidium Köln
PHK Baumeister, Polizeipräsidium Köln
KHK Grundlach, BKA
RD „Gabaldo“, BfV
Sprengstoffdatei unzureichend ausgewertet
Der erste Zeuge des Tages war Kriminalhauptkommissar Dirk Spliethoff vom LKA NRW. Dieser war Leiter der sogenannten „Tatort-Gruppe“ beim Einsatz in der Keupstraße in Köln 2004. Er und sechs weitere Mitglieder der Gruppe waren angefordert worden, weil sie als Sprengstoff- und Brandermittler_innen beim LKA tätig sind und es sich bei ihnen somit vermeintlich um Spezialkräfte handelte. Betraut war Spliethoff unter anderem mit der Abfrage beim Tatmittelmeldedienst USBV (Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen), einer beim BKA angesiedelten Datei, welche Informationen über Sprengstoffdelikte in der BRD zusammenfasst und vergleichbar machen soll. Hier werden neben der Art der Sprengvorrichtung und anderen Details, falls vorhanden, auch Informationen über Täter_innen sowie deren politische Motivation gespeichert. Es bestünde also, wie von CDU-Obmann Clemens Binninger richtig eingebracht, die Möglichkeit, eben diese als Suchoption bei einem Abgleich mit vorherigen Anschlägen zu verwenden. Binninger nannte als mögliche Begriffe einer Suche in Bezug auf den Anschlag in der Keupstraße unter anderem „männlich“, „rechtsradikal“ und „Koffer“. Der ausgewiesene Experte des LKA, welcher seit nunmehr zehn Jahren mit dieser Datei arbeitet, zeigte sich von einer solchen Möglichkeit verblüfft, da er davon bis zum heutigen Tag nichts gewusst habe. Hätte man diese Suchkriterien angewandt, so wäre im Ergebnis des Abgleichs unter anderem auch der Name Uwe Böhnhardt aufgetaucht, da dieser in der Datei geführt wurde. So geschehen beispielsweise bei einem anderen Fall: Bei der Abfrage nach einem versuchten Briefbombenattentat auf Paul Spiegel und Michel Friedman kam der Rechtsterrorist im Abfrageergebnis als möglicher Täter vor. Überhaupt spielen für Spliethoff mögliche Tatmotive offenbar keine Rolle. Auf die entsprechende Frage der SPD-Abgeordneten Eva Högl, antwortete er, ein möglicher politischer Hintergrund sei für ihn bei seiner Arbeit „kein Thema“, aber er habe bezüglich der Bombe in der Keupstraße immerhin festgestellt, dass die Bombe „gegen Unbeteiligte gerichtet“ gewesen sei.
Der Tatmittelmeldedienst USBV wurde also nicht richtig genutzt, was Binninger dann auch mit den Worten kommentierte, dass „die Datensammelei nur etwas bringt, wenn man Daten so nutzt wie sie zu nutzen sind“. Auch konnte Spliethoff nicht erklären, warum seine Abfrage auf nur fünf Jahre zurück begrenzt war. Eine solche Eingrenzung ist logisch nicht nachvollziehbar. Der Experte für Sprengstoff hatte auch keine Kenntnis über die Anschläge des britischen Neonazis David Copeland in London aus dem Jahr 1999, bei denen Bomben ähnlicher Bauart gezündet wurden. Sein Erfahrungshorizont erstreckte sich ausschließlich auf NRW. Somit waren Verbindungen und Analysen zu anderen Anschlägen nicht möglich. Mit dem Wissen von heute würde er natürlich anders handeln, gab Spliethoff auf eine Nachfrage des grünen Ausschussmitglieds Wieland zu Protokoll.
Zum Abschluss der Befragung kam Clemens Binninger noch einmal auf die Bauart der Keupstraßen-Bombe zu sprechen. Seine Fragen, ob die Bombe technisch komplex gewesen sei und man technische Vorkenntnisse benötige, um eine solche Bombe zu bauen, bejahte Spliethoff: „Das ist schon etwas komplizierter und geht weit über eine normale Rohrbombe hinaus.“ Binninger fragte darüber hinaus, ob die Täter die Bombe vorsichtig hätten transportieren müssen, damit sie nicht vor dem eigentlichen Ziel explodiert. Dies verneinte Spliethoff. Die Bombe sei mit einem Ein-Aus-Schalter versehen gewesen, dessen Betätigung die Bombe, die dann später per Fernsteuerung gezündet wurde, erst scharf gestellt habe. Diese Erkenntnis ist insofern interessant, als dass die Gefährlichkeit eines längeren Transports der Bombe einer der Gründe gewesen ist, warum die Ermittler 2004 vorwiegend im Kölner Raum nach den Tätern gesucht haben.
Zeugen wurden neun Jahre lang nicht vernommen
Ebenfalls zum Nagelbombenanschlag in der Keupstraße befragt wurden die Polizeibeamten Stefan Voß und Peter Baumeister vom Polizeipräsidium Köln, die sich am Tag des Anschlags in der nahe gelegenen Schanzenstraße auf Streife befanden und als erste den Tatort erreichten.
Der Untersuchungsausschuss konzentrierte sich zunächst darauf, Unstimmigkeiten der Details in den im März diesen Jahres durchgeführten Vernehmungen der Zeugen aufzulösen. So sollte beispielsweise geklärt werden, ob der laute Knall, den Voß sich erinnern will, gehört zu haben, oder doch der Funkruf der Leitstelle, wie Baumeister schilderte, die beiden in die Keupstraße führte und ob sie diese dann mit dem Auto oder zu Fuß erreichten. Dies erwies sich schnell als nicht mehr möglich, liegen die Ereignisse doch schließlich neun Jahre zurück.
Die 2004 ermittelnden Beamten hielten es jedoch nicht für notwendig, ihre beiden Kollegen zu den Ereignissen zu befragen. Lediglich ein unvollständiges Protokoll, in welchem nicht einmal beide Namen der Streifenpolizisten erwähnt wurden, diente als Aussage für die weiteren Ermittlungen. Dabei müssen sich die beiden Beamten und die beiden mutmaßlichen Täter für einige Zeit gleichzeitig in derselben Gegend befunden haben, wie Überwachungsvideoaufzeichnungen zeigen. „Dieses Wissen nicht zu nutzen, ist schon fast skandalös“, so Clemens Binninger. Voß sah die Bilder der Überwachungskamera in der Sitzung dann auch zum ersten Mal, sein Kollege Baumeister kannte sie lediglich, da sie über das Intranet des Präsidiums aufrufbar waren und er sie sich aus eigenem Antrieb angesehen hatte. Die Befragung der beiden Polizisten, neun Jahre zu spät, im Frühjahr diesen Jahres, führte unverständlicherweise erneut eben jener Kriminalhauptkommissar Weber, der dies als Leiter der Ermittlungen 2004 versäumt hatte und selbst schon Zeuge im Untersuchungsausschuss war. Das stieß bei den Mitgliedern des Ausschusses zurecht auf Unverständnis. Petra Pau (Die Linke) stelle fest: „Der Vorwurf der Verfahrensbeeinflussung steht im Raum“.
Ebenso war es dem Landesvertreter von Nordrhein-Westfalen im Ausschuss nicht möglich, zu erklären, warum in einem Bericht des Landes an den Ausschuss die Dienstbezeichnungen der beiden Zeugen nicht korrekt angegeben worden waren. „Nicht einmal die einfachen Dinge werden korrekt angegeben“, ärgerte sich Binninger weiter. Die Frage, ob es denn üblich sei, dass Streifenpolizisten nicht befragt werden, nachdem sie zufällig einen Tatort erreichten, bejahte Voß. Nach Ansicht des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) sind diese Versäumnisse keine Fehler im Detail, sondern Belege für eine „nicht ernsthaft geführte Ermittlung“.
Dem Untersuchungsausschuss lag außerdem die Aussage des Geschäftsmannes Ali Demir vor, der in der Keupstraße ein Büro hatte. Bereits zum Zeitpunkt des Anschlags teilte er der Polizei mit, zwei Zivilpolizisten gesehen zu haben, seine Aussage wurde jedoch ebenso erst 2013 als aufgenommen. Sowohl Voß als auch Baumeister sagten allerdings aus, sie seien bis auf die Mütze uniformiert und deutlich als Polizisten erkennbar gewesen. Noch am 8. März zitierte der WDR Binninger mit der Frage, ob es sich möglicherweise um einen „Routineeinsatz zufällig in der Nähe des Anschlagsortes“ gehandelt habe. Er schätzte dies als „unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen“ ein und hielt es für möglich, dass „es ein gezielter Einsatz, weil man vage Hinweise hatte, weil etwas passieren könnte [,war]“. In der Vernehmung von März wurden beide gefragt, ob sie sich erinnern können, von Herrn Demir angesprochen worden zu sein und das, obwohl ihnen kein Foto gezeigt worden war und sie ihn auch sonst noch nie kennengelernt hatten. Dem ermittelnden Beamten Weber reichte es offenbar, zu fragen, ob Voß und Baumeister von „einem türkisch aussehenden Mann“ angesprochen worden waren. Auf die Nachfrage, des FDP Vertreters Serkan Tören, wie denn ein türkischer Mann aussehe, verstrickte sich Voß in Klischees und wurde daraufhin von Tören unterbrochen. Abschließend konnte die Frage, ob es die Polizisten Voß und Baumeister waren, die Herr Demir gesehen haben will, in dieser Sitzung des Ausschusses nicht geklärt werden.
Als unkonventionell muss wohl das Vorgehen der ermittelnden Beamten im Falle einer Zeugin gelten, die am Tag des Anschlags ein Fitnessstudio in Nähe verließ und sich an einen Mann erinnern konnte, der sehr langsam sein Fahrrad schob, so als hätte er einen platten Reifen. Hier wurde sich die Mühe gemacht, die Zeugin während der Befragung in Trance zu versetzen, um an genauere Erinnerungen zu gelangen. Ein Aufwand, den man bei der Befragung von Voß und Baumeister vermissen ließ.
Schweizer Neonaziszene war Beamten unbekannt
Als vierter Zeuge war Kriminalhauptkommissar Ulrich Grundlach vom BKA geladen. Dieser war 1998 als Verbindungsmann des BKA in der Schweiz tätig. Er erhielt vom LKA Thüringen die Anfrage einen Telefonanschluss nachzuvollziehen, von welchem aus die Thüringer Behörde am 11. April 1998 einen Anruf auf dem Telefon von Jürgen H. registrierte. Spannend ist die Wortwahl der Behörden, welche bereits damals in dem Faxverkehr von „gesuchten Rechtsterroristen“ sprachen.
Bei der anrufenden Person handelte es sich nach Ausgabe von H. um Uwe Mundlos. Dieser gab durch, dass er „eine Nachricht an den Ralf“ habe, dass dieser am „Montag um 14 Uhr an dem Treffpunkt wie vor zwei Wochen“ sein solle. Und vorher bei „Böhnis Eltern“ vorbei gehen oder aber „Klamotten kaufen“ solle. Der Anruf wurde zu einer Telefonzelle in Concise im Kanton Waadt in der Schweiz zurückverfolgt und nicht wie später vom Thüringer Beamten Wunderlich behauptet nach Orbe, das etwa 50 km entfernt ist. Am Tag des Anrufs fand in Concise ein Nazi-Skin-Konzert statt, veranstaltet durch die „Mjölnir Diffusion“, hinter der sich der Hammerskin Oliver Kunz und dessen Lebensgefährtin Karolina verbergen. An dem Konzert nahmen laut Schweizer Staatsschutzbericht 150-300 Personen teil, darunter auch Neonazis aus Deutschland. Befragt nach möglichen Kontakten zwischen deutschen und schweizerischen Hammerskins musste Grundlach eingestehen, dazu keine Kenntnisse zu haben. Auch von dem Konzert habe er nichts gewusst.
Des weiteren wurde er zu Waffenläden befragt. Damals war es in der Schweiz für deutsche Staatsbürger problemlos möglich Waffen zu kaufen. Nur die Ausfuhr in die BRD war ohne Waffenschein illegal. Auch die Mordwaffe des NSU kam aus der Schweiz. Die Waffenkäufe wurden von den Schweizer Behörden regelmäßig übermittelt, um dann in Deutschland überprüft zu werden.
Bericht zu V-Personen-Praxis erneut ohne Öffentlichkeit
Als letzter Zeuge des Tages war ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mit Arbeitsnamen „Gabaldo“ geladen. Dieser ist aktuell mit dem Bereich der V-Personen-Führung beschäftigt. Er sollte Auskunft darüber geben, wie die derzeitige Praxis beim BfV in diesem Bereich ist und ob auch aktuell aktenkundige Gewalttäter_innen auf der Gehaltsliste der Behörde stehen. Auftrag des Untersuchungsausschusses ist unter anderem auch die Evaluierung der V-Leute-Praxis beim Verfassungsschutz. Da der Zeuge noch in diesem Bereich tätig ist, wurde die Vernehmung aus personenschutzrechtlichen Gründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt. Auf Erkenntnisse zur aktuellen Situation muss also noch gewartet werden.