Noch ein V-Mann des Berliner LKA im Umfeld des NSU

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Bericht von der Innenausschusssitzung des Berliner Senats vom 10.06.2013

23. Juni 2013  |  Von Berlin rechtsaußen / apabiz

Am Montag, den 10.06.2013, tagte erneut der Berliner Innenausschuss. Auf der Tagesordnung standen diesmal gleich drei Punkte mit NSU-Bezug. Dabei ging es vor allem um die seit Wochen angekündigte aber noch immer nicht realisierte Akteneinsicht zu V-Personen aus der Neonazi-Szene, sowie um unterschiedliche, teils widersprüchliche Formulierungen in den Aussagen des ehemaligen LKA-Chefs Haeberer. Hier stand der Verdacht der Falschaussage im Raum. Eigentlich war das schon genug brisanter Gesprächsstoff mit Potential für weitere Streits zwischen Innensenat und Opposition. Aber es kam noch dicker: Plötzlich war die Rede von einem dritten V-Mann des Berliner LKA.

Bereits am Anfang der Sitzung musste Innensenator Henkel erneut Kritik einstecken. So verkündete er, dass den Fraktionen ein Brief zugestellt worden sei, der das weitere Vorgehen der Akteneinsicht zu V-Personen behandele. Peinlich nur, dass dieser bei keiner der Fraktionen bis zu Beginn der Sitzung tatsächlich eingegangen war. Noch in der letzten Sitzung hatte der Senator erklärt, die Modalitäten und Terminvereinbarungen binnen einer Woche an das Ausschussbüro übermitteln zu wollen. Clara Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) fragte nun an Henkel gewannt: „Herr Henkel, was zählt ihr Wort?“

Im weiteren Verlauf der Sitzung führte die Diskussion um das künftige Vorgehen bei der Akteneinsicht zu heftigem Streit zwischen den Oppositionsparteien und Henkel. Kurz vor Ende wurde die Sitzung sogar für zwanzig Minuten unterbrochen, damit sich die Sprecher_innen der Fraktionen und der Innensenator verständigen konnten. Als Ergebnis wurde präsentiert, zunächst Einsicht in die Akten betreffend der VP 773 und der VP 620 zu gewährleisten. Die VP 773  war bis zu dem Zeitpunkt noch nicht im Kontext der Ermittlungen zum NSU genannt worden und sorgte daher für eine hitzige Auseinandersetzung. Bisher war bekannt, dass der Neonazi unter der Kennung VP 562 zehn Jahre lang als Spitzel gearbeitet und bereits vor elf Jahren Hinweise auf das Trio geliefert hatte. Außer ihm wurde die VP 620 im Ermittlungsverfahren gegen die mittlerweile verbotene Neonaziband „“ angeworben. Diese hatte gegenüber einem V-Mann-Führer das „Jahrhundertgeständnis“ des Neonazis angekündigt. W. wird dem Unterstützer_innenumfeld des NSU zugerechnet und soll Waffen besorgt haben. Fraglich ist, ob dem Hinweis der VP damals hinreichend nachgegangen wurde. Clara Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) sprach während der Sitzung  von einer „hässlichen Nähe“, der V-Personen-Führung zu ihren Kontaktpersonen.

Weitere Verzögerung der Akteneinsicht

Am Donnerstag, den 20. Juni, haben die Abgeordneten tatsächlich die zwei Aktenordner einsehen können. Die vielen Schwärzungen lassen keine Rückschlüsse darauf zu, wer sich hinter den Zahlenkürzeln 773 und 620 verbirgt. Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und den Piraten kritisierten die sehr umfassenden Schwärzungen. Die weiteren Akten werden zunächst von einer extra konstituierten Taskforce gesichtet und ebenfalls teilweise geschwärzt. Dieser Vorgang wird künftig von Bernd von Heintschel-Heinegg kontrolliert, der seit März 2012 für den NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag als Ermittlungsbeauftragter diese Aktenkontrolle durchführt. Fest steht, dass sich die vollständige Akteneinsicht aller vierzig Aktenordner für die Opposition weiter verschieben wird. Am 21. Mai hatte Henkel sämtliche Originalakten des Phänomenbereichs „rechts“ in die Senatsinnenverwaltung bringen lassen um sie dort sichten zu lassen. Zuvor hatte er in einer Art „Wutrede“ erklärt, das Vertrauen in die Polizeibehörden verloren zu haben und eine schonungslose Aufklärung vorantreiben zu wollen. Sein Vorgehen seitdem lässt allerdings daran zweifeln, wie ernst ihm dieses Anliegen tatsächlich ist.

Kritik an Sonderermittler

Kritik musste sich in der Innenausschusssitzung auch der eingesetzte Sonderermittler Dirk Feuerberg gefallen lassen. Von der Opposition wurde die Aussage des ehemaligen LKA Chefs Haeberer bezüglich der sogenannten „Haebererweisung“ vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss in Zweifel gezogen. Diese  verlangte angeblich  Informationen von VPs des Bereichs Staatsschutz nicht an die zentrale VP-Führung zu melden. Haeberer selbst verneinte im April als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages, eine solche Weisung gegeben oder von ihr Kenntnis gehabt zu haben. Laut Feuerberg gab es diese. Sie wurde jedoch nicht durch Haeberer erteilt,  sondern bereits durch seinen Amtsvorgänger. Auch galt diese nicht ausschließlich für eine bestimme VP, sondern allgemein. Er erklärte aber auch, dass die Weisung auf Haeberers Mitwirken erlassen wurde. Diese sei laut Feuerbergs Kenntnis seinerzeit auch an den Senat weitergeleitet worden. Haeberers Aussagen vor dem Ausschuss, davon nichts gewusst zu haben, wirken nun unglaubwürdig.  In der vorangegangen Sitzung hatte Udo Wolf (Die Linke) gesagt: „Einer von beiden hat die Unwahrheit gesagt, entweder Herr Haeberer vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss – das ist dann aber strafrechtlich relevant, […], oder Herr Feuerberg hat uns hier die Unwahrheit gesagt.“

In Feuerbergs Bericht heißt es unter dem Punkt „Weisungslage für die Weitergabe der VP-Informationen“ unter anderem:

„Soweit in der öffentlichen Diskussion hinterfragt wurde, inwieweit eine Weisung des späteren LKA Leiters Einfluss auf die Information Weitergabe im vorliegenden Fall hatte, war festzustellen, dass im Zusammenhang mit einer der bereits beschriebenen Umgestaltungen der LKA-Struktur zwar eine entsprechende Entscheidung erging, diese jedoch die Informationsweitergabe im vorliegenden Fall nicht tangierte.“

Feuerberg selbst entschuldigte sich nun für eine eventuell ungenaue Wortwahl in seinen Ausführungen. Den Begriff Weisung, würde er heute nicht mehr gebrauchen, da dieser missverständlich sei. Hinreichend geklärt scheint der Vorfall jedoch nicht. Benedikt Lux (Bündnis 90/Die Grünen) äußerte sich nach der Sitzung erneut unzufrieden zu besagtem Vorfall,  gegenüber dem RBB sagte er: „Das Problem ist, dass da jeder was anderes sagt und sogar Herr Haeberer zweimal was unterschiedliches sagt.“ Die Opposition wird den Ungereimtheiten bezüglich der Aussagen also weiter nachgehen müssen.
Danach befragt, ob er wisse, ob Starke in seiner Zeit als V-Mann ein eigenes Handy oder eine neutrale Sim-Karte zur Verfügung gestellt wurde, konnte Feuerberg nicht antworten. Es gehe aber nicht aus seinen Ermittlungen hervor, dass dies geschah um Ermittlungen anderer Behörden zu stören.

Die aufgedeckten Pannen, haben laut LKA-Chef Steiof zu einer „umfassenden Neuregelung“ der V-Personen-Führung geführt. Diese stehe kurz vor dem Abschluss. Darin heißt es unter anderem, dass im Fall einer Nichtweitergabe von Informationen an andere Ermittlungsbehörden, diese mit Begründung dokumentiert werden müssen. Des weiteren sollen dauerhaft fünfzig Prozent der Mitarbeiter_innen aus dem Bereich PMK-rechts (Politisch-motivierte Kriminalität) ausgetauscht werden. Außerdem soll es in Zukunft eine Höchstverwendungsdauer für Personal der V-Leute-Führung geben. Die beträgt zehn Jahre.

Kein Berliner Untersuchungsausschuss in Sicht

Fraglich bleibt, bei aller Kritik durch die Opposition, warum im Berliner Parlament bisher keine Anstrengungen unternommen wurden, einen Untersuchungsausschuss auf Landesebene einzufordern. Senator Henkel erklärte dazu, dies sei  nicht seine Aufgabe, sondern die des Parlaments, er sei aber verwundert, dass dies noch nicht geschehen sei. Es verwundert in der Tat. Denn ein Untersuchungsausschuss scheint für das Land Berlin längst überfällig. Später stichelte Henkel dann in Richtung der Oppositionsvertreter_innen, ob diesen dazu eventuell die nötige Kraft fehle. Es zeigte sich, dass trotz der Arbeit von Sonderermittler Feuerberg, welcher erhebliche Mängel der Berliner Behörden bei den Ermittlungen im Fall NSU konstatierte, weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Auch musste der Ermittler eingestehen den Vorgang zur VP 620 gar nicht genauer geprüft zu haben. Der Gesprächsstoff ist, entgegen Henkels Einschätzung zu Anfang der Sitzung, mitnichten „erschöpft“ und wird den Innenausschuss erneut nach der Sommerpause beschäftigen. Ob die Abgeordneten bis dahin wohl alle Akten einsehen konnten?

Der Abschlussbericht Feuerbergs ist einzusehen unter:

http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/01pressestelle/bericht_sonderermittler.pdf?start&ts=1358148074&file=bericht_sonderermittler.pdf