Am zehnten Verhandlungstag wird Carsten S. intensiv von den Vertreter_innen der Nebenklage befragt. Überraschenderweise kündigt er jedoch an, keine Fragen der Verteidigung von Ralf Wohlleben zu beantworten, solange dieser sich nicht selbst einlässt.
Der Verhandlungstag beginnt um 9.50 Uhr. Richter Manfred Götzl äußert sich nach der Präsenzfeststellung zur Reihenfolge der Fragestellung bei der Vernehmung von Carsten S. Zunächst dürfe die Verteidigung von Ralf Wohlleben Fragen stellen. Diese hatte das gestern so beantragt. Darauf interveniert Rechtsanwalt Jacob Hösl, Verteidiger von Carsten S., und verkündet, dass sein Mandant Fragen der Verteidigung von Wohlleben nur unter der Bedingung beantworten werde, dass auch Wohlleben selbst sich zur Person und zur Sache einlässt und Fragen beantwortet. RA Olaf Klemke, Verteidiger von Wohlleben, reagiert aufgebracht: „Ich fasse es nicht. Das läuft darauf hinaus, dass der Herr S. die Fragen des Herrn Wohlleben nicht beantwortet, denn wir lassen uns nicht erpressen.“ Das Nichtbeantworten der Fragen der Verteidigung Wohlleben liefe auf ein Teilschweigen von Carsten S. hinaus, er und seine Kollegin RAin Nicole Schneiders hätten eine Menge Fragen an S. Hösl antwortet, auch die Verteidigung von Carsten S. habe eine Menge Fragen; es gehe hier auch um die Frage der Waffengleichheit.
Richter Götzl übergibt das Fragerecht dann an die Nebenklage. Die Reihenfolge bestimmt er entlang der verschiedenen Tatkomplexe. Zunächst kommen in chronologische Reihenfolge der Taten die Vertreter_innen der Angehörigen von Opfern der Mordserie zu Wort. Die Befragung wird häufiger unterbrochen, wenn die Verteidiger_innen von Zschäpe und Wohlleben Fragen beanstanden, weil sie suggestiv oder schon beantwortet seien. Der Verteidigung von Zschäpe geht es dabei meist um Formulierungen wie „Auftrag der Drei“, weil dadurch impliziert werde, dass ihre Mandantin etwas getan habe, was noch nicht erwiesen sei.
Als erstes fragen die Vertreter_innen der Angehörigen von Enver Şimşek, der am 9. September 2000 in Nürnberg angeschossen wurde und am 11. September 2000 seinen schweren Verletzungen erlag. Es geht unter anderem um Differenzen zwischen Aussagen von S. zur Wohnung von Zschäpe. Er habe früher ausgesagt, dass die Drei in der Wohnung gelebt hätten, nicht nur Zschäpe. S. antwortet, er habe bei einem ersten Zusammentreffen mit den Drei in der Wohnung nicht gewusst, wessen Wohnung es war, das habe sich erst später erschlossen. S. wird eine Aussage vorgehalten, in der er gesagt hat, dass Wohlleben dabei war, als er die Waffe im „Madley“-Laden bestellt hat. S. antwortet, er könne ausschließen, dass Wohlleben dabei war, weil er die Sätze im Kopf habe: „Geh zum S.!“ und „Der Wohlleben schickt mich.“ RA Stephan Lucas fragt S., ob er angesichts der Entschuldigung des Mitangeklagten G. gegenüber den Angehörigen vielleicht auch Überlegungen in diese Richtung angestellt habe. S. bespricht sich kurz mit seinen Anwälten, dann antwortet RA Hösl, dass S. sich dazu später äußern werde, jetzt aber die Konzentration für die Beantwortung der Fragen aufbringen müsse.
Das Fragerecht bekommt dann die Vertretung der Angehörigen des auf den Tag genau vor 12 Jahren, am 13. Juni 2001, in Nürnberg ermordeten Abdurrahim Özüdoğru. Sie möchte unter anderem wissen, ob S. gewusst habe, wofür die Ceska 83 genutzt werden sollte. S. verneint dies. Auf die Frage, warum er für die Waffenbeschaffung ausgesucht worden sei und Wohlleben das nicht selbst gemacht habe, antwortet er: „Das würde ich auch gerne wissen. (…) Ich sehe es so: Die Rolle, die ich gehabt habe, hat am Anfang der Jürgen H. gehabt, dann ich, dann der Herr G. So stelle ich das her.“ Auf die Frage, ob Zschäpe gewusst habe, dass er die Waffe besorgt habe, antwortet S.: „Von mir nicht.“ Er habe auch nie Geld von Zschäpe direkt bekommen.
Als nächstes dürfen die Anwält_innen der Angehörigen des am 27. Juni 2001 in Hamburg ermordeten Süleyman Taşköprü fragen. RA Andreas Thiel fragt zunächst danach, ob S., der sich ja im Zeugenschutz befinde, eine Verpflichtungserklärung unterschrieben habe und durch andere Behörden, etwa Verfassungsschutzämter, vernommen worden sei. S. antwortet, er habe keinen Kontakt zu anderen Behörden gehabt, habe jedoch eine Verpflichtungserklärung im Hinblick auf die Maßnahmen des Zeugenschutzes unterschrieben. Thiel fragt, ob er bzw. die Jenaer Nazi-Szene Verbindungen zu norddeutschen Neonazis gehabt hätten. S. antwortet, er kenne die Namen Thorsten Heise und Christian Worch [wichtige Neonazi-Kader], außerdem wisse er vom Szene-Magazin „Hamburger Sturm“. Verbindungen kenne er jedoch nicht, auch nicht was Wohlleben oder Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angeht. Thiel fragt nach zwei Namen: Christiane D. [Betreiberin des neonazistischen Szene-Treffpunkts ‚Club 88‘ in Neumünster] und Holger Apfel. Nur Holger Apfel kenne er, so S. Dieser sei ja auch im JN-Bundesvorstand gewesen, wo auch er selbst zweimal auf Sitzungen gewesen sei. Über Verbindungen der Drei zu Holger Apfel wisse er nichts.
Thiel befragt S. noch einmal zu den Zweifeln, von denen S. in den letzten Tagen wiederholt gesprochen hat. S.: „Aus der Erinnerung kann ich nur sagen, dass es die Gedanken gab und dass die dann weg waren.“ Ob er Gedanken gehabt habe, sich zu offenbaren? „Leider nicht.“ Thiel fragt dann zu der Überbringung eines Briefs, den er bekommen habe beim Treffen in Chemnitz zur Waffenübergabe. Ob diese erneute Erledigung einer Aufgabe für die Drei denn nicht vielleicht einen „Bremsmechanismus“ ausgelöst haben könnte, möchte Thiel wissen. S. verneint das. Dann möchte Thiel wissen, wann S. das erste Mal von der Mordserie gehört habe. S. sagt, er habe erst aus einer „Spiegel TV“-Reportage nach der Aufdeckung davon erfahren. Auf Nachfrage sagt S., er habe nicht regelmäßig Tageszeitung gelesen. Als er in der Szene war, habe er die „Deutsche Stimme“ [NPD-Parteizeitung] gelesen. Rechtsanwältin Gül Pinar geht auf die Weigerung von S. ein, Fragen der Verteidigung Wohlleben zu beantworten. S. sagt, er habe beim Antrag der Verteidiger_innen von Wohlleben das Wort „Waffengleichheit“ gehört und wolle nicht, dass er sich „nackig macht“ und Wohlleben nicht. Pinar weist darauf hin, dass eine Befragung durch die Verteidigung von Ralf Wohlleben vielleicht auch zur Aufklärung beitragen könne, weil Wohlleben ja über Wissen verfüge. S. möchte darauf zunächst nicht antworten. Sein Verteidiger RA Johannes pausch antwortet, auch die Verteidigung habe sich darüber Gedanken gemacht und sein Mandant wolle zur Aufklärung beitragen, es gehe hier aber weniger um eine juristische Frage als um die „menschliche Seite“. RA Philipp Götze möchte wissen, wie es zusammen gehe, dass, wie S. ausgesagt hat, man stolz gewesen sei, wenn die Drei sich bedankt hätten, aber andererseits froh, wenn sie nichts verlangt hätten. S.: „Das hat damals zusammengepasst.“ Habe er auch bei der Waffenübergabe das Gefühl gehabt, Gutes zu tun? S.: „Im Grunde genommen schon, aber dann war das, wo ich abends im Bett liege. Aber dann auch der Gedanke, da wird schon nichts passieren.“ S. habe ja den Einsatz der Waffe für möglich gehalten als er von Wohlleben erfahren habe, dass die Drei jemanden angeschossen hätten, so Götze. Immerhin habe S. ja gedacht, hoffentlich nicht mit der Waffe. Warum er diesen Gedanken nicht schon bei der Übergabe der Waffe gehabt habe? S. versteht die Frage zunächst nicht. Nachdem Richter Götzl die Frage konkretisiert, sagt S.: „Ich denke mal, dass das eine neue Information für mich war, also ich traue denen das nicht zu und dann passiert das.“ Ob er sich denn erklären könne, warum er dann nicht den Impuls gehabt habe, sich beispielsweise an die Polizei zu wenden? S.: „Dass es aus Versehen passiert ist. Ich hab im Kopf halt auch dieses: die Idioten, die machen das nicht nochmal.“ S. habe ja von Geld berichtet, das er von den Dreien bekommen habe, und dass er dies mit Banküberfällen assoziiert habe, so Götze. Ein entsprechender Banküberfall müsse also zum Zeitpunkt der Geldübergabe schon stattgefunden haben: „Mit anderen Worten, es ging auch ohne ihre Hilfe.“ S. sagt, er habe sich da „verarscht gefühlt“, wie auch schon beim Hinweis der Uwes, sie hätten bereits Waffen, die sie in ihrem Rucksack dabei hätten.
RAin Wierig fragt nach den Strukturen in der Nazi-Szene. Das sei eine „Riesenfrage“, so S. Er könne da die Hierarchien von Tino Brandt nach unten nennen: Er sei anfangs in einer Jugendgruppe bei Christian K. gewesen, da sei auch Tino Brandt zu Besuch gekommen, dann habe er Kontakt zu einem Kamerad in Saalfeld-Rudolstadt gehabt, dann mehr zu Ralf Wohlleben, dann eher zu seiner JN-Gruppe. Wierig konkretisiert und fragt nach JN-Schulungs- und Thesenpapieren und S.‘ Vorstellungen dazu. Es habe in der JN ein Buch namens „Funkenflug“ gegeben, so S., da wisse er nicht, dass er da überhaupt drin gelesen habe. JN-Thesenpapiere habe er wohl gelesen und auch das NPD-Programm. Es falle ihm aber schwer, die genauen Gesprächsinhalte bei JN-Sitzungen wiederzugeben: „Ich habe das nie wieder genutzt, das Wissen, deswegen fällt’s mir schwer, zu sagen, was ich da erzählt habe.“ Im Unterricht seien verschiedene Gesellschaftsformationen nie Thema gewesen, erst im Studium habe er sich etwa mit Antisemitismus oder mit Migration beschäftigt. Bei den JN-Sitzungen hätten sie die Schulungspapiere manchmal einfach vorgelesen und die „Kiddies“ hätten nur darauf gewartet, dass es zu Ende ist „und man zum gemütlichen Teil übergeht.“ Mit den anderen Dreien in der Führung des JN-Stützpunktes habe er sich zusammen gesetzt, um den Mitgliedern der Gruppe etwas bieten zu können: „Das war Krampf.“ Wesentlich spannender seien gemeinsame Übernachtungen und Wanderungen gewesen. Wierig hebt dann auf die Uniformierung in der Nazi-Szene ab. S. habe ja auch eine Erinnerung daran, als er Böhnhardt zum ersten Mal gesehen habe, und dass dieser eine „schicke Uniform“ getragen habe. Ob er denn eine Faszination für militärische oder paramilitärische Verbände gehabt habe, möchte Wierig wissen. S. versteht offenbar die Frage nicht, und redet darüber, dass er sich nicht für Panzer oder ähnliches interessiert habe, sich aber wie zuvor auch Christian K. ein Bajonett gekauft habe. Nach kurzer Beratung mit seinem Verteidiger Hösl sagt S. dann, er habe schon eine Faszination fürs „Dritte Reich“ gehabt, etwa beim Briefmarkensammeln, sei aber nicht in die Szene eingestiegen, weil er das „Dritte Reich“ toll gefunden hätte.
Auf Nachfrage berichtet er, dass andere auch Angst vor ihm gehabt hätten, als er in der Szene war. So sei er von einem Jenaer Türsteher bedroht worden, dieser habe sich dann aber entschuldigt. „Da hat sich wohl rumgesprochen, dass ich Leute kenne.“ Zur Bewaffnung in der Szene spricht er wieder von Teleskopschlagstöcken und Schreckschusswaffen. Warum er dann beim Auftrag, eine Waffe zu besorgen, schockiert gewesen sei, möchte Wierig wissen, es seien in der Szene doch alle bewaffnet gewesen. S. sagt, das sei ein Unterschied, die Drei hätten nichts mit seiner Lebenswelt in der Szene zu tun gehabt. Zum Abschluss fragt Wierig S., ob dieser sich „komplett nackig“ gemacht habe. S: „Ja, das ist komplett nackig, ohne Rücksicht auf Verluste, auch auf meine eigenen, was meine Zukunft angeht.“ Auf Nachfrage sagt S., dass er bei neuen Entwicklungen im Prozess auch weitere Fragen beantworten werde.
Das Fragerecht hat dann die Vertretung der Angehörigen des am 29. August 2001 in München ermordeten Habil Kılıç. Dabei geht es zunächst um die Differenz zwischen der Aussage, es habe beim Treffen ein „freudiges Hallo“ (die Formulierung wird von RA Stahl beanstandet, sie sei so nicht gefallen; siehe dazu Protokoll zum 9. Verhandlungstag) gegeben, und einer Vernehmung, in der er ausgesagt habe, die Drei hätten sich zuerst nicht an ihn erinnern können. Dies erklärt er sich damit, dass man anderthalb bis zwei Jahre miteinander telefoniert habe, und sich nun persönlich getroffen habe. Dass er am Telefon, wie es in einer Vernehmung heißt, mit „Kleener“ angesprochen wurde, erklärt er sich so, dass der Altersunterschied in der Szene immer wichtig gewesen sei. Auf die Geldnöte der Drei angesprochen, von denen die Rede gewesen sei, sagt er, er sei von den Dreien nie nach Geld gefragt worden, habe aber etwas mit Geldsorgen in Erinnerung. Ob er denn mit Wohlleben darüber gesprochen hab, was er sagen solle, wenn jemand wegen der Waffe Fragen stellt. Zunächst sagt er, es sei klar gewesen, dass er nichts sagen solle. Dann berät sich S. kurz mit seinen Anwälten. Schließlich sagt er: „Es gibt eine Erinnerung, da bin ich mir absolut nicht sicher. Da ist was im Kopf, dass ich dem [Andreas] S. sage, die ist für die Drei, aber ich kann das auch nicht sicher sagen.“
Nach einer kurzen Pause wegen technischer Probleme mit der Mikrofonanlage geht es weiter mit den Fragen der Vertretung der Angehörigen des am 25. Februar 2004 in Rostock ermordeten Mehmet Turgut. RA Detlef Kolloge geht dabei auf das Telefonat ein, bei dem Wohlleben davon erzählt habe, dass jemand angeschossen worden sei. Das ordne S. ja auf die Zeit nach der Waffenübergabe ein. S. bestätigt das, weil er sich an den Gedanken, hoffentlich nicht mit der Waffe, erinnere. Ob Wohlleben das so erzählt habe, als ob er es gerade erst erfahren habe und ob S. ausschließen könne, dass das früher war, will Kolloge wissen. S. sagt, er habe keine Erinnerung: „Ich habe halt diesen Satz im Kopf.“
Auf die Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten, von denen S. gesprochen hatte, bezogen, möchte Kolloge wissen, wie S. den Begriff „links“ inhaltlich fülle. S. beantwortet diese Frage mit dem Verweis auf Kleidungsstile und Codes. Auch auf mehrfache Nachfrage konkretisiert er nicht, was er inhaltlich mit „links“ verbindet.
RA Langer fragt, warum er ohne Absprache mit Wohlleben die Entscheidung über den Kauf der Waffe habe treffen können und ob ihm vorher ein Limit für den Preis genannt worden sei. S. antwortet, es müsse wohl ein Limit genannt worden sein. Andreas S. habe ihm dann wohl gesagt: das oder keins. Die Waffe habe preislich wohl auch im Limit gelegen. Und da habe er dann wohl zugesagt. Langer möchte dann wissen, ob jemals irgendeine Stelle versucht habe, Kontakt aufzunehmen und ihn zu befragen. S. sagt, dass es lediglich die „Verfolgungssache“ (siehe Protokoll vom 6. Verhandlungstag) gegeben habe, es sei nie Kontakt zu ihm aufgenommen worden.
Dann darf die Vertretung der Angehörigen des am 9. Juni 2005 in Nürnberg ermordeten İsmail Yaşar fragen. Welche rechten Bands er gemocht habe, will RA Mehmet Daimagüler wissen. Zuerst nennt S. die „Zillertaler Türkenjäger“, dann „Stahlgewitter“ und „Brutale Haie“. Außerdem habe er Frank Rennicke [neonazistischer Liedermacher]gehört. „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ [brachten 2010 den Song „Döner-Killer“ heraus]kenne er nur aus den Akten. Ob im „Thüringer Heimatschutz“ (THS) über mögliche V-Leute gesprochen worden sei, fragt Daimagüler. S.: „Es war nur das Thema, wenn euch Leute auffallen, die sehr anstachelnd sind, komisch fragen, dann werden das wahrscheinlich V-Leute sein oder Anscheißer.“ Dass Tino Brandt V-Person war, habe er 2000/2001 aus dem Medien erfahren. Das sei ihm damals, also nach seinem Ausstieg, schon „schnitte“ gewesen. Die Idee, wegen eines möglicherweise bevorstehenden Verbots des THS in die NPD zu wechseln, sei ihm und anderen eher unangenehm gewesen wegen Formalia wie Statuten, Tagesordnungen usw. Außerdem hätten sie sich nicht als Nationaldemokraten, sondern als nationale Sozialisten verstanden. Wohlleben sei Vorsitzender geworden, er Stellvertreter, außerdem seien Rick W., Ronny A. und Daniel S. bei der Gründung des Kreisverbandes dabei gewesen. Daimagüler möchte wissen, was S. für seine „Blitzkarriere“ in der Szene qualifiziert habe. Das habe weniger mit ideologischer Festigkeit zu tun gehabt, als damit, wie sehr man sich engagiert habe. Die folgenden Fragen werden mehrfach von Seiten der Verteidigung Zschäpe unterbrochen und beanstandet. Unter anderem fragt Daimagüler nach Hierarchien und Strukturen in der Gruppe der Untergetauchten. S. antwortet, in den vier oder fünf Treffen vor dem Untertauchen habe er keine Hierarchien feststellen können. Daimagüler fragt, ob S. wisse, was mit „Psst“ gemeint gewesen sei, also ob Zschäpe nichts von der Taschenlampe habe wissen dürfen oder nicht habe hören dürfen, dass die Uwes darüber reden. S. antwortet, er habe nur „Psst“ gehört. Dann fragt Daimagüler: „Hatten sie das Gefühl, dass er [Wohlleben] auch auf anderen Wegen mit dem Trio kommuniziert?“ S. verneint das.
Nach der Nebenklage Yaşar befragen S. die Vertreter_innen der Angehörigen des am 15. Juni 2005 in München ermordeten Theodoros Boulgarides. Zunächst fragt RA Yavuz Narin, ob S. sich erinnern könne, mit jemandem später über den Brief, den er nach dem Treffen in Chemnitz in Jena-Winzerla eingeschmissen habe, gesprochen hat. S. verneint das. Beim Treffen mit der Mutter von Uwe Mundlos, könne er sich lediglich daran erinnern, dass sie ihr gesagt hätten, es gehe den Dreien gut. Den Vater von Mundlos kenne er nicht. Narin geht dann auf den Überfall auf zwei Personen in Jena-Winzerla ein. Ob S. einen Matthias K. kenne, will Narin wissen. Den kenne er, so S. K. sei sein Nachfolger bei den JN geworden, sei ebenfalls aus der Szene ausgestiegen und er habe auch nach seinem Ausstieg hin und wieder Kontakt zu K. gehabt. Er denke nicht, dass dieser beim Überfall dabei gewesen sei. Ihm sei auch nicht bekannt, dass es in Jena im September 2009 zu einem Strafprozess gekommen sei, bei dem es um einen Überfall auf zwei linke Jugendliche ging. Narin fragt S. zu mehreren Personen. Mit Sandro T., der Landessvorsitzender der JN geworden sei, habe er sich immer gut verstanden. T. habe ihm auch Ende 2000 nochmal die Reifen gewechselt. Einen Nico S. kenne er nicht. Narin verweist auf die Akten, dort sei vermerkt, S. habe aus dem Internet Informationen zu einem Nico S. herunter geladen. S. sagt, er habe sich mal etwas von einem Antifa-Weblog über schwule Aussteiger herunter geladen, vielleicht komme das daher. Er wisse auch nicht, warum er, wie in den Akten vermerkt, Bilder vom neonazistischen „Fest der Völker“ 2006 auf dem Rechner gehabt habe. Er habe sich wohl Bilder angeschaut, um zu schauen, wie zum Beispiel Wohlleben aussehe. David F. habe er nicht wirklich gekannt, der sei „eher mit den Skins unterwegs“ gewesen. Narin weiter: „Es gibt einen Aktenvermerk über eine Blaupause einer Ceska auf ihrem Rechner.“ S. sagt, das müsse wohl aus seinen Recherchen nach dem November 2011 kommen. Narin erwidert, das letzte Änderungsdatum sei laut Aktenvermerk aber aus 2010. S.: „Das kann ich mir nicht erklären.“ Narin fragt nach Namen aus der Chemnitzer Nazi-Szene. S. sagt, er kenne diesen Namen nicht oder nur aus den Akten. Narin fragt dann, ob S. wisse, wer Sänger bei „Stahlgewitter“ war, wer Sänger bei den „Zillertaler Türkenjägern“ war und ob er einen Daniel Giese kenne. S. verneint alle Fragen. Auf Nachfrage sagt er, er habe auch die Band „Tonstörung“ gehört. An örtlichen Bands sei ihm „Vergeltung“ bekannt. Er nennt mehrere Namen möglicher Mitglieder von „Vergeltung“. Zu einem möglichen Verhältnis der Band zu Wohlleben oder Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe könne er nichts sagen. Den Begriff „Combat 18“ kenne er nur aus den Medien.
Um 13 Uhr folgt die Mittagspause. Nach einer Verlängerung der Pause geht es erst gegen 15 Uhr weiter. Rechtsanwältin Sturm, Verteidigerin von Zschäpe, teilt mit, dass ihre Mandantin in schlechter Verfassung sei, und dass man die Verhandlung vielleicht nur noch eine Stunde fortsetzen könne.
RAin Angelika Lex fragt nach persönlichen Verbindungen von S. nach München und Bayern. Zunächst geht es um den Aufmarsch gegen die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“ in München 1997. S. kann sich nicht daran erinnern, wer die Busse nach München organisiert hat, nimmt aber an, dass es der THS war. Über die Organisation des Aufmarsches und Kontakte nach München könne er nichts sagen. S.: „Ich hab da mit großen Augen gestanden und es ist alles auf mich eingeprasselt.“ Sicher sei er sich, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht in dem Bus mit gefahren sind, in dem er gesessen habe. Als einzige Verbindung nach Bayern in seiner Funktionärszeit fällt ihm ein, dass Sandro T. in Bayreuth oder Bamberg gewohnt habe.
Er berichtet über seine eigene Funktionärszeit: Mit Ronny A. habe er etwa ein Flugblatt geschrieben über Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Jugendlichen. Auf Bundes- oder Landesebene habe er keine Funktionen übernommen. Es sei für ihn schon ein Kampf gewesen, durchzusetzen, dass er nicht Vorsitzender, sondern nur stellvertretender Vorsitzender der JN Thüringen wird. Die Sitzungen des Bundesvorstands habe er „abgesessen“. Lex fragt ihn nach einer Veranstaltung am 21. Januar 1999 in Neuburg an der Donau, auf der er mit Tino Brandt gewesen sei. S. sagt, er habe das auch gelesen, aber keine Erinnerung daran. Auch zu Anton Pfahler [Ex-Wehrsportgruppe Hoffmann] aus Neuburg und zu einer Neonazi-Wohngemeinschaft auf dessen Grundstück könne er nichts sagen. An einen Kongress der extrem rechten „Gesellschaft für freie Publizistik“ in Regensburg im April 2000, auf dem er gewesen sein soll, kann er sich nicht erinnern.
RA Prosotowitz fragt zum Einbruch in die Wohnung Zschäpes. Ob er gewusst habe, welche Unterlagen er mit nehmen soll, ob er in den Aktenordnern gelesen habe und warum er die Ausweise habe verbrennen sollen. Auch zum Diebstahl des Motorrades fragt Prosotowitz hartnäckig nach. Auf die Fragen sagt S. meist, er könne sich nicht erinnern, er wisse es nicht. Prosotowitz fragt: „Warum wissen sie das nicht?“ S. antwortet: „Ich habe alles gesagt, was ich bisher wieder hergestellt habe. Ich habe kein Tagebuch geführt.“ Prosotowitz fragt dann zur Waffe: Auf die Frage, warum er den Tipp von Andreas S., dass die Waffe schnell heiß werde, nicht weiter gegeben habe, antwortet S.: „Das war mir nicht wichtig.“ Nach einer Unterbrechung, weil RA Klemke eine Frage beanstandet und darüber einen Beschluss des Gerichts will, geht es weiter. Wieder geht es um die Waffe, etwa darum, ob auch S. Handschuhe getragen habe, als er die Waffe angefasst habe. S. kann sich nicht erinnern.
Nach der Befragung durch RA Prosotowitz kündigt Richter Götzl an, die Sitzung beenden zu wollen. Zunächst fragt er S. jedoch, ob dieser auch Fragen der anderen Verteidiger, abgesehen von Wohllebens Verteidigung, beantworten werde, was S. bejaht. Auf Nachfrage sagt er, dass er auch Fragen der Verteidigung Zschäpe beantworten werde.
Um 16.20 Uhr beendet Götzl den Verhandlungstag.
Die Rechtsanwälte Peer Stolle und Sebastian Scharmer erklären in einer Pressemitteilung zur Befragung von Carsten S.:
„Die Vernehmung von Carsten S. hat einige neue Aspekte zu Tage gefördert, die bisher noch nicht bekannt waren. Vor allem die Tatsache, dass Mundlos und Böhnhardt gegenüber ihm zu erkennen gegeben haben, dass sie bewaffnet sind, Banküberfälle und Sprengstoffanschläge begehen, wirft ein vollkommen neues Licht auf die Anfangszeit des NSU. Offensichtlich waren die Untergetauchten gar nicht so konspirativ in ihrem Vorgehen, wie bislang angenommen. Dies wirft natürlich auch Fragen bezüglich des Wissens der anderen UnterstützerInnen auf, vor allem aus Sachsen. Wenn es stimmt, dass Carsten S. gegenüber Andreas S. gesagt haben soll, dass die Waffe für „die Drei“ bestimmt sei, wäre das ein Hinweis dafür, dass die Bezugnahme auf das Trio in der Szene beispielsweise Waffeneinkäufe vereinfachte – faktisch also als Türöffner funktionierte.“
Ergänzung:
Anders als vereinzelt in Medien dargestellt, sagte S. in seiner Vernehmung zum Ort der Waffenübergabe auf die Frage eines Nebenklage-Vertreters: „Ich erinnere mich nicht an Galeria Kaufhof, ich kenne das aus Düsseldorf, es war eher so dieses Gefühl: Kaufhaus, Café.“ Um das Thema ging es auch beim 13. Verhandlungstag.