Protokoll 12. Verhandlungstag – 19. Juni 2013

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Der Angeklagte Carsten S. wurde weiter durch die Nebenklage und abschließend durch die Bundesanwaltschaft befragt. Erneut mag er den Zusammenhang zwischen rassistischen und menschenverachtenden Liedtexten und eigenen Taten und Überzeugungen nicht erkennen, so als sei er ein „Antirassist in der NPD“  (Zitat Nebenklageanwalt RA Hoffmann) gewesen. Auch erstrecken sich seine Erinnerungslücken auf die meisten Komplexe, die nicht mit der Tatwaffe zu tun haben. Emotional entschuldigt sich S. am Ende der Befragung durch die Nebenklage: „Ich kann nicht ermessen, was ihren Angehörigen für unglaubliches Leid, Unrecht angetan wurde, ihren//- Sie als Angehörige- Da fehlen mir die Worte.“

[Türkçe]

Gegen 9.50 Uhr betritt der Senat den Saal. Es geht weiter mit der Einvernahme von Carsten S. durch die Nebenklage. Begonnen wird mit den Vertreter_innen der Opfer des Nagelbombenanschlags am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße. Es beginnt Rechtsanwalt Schön. Er fragt zunächst dazu, ob S. gewusst habe, weswegen Böhnhardt ins Gefängnis gemusst habe. S. sagt, er habe in der Berichterstattung von der Bombenwerkstatt in einer Garage erfahren. Von regulären Bomben wisse er nichts: „Ich habe in Erinnerung Bombenattrappen und der Christian K. hat dann gesagt, haste gesehen: verschmorte Rohre. Das ist eher verniedlicht worden.“ An Debatten um Militanz kann er sich erneut nicht erinnern. Schön verliest dann einen „Bettelbrief’“ des NSU, in dem es unter anderen geheißen habe: „Die Aufgaben des NSU bestehen in der Bekämpfung von Feinden des deutschen Volkes. (…) Die Aktivitäten werden weitergeführt nach dem Motto Sieg oder Tod. Jeder Kamerad ist gefragt. Gib dein Bestes, Worte sind genug gewechselt.” Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl moniert zwischendrin, Schön solle doch bitte zur Frage kommen. S. sagt, er kenne den Brief nicht, auch andere derartige Briefe kenne er nicht. Die folgende Frage von Schön provoziert mehrere Beanstandungen durch RA Heer, Anwalt von Beate Zschäpe. Schließlich fragt Schön: „Kommt Ihnen nach dem Vorhalt dieses Briefes noch eine neue Erinnerung über Auseinandersetzungen über gewalttätige Aktivitäten in ihren, ich sage mal, Neonazikreisen?“ Hier beanstandet RA Klemke, Anwalt von Ralf Wohlleben. Schön fragt zurück: „Was sind sie denn?“ Darauf Klemke: „Meinen Sie mich? Sie können gleich eine Anzeige haben.“ Nachdem sich die Auseinandersetzung fortsetzt, fordert Klemke Götzl auf, RA Schön zur Ordung zu rufen. Götzl antwortet, Klemke könne Fragen beanstanden, aber keine Ordnungsrufe einfordern. Die Debatte darum, auf wen oder was sich das „sie“ in Schöns Formulierung bezieht, setzt sich fort. Schön sagt, dass „sie“ habe sich auf die Szene, in der möglicherweise etwas diskutiert wurde, bezogen, sagt aber auch: „Ich bin gegen Scheinheiligkeit, wenn man dann sich selber in rechtsradikalen Kreisen bewegt, indem man solche Leute vertritt, dann soll man nicht so scheinheilig tun.“ Götzl fordert, Fragen präzise zu stellen und nicht persönlich zu werden.

Schön fragt dann zum „Pogromly“-Spiel. S. sagt: „Damals wusste ich, dass der André mit diesen Spielen unterwegs war, da kommt eine Erinnerung.“ Er selbst sei nicht beteiligt gewesen.
RA Kaplan fragt vor allem zum Aussstieg von S. S. sagt, er habe auch ideologisch mit der Nazi-Szene abgeschlossen. Der Ausstieg sei ein Prozess gewesen. Seine Homosexualität habe eine große Rolle gespielt. Mit jeder Person, der er von seiner Homosexualität erzählt habe, sei es leichter geworden. Eigentlich habe er anfangs vermeiden wollen, dass die rechte Szene davon erfährt, aber dann sei das nach zwei bis vier Wochen sowieso rumgegangen. Kaplan fragt nach der Situation, in der S. von ehemaligen Kameraden, unter anderem Ralf O. und Alexander H., umringt worden sei. S. erzählt, das sei in einer Villa gewesen, die für private Partys gemietet werden kann, da sei er umringt worden, eine Freundin hab ihn dann weggezogen und dann sei weiter nichts passiert. Es sei bei den Bedrohungen durch seine Ex-Kameraden primär um seine Homosexualität gegangen. Ralf O. habe aber gesagt: „Lasst den in Ruhe.“  Die Frage, ob das Jahr 1999 eine Hochzeit in seiner Karriere als Funktionär war, bejaht S. Kaplan fragt dann, ob er in dieser Zeit von neonazistischen Anschlägen in England erfahren habe. S. verneint das.

Es folgt RAin Singer und dann RA Erdal. Dieser fragt unter anderem noch einmal zu S.‘ Gründen, gegenüber der Verteidigung Wohlleben nicht auszusagen. S.: „Also, ich hab das mit meinen Anwälten besprochen und wir haben auch überlegt, ob da Angaben kommen könnten, die helfen könnten. Aber ich möchte, dass er seine Sichtweise darstellt und mir kommt es eher vor, wenn ich Fragen zulasse, als könne er in Ruhe gucken, mich dumm dastehen zu lassen, keine Ahnung mit was für Mitteln und das sehe ich schwierig.“ Später wird es auf eine Nachfrage eines weiteren Nebenklage-Vertreters nach der Formulierung „dumm dastehen“ sagen: „Also, es geht mir nicht darum, dass ich Befürchtungen habe oder Ängste, dass was kommt, es ist eher das Gefühl, ich gehe in Vorleistung. Ihm ein Podium zu bieten für abstruse Sachen, für Thesen, mir das Wort im Mund herum drehen. Das ist alles kein Problem, wenn er in Vorleistung geht.“ Bei der Verteidigung
Zschäpe habe er kein Problem, weil er Zschäpe kaum gekannt habe. Erdal fragt nach Verbindungen Wohllebens nach Mainz oder Ludwigshafen. Davon wisse er nichts, so S; Matthias H. oder Malte R. kenne er nicht.

Nach den Fragen weiterer Nebenklage-Vertreter aus dem Tatkomplex Keupstraße fragt RA Matt S. nach den Fragen, die dieser an Wohlleben hat. S. antwortet: „Das sind ähnliche Fragen wie sie das Gericht hat. Warum er mich angesprochen hat oder warum die beiden mich angesprochen haben und nicht den Christian K. zum Beispiel. Da geht’s mir darum, dass er hier die Fragen beantwortet, und selber aus seiner Sicht erzählt. Natürlich auch, was er weiterhin wusste, klar.“

RA Kuhn möchte wissen, ob S. die Informationen über die gewünschte Waffe komplett an Wohlleben weiter gegeben habe. S. sagt, dass er davon ausgeht, er habe wohl auch weitergegeben, dass es ein deutsches Fabrikat sein soll. Kuhn: „Haben Sie auch weitergegeben, warum ein deutsches Fabrikat gewünscht war““ S.: „Weiß ich ja selber nicht.“ Kuhn hält S. dann vor, dass er gesagt habe, es solle ein deutsches Modell sein, weil man dafür besser Munition beschaffen könne. S. bestätigt das. Ob er diese Information an Wohlleben weitergegeben habe, wisse er aber nicht.
Kuhn: „Uns sagten Sie, dass sie kurz vor dem Ausstieg im Hinterkopf hatten, dass das Trio aussteigen oder ins Ausland abtauchen wollte. Ist das kein Widerspruch, dass man dann ein deutsches Modell haben will, damit man leichter Munition kaufen kann. Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?“ S. verneint. Kuhn fragt nach Kontakten von S. nach Weimar. S. verneint, er sei nur einmal mit Christian K. in einer Wohnung in Weimar gewesen, einen Martin R. kenne er nicht. Über Verbindungen der Jenaer Szene nach Weimar kann er nichts berichten. Kuhn hält S. dann eine Aussage vor, bei der er gesagt habe, Motivation für die Unterstützung der Drei sei auch das Ansehen gewesen „das ich bei Wohlleben und K. erlangte und in den niederen Hierarchien der NPD.” S. sagt, er habe damit das Aufsteigen aus den niederen Hierarchien in der NPD gemeint.

RA Alexander Hoffmann schickt seinen Fragen voran, dass S. doch bitte ausschließlich aus seiner Erinnerung berichten möge. Er wolle mitbekommen, was „das für ein Leben war, das Sie geführt haben.“ Hoffmann fragt, ob S. seinen Ausstieg gegenüber Kameraden deutlich gemacht habe. S. sagt, er habe in Gesprächen mit Kameraden deutlich gemacht, dass er keinen Sinn mehr in der Sache sehe. Er habe sich auch anders gekleidet. Hoffmann fragt dann zur Musik. S. berichtet, er habe im „Madley“-Laden CDs unter dem Ladentisch gekauft. Hoffmann fragt, ob ihm der Begriff „Blood & Honour“ über den Weg gelaufen sei. S.: „In der Szene auf jeden Fall.“ Das Symbol von „Blood & Honour“ kenne er aber nicht. Auf einem Konzert, auf dem er war, sei aber wohl eine entsprechende Fahne gewesen. S. berichtet von dem Konzert in Schorba, bei dem „Stahlgewitter“, „Radikahl“ und eine ausländische Band aufgetreten seien; es seien dort etwa 1000 Personen gewesen und das Konzert sei geheim gewesen. Geheim sei es gewesen wegen verbotener Texte und verbotener Bands: „Deswegen wurde das an verschiedenen Orten, hat das dann stattgefunden.“ Mit Konzerten habe er sich aber nicht ausgekannt. Sie seien da wohl abends von „Rudi“ angerufen worden, möglicherweise auf einer NPD-Veranstaltung, und dann seien sie da hingefahren.  Auf Nachfrage kann er zwar Bands nennen, die nicht legal seien, sagt aber, er kenne keine Bands, die unter dem Label „Blood & Honour“ aufgetreten seien. „Blood & Honour“ sei ihm aber als Gruppe bekannt, die Konzerte organisiert. Hoffmann fragt nach der Band „Radikahl“. S. sagt, er habe eine CD oder eine Kassette von „Radikahl“ gehabt („Wir geben niemals auf”) und kenne das Original-Cover, habe aber nicht in Erinnerung, ob es da einen Verweis auf „Blood &Honour“ gegeben habe. Fanzines aus der Neonazi-Musikszene habe er möglicherweise zu Hause gehabt, er könne sich aber nur an eine Ausgabe der „Rock Nord“ erinnern. An das Magazin der Sektion Deutschland von „Blood & Honour“ habe er keine Erinnerung. Dann geht es um die Fahrt zu einem Konzert in Hoyerswerda mit Christian K. Hoffmann fragt, ob K. dort aufgetreten sei. Ja, mit „Eichenlaub“, so S. Und weiter: „Er mit einem Mädel zusammen, die haben auch eine CD zusammen gemacht, das weiß ich. Mit einer Zeile haben wir ihn immer aufgezogen: Alarm, Alarm ab in den Bunker.“ Hoffmann verweist dann auf zwei Ausgaben des „Blood & Honour“-Magazins aus 1999 und 2000, in denen „Eichenlaub“ vorkommen: „Einmal geben sie ein Interview, wo sie von den drei Abgetauchten erzählen und ihre Solidarität versichern und das andere Mal wird ein Bericht von einem ‚Blood Honour‘-Konzert mit ‚Stigger‘ gegeben, der unterschrieben ist mit dem Wort ‚Hamburger Sturm‘.“ Ob S., von dem Interview wisse, will Hoffmann wissen. S. verneint. Auch „Stigger“ kenne er nicht.

Nach der Mittagspause erzählt S.: „Mir ist noch was eingefallen (…), der Matthias B. hat ihn [Christian K.] immer aufgezogen als Lichtscheiben-Erlwig.“ RA Hoffmann fragt S. dann, ob über diese Dinge auf der Fahrt nach Hoyerswerda nicht gesprochen worden sei. Nicht in seiner Erinnerung, so S. Hoffmann: „Hat Christian K. an anderer Stelle über seine Kritik an dem Abtauchen der drei gesprochen?“ S.: „Nicht, dass ich wüsste.“ Hoffmann fragt nach weiteren Konzerten, S. gibt an auf wenigen gewesen zu sein, unter anderem auf Liederabenden. Als Bandname fällt wieder „Vergeltung“. Dann hält Hoffmann S. menschenverachtende und rassistische Texte der Band „Zillertaler Türkenjäger“ vor. Zwei der drei genannten Songs kennt S und gibt an, sie auch gesungen zu haben. Götzl interveniert, Hoffmann könne ja einen Beweisantrag stellen und auch dann könne sich S. dazu äußern. Hoffmann: „Mir geht es um die Ausführungen des Angeklagten, dass er nichts gegen Ausländer habe und quasi ein Antirassist in der NPD war.“ Dann fragt er S., wie das zusammen gehe, sich nicht als Rassist zu empfinden und derartige Texte mit zu singen. S: „Das versteh ich selbst nicht, daher kommt auch diese Scham. Das war lustig, aber ich hab das nicht eins zu eins übernommen.“ Hoffmann: „Naja, sie hatten ja erzählt, dass sie an Gewaltaktionen gegen Dönerbuden teilgenommen haben. Dann klingt das für mich schon so als ob sie das doch eins zu eins übernommen haben.“ S. schweigt.
Warum S. denn bei einem Gespräch über seine Nazi-Vergangenheit beim AStA in Düsseldorf circa 2004 nicht reinen Tisch gemacht habe, will Hoffmann wissen: „Ich hab mit denen gesprochen, aber dann ging es in Richtung Telefonnummern, Namen, das kam mir alles komisch vor.“
Hoffmann: „Das hat für Sie nicht bedeutet, eine Chance zu erzählen?“ S.: „Leider nicht.“
Auf den Namen Kay Diesner [Neonazi; hat einen Polizisten ermordet und zwei weitere Personen schwer verletzt] angesprochen, sagt S., dass es ein Transparent auf einer Demo in Berlin gegeben habe, das Solidarität mit Diesner gefordert habe, er habe das aber nicht getragen. An eine Debatte darüber in der NPD kann er sich nicht erinnern. Die „Deutsche Stimme“, in der diese Diskussion geführt wurde, habe er unregelmäßig gelesen.
Zum Abschluss fragt Hoffmann S. zu André K. Dieser sei cholerisch gewesen, habe S. ausgesagt, ob er das konkretisieren könne. S.: „Mit dem ist nicht jeder klargekommen und er war auch meist mit denjenigen befreundet, bei denen er einen Gewinn hatte.“ Auf eine mögliche Gewalttätigkeit K.s angesprochen, sagt S., dass er K. nie habe zuschlagen sehen, aber er wisse, dass K. bei einer Festnahme in Saalfeld von mehrere Beamte habe festgehalten werden müssen.

Es folgen die Vertreterin der Angehörigen der am 25. April 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter und der Vertreter des bei diesem Anschlag schwer verletzten Polizisten Martin A. Zunächst fragt RA Martinek, Anwalt von Martin A. nach der Rolle, die Polizist_innen in der Szene zugeschrieben wurde. S. antwortet: „Die wurden als Schergen des Systems bezeichnet, aber für uns persönlich, für mich auch im Umgang war es lustig, so haben wir es empfunden. Ich hatte den Pullover ‚ACAB‘, und wenn mich Polizisten drauf angesprochen hatten, hab ich gesagt ‚Alles Christen außer Buddha‘ und dann haben wir uns angegrinst. Und ich hatte auch selber meine zwei, wie ich sie nenne, Lieblingspolizisten in Jena. Einer sagte, ’na, Herr [S….], ist der Scheitel gezogen‘. Und einmal bin ich kontrolliert worden und ich habe gesagt, ‚wie begründen Sie die Maßnahme‘, und er sagte, ‚muss ich nicht‘, und ich sagte, ‚Sie müssen sagen wegen einer Personenfahndung und dann ist es in Ordnung‘. Die Polizisten, die wir in Jena gesehen haben, habe ich nie böse angeguckt.“ Ihm sei die Bewaffnung der Polizei nicht bekannt und in der Szene sei darüber auch nicht diskutiert worden. Die Frage von RAin Wolf, Anwältin der Angehörigen von Michèle Kiesewetter, fragt, ob in der Szene Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Polizist_innen gemacht worden seien, verneint S. Es sei vielleicht höchstens mal etwas in die Richtung „die sieht heiß aus” gefallen.

Nach dem Ende der Befragung durch die Nebenklage möchte sich S. noch einmal persönlich einlassen. Nach langem Schweigen sagt er stockend: „Ich kann nicht ermessen, was ihren Angehörigen für unglaubliches Leid, Unrecht angetan wurde, ihren//- Sie als Angehörige- Da fehlen mir die Worte, um zu beschreiben, wie ich dafür empfinde, da finde ich nicht die passenden Worte, was es ihn mir ausdrückt, auslöst. Ich bin mir auch absolut nicht sicher bzw. ich denk mir eine Entschuldigung wäre zu wenig, eine Entschuldigung klingt für mich wie ein Sorry und dann ist es vorbei. Es ist noch lange nicht vorbei. Ich wollte ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken.“

Danach gibt RA Heer bekannt, dass die Verteidigung von Beate Zschäpe derzeit keine Fragen an Carsten S. habe. Auch die Verteidigung von André E. gibt an, zunächst keine Fragen zu haben.

Nach einer Pause fragt Richter Götzl S., ob in Gesprächen mit Wohlleben oder anderen thematisiert worden sei, wie die Untergetauchten ihren Lebensunterhalt bestritten. S verneint das, er habe auch keine Überlegungen darüber angestellt.

Für die Bundesanwaltschaft fragt Oberstaatsanwalt beim BGH Weingarten S. dann noch einmal zur zeitlichen Einordnung des Telefongesprächs, bei dem Wohlleben davon berichtet habe, dass jemand angeschossen worden sei. Dieses sortiert S. erneut auf die Zeit nach der Waffenübergabe. Auf Nachfrage sagt er, das Gespräch müsse vor der Vernichtung der SIM-Karte stattgefunden haben. Diese legt er auf die Zeit nach seinem Unterbindungsgewahrsam, das vor dem Wochenende der Rudol-Hess-Aktionen im August 2000 begonnen habe. Weingarten fragt S. nach dem Zeitpunkt seines Ausstiegs, den dieser dann auf Ende August, Anfang September 2000 datiert. Weingarten: „Wenn man den 21. August als Ende des Unterbindungsgewahrsams nimmt und dann drei Wochen draufschlägt, dann landet man am 11. September 2000, das ist der Todestag von Herrn Şimşek. Dieser nicht ganz unauffällige zeitliche Zusammenhang mit dem ersten Toten, gibt es da einen inneren Zusammenhang, über den wir bislang noch nicht gesprochen haben?“ S. antwortet mit Nein.
Weingarten fragt dann noch einmal zu einer Differenz in der Aussage zum Waffenkauf. S. habe  zunächst gesagt, er habe dem Zeugen Andreas S. nichts gesagt, ihm bei Rückfragen aber sagen sollen, die Waffe sei für die drei vorgesehen. Das habe er gestern korrigiert und gesagt, er sei sich nicht sicher, ob er die drei erwähnt habe. Ob S. das Andreas S. habe sagen dürfen, will Weingarten wissen. S.: „Eher nicht.“ Weingarten: „Dann machen ihre vorherigen Äußerungen, mit Verlaub, wenig Sinn. Wenn sie sagen, sie seien sich ziemlich sicher, das nicht erwähnt zu haben. Und gestern, sie hätten das sagen sollen.“ Auf weitere Nachfrage sagt S., er sei sich nicht sicher, ob er Andreas S. etwas von den Dreien gesagt habe, aber er habe es eher nicht sagen dürfen. Das sei „so ähnlich wie beim Posen mit ‚Den dreien gehts gut’”. Andreas S. habe jedenfalls nicht zu den Personen gehört, mit denen er über die Untergetauchten habe sprechen dürfen.

Dann fragt RA Narin nach den Telefondaten, die bei S. gefunden wurden. Narin will wissen, ob die Personen mit Rufnummer stets zutreffend gewesen seine oder ob er auch mal einen falschen Namen einer Rufnummer zugeordnet hat. S. sagt, er habe PIN-Nummern unter fiktiven Namen gespeichert. Auf Nachfrage sagt S. er habe eine Nummer von Tino Brandt im Handy gehabt.
Narin hält S. einen Aktenvermerk vor, nachdem S. eine Handynummer unter „Tino B.“ abgespeichert habe, die seit dem Jahr 2000 auf einen Blumenhändler aus Nürnberg registriert sei. Ob ihm dazu etwas einfalle, will Narin wissen. S. sagt, dass ihm gar nichts dazu einfalle. Auf eine Frage von Narin sagt S., er kenne einen Matthias L., dieser sei auch ausgestiegen und er, S., habe auch nach seinem Ausstieg noch regelmäßig Kontakt zu L. gehabt. Narin hält S. vor, er habe auf seinem Rechner einen Artikel über eine Verhandlung gegen L. wegen des Zeigens eines Hitlergrußes aus 2006 gehabt. S.: „Erinnern kann ich mich da nicht dran, möglicherweise hat er mir das erzählt.“ S. sagt, er nehme an, dass L. 2006 nicht mehr aktiv gewesen sei. Eine Geldüberweisung an L. erklärt er sich so, dass er wohl L. aus der Klemme geholfen habe. Narin fragt: „Sind sie definitiv ausgestiegen?“ S.: „Ich bin definitiv ausgestiegen.“
RA Sidiropoulos hält S. eine Aussage eines Arbeitskollegen vor, der aus einem Gespräch in Bezug auf die Waffenübergabe im November 2011 berichtet. Der Arbeitskollege berichtet, S. habe gesagt, dass er die Waffe in einem „McDonald’s“ oder einem „Burger King“ übergeben habe. S.: „Da leuchtet mir nichts ein.“

RA Narin fragt dann zu einer Geldbewegung auf einem Sparkonto von S. Im Folgenden geht es vor allem darum, ob dieses Konto überhaupt S. gehört oder vielleicht seiner Mutter und ob der Vorhalt von Narin korrekt ist. S. sagt schließlich, er wisse nichts darüber und müsse vielleicht seine Mutter fragen. RA Kolloge fragt, ob S. sich erinnere, dass es 1999 oder 2000 mal ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen ihn gegeben hat.. S. berichtet, dass er 2000 wegen einer Spontandemo im Jahr 1999 zu einer Strafe von 300 Mark verurteilt wurde.
RA Bogazkaya möchte wissen, ob S. nach dem Kontaktabbruch Angst vor den dreien gehabt habe. S. bejaht das. Er habe sich nichts konkret ausgemalt, aber da sei ein komisches Gefühl gewesen. Bogazkaya: „Hat das auch damit zu tun, dass sie zumindest zwei von ihnen eine scharfe Waffe übergeben haben?“ S.: „Möglich, ja, aber ich hab das nicht weiter eingeordnet. Für mich war insgesamt die Zeit vorbei und ich hatte mich dann mit mir beschäftigt.“ Das Vernichten der Karte habe er mit Wohlleben abgesprochen. Mit dem Ausstieg habe er Wohlleben dann auch das verbliebene Geld gegeben.

RA Narin fragt dann nach den Betreibern des „Madley“-Ladens, nach den Mittwochstreffen in Heilsberg mit Christian K. und ob S. Gerhard Ittner kenne. Letzteres verneint er, zu den anderen Fragen teilt er nichts Neues mit. Abschließend möchte RA Kuhn wissen, ob sich auch S.‘ andere Kameraden als „Nationale Sozialisten“ verstanden hätten. S. bejaht dies, gibt aber keine Antwort darauf, wie sie ihre Ziele erreichen wollten und ob sie sich als „revolutionäre Bewegung“ verstanden hätten.

Richter Götzl kündigt für morgen die Befragung durch die Sachverständigen an und teilt mit, dass die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hätten, Erklärungen anzugeben.

Der Verhandlungstag endet um 16.45 Uhr.

Nebenklage-Vertreter RA Alexander Hoffmann resümiert:

„Immerhin beschrieb er auf Nachfragen, wie er illegal organisierte Konzerte von Nazibands besuchte, von denen eines von 1000 Personen besucht war. Auf Feten habe man entsprechende Songs mitgesungen. Nachdem S. bislang immer betont hatte, er sei kein Rassist gewesen, gab er nun an, Texte die beispielsweise die Ermordung von türkischen Menschen verherrlichten, mitgegrölt zu haben. Am Nachmittag versuchte sich S. bei den Opfern der NSU-Attentate und ihren Angehörigen zu entschuldigen. Diese Entschuldigung scheint ehrlich gemeint, beschränkt sich aber nach wie vor ausschließlich auf den Kauf und die Übergabe der Ceska-Pistole.  Seine sonstige Unterstützung der Abgetauchten, die alltägliche Zusammenarbeit mit Wohlleben oder auch seine politische Tätigkeit – immerhin bildete er eine 20-30-köpfige Jugendgruppe der Jungen Nationaldemokraten aus –, verdrängt er weiterhin.
S. hat bis heute den tatsächlichen Umfang seiner Verantwortung, die Bedeutung seiner sonstigen Unterstützungsarbeit für die Existenz des NSU und die begangenen Verbrechen nicht erfasst. Dies entwertet seine Entschuldigung stark.
Stark belastet von der Aussage S. wurde nicht nur Wohlleben, der nach den neuen Aussagen frühzeitig erfahren hat, dass die Gruppe einen Menschen „angeschossen“ hatte und trotzdem seine Unterstützungsarbeit weiterführte. Wenn selbst Carsten S., der als reiner Helfer fungierte und von Alter und Geschichte eine große Distanz zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhard aufwies, von der „Taschenlampenbombe“ erzählt wurde, ist mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch die Angeklagten G. und E. hierüber Bescheid wussten.“

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