Protokoll 15. Verhandlungstag – 25. Juni 2013

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Durch die Berichte von zwei Polizeibeamten wurde an diesem Tag der Brand vom 4.11. 2011 in der Zwickauer und seine Folgen – nicht zuletzt durch die Sichtung von mehreren hundert Fotos – anschaulich. Die Anklage wirft hier Beate Zschäpe schwere Brandstiftung sowie versuchten Mord an drei Menschen vor. Kleine aber wichtige Details wie die installierten Sicherheitsmaßnahmen in der Wohnung, die insgesamt 11 aufgefundenen Schusswaffen sowie die Anzahl der Schlafstätten gaben einen (noch zu bewertenden) Einblick in das Leben im relativen „Untergrund“.

[Türkçe]

Zeugen:

  • Jens St. (Einsatz von Spürhunden in der Zwickauer Frühlingsstraße 26)
  • Frank L. (Brandermittler, Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße)

Die Sitzung beginnt um 9.45 Uhr. Bei der Präsenz stellt Richter Manfred Götzl fest, dass RAin Anja Sturm, Anwältin von Beate Zschäpe, heute nicht anwesend ist. Anwesend ist als Sachverständiger Dr. Setzensack vom Landeskriminalamt Bayern.

Heute geht es um den Brand in der Frühlingsstraße 26 in , der letzten Wohnung von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vor der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011.
Erster Zeuge ist Polizeimeister St. von der sächsischen Diensthundeschule. St. gibt an, dass er am 5. November 2011 Rufbereitschaft gehabt habe. Er habe einen Anruf bekommen, dass es in Zwickau zur Explosion eines Reihenhauses gekommen wäre. Er sei mit einem Leichenspürhund und mit seinen beiden Brandmittelspürhunden dort angekommen. Der Kollege L. [späterer Zeuge] sei bereits anwesend gewesen. Zunächst sei es darum gegangen, möglicherweise vermisste Personen abzuklären. Leichen wurden jedoch keine gefunden. Die Brandmittelspürhunden hätten jedoch schon im Treppenhaus angezeigt, und dann habe es auch in der Wohnung im ersten Obergeschoss mehrere Anzeigen gegeben. In Absprache mit den Kollegen sei er dann am 7. November zu einer weiteren Untersuchung gekommen, diesmal mit einer Kollegin, die ebenfalls einen Brandmittelspürhund führt. Dann werden einige Skizzen und Fotos in Augenschein genommen. Die Skizzen zeigen die Lage der jeweiligen Anzeigen der Spürhunde in der Wohnung. Die Fotos zeigen meist die Hunde beim Anzeigen. St. sagt dazu: „Der Hund friert nicht ein, sondern legt sich hin und zeigt, wo das Brandmittel ist.“ Aus der Nebenklage wird gefragt, worauf die Hunde anschlagen. St. antwortet: „Die Hunde sind so ausgebildet, dass sie das Originalbrandmittel lokalisieren und anzeigen können.“ Nach einer Konkretisierung gefragt, sagt er, dass es um herkömmliche Brandmittel gehe, die an Tankstellen oder in Baumärkten gekauft werden könnten, also etwa Benzin, Diesel oder Verdünner. Die verschiedenen Hunde hätten sich an mehreren Stellen gegenseitig bestätigt, so St.

Es folgt der Zeuge Kriminalhauptmeister L., Brandermittler bei der Polzeidirektion Südwestsachsen, betraut mit der Brandursachenermittlung in der Frühlingsstraße 26 vom 4. bis zum  28. November 2011 inklusive aller Spuren bis zur Übergabe ans BKA. L. schildert zunächst den Ablauf seiner Tätigkeiten. Die Feuerwehr sei gegen 15.15 Uhr am Brandort angekommen, die Kriminalpolizei um 15.45 Uhr, er selbst gegen 18 Uhr. Der Brand in der Wohnung sei da bereits erfolgt, die Wände seien an zwei Seiten heraus gesprengt gewesen, der Schutt habe auf Gehweg und Straße gelegen. Nach den ersten Ermittlungen hätten sich drei Personen im Haus befinden müssen. Eine Frau sei gesehen worden, wie sie das Objekt verließ, zwei Männer seien demnach noch zu suchen. Da das Gebäude laut Statiker einsturzgefährdet war, habe durch einen Bagger „die Statik abgetragen“ werden müssen. Das Objekt sei vom 4. November bis zum 28. November rund um die Uhr bewacht gewesen, um auszuschließen, dass sich fremde Personen darin aufhalten. Nach dem Einsatz des Baggers seien Stahlstützen eingezogen worden. Danach sei das Haus mit einem Leichenspürhund und Brandmittelspürhunden abgesucht worden. Die Brandmittelspürhunde hätten mehrere Spuren gefunden.  Am Sonnabend seien USBV-Kräfte [USBV = Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen] dazu gekommen, am Sonntag habe ein Sprengstoffspürhund das Objekt untersucht. Es sei eine hohe Konzentration von Benzin feststellbar gewesen, es habe sehr stark danach gerochen. Eine Gasexplosion sei auszuschließen gewesen, da nur im angrenzenden Haus 26a Gas anliege, dort aber alles in Ordnung gewesen sei. Er habe dann die Wohnung in einzelne Bereiche aufgeteilt. Im Objekt, unter anderem in einem Tresor, der „nachweisbar geöffnet war“ und im Brandschutt, der durch den Bagger nach außen transportiert wurde, hätten sich insgesamt 11 Waffen plus Munition gefunden. Der ganze Brandschutt sei bis zum 11. November auf Spuren untersucht worden. Gefundene Gegenstände seien vor Ort eingetütet und in der Garage der Polizei Zwickau ausgelegt und getrocknet worden. Das LKA Sachsen habe an 22 Stellen, an denen die Hunde angeschlagen hätten – in der ganzen Wohnung verteilt – Spuren entnommen und an 19 Stellen Benzin nachgewiesen. Drei Stellen seien offen geblieben, da sei aber wahrscheinlich auch Benzin zu finden gewesen, weil Hunde besser als jede Laboranalyse seien. Das Gebäude sei schließlich abgerissen worden, um nachzuschauen, ob noch Hohlräume da sind.

Im Folgenden werden Bilder aus den Lichtbildmappen, die L. angefertigt hat, in Augenschein genommen und einzeln von L. erläutert. Die Mappen sind sehr ausführlich. Sie zeigen den Brand, die Löschmaßnahmen der Feuerwehr, die späteren Sicherungsmaßnahmen und dann die Spurensicherung nach dem Brand. Sie zeigen außerdem die Akribie, mit der der Brandermittler vorgegangen ist. Die Bilder, so L., seien größtenteils von ihm selbst angefertigt worden. Soweit sie den Brand zeigen, seien sie teilweise auch von der Feuerwehr oder anderen Polizisten angefertigt bzw. aus einem Video eines Passanten entnommen worden. Zunächst werden einige Übersichtsskizzen gezeigt. Das erste Foto zeigt dann das Haus in einer historischen Schwarz-Weiß-Aufnahme von etwa 1900. Bevor es mit den Bildern zum Brand und zu den Ermittlungen weiter geht, zeigt L. Übersichtsbilder des Anwesens aus der Zeit vor dem Brand. Diese stammten, so L., aus einer Wertermittlung des Gebäudes vom 24. Oktober 2011. Bei vielen Bildern geht es um die „Verschlusssicherheit“ des Gebäudes. Die Bilder der Spurensicherung in der Brandwohnung zeigen zunächst immer den Zustand vor, dann den Zustand nach der „Beräumung“ der Zimmer durch die Polizei.

Das Haus in der Frühlingsstraße in Zwickau besteht aus zwei Hälften mit den Hausnummern 26 und 26a. In der Nummer 26 befand sich die Brandwohnung. Die Wohnung war die einzige bewohnte Wohnung in Nummer 26 und belegte die ganze erste Etage. An der Klingel zur Wohnung stand der Tarnname „Dienelt“, an einem der Briefkästen die beiden Tarnname „Dienelt“ und „Burkhardt“. Im Untergeschoss des Hauses befand sich eine leerstehende Gaststätte, im Dachgeschoss wurden gerade zwei Wohnungen ausgebaut. Die Haustür lag rückseitig. Die Brandwohnung hatte zwei Eingangstüren, die von der Treppe aus linke Eingangstüre war jedoch von innen verbaut, so dass sie nicht mehr genutzt werden konnte. Die Wohnung war nur durch die rechte Eingangstüre zu betreten. Neben zwei Bädern, Fluren und der Küche bestand sie aus vier Zimmern. Die Wohnung hat L. in „Brandbereiche“ aufgeteilt, die mehr oder weniger den Zimmern entsprechen und mit Buchstaben gekennzeichnet sind. Daneben hat L. den Zimmern nach mutmaßlichen Nutzungen weitere Namen gegeben. Nach Flur, Bad und Küche folgen im Uhrzeigersinn: Wohnzimmer, Sportraum (dort waren eine Hantelbank und ein Laufband aufgestellt), Lager (es wurde durch nachträglich eingebaute Wände vom Sportraum abgetrennt), Schlafzimmer, Katzenzimmer (dort befand sich ein Kratzbaum), das zweite Bad und ein weiterer Flur. Der Bereich Wohnzimmer, Sportraum und Schlafzimmer lag in Richtung der Frühlingsstraße, der Bereich Katzenzimmer zum abgehenden Veilchenweg. In der Wohnung seien vier Schlafstätten vorgefunden worden, und zwar in den Räumen Wohnzimmer, Sportraum, Schlafzimmer und Katzenzimmer. An allen vier hätten sich Fernseher befunden, so L., der größte im Katzenzimmer.

Benzinspuren wurden beinahe in der gesamten Wohnung gefunden. Eine Spur wurde auch im Erdgeschoss im Treppenhaus gefunden, das jedoch nicht gebrannt hat. Es entstünden Temperaturen von über über 1.000 Grad, wenn Benzin verbrennt, so L.. Vor der Wohnung im ersten Stock wurde, so L., ein Zehn-Liter-Benzinkanister gefunden. Er sei durch die Feuerwehr verrückt worden, sein Originalstandort sei aber durch Befragung der Feuerwehrleute festzustellen gewesen.  Im größten Teil der Wohnung sei es zu einer einzigen Durchzündung gekommen, so dass alles auf einmal in Flammen stand. Im Wohnzimmer habe eine solche Zündung erst später, als die Feuerwehr schon da war, stattgefunden; die Tür zum Sportraum sei wahrscheinlich verschlossen gewesen. Die Tür vom Wohnzimmer zur Küche sei geöffnet gewesen. Die Küche war vergleichsweise wenig vom Brand betroffen. Im ersten Flur, dessen Türen ebenfalls verschlossen gewesen seien, habe sich kein so heftiger Brand entwickelte. Auch nicht im ersten Bad, das rechts von diesem Flur abgeht. Dort habe es einen separaten Brand gegeben und es sei eine sehr hohe Benzinkonzentration festzustellen gewesen. In diesen drei Räumen hätten die Beamten viele unbeschädigte Gegenstände sichern können. Unter anderem zeigen Bilder beinahe unbeschädigte Lebensmittel im Kühlschrank. Die Bilder zeigen die Heftigkeit des Brandes. Man sieht die größtenteils heraus gesprengte Wand vor Sportraum und Schlafzimmer. Der Rest der Wand sei, so L., um 40 cm in Richtung der Straße verschoben. Man sieht deutliche Risse im verbliebenen Mauerwerk. Einige Bilder zeigen die so genannten Trümmerschatten, also die Bereiche, in die bei der Explosion Trümmer geschleudert wurden. Trümmer wurden demnach bis auf Gehweg und Straße geschleudert. Ein Bild zeigt das Wohnzimmer einer älteren Frau, die im ersten Stock von Hausnummer 26a wohnte. An der Wand zur Nummer 26 finden sich starke Risse in Putz und Tapete. Die Wand sei hier um mehrere Millimeter verschoben worden und es sei bereits Rauchgas in die Wohnung der Nachbarin eingedrungen, sagt L.

In der Wohnung seien 11 Waffen gefunden worden. Dies erläutert L. anhand einer Skizze. Waffe 1 sei im Schlafzimmer gefunden worden. Sie sei durchgeladen gewesen, die Patronen hätten alle ausgelöst. Waffe 2 sei in einem Tresor im Schlafzimmer gefunden worden, der nachweislich geöffnet gewesen sei. Dort seien auch Handfesseln gefunden worden. Diese hätten wohl „der Kollegin gehört“. An dieser Stelle interveniert RA Stahl, Verteidiger von Zschäpe, dies sei eine Wertung. Sein Kollege RA Heer springt ihm bei: Der Zeuge führe en passant Neues ein, das gar nicht seinem Auftrag entspreche. Götzl sagt, L. habe sicherlich mit Kollegen gesprochen, das sei normal. Es geht dann weiter mit der Inaugenscheinnahme. Waffe 3, so L., sei im Flur vor dem zweiten Bad gefunden worden. Die restlichen Waffen und die Munition seien dann im Bauschutt, der durch den Bagger abgetragen worden war, gefunden worden. In Brandbereich L seien außerdem Geldscheine gefunden worden.

Auffällig an der Wohnung sind die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen. In der Wohnung hätten sich, so L., vier Überwachungskameras befunden. In der Wohnungstür sei über dem Messingschild mit dem Tarnnamen „Dienelt“ der Türspion durch eine Kamera ersetzt gewesen. Die Tür selbst war, das zeigen die Bilder, durch einen Schließriegel, der horizontal und vertikal verankert war, zusätzlich geschützt. Auf dem Fensterbrett in der Küche sei eine Kamera in einem Kasten mit künstlichen Pflanzen versteckt gewesen, sagt L. Auf einem der Bilder zu diesem Komplex ist ein Aschenbecher, ein Feuerzeug und eine grüne Packung „Pall Mall“-Zigaretten zu sehen. Die Kamera in der Küche sei auf die Haustüre gerichtet gewesen. Auf die gleiche Art wie diese Kamera seien wahrscheinlich auch die anderen Kameras auf den Fensterbrettern im Wohn- und im Katzenzimmer angebracht gewesen. Die Kamera in der Küche habe beinahe unbeschädigt gesichert werden können. Die Kamera im Wohnzimmer sei durch das Löschwasser in den Raum gespült worden. Die Kamera im Katzenzimmer wurde, das zeigen Bilder vom Brand, so stark beschädigt, dass sie während des Brandes auf den Gehweg fiel. L. weist besonders darauf hin, dass der Blumenkasten, in dem sich die Kamera am Wohnzimmerfenster befand, auf den Bildern, die im Oktober 2011 zur Wertermittlung angefertigt wurden, nicht zu sehen ist. Die Kameras seien, so L., mit Kabeln, die „ordnungsgemäß“ verlegt waren, miteinander verbunden gewesen. Besonders gesichert sei auch der durch den Brand unbeschädigte Keller der Bewohner der Brandwohnung gewesen. Er sei durch ein mit Klebeband fixiertes Schild mit der Aufschrift „Keller Dienelt“ gekennzeichnet und zu beiden Seiten mit Stahltüren verschlossen gewesen. Die Türen seien, so L., jeweils mit einem Funkalarmmelder versehen gewesen, der wenn die Türe geöffnet wurde, ein Signal an eine Station in der Wohnung abgab.

Nach vier Lichtbildmappen und etwa 400 Einzelbildern unterbricht Richter Götzl die Vernehmung und kündigt an, L. und den Sachverständigen Setzensack am 17. und gegebenenfalls 18. Juli noch einmal hören zu wollen.

Um 16 Uhr wird die heutige Sitzung beendet.

Nebenklage-Vertreter Rechtsanwalt Peer Stolle erklärt dazu:

„Das „asservierte Geständnis“ des NSU ist von erheblicher Bedeutung für das Verfahren, insbesondere für die Schuldfrage von Beate Zschäpe. Kameras im Blumenkasten, allein elf Waffen in der Wohnung mitsamt Munition, teilweise schussbereit und später ausgewertete zahlreiche Zeitungsberichte über die Morde und Anschläge bzw. Pläne über die Auskundschaftung der potentiellen Tatorte müssen der Angeklagten bekannt gewesen sein. Sie spielen für ihren Vorsatz und die angeklagte Organisation im NSU eine entscheidende Rolle.“

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