Protokoll 20. Verhandlungstag – 9. Juli 2013

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Die Beweisaufnahme durch Zeugenanhörungen behandelte an diesem Verhandlungstag wieder völlig unterschiedliche Komplexe: Ein ermittelnder Staatsanwalt berichtete von den Vernehmungen von Holger G., der nur widerwillig und peu a peu Sachen ausgesagt habe, zumal einige Widersprüche enthalten wären. Am Nachmittag wurden der eine Bauarbeiter der , , weiter befragt und schließlich zwei Polizeibeamte zum Mordfall Enver Şimşek. Die Verteidigung von André E. beantragte, dass sie und ihr Mandant vom Prozess freigestellt würden, solange Tatvorwürfe verhandelt würden, deren André E. nicht angeklagt sei. Die BAW widersprach.

[Türkçe]

Zeugen:

  • Dr. Gerwin Moldenhauer (Staatsanwalt, GBA, Vernehmungen Holger G.)
  • Rene K. (Handwerker, Zeuge Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße)
  • Karl W. (Polizeibeamter a.D., erster Beamter am Tatort des Mordes an Enver Şimşek)
  • Dieter S. (KHK, Tatortarbeit Mordfall Şimşek)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.45 Uhr. Bei der Präsenz stellt Richter Götzl fest, dass Rechtsanwalt Stahl, Verteidiger von , im Urlaub ist. Dafür lassen sich die Verteidiger von André E. heute nicht mehr vertreten. Von den Nebenkläger_innen ist lediglich der Mandant von RA Erdal, ein Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße, anwesend.

Als erstes wird der Zeuge Dr. Moldenhauer, ermittelnder Staatsanwalt beim Generalbundesanwalt und Sachbearbeiter für den Angeklagten Holger G. befragt. Beweisthemen sind die Vernehmungen G.s vor Ermittlungsrichter_innen am Bundesgerichtshof am 14. November 2011 und am 24. Februar 2012 sowie ein Telefongespräch zwischen Moldenhauer und G.s Verteidiger RA Hachmeister. Moldenhauer sagt in Bezug auf die Vernehmung am 14. November 2011 aus, G. habe im Wesentlichen die Angaben bestätigt, die er zuvor gegenüber der Polizei gemacht hat.

Im Kern sei es darum gegangen, wie es dazu gekommen sei, dass das Wohnmobil mit seinem Reisepass angemietet wurde. Der Haftbefehl habe zunächst auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gelautet und sei dann auf Unterstützung umgestellt worden. G. habe zunächst ausgesagt, der Reisepass sei zufällig in der Tür von G.s Auto gefunden worden und die drei hätten G. dann überredet, ihn zu überlassen. Sie seien auf der Rückfahrt vom Urlaub gewesen, Zschäpe habe Kuchen gebacken, die Übergabe des Reisepasses habe er als Freundschaftsdienst verstanden. Moldenhauer: „Wie sich später rausgestellt hat, hat er mich da bewusst angelogen.“ Nach dem Haftbefehl sei G. in die JVA Köln-Ossendorf gekommen und sei umfangreich vernommen worden, richterlich und staatsanwaltlich durch Moldenhauer selbst. Nach der ersten richterlichen Vernehmung habe ihm RA Hachmeister telefonisch mitgeteilt, dass Gerlach weitere Angaben machen wolle, dass der „2011er-Pass“ wohl bewusst hergestellt worden sei, um eine Ähnlichkeit zwischen Holger G. und dem verstorbenen Böhnhardt auszunutzen. Moldenhauer sagt, er müsse „vor die Klammer ziehen“, dass G. immer gesagt habe, dass er Probleme habe, zeitlich einzuordnen. G. habe häufig Sprünge gemacht und das mache es für ihn, Moldenhauer, schwierig, die Angaben wiederzugeben. An vielen Stellen bestätigt Moldenhauer das aus der Erklärung G.s und der Vernehmung des Zeugen L. vom 19. Verhandlungstag schon Bekannte.

Moldenhauer sagt, er habe G. so verstanden, dass der „Cut“ mit der rechten Szene der Umzug von Jena nach Hannover gewesen sei. Götzl hält Moldenhauer aus dem Protokoll der Vernehmung vor, dass G. ausgesagt habe, er sei seit sieben Jahren „raus” sei und, dass er, wenn er gewusst hätte, was die drei gemacht hätten, „letzte Woche noch stiften gegangen“ wäre. Moldenhauer antwortet, dieser Satz sei ziemlich authentisch. G. sei erschüttert gewesen und habe sich betrogen gefühlt, weil er den Freunden abgenommen habe, dass mit den Ausweispapieren nichts passiert. Moldenhauer sagt, G. habe ausgesagt, dass er Mundlos und Böhnhardt für starke Typen, für Macher gehalten habe. Sie hätten ihm, G., gesagt, das sie sich eine legale Existenz aufgebaut hätten, einen Computerladen hätten. Seinen Personalausweis habe er nie heraus gegeben, lediglich einmal einen verloren, habe G. ausgesagt, so Moldenhauer. Zuerst sei der Kontakt zu den drei über gelaufen, das erste Treffen habe 2005 oder 2006 stattgefunden. Eine größere Summe Bargeld, die bei G. gefunden worden sei, sei, so Moldenhauer, Geld gewesen, dass G.s Lebensgefährtin wegen G.s Spielsucht vor diesem versteckt habe. Moldenhauer bestätigt Götzls Vorhalt aus dem Vernehmungsprotokoll, nach dem G. ausgesagt hat, dass 1997 im Nationalen Widerstand in Jena angenommen wurde, dass es Böhnhardt und Mundlos waren, die in den vergangenen Jahren die Bomben und Attrappen in Jena gelegt haben. Zu einer Wahllichtbildvorlage, die G. gemacht worden sei und auf der mehrere sich ähnlich sehende männliche Personen zu sehen sind, darunter G., könne er nichts sagen, so Moldenhauer.

In der zweiten richterlichen Vernehmung am 24. Februar 2012 sei es unter anderem um den Waffentransport durch G. gegangen, sagt Moldenhauer. In weiteren Vernehmungen zwischen den beiden richterlichen Vernehmungen habe G. umfassend Angaben gemacht und wesentliche Ermittlungsansätze geliefert, „die auch gefruchtet haben“. Unter anderem habe „der ganze Komplex Wohlleben“ in G.s Aussagen seine Genese. Wegen einer Erweiterung des Haftbefehls auf Beihilfe sei G. niedergeschlagen gewesen, weil er kooperativ gewesen sei „und – in seinen Worten – als Quittung die Erweiterung des Haftbefehls bekommen hat.“ Götzl fragt nach dem Waffentransport um das Jahr 2001. Moldenhauer sagt, das sei nicht bei der richterlichen, sondern bei einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung gewesen. Das sei keine normale Vernehmung eines geständigen Täters gewesen: „Er musste das so peu a peu, wir haben gesagt, wie eine Kröte hochwürgen.“ G. habe ausgesagt, er habe eine Sporttasche von Wohlleben bekommen habe, da sei ein Jutebeutel dringewesen, Zschäpe habe ihn am Bahnhof in Zwickau abgeholt, sie seien dann in die Polenzstraße gegangen, erst dort sei ihm klar geworden, dass er eine Schusswaffe transportiert habe. Die Waffe sei dort ausgepackt und durchgeladen worden. Moldenhauer bestätigt Götzls Vorhalt: Einerseits habe G. ausgesagt, dass er zwar während der Fahrt etwas Metallisches in der Form eine Waffe im Beutel erspürt habe, dabei jedoch davon ausgegangen sei, dass Wohlleben ihn nicht mit einer Waffe im Zug fahren ließe. Andererseits habe G. ausgesagt, dass er während der Zugfahrt keine Möglichkeit gehabt habe, die Waffe loszuwerden ohne Ärger zu bekommen. Moldenhauer: „Das war der greifbare Widerspruch.“

Dann geht es um die Äußerung G.s., man könne nicht „mit fünf Leuten die Welt retten“, die dieser im Anschluss an den Transport während einer Diskussion mit den drei geäußert haben will. Moldenhauer: „Dass er stinksauer war, dass er die Waffe transportieren musste und da hat er wohl gesagt, was bildet ihr euch ein, mit fünf Leuten die Welt zu retten. Aber er wollte das nicht verstanden haben, dass er Teil der fünf war, sondern da war immer eine Spaltung, die drei und andererseits Gerlach und Wohlleben.“ G. habe ausgesagt, dass er Gewalt immer abgelehnt habe, Gewaltdiskussionen in der Szene seien für ihn immer bloß Diskussionen gewesen, er habe sich bei den dreien auch nicht vorstellen können, dass sie Menschen ermorden könnten. Die Freundschaft zu Wohlleben sei wegen des Waffentransports zerbrochen.

Dann fragen die Nebenklagevertreter_innen. Unter andere fragt RA Tikbas fragt nach den Gewaltdiskussionen. Moldenhauer antwortet, es sei um abstrakte Gewalt-/ Militanzdiskussionen gegangen, nicht darum, einer konkreten Person Gewalt anzutun. Es sei um Aktionen des Ende der Neunziger gegangen, dass da mehr gemacht werden müsse, „nicht nur Spuckis kleben und so weiter“. Zur Rolle von Zschäpe sagt Moldenhauer auf Frage von RA Martinek, dass G. ausgesagt habe, dass Zschäpe die Finanzen in der Gruppe im Griff gehabt habe, dass wenn etwas gezahlt worden sei, das Zschäpe das gemacht habe. Zu Hierarchien könne er nichts sagen. Götzl hält dazu an, Fragen zu den richterlichen Vernehmungen zu stellen, für die der Zeuge geladen sei. RA Stolle hält Moldenhauer nochmal vor, dass G. angegeben habe, dass er seit sieben Jahren keinen Kontakt zur Szene mehr habe, ob damit allgemein die Szene gemeint gewesen sei oder die Jenaer, will er wissen. Moldenhauer sagt, dass die rechte Szene allgemein gemeint gewesen sei, dass G. sich mit dem Umzug aus der rechten Szene Jenas als auch überhaupt gelöst habe. Ob angesichts der behaupteten legalen Existenz thematisiert worden sei, warum man da eine falsche Identität benötige. Moldenhauer sagt, er meine nicht, dass das erörtert worden sei.
Zschäpes Verteidiger_innen Heer und Sturm fragen vor allem nach der Vernehmungssituation. Es geht unter anderem darum, wie das Protokoll erstellt wurde. Moldenhauer sagt, das Protokoll sei durch Diktat des_r jeweiligen Ermittlungsrichters_in während der Vernehmung erstellt worden. Bei der ersten Vernehmung habe G., so Moldenhauer, mit seiner Lebensgefährtin telefonieren dürfen. Bei dem Telefonat sei ein Polizeibeamter dabei gewesen. Bei der ersten Vernehmung sei auch Bundesanwalt Diemer anwesend gewesen. Die Vernehmung habe die_der Vorsitzende geleitet, aber auch Diemer und er selbst hätten Fragen gestellt. Es sei eine ruhige, sachliche Vernehmungsatmosphäre gewesen. Sturm spricht Moldenhauer noch einmal auf die Aussage G.s an, er sei seit sieben Jahren aus der Szene raus. G. sei ja weit vor 2000 nach Hannover gezogen, das käme also nicht hin, ob das Thema gewesen sei, will Sturm wissen. Moldenhauer sagt, er wisse nicht, ob das Gegenstand der richterlichen Vernehmung war, aber G. haben diesen Umzug als „Cut“ gesehen, sei aber noch auf Konzerten gewesen, was aber in der Vernehmung nicht weiter hinterfragt worden sei.
RA Hösl, Verteidiger von Carsten S., möchte Moldenhauer zu dessen Vernehmung mit Waffenvorlage beim Ermittlungsrichter in Karlsruhe befragen, bei der der Zeuge auch anwesend war. Götzl lässt das zunächst zu. Es geht um die Kopien von Vergleichswaffen, die S. vorgelegt wurden (siehe Protokoll 19. Verhandlungstag) und wie diese in den Saal gebracht wurden. Moldenhauer gibt zu den meisten Fragen an, keine konkreten Angaben mehr machen zu können. Schließlich interveniert Bundesanwalt Diemer, er habe Bedenken, der Zeuge habe eine ganze Menge gemacht in dem Ermittlungsverfahren, sei hierzu aber nicht vorbereitet. Hösl antwortet, die Vertreter der BAW seien aufgrund der Aussagen von S. erregt gewesen und das müsse doch ein eindrucksvolles Erlebnis gewesen sein aus der Sicht eines Staatsanwalts. Er habe außerdem OStA Weingarten von der BAW mitgeteilt, dass er Herrn Moldenhauer hier dazu befragen wolle.
Nach der Vernehmung teilt Götzl auf Nachfrage von RA Klemke, Verteidiger von Wohlleben, mit, dass Moldenhauer noch einmal zur Vernehmung von S. geladen werde.

Nach der Mittagspause bis 13.10 Uhr folgt der Zeuge K., Handwerker in der Zwickauer Frühlingsstraße, dessen Vernehmung am 16. Verhandlungstag wegen einer langwierigen Debatte zwischen Verteidiger_innen und Gericht um das Ende des Verhandlungstages unterbrochen worden war. K. hat kaum Ergänzendes zu berichten. Er habe im Eckzimmer oben an der Dampfsperre gearbeitet, aber auch noch andere Dinge nebenbei erledigt. Die neuen Kellertüren habe er wahrgenommen, der Keller habe wohl zur bewohnten Wohnung im Haus gehört. Ein Schild mit der Aufschrift „Keller Dienelt” habe er nicht gesehen, das sage ihm nur etwas von der Klingelanlage: „Da stand, glaube ich, Dienelt dran. Aber ganz sicher bin ich mir nicht.“ An der Baustelle hätten mehrere Gewerke gearbeitet, der Elektriker habe, wenn er das richtig erinnere, montags und dienstags in der Woche des Brandes dort gearbeitet, sie selbst hätten erst am Mittwoch begonnen. An eine Lichtbildvorlage bei der Kripo Zwickau am auf den Brand folgenden Montag könne er sich erinnern, er habe dort Mundlos und Böhnhardt erkannt, bei Zschäpe sei er nicht sicher gewesen, weil das Bild eine seitliche Aufnahme gewesen sei. Die Bewohner des Hauses hätten freundlich gegrüßt. Mit Böhnhardt sei er zusammen getroffen, als dieser gefragt habe wegen eines Termins in seiner Wohnung. Außerdem habe Böhnhardt einmal darum gebeten, einen Bürosessel zum Sperrmüll hinzu stellen zu dürfen. Auf den Vorhalt, dass er ausgesagt habe, dass Anfang Oktober Böhnhardt gefragt habe, wie lange die Baustelle dauern würde, sagt K., dass es dann so gewesen sei. Bei der Explosion sei er auf der dem Haus gegenüberliegenden Seite gewesen, zehn Meter von einer Straßeneinfahrt Richtung Bäckerei entfernt. Der Zeige P. sei mit dem Klempner einige Meter hinter ihm gewesen. Auf Frage des Nebenklagevertreters Reineke, wo seine Arbeitsstelle in Bezug zum Brand gewesen sei, sagt K., dass sie direkt drüber gelegen habe.

Weil der nächste Zeuge noch nicht anwesend ist, hat RA Hedrich, Verteidiger von André E. Zeit, einen Antrag zu stellen. Er beantragt mit Bezug auf § 231 c StPO, dem Angeklagten E. und seinen Verteidigern zu gestatten, der Hauptverhandlung fernzubleiben, so lange wie Beweisthemen behandelt werden, die den Angeklagten nicht direkt betreffen würden. Die Beweisaufnahme sehe zunächst die vollendeten Morde vor, die der Angeklagten Zschäpe zur Last gelegt werden. Dem tritt  die BAW entgegen, die Taten seien rechtlich und tatsächlich verwoben, es gehe auch darum, ob der Verdacht sich bestätige, dass es sich beim NSU um eine terroristische Organisation handelt. Das sei auch ein den Angeklagten E. betreffender Sachverhalt.

Es folgt der Zeuge W., pensionierter Polizeibeamter, der gemeinsam mit einem mittlerweile verstorbenen Kollegen als erste Streife am Tatort eintraf, an dem der zwei Tage später an den Folgen des Attentats verstorbene Enver Şimşek angeschossen wurde. W. berichtet, er sei morgens zwischen 8 Uhr und 8.30 Uhr auf dem Weg zur Dienststelle schon an dem Blumenstand vorbei gefahren. Im Laufe des Nachmittags, gegen 14.30 Uhr, sei er noch einmal vorbei gekommen und habe ein „Pärchen mit dunkler Hautfarbe“ gesehen, Şimşek sei nicht anwesend gewesen. In der Dienststelle habe er erfahren, dass sich ein junger Mann gemeldet habe, der seit längerer Zeit auf den Verkäufer warte. Sie seien dann hingefahren, der junge Mann sei noch da gewesen. Der Kollege habe die Tür des Wagens geöffnet, und da habe Şimşek gelegen, im Gesicht blutverschmiert. Şimşek habe noch gelebt, er habe noch gehechelt. Sie hätten dann die Einsatzzentrale, Notarzt und den Kriminaldauerdienst informiert. Was dann weiter abgelaufen ist, wisse er nicht, denn er habe den Funk für Rückfragen besetzt. Das habe alles nach 15 Uhr stattgefunden. Sie seien dann eingerückt und der Kollege habe den Bericht geschrieben. Er könne nichts dazu sagen, ob die Lage des Verletzten verändert wurde. Als er zum Fahrzeug gegangen sei, sei der Verletzte noch drin gewesen. Der Kollege und der Mitteiler seinen nicht im Fahrzeug gewesen. Auf die Frage eines Nebenklagevertreters, ob die Ladefläche war von außen einsehbar war, antwortet K. mit Nein.

Es folgt eine Pause zur Klärung, ob der nächste Zeuge anwesend ist. Um 14.12 Uhr geht es weiter.
Jetzt hat RA Hachmeister, Verteidiger von G. die Gelegenheit, eine Erklärung nach § 257 StPO zur Aussage des Zeugen L. vom 19. Verhandlungstag abzugeben. Die Bekundungen des Zeugen entsprächen im Wesentlichen den schriftlichen Aussagen seines Mandanten. Der Zeuge habe die Einlassungen G.s sinngemäß oder wortgetreu wiedergegeben, habe sich auch an Details erinnern können und so sei festzuhalten: G. habe bereits in der ersten Vernehmung umfangreiche Erklärungen gemacht, im Wesentlichen freiwillig. Er habe in einer Frühzeit eine Reihe Ermittlungsansätze geliefert. Desweiteren habe er sich zu Betäubungsmitteln bekannt, die man finden würde und sich sich somit selbst belastet. Der Zeuge L. habe gesagt, dass er den Eindruck gehabt habe, dass es dem Angeklagten G. nicht gefallen habe, dass seine Dokumente für Straftaten verwendet wurden. Die Aussage stütze die stetige Erklärung seines Mandanten, der zu keinen Zeiten damit gerechnet habe, dass seine Dokumente zu Straftaten missbraucht würden.
RA Heer sagt, die Verteidigung Zschäpe gebe derzeit keine Erklärung ab, behielte sich dies aber vor für den Zeitpunkt, wenn alle Aussagen von G. vorliegen. Auch zu den Aussagen zum Brand in der Frühlingsstraße gebe es derzeit keine Erklärungen.

Es folgt nach einer weiteren Pause der Zeuge S., Kriminalhauptkommissar und Tatortbeamter beim Fall Şimşek. Er berichtet zunächst, er sei gegen 16.30 Uhr am Tatort angekommen, wo der Erkennungsdienst schon anwesend gewesen sei. S. geht dann auf Geheiß von Götzl nach vorne und geht eine Lichtbildmappe durch. Die Bilder werden für die Verfahrensbeteiligten an die Wand projiziert. Begonnen wird mit drei Skizzen zur Lage des Tatorts an der Liegnitzer Straße, einer Durchgangsstraße ohne Bebauung im Südosten Nürnbergs nahe der Autobahn. Der Tatort ist eine Freifläche, eine ehemalige Zufahrt zur Schreiberhauer Straße, die jedoch durch aufgeschüttete Erdhaufen und einen Poller für Autos unbrauchbar gemacht wurde. Er liegt zwischen der Liegnitzer Straße und einem Radweg, umgeben von Bäumen. In der Nähe befinden sich Sportanlagen.
Die Bilder zeigen zunächst den Blumenstand und den Mercedes Sprinter aus verschiedenen Perspektiven. Dann geht es näher an das Fahrzeug heran. Die Bilder zeigen zwei Zigarettenkippen, diverse Fuß- und Reifenspuren sowie angeschnittene Blumenteile, die sich der Zeuge so erklärt, dass Şimşek hier auch Blumensträuße gebunden hat. Die Türen des Fahrzeugs seien zum Zeitpunkt des Auffindens von Şimşek verschlossen, aber nicht zugesperrt gewesen, so S. Dann geht es ins Führerhaus. Dort seien persönliche Gegenstände, ein wenig Münzgeld, Zigaretten, Lebensmittel, Kosmetikartikel, Zigaretten, in einer Herrenhandtasche fast 7.000 DM [korr. 11.07.2013] und persönliche Papiere sowie eine Sondernutzungserlaubnis für diesen Standort gefunden worden. Das Führerhaus habe fast unberührt gewirkt, so S. Es folgen Übersichtsskizzen zum Laderaum und der Spurenlage dort. Er habe eine ausgedehnte Blutlache vorgefunden, in der eine Schachtel HB-Zigaretten und ein Zahn gelegen hätten. Außerdem sind die Fundorte eines Handys von Enver Şimşek und verschiedener Patronenhülsen verzeichnet. Die Patronenhülsen stammten von Waffen des Kaliber 7.65 und 6.35. Mehrfach stellt S. fest, dass „relativ massive“ Blutanhaftungen gefunden worden seien. Blutspritzer seien an diversen Stellen im Innenraum gefunden worden. Im äußeren Bereich seien jedoch keinerlei Blutspritzer gefunden worden. Der hintere Teil des Laderaums ist, das zeigen die Bilder, mit einer Spanplatte unterteilt. S. sagt, dass der Einlegeboden nur knapp oberhalb der Fensterlinie ist: „Wenn da jemand steht, das könnte man sehen.“ Einige Bilder zeigen den Wagen im ausgeräumten Zustand, in dem eine weitere Hülse und Blutspitzer gefunden wurden. Es folgen Bilder der Kleidung von Enver Şimşek. Seine Wolljacke, die von den Rettungskräften zerschnitten wurde, ist blutdurchtränkt. Die Kleidung zeigt mehrere Löcher, „Schussdefekte“, wie S. sie nennt.

Dann folgen Bilder einer Rekonstruktion der möglichen Schusskanäle mithilfe einer Puppe und Stäben, die die Richtung aus der der Schuss eingetreten ist, demonstrieren. Einige Bilder zeigen die Puppe in stehender Position, einige Schüsse gingen dann von vorne rein, andere von unten. Die nächsten Bilder zeigen die Puppe in liegender Position, die Schusskanäle gingen dann sehr flach ein, sie könnten, so S., nur entstehen, wenn das Opfer liegt, man dürfe aber auch die „gehörige Dynamik“, die entstehe, nicht unterschätzen. Auf eine Frage des Nebenklagevertreters Kolloge sagt S., es falle auf, dass keine Hülsen außerhalb des Fahrzeugs gefunden worden seien, lediglich eine sei im Krankenhaus in der Kleidung des Opfers gefunden worden. Außerhalb sei draußen auch kein Blut gefunden worden. Es habe sich wohl alles ausschließlich im Fahrzeug abgespielt. Die Waffen hätten sich bei Abgabe der Schüsse relativ nah zum Inneren des Fahrzeugs befinden müssen.

Der Zeuge geht und zum Abschluss teilt Götzl mit, dass Carsten S. als Zeuge im von der BAW eingeleiteten Ermittlungsverfahren zum „Taschenlampen“-Anschlag ausgesagt habe. Diese Aussagen würden auch in diesem Hauptverfahren beigezogen.

Um 16.06 Uhr endet der Verhandlungstag.

Nebenklage-Vertreter Rechtsanwalt Peer Stolle erklärt zum Angeklagten Holger G.:

“Leider wurden in den richterlichen Vernehmungen viele Fragen nicht gestellt. Nun will Holger G. in der Verhandlung keine Fragen beantworten, weshalb alle Verfahrensbeteiligten auf die vorangegangen Erkenntnisse angewiesen sind. Das macht es nicht immer einfach, die Angaben nachzuvollziehen. So wurde scheinbar nicht weiter thematisiert, wozu die Drei erst eine scharfe Waffe und dann noch die falsche Identität von Holger G. haben wollten, wenn sie sich angeblich – wie Holger G. berichtet haben soll – eine legale Existenz aufgebaut haben sollen und einen Computerladen betrieben hätten. Auch wurden in den Vernehmungen offensichtlich keine weitergehenden Fragen zu seinem vermeintlichen Ausstieg aus der rechten Szene gestellt. Insgesamt erscheint die Vernehmung nicht sehr tiefgehend.“

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