Protokoll 23. Verhandlungstag – 16. Juli 2013

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Der Angeklagte Holger G., der vor Gericht nur eine Erklärung verlas, ist weiterhin nicht bereit, Fragen zu beantworten. Deswegen wurden seine gegenüber den Ermittler_innen getätigten Aussagen über die Befragungen der Vernehmungsbeamten – an diesem Tag dem BKA-Beamten Sch. – eingeführt. Deutlich wird, wie widerwillig G. nur auspackte und schließlich doch sich selbst, und schwer belastete und weitere Einblicke in das Umfeld des NSU gab.

Zeuge: Horst Thomas Sch. (KOK, BKA, Vernehmungen von Holger G.)

Um 9.40 Uhr beginnt der Verhandlungstag. RAin Dierbach kündigt an, dass die Nebenklage Yozgat im Laufe des Tages eine Erklärung abgeben möchte, Vorsitzender Richter Götzl beginnt jedoch mit dem Zeugen Sch., Kriminaloberkommissar beim BKA, der Ende 2011 und Anfang 2012 insgesamt fünf Vernehmungen mit dem Angeklagten Holger G. durchgeführt hat. Die Vernehmung des Zeugen Sch. führt Götzl entlang der verschiedenen Vernehmungstermine. Götzl macht dem Zeugen viele Vorhalte aus Vernehmungsprotokollen, die der Zeuge meist bestätigt. Die Themen wiederholen sich bei den einzelnen Vernehmungen häufig. Es kommt vor, dass Sch. auch aus Vernehmungen berichtet, zu denen Götzl gerade nicht fragt.

Zunächst geht es um eine Vernehmung, die Sch. am 25. November 2011 in der JVA Köln-Ossendorf mit G. durchgeführt hat. G. habe umfangreiche Aussagen machen wollen, es sei aber schwieriger geworden als gedacht, so Sch. G. habe mit sich gekämpft. Er habe Angaben gemacht, die er später habe korrigieren müssen. Es seien auch Tränen geflossen. G. habe angegeben, auf Initiative von Ralf Wohlleben schon 1998 oder 1999 3.000 DM für die Untergetauchten gegeben zu haben. Dann habe er sein Äußeres verändert, sich die Haare geschnitten und einen Schnurrbart wachsen lassen für einen Reisepass. G. habe ausgesagt, in Kontakt mit den dreien gestanden zu haben, eine AOK-Karte und eine ADAC-Karte und 2005 einen Führerschein übergeben zu haben. 2011 habe er extra einen [zweiten, Anmerkung der Redaktion] Reisepass erstellen lassen. Dann habe er auch den Transport einer Waffe zugegeben, die er von Wohlleben bekommen haben will. Bei den dreien in der Wohnung sei die Waffe übergeben und durchgeladen worden: Sch: „Und in dem Sinne sagte er wohl, dass er so einen Scheiß nicht nochmal machen wolle und man sich nicht anmaßen könne mit fünf Leuten die Welt zu retten.“
G. habe einen Punkt korrigieren müsse. Er habe zunächst angegeben, dass er mit Thorsten Heise keinen Kontakt aufgenommen habe wegen einer möglichen Flucht der drei ins Ausland, weil Heise für ihn eine Nummer zu groß gewesen sei. Er habe dann aber doch eingeräumt, Kontakt mit Heise aufgenommen zu haben.
G. habe, so Sch., angegeben, die 3.000 DM nicht wieder erhalten zu haben, Später habe er eingeräumt, dass er das Geld doch wieder erhalten und zusätzlich 10.000 DM von den drei zur Verwahrung erhalten habe, er habe keine Gegenleistung erbringen müssen. G. habe, hält Götzl Sch. vor, ausgesagt, 2000 oder 2001 von Wohlleben angesprochen worden zu sein, ob er bereit sei, weiter zu helfen. Sch. bestätigt, es sei da um den Reisepass gegangen. Damals sei Wohlleben noch der Kontaktmann gewesen, dann habe er , G., eine Handynummer von Wohlleben bekommen, um Kontakt zu den dreien halten zu können. Der Kontakt zu Wohlleben sei freundschaftlich gewesen, die Freundschaft sei aber nach dem Waffentransport zerbrochen, G. habe Wohlleben gefragt, warum er ihm den „Schwarzen Peter“ des Transports zugeschoben habe.

Der [erste, Anmerkung der Redaktion] Reisepass sei 2001 in Hannover ausgestellt und am Bahnhof Zwickau übergeben worden. Der Aufenthalt dort sei kurz gewesen, um kein langes ungeklärtes Zeitfenster offen zu lassen. Die Auslagen seien G. erstattet worden. G. habe gesagt, dass wenn er Geld bekommen habe, dies immer von Zschäpe gekommen sei. G. habe ausgesagt, er habe keinen Personalausweis an die drei übergeben, lediglich einmal einen verloren. Dies habe er auch in den anderen Vernehmungen wiederholt.
Sch. sagt, G. habe angegeben, erst wieder 2005 Kontakt zu , Mundlos und Zschäpe gehabt zu haben, er habe sich auch aus der Szene zurückgezogen. Er sei bei einem überraschenden Besuch der drei 2005 hocherfreut gewesen, sie wiederzusehen. Sie hätten kein Problem damit gehabt, dass er mit der Szene nichts mehr zu tun habe und er habe den Eindruck gehabt, auch die drei seien nicht mehr aktiv. Vorher habe er regelmäßig telefonischen Kontakt gehabt. Sch. bestätigt kurz darauf den Vorhalt Götzls, G. habe mit „den Leuten um Ralf, Basti und das ganze Umfeld“ nichts zu tun haben wollen. G. habe ausgesagt, dass Wohlleben und André K. den Kontakt zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehalten und Konzerte organisiert hätten, um sie zu unterstützen. Seinen 30. Geburtstag habe G. im „Braunen Haus“ [in Jena]gefeiert. Da habe er zum letzten Mal Wohlleben auf die drei angesprochen. Dieser Geburtstag sei für G. in seinen Aussagen ein zeitlicher Ankerpunkt gewesen, so Sch. Das sei, so hält Götzl Sch. vor, laut G. auch der Zeitpunkt seines Ausstiegs gewesen, u. a. weil G. mit seiner Freundin betrogen habe. Im Zeitraum zwischen der Übergabe des Passes und dem 30. Geburtstag habe Wohlleben über die drei gesagt: ‚Ich habe die Schnauze voll‘. G. habe gesagt, Wohlleben habe eine Karriere bei der NPD angestrebt und die Unterstützung der Untergetauchten habe ihm dabei im Wege gestanden.

Weitere Unterstützer_innen habe G. nicht genannt, so Sch.. Er habe auch die Frage verneint, ob er Personen kenne, die Waffen verkaufen. G. habe auf Nachfrage ausgesagt, dass gegen ihn seitens der Staatsanwaltschaft Gera 1996 oder 1997 wegen Briefbomben ermittelt worden sei, auch Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und André K. seien Beschuldigte gewesen, er wisse aber nur, dass das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde. Dass die drei etwas mit dem Puppentorso [Anmerk. Redaktion:  Uwe Böhnhardt hängte am 13.04.1996 an einer Autobahnbrücke bei Jena einen mit Davidsternen versehenen Puppentorso auf, der mit mit zwei Bombenattrappen verbunden war. 1997 wurde er wegen Volksverhetzung und „Störung des öffentlichen Friedens“ zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, die Strafe nie vollstreckt.], Rohrbomben und der Bombe in einem Koffer am Jenaer Theater zu tun hatte, habe G. erst später bei einem Besuch von André K. in Hannover erfahren.
Beim Thema Ausstieg sei G. wichtig gewesen, klar zu machen, dass er nicht mehr der rechten Szene angehöre, aber auch, dass er kein Verräter sei, so Sch.  G. habe zwar ausgesagt, dass er seinen Führerschein 2006 übergeben habe, so Sch., G. habe aber Probleme mit Jahreszahlen gehabt. 2005 sei mit G.s Führerschein schon eine Anmietung erfolgt. In Bezug auf die 3.000 DM sei G. in dieser Vernehmung standhaft dabei geblieben, dass er das Geld nicht zurück bekommen und abgeschrieben habe, erst bei der nächsten Vernehmung habe G. das korrigiert. Der Stand damals sei auch gewesen, dass zwischen 2006 und 2010 keine weiteren Unterlagen übergeben worden seien.

Der neue Reisepass sei 2011 erstellt worden, weil der alte Pass abgelaufen sei und Böhnhardt einen neuen benötige. Die drei hätten ihn Ende April, Anfang Mai zu Hause aufgesucht, wie immer an einem Donnerstagnachmittag, weil seine Lebensgefährtin da arbeite. Es sei G. laut seiner Aussage nicht leicht gefallen, aber die drei hätten ihn überredet. Man habe G. direkt die Haare geschnitten und dann seien alle zusammen nach Rodenberg. G. sei mit Zschäpe zum Fotografen gegangen und anschließend zum Passamt, die Uwes hätten draußen gewartet. Sie hätten auch einen vorläufigen Reisepass erstellen lassen. Es habe sich allerdings später herausgestellt, dass es sich nur um eine Meldebescheinigung gehandelt habe, sagt Sch. Sechs bis acht Wochen später hätten die beiden Uwes den Reisepass abgeholt, ebenfalls an einem Donnerstag. Die Fotos seien immer mit Brille gemacht worden, die Kosten habe alle Zschäpe bezahlt, so Sch. über G.s Aussage. Dazu, dass er den drei auch die restlichen Passfotos überlassen habe, habe G. keine Erklärung abgeben können, so Sch.
G. habe zugegeben, insgesamt zwei AOK-Karten übergeben zu haben und eine ADAC-Karte. Dann geht es um weitere Unterstützer, G. habe ausgesagt, er wisse nur von André K. und Wohlleben, habe aber erzählt, dass Zschäpe ihm wohl erzählt habe, dass sie eine Freundin habe. André K. habe Geld für die Untergetauchten gesammelt, es habe dabei aber Unstimmigkeiten gegeben. G. habe gesagt, dass er Angst um seine Frau habe, wenn er weiter aussagen würde, so Sch. Sie hätten G. aber beruhigen können.
Zum Transport der Waffe habe G. ausgesagt, dass Wohlleben ihm einen Beutel in seine Reisetasche gesteckt habe, auf der Fahrt habe er gefühlt, dass es eine Waffe sei. Das habe er nicht gewusst, es sei nicht abgesprochen gewesen. G. hält Sch. vor, G. habe ausgesagt, er habe garnicht wissen wollen, was in dem Beutel drin ist. Sch. sagt: „Das war für uns der Hinweis, dass er wusste, was drin ist.“ Sch. gibt an, zu diesem Themenkomplex hätten sie G. mehrmals vernommen. Erst nach einer Beratung mit seinem Rechtsanwalt habe G. zugegeben, dass es sich um einen Waffentransport gehandelt habe. Die Waffe habe G. mit den Worten beschrieben: „gerader Lauf und gerade runter.“ Es sei wohl darum gegangen, dass die Waffe keine Trommel wie ein Revolver gehabt habe. Zschäpe habe ihn abgeholt, dann seien sie in die Polenzstraße gegangen, Mundlos oder Böhnhardt hätten die Waffe aus dem Beutel geholt und durchgeladen. Auch das Durchladen habe für eine normale Pistole gesprochen, so Sch. G. habe gesagt, dass er in diesem Zusammenhang den dreien klar gemacht habe, dass er mit Waffen nichts zu tun haben möchte.
G. sei zuerst dabei geblieben, dass er nur einmal in der Polenzstraße gewesen sei, habe dann aber ein zweites Mal zugegeben. Im Rahmen einer Ausantwortung [Reise von der JVA nach Zwickau zur Rekonstruktion des Weges vom Bahnhof zur Wohnung] sei G. zielstrebig zur Polenzstraße 2 gelaufen. G. habe in der ersten Vernehmung gesagt, Wohlleben habe nicht gesagt, woher er die Waffe hat, das sei in einer späteren Vernehmung aber korrigiert worden. Die Aussage, dass man mit fünf Leuten nicht die Welt retten könne, habe G. relativiert, er habe das nur so dahin gesagt. G. habe ausgesagt, so Sch., dass Wohlleben gesagt habe, es sei besser, wenn er nicht wisse wofür die Waffe gebraucht wird. Sch. sagt, sie hätten in den Vernehmungen mehrmals darüber gesprochen, dass das doch ein Zeichen sei, dass es doch nicht so harmlos sei, was er gemacht habe. Dazu habe G. aber nichts gesagt. G. habe zuerst ausgesagt, das sei das letzte Gespräch mit Wohlleben über die drei gewesen. In späteren Vernehmungen habe G. das korrigiert, er habe Wohlleben nochmal im Auftrag der drei angesprochen und da habe Wohlleben gesagt, „lass mich mit dem Scheiß in Ruhe“. G habe außerdem ausgesagt, die drei hätten Druck auf ihn ausgeübt, er stecke schon mit drin, fürs Kneifen sei es jetzt zu spät.

Nach einer Pause will Götzl um 11.15 Uhr mit der zweiten Vernehmung vom 1. Dezember 2011 weiter machen. Doch zunächst regt RA Heer, Verteidiger von Zschäpe, an, dass die anderen Verfahrensbeteiligten nach jedem Themenkomplex Fragen stellen dürfen. Götzl sagt, es gehe um die Aussagegenese, Heer solle seine Fragen zurückstellen.

Der Zeuge schildert die Vernehmungssituation des zweiten Verhörs: Es sei wieder in Ossendorf gewesen, zwischen den Beamten und G. sei eine Trennscheibe gewesen, es sei kein Anwalt dabei gewesen und er, Sch., habe G. mitteilen müssen, dass die Anklage um Beihilfe zum Mord erweitert würde. G. habe mit seinem Anwalt telefoniert und habe dann weiter ausgesagt.

Unter anderem sei es um eine Einzahlung auf G.s Konto in Höhe von 2700 Euro gegangen. G. habe ausgesagt, dass Geld sei von seiner Mutter gekommen für den Kauf eines Fahrzeugs. G. habe zugegeben, dass er sich bei Thorsten Heise nach einer Fluchtmöglichkeit für die drei ins Ausland informiert habe. Der Kontakt sei durch Tino Brandt angebahnt worden. Heise habe eine südafrikanische Telefonnummer gehabt, da hätten die drei unterkommen können, das sei aber nichts für sie gewesen. Außerdem habe G. angegeben, dass er die 3.000 DM doch zurückbekommen habe. Der Besuch bei Wohlleben sei, so habe G. ausgesagt, zunächst nur ein Freundschaftsbesuch gewesen. Wohlleben sei kurz vor Gs. Abreise in sein Schlafzimmer verschwunden und habe etwas in G.s Tasche gesteckt.
Bei der Übergabe dann seien Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe anwesend gewesen. Die Waffen habe entweder Mundlos oder Böhnhardt in der Hand gehabt, nicht aber Zschäpe. G. habe gesagt, er sei für den Transport ausgesucht worden, weil Wohlleben angenommen habe, dass er selbst überwacht werde. G. habe gesagt, er gehe davon aus, dass Wohlleben Zschäpe über seine Ankunft informiert habe, er selbst habe das jedenfalls nicht getan. Die Waffenübergabe habe G. auf, so Sch., „roundabout 2001“ terminiert. Wohlleben habe G. schon vor der Zeit in der rechten Szene kennen gelernt, etwa 1989, die Freundschaft habe bis 2001 bestanden. Götzl hält Sch. vor, G. habe ausgesagt, dass Wohlleben im Mai 2003 oder 2004 gesagt habe, er habe „keinen Bock mehr“, die drei zu unterstützen. Sch. sagt, G. habe vermutet, Wohlleben haben wegen der NPD die Unterstützungshandlungen eingestellt. G. habe ausgesagt, dass Wohlleben ab 2003 gewusst habe, dass die drei keine finanziellen Engpässe mehr hätten. G. habe ausgesagt, dass Wohlleben erzählt habe, André K. habe in Chemnitz Geld übergeben. K. habe G. aus der Schule gekannt und bis 2004 Kontakt zu ihm gehabt. K. sei nach dem Untertauchen der drei einen Tag zu Besuch in Hannover gewesen und habe G. über die Flucht informiert, weil darüber nicht am Telefon geredet werden solle. Sch. sagt, er habe gewusst, dass Geschenke an Bekannte der drei gegangen sind und dass es unlogisch sei, wenn G. kein Geld bekommen habe. Daraufhin habe G. zugegeben, von Zschäpe 3.000 DM bekommen zu haben. Götzl fragt, ob eine Vertraulichkeitszusage Thema gewesen sei. Sch. bejaht das, G. habe danach gefragt, als es um Heise gegangen sei, weil er da Angst vor Repressalien gehabt habe. Er habe G. beruhigen können. G. habe dann ausgesagt, er sei auf Empfehlung Tino Brandts zu Heise geschickt worden. Das erste Treffen sei auf Heises Hochzeit, wahrscheinlich 1999, gewesen. Aus dem Auslandsaufenthalt sei dann nichts geworden.

Dann geht es um Bewaffnungsdebatten. G. habe gesagt, es habe in der Gruppe zwei Fraktionen gegeben, er und Wohlleben seien gegen Bewaffnung gewesen, Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos dafür. Sch. sagt, er habe Hinweise gehabt, dass die Gruppe mit Messern und Knüppeln in eine Verkehrskontrolle geraten seien. Mit Bewaffnung habe G. aber nur Schusswaffen gemeint. G. habe gesagt, der Name „“ habe sich nur gebildet, um dem „Kind einen Namen zu geben“, es habe sich in der Gruppe ein harter Kern herausgebildet. Später sei dann auch der entstanden, andere seien die Bestimmer gewesen, er, G., habe nur mit gemacht. Götzl möchte wissen, ob von Diskussionen über Bombenanschläge die Rede gewesen sei. Sch. sagt, es habe laut G. so eine Art Vortasten vor den Aktionen gegeben, die Frage, wie die anderen dazu stehen, es sei nicht gezielt nachgefragt worden. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe seien die gewesen, die mehr machen wollten, G. und Wohlleben hätten gebremst.
Götzl will wissen, ob sich G. die Vernehmungen durchgelesen habe. Sch. sagt, G. habe sehr ordentlich gelesen, immer Anmerkungen gemacht, weit über dem Schnitt des normalen Klientels. G. habe etwa den Begriff Repressalien eingefügt. Sch.: „Ich bin ja nun Rechts-Ermittler, die normalen wissen nicht mal, was Repressalien sind.“
Götzl möchte dann zur Vernehmung vom 12. Januar 2012 übergehen. RAin Sturm, Verteidigerin von Zschäpe, sagt, wenn es darum gehe, die Aussagegenese herauszuarbeiten, würde das betont werden, wenn die übrigen Verfahrensbeteiligte ihre Fragen stellen könnten. Sie beantragt dies. RA Heer sagt, es gebe eine Vielzahl Fragen zu Bedingungen der Vernehmung, die wichtig für die Beurteilung und den Ablauf der Angaben von G. seien. Götzl reagiert ungehalten, es sei nicht Heers Sache zu bestimmen. Damit die Verteidigung geltend machen könne, inwieweit eine Behinderung vorliege, erlaubt Götzl eine Pause. Um 12.30 Uhr wird fortgesetzt. RAin Sturm erläutert ihren Antrag auf jetzige Erteilung des Fragerechts an die anderen Verfahrensbeteiligten. Es gehe gerade bei G. um die Aussagegenese, die Themenkomplexe seien die einzelnen Vernehmungen. Nach einer Erwiderung der BAW zieht sich der Senat zurück und verkündet um 12.40 Uhr, dass der Antrag abgelehnt ist. Kurz kann der Zeuge Sch. noch die Vernehmungssituation am 12. Januar erläutern: es sei der Staatsanwalt Dr. Moldenhauer anwesend gewesen, außerdem der Anwalt von G. und es sei auf die Kronzeugenregelung hingewiesen worden. Dann geht es in die Mittagspause.

Um 13.50 Uhr geht es weiter. Sch. sagt, G. habe sich bereit erklärt, umfangreich auszusagen und berichtet, er habe nicht nur die 3.000 DM bekommen, sondern auch 10.000 DM, um sie zu deponieren. Er habe das Geld nach und nach ausgegeben. Gegeben habe ihm das Geld Zschäpe, diese habe ihm gesagt, diesen Betrag habe auch Wohlleben erhalten. Und G. habe ausgeführt, dass der Sprengstoff für die Rohrbomben von gekommen sei. G. habe ausgesagt, dass Wohlleben erzählt habe, dass die Waffe von einem der beiden Besitzer des Szeneladen „“ stammen würde. Außerdem habe G. über die so genannten Systemchecks berichtet, dass man ihn während der Urlaube gefragt habe, ob man seine Personalien noch gefahrlos benutzen könne. Mundlos habe ihm einmal eine Pumpgun gezeigt und gesagt, vom Besitzer eines Spieleladens könne er andere Sachen besorgen. Außerdem habe G. ausgesagt, für 300 Euro habe er eine AOK-Karte von einer Frau R. (später Frau S.) für Zschäpe besorgt. Schließlich habe er ausgesagt, das Zschäpe die Finanzen „im Griff“ gehabt habe. Mit den 10.000 DM habe er ein Fahrzeug gekauft und Schulden bezahlt. Die Einzahlung der 2700 Euro sei der Restbetrag gewesen, er habe die DM nach und nach umgetauscht in Euro. Die Geldübergabe habe im Bahnhof Zwickau stattgefunden,
wo er auch den Reisepass übergeben habe. Von Starke und dem Sprengstoff hätten die drei im Urlaub erzählt, und dass sie Starke aufgesucht hätten, um unterzutauchen. Die Systemchecks hätten laut Aussage von G. wohl regelmäßig stattgefunden, u.a. in drei- bis viertägigen Urlauben auf Campingplätzen. Einmal Usedom, dort hätten sie einen Rundflug gebucht. Ein anders Mal nahe Flensburg – daran könne er sich wegen eines Skatturniers erinnern. Und einmal in Lübeck, da hätten sie das Holstentor besucht. Die anderen hätten alles bezahlt, er habe nur die Fahrtkosten übernehmen müssen. G. habe weiter ausgesagt, dass er sein Handy nicht mit zu den Treffen habe nehmen dürfen und die drei ‚Gerry‘, ‚Max‘ und ‚Lisa‘ habe nennen müssen. Zschäpe habe immer alles bezahlt.
Zum Thema Thomas Starke habe G. ausgesagt, dass Mundlos Briefkontakt über die HNG-Gefangenenliste [HNG = Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene, heute verbotene neonazistische Gruppe] gehalten habe. Starke habe im Knast bei Weinheim gesessen. G. selbst habe Starke fünf bis sechsmal getroffen. Starke sei Mitglied der „Chemnitz 88“ [gemeint ist: Chemnitz Concerts 88] gewesen und habe mit Jan W. Konzerte organisiert. Starke sei mit Mundlos in eine Schlägerei verwickelt gewesen und dafür in den Knast gegangen, habe Mundlos jedoch nicht verraten. Wohlleben habe vom Sprengstoff von Starke gewusst. Wohlleben habe laut G. gesagt, dass die Rohrbomben und der Theaterkoffer nur eine ultimative Drohung darstellen sollten. Anfangs habe Wohlleben den drei viel geholfen mit Geld, Ausweis und Auto. Starke sei dann die zweite Anlaufstelle gewesen. Wohlleben habe befürchten müssen, auch vor Gericht zu kommen und sei daher froh übers Abtauchen der drei gewesen. G. habe ausgesagt, dass wenn er mit den dreien telefoniert habe, jeder der drei mal gesprochen habe. Im Auftrag der drei habe er Wohlleben nochmal angesprochen und an die 10.000 DM erinnert, dieser habe unwirsch reagiert.
Dann geht es um den Spieleladen. Sch. erzählt, G. habe gesagt, dass Mundlos dort gejobbt habe und über den Erwerb von kopierten Spielen habe sich herausgestellt, dass der Inhaber auch andere Sachen besorgen könne und Mundlos über diesen weitere Waffen erwerben könne, das sei aber kein Mitglied der rechten Szene. Zeitlich einordnen kann Sch. das Gespräch nicht mehr. Götzl hält ihm vor, G. habe es auf 2002/2003 gelegt.
Dann geht es um die AOK-Karte von Frau R.. Sch. sagt, diese sei in den Asservaten gewesen und sie seien darauf gekommen, dass Frau R. mit verheiratet ist, einem Kumpel von G. G. sei wohl klar gewesen, dass R. wegen ihres Alters in Frage käme, als es um eine AOK-Karte für Zschäpe ging. G. habe R. die Karte dann für 300 Euro abgeschwatzt, Eine Adressänderung von R. müsse G den dreien weiter gegeben haben. Dann werden Bilder in Augenschein genommen, die G. vorgelegt wurden. Sch. sagt, dass G. darauf keinen erkannt habe. Auf Bezüge nach Baden-Württemberg hin befragt, habe G, geantwortet, dass Mundlos und Zschäpe in den Neunzigern mal in Ludwigsburg gewesen seien. Götzl fragt nach der Freundin Zschäpes. Sch. sagt, G. habe gesagt, Zschäpe habe von zwei Kindern geredet.
Die nächste Vernehmung sei dann schon am 17. Januar 2012 gewesen, weil sie die Besitzer des „Madley“-Ladens ermittelt hätten. G. habe Andreas S. als Waffenlieferanten identifiziert. Wohlleben habe zunächst Frank L.angesprochen, der habe auf Andreas S. verwiesen und der habe dann die Waffe besorgt. Starke, so habe G. ausgesagt, habe er über Mundlos bei einem Treffen kennengelernt, er sei sehr beeindruckt gewesen von dem 88er-Logo, das die Chemnitzer auf Bomberjacken getragen hätten. Götzl hält vor, G. habe ausgesagt, die Chemnitzer seien mehr Skinheads als politisch aktiv gewesen, Starke habe mit Jan W. Konzerte für „Blood & Honour“ organisiert und sei eine große Nummer in Chemnitz gewesen. Sch. bestätigt das. Die drei hätten laut G. erzählt, dass Starke den Sprengstoff in der Garage besorgt habe, und bei einem Campingurlaub, dass sie von Starke enttäuscht waren, weil sie sich mehr Unterstützung erhofft hatten. Sie seien bei ihrer Flucht an andere weiter gereicht worden, Mitglieder von „Blood & Honour“ Sachsen, sie seien überrascht gewesen, wer sie alles unterstützt habe, obwohl sie sie nicht persönlich gekannt hätten. Auf einem Foto, das G. vorgelegt worden sei, habe G. Starke, wenn er, Sch., das richtig erinnere, erkannt. Dann geht es um Lichtbilder zur Identifizierung von Andreas S. G. habe S. und Frank L. erkannt. Die habe er aus dem Szeneladen „Madley“ gekannt, L. habe er nie zugetraut, dass er was mit Waffen tun haben könnte. Zu dem Computerladen habe G, keine weiteren Informationen geben können, der Laden sei auch nie ermittelt worden. Mundlos sei stolz auf die Pumpgun gewesen und habe sie G. gezeigt. Es werden Lichtbilder von den Pumpguns gezeigt. Götzl hält vor, G. habe eine der zwei Waffen identifiziert, weil sie einheitlich schwarz gewesen sei. Mehr habe G. nicht sagen können. G. habe angegeben, insgesamt drei Urlaube mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gemacht zu haben, 2000, 2002 und 2004. Auf Usedom habe er nicht gewusst, mit welchem Fahrzeug die drei gereist seien. Die drei hätten Fahrräder gehabt und für ihn ein Rad gemietet. Zu Flensburg habe G. gesagt, er sei von Hannover nach Flensburg mit dem Zug und mit dem Taxi zum Campingplatz gefahren. Untergebracht seien sie in einem Mobilheim gewesen. Beim Urlaub in Lübeck sei er mit einem großen Auto abgeholt worden, sie seien auf einem Campingplatz  untergebracht gewesen. Danach hätten die drei ihre Urlaube auf Fehmarn verbracht. Es wird dann ein ein Urlaubsbild von Zschäpe gezeigt. Sch. sagt, G. habe Zschäpe auf diesem wiedererkannt.

Zu Nürnberg sei G. befragt worden, weil es ein Schwerpunkt der Tatorte war, so Sch. In dieser Vernehmung habe G. nur kurz gesagt, dass sie mit einer Gruppe nach Nürnberg gefahren seien. Den Kontakt habe Mundlos hergestellt, weil er dort jemanden aus seiner Jenaer Zeit gekannt habe. Stefan A. sei dabei gewesen. Das „Freundschaftstreffen“ sei nach zwei oder drei Stunden beendet gewesen, weil sie sich geprügelt hätten. Götzl fragt Sch. nach einer Äußerung G.s gegenüber den Eltern Bönhardts. Sch. sagt, der Hinweis sei vom Verfassungsschutz gekommen, dass sich die Angeklagten Carsten S. und G. unterhalten hätten, und dass G. wohl den Eltern Böhnhardt gesagt hätte, dass er [Böhnhardt] sich lieber erschießen lasse als sich der Polizei zu ergeben. G. habe zugegeben, einmal mit den Eltern telefoniert zu haben, aber an den Satz habe er sich nicht mehr erinnern wollen. In diesem Zusammenhang sei es auch darum gegangen, dass der Autoschlüssel bei den Eltern in den Briefkasten geworfen worden sei. Auch dazu habe G. nichts sagen können.

Dann geht es um Zschäpe. G. habe ausgesagt, dass Zschäpe nicht der Typ gewesen sei, der sich unterordnet, sie sei durchsetzungsstark gewesen, auch schon vor dem Untertauchen. G. habe berichtet, Zschäpe habe einmal im Bus „einer Punkerin eine rein gehauen, weil sie blöd geguckt hat“. Entscheidungen seien im Beisein von Zschäpe getroffen worden, sie habe die Finanzen „im Griff“ gehabt. Sie habe immer alles bezahlt, das sei so selbstverständlich gewesen, dass G. davon ausgehe, dass es auch in seiner Abwesenheit so gewesen sei. Zschäpe habe mit den beiden Männern so zusammengelebt, wie wenn sei zwei Männer gehabt hätte. In der Anfangszeit sei das anders gewesen, bei einem Streit hätte Mundlos sogar zu einem Messer gegriffen und eine Zeit allein gewohnt. Wegen der Fluchtsituation hätten sie sich wieder zusammengetan. Es wird ein Foto von Zschäpe und einer weiteren Frau [Susann E., Ehefrau des Angeklagten André E.] in schwarzen AC/DC-Shirts in Augenschein genommen. Es sei ja die Freundin Zschäpes gesucht worden, so Sch., G. habe die Frau E. aber nicht identifiziert. Bei weiteren Bildern sei es um die Identifizierung André E.s gegangen, es habe sich aber herauskristallisiert, dass G. kaum Personen aus diesem Bereich identifizieren konnte, das seien wohl strikt getrennte Bereiche gewesen. Götzl hält Sch vor, dass G. ausgesagt habe, zu Ludwigsburg könne Stefan A. weiterführende Angaben machen, G. selbst sei mit Sebastian W. aus Hannover bei einer Party des Sängers der Band „Odem“ gewesen.

Es folgt eine Pause, RAin Dierbach fordert ein, ihre Erklärung abgeben zu können. Götzl möchte jedoch zuerst wissen, um was es gehe und warum das unaufschiebbar sei. Dierbach möchte das nicht vor ihrer Erklärung erläutern. Götzl macht mit der Vernehmung Sch.s weiter. Es geht danach jedoch zunächst um das Verhalten G.s. G. habe sich kooperativ gezeigt, so Sch. Die Aussage habe die Ermittler_innen extrem weiter gebracht. Andreas S. habe zugegeben, Wohlleben über den Angeklagten Carsten S. eine Waffe geliefert zu haben. Dann geht es weiter mit der Vernehmung vom 13. März 2012. Zu den 2700 Euro habe G. angegeben, dass es sich dabei um Restgeld von den 10.000 DM gehandelt habe. Es sei auch um das „Pogromly“-Spiel gegangen. Das habe G. gekannt. Es sei maßgeblich von Mundlos in dessen Zeit an der TU Ilmenau entwickelt worden. G habe sich heute dafür geschämt, dass er das Spiel damals lustig fand. Dann sei es um den Angeklagten Carsten S. gegangen, und G. habe nur gewusst, dass S. eine Zeit lang die rechte Hand von Wohlleben gewesen sei. Zum Verbleib des alten Reisepasses habe G. gesagt, dass er ihn bei der Abholung abgegeben habe, das habe das Amt in Rodenberg aber nicht bestätigen könne, das sei ungeklärt geblieben. Einen vorgelegten Verrechnungsscheck habe
G. von einer Anwaltskanzlei bekommen, er habe nichts mit dem Verfahren hier zu tun. Eine Shellkarte auf den Namen von sei zwar nie aktiviert worden, sei aber insofern interessant, als dass hier der neue Name der Frau benutzt worden sei, von der auch eine AOK-Karte gestammt habe. „Aber dass da nicht R. steht, heißt, dass G. über den Namenswechsel berichtet haben muss.“

Zur Pumpgun habe G. angegeben, dass er, wenn er Mundlos gefragt hätte, wohl damit hätte schießen dürfen, aber direkt angeboten habe ihm das Mundlos nicht. Sch. sagt, er sei immer der Auffassung gewesen, dass G. häufiger in der Wohnung in der Polenzstraße 2 gewesen sei, G. habe gesagt, die Wohnung sei „jedes Mal“ perfekt aufgeräumt gewesen und G. habe Gegenstände auf Skizzen einzeichnen können. G. sei aber dabei geblieben, dass er nur zweimal da gewesen sei. Das Bild von Jürgen H. habe G. zuordnen können, den Namen habe er aber nicht gekannt. An eine Unterstützungshandlung H.s, etwa den Verkauf des „Pogromly“-Spiels habe sich G. nicht erinnern können. Nur André K. habe einmal für viel Geld ein solches Spiel an David Irving [bekannter britischer Holocaustleugner] verkauft, das Geld sei aber bei den dreien nie angekommen. Der Tenor der Aussage sei gewesen, dass K. sich das Geld eingesteckt habe, das stehe aber nicht im Protokoll. G. habe angegeben, nie selbst ein solches Spiel besessen zu haben. Bei einer weiteren Inaugenscheinnahme von vorgelegten Lichtbildern sagt Sch., es sei um die Identifizierung eines der Betreiber des „Madley“ gegangen, um Andreas S. Götzl hält vor, G. habe ausgesagt, dass S. die Untergetauchten vom Sehen her gekannt haben müsse, weil alle in dem Laden eingekauft hätten, er selbst habe Frank L. besser gekannt. Dieser sei zum Beispiel auf Wohllebens Geburtstag gewesen. Götzl sagt, die Vernehmung müsse hier unterbrochen und morgen fortgesetzt werden.

RAin Dierbach fordert erneut ihre angekündigte Erklärung ein. Götzl wird gegenüber Dierbach laut. Als diese ebenfalls laut wird, beschwert sich Götzl über den Ton. Götzl sagt, eine seiner Kolleginnen habe einen Unfall gehabt und Schmerzen im Fuß und er habe ihr versprochen, heute früher Schluss zu machen. Dierbach sagt, Götzl habe ja auch früher sagen können, dass es sich um ein medizinisches Problem handele. Erneut wird Götzl laut. Dierbach fügt an, dass ihre Erklärung nicht unaufschiebbar sei.

Um 16.30 Uhr endet der heutige Verhandlungstag.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt zur Vernehmung Holger G.s durch den BKA-Beamten Sch.:

„Die Angaben von Holger G. sind davon gekennzeichnet, dass er jeweils nur stückchenweise, teilweise erst nach der Konfrontation mit Widersprüchen seiner Aussagen zu entsprechenden Beweisergebnissen, verschiedene Tathandlungen zugegeben hat. Er versucht seinen eigenen Tatbeitrag herunterzuspielen; zu tun als sei er ein unwissendes Werkzeug von Wohlleben und dem Trio gewesen. Trotz aller Vorsicht, die bei der Bewertung dieser Aussagen angezeigt ist, belastet Holger G. zum einen sich und zum anderen Zschäpe sowie Wohlleben erheblich.“

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