Protokoll 26. Verhandlungstag – 23. Juli 2013

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Zum Mord an Enver Şimşek wurden ein Gerichtsmediziner und ein Waffensachverständiger gehört. Letzterer hatte für sein siebenseitiges Gutachten über zwei Jahre gebraucht, weil andere Fälle als „vordringlich“ betrachtet wurden. Zentral am Verhandlungstag waren mehreren Erklärungen zu der Verwertung der Vernehmungen Holger G.s.

Zeugen und Sachverständige:

  • Prof. Dr. Stephan Seidl (Sachverständiger, Obduktion des Leichnams von Enver Şimşek)
  • Dieter Stiefel (Waffensachverständiger, LKA Bayern, Mordfall Şimşek)
  • Horst H. (KHK, BKA, Vernehmung Holger G.)
  • Herbert Ma. (KHK, Vernehmung der Zeugin M., Mordfall Özüdoğru)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.48 Uhr. Die Gäste- und Pressetribüne ist heute ungewöhnlich voll.

Als erstes wird der Sachverständige Prof. Dr. Seidl vernommen, der zusammen mit einem Kollegen am 12. September 2000 die Obduktion des Mordopfers Enver Şimşek vorgenommen hat. Seidl schildert insgesamt acht Verletzungen. Die Verletzung mit der Ziffer 1, ein Schädelsteckschuss, sei die letztlich tödliche gewesen. Die weiteren Verletzungen hätten, so Seidl, durchaus überlebt werden können. Die Verletzung mit der Ziffer 6, ein Rumpfsteckschuss, der an der rechten Brustseite eingetreten sei, hätte, so Seidl, wegen eines Pneumothorax potenziell lebensbedrohlich werden können. Tödlich sei aber die Verletzung mit der Ziffer 1 gewesen. Bei den anderen Verletzungen sei die Lebensbedrohlichkeit eine zeitliche Frage, da der Blutverlust insgesamt erheblich sein könne. Die Verletzung mit der Ziffer 8 sei ein Hautdefekt am linken Arm mit schwärzlicher Verfärbung am Wundrand gewesen. Die Hautstelle sei an die Polizei übergeben worden, um zu klären, ob es sich um einen Nahschuss gehandelt haben könnte. Es seien bei der Obduktion fünf Projektile gefunden worden, die der Polizei übergeben worden seien. Vorsitzender Richter Götzl will wissen, ob sonstige Verletzungen gefunden worden seien. Seidl verneint das, es seien auch keine Vorerkrankungen zu erkennen gewesen, die zum Tod beigetragen hätten.

Als nächstes ist der Sachverständige Herr Stiefel vom Bayerischen Landeskriminalamt dran, der eine waffentechnische Untersuchung und eine Tatrekonstruktion im Fall Şimşek durchgeführt hat. Stiefel beginnt damit, dass bei einem Hautstück, das von ihm untersucht worden sei, keine nahschussbedingten Spuren festgestellt worden seien. Dann schildert er, dass er Untersuchungen am Fahrzeug durchgeführt habe, und dass auch ein Gutachten zu einem Durchschuss im Fahrzeug angefertigt worden sei. Er spricht von zwei Waffen, einer  Česká 83, Kaliber 7.65, und einer Waffe Kaliber 6.35. Es hätten sich dann Fragen ergeben, wie die Pistole Česká die Hülsen auswirft. Stiefel sagt, im Prinzip könne man aus der Lage der Hülsen keine Erkenntnisse treffen. Die Rekonstruktion sei dann mit einen Mercedes Sprinter durchgeführt worden. Aus dem Durchschuss des Fahrzeugdaches habe man ungefähr eine Schussrichtung rekonstruieren können, durch die man die Schützenposition annehmen könne. Die folgenden Überlegungen seien dann reine Arbeitshypothesen, weil es überwiegend Steckschüsse gegeben habe. Es seien auch andere Abläufe möglich, z. B. könnte der letzte Schuss auch der erste gewesen sein. Wenn ein Körper im Fallen sei, veränderten sich auch die Schusskanäle. Im Falle des Mordes an Şimşek gebe es relativ viele unterschiedliche Schussrichtungen. Es sei ja 2000 schon einmal eine Rekonstruktion mit Sonden durchgeführt worden. Sie hätten aber einen anderen Weg gewählt, so Stiefel. Sie hätten einen SEK-Beamten in Schutzkleidung mit den Einschüssen markiert und ihn dann mit Farbmunition beschossen. Davon sei ein ein Video erstellt worden, das ihm aber nicht vorliege. Daraus hätten sie dann einen wahrscheinlichen Ablauf unterstellt. Stiefel: „Wir gehen davon aus, dass der Schütze außen vor dem Fahrzeug stand.“ Der Sprinter habe eine Bodenhöhe von 35 cm, das müsse man zu den Einschusshöhen im Körper hinzu addieren. Deswegen habe es ansteigende Schusskanalverläufe gegeben, so etwa bei einem Brustschuss rechts und genauso bei einem horizontal verlaufenden Schuss in die linke Wange, der bedinge, dass der Kopf schon leicht geneigt gewesen sei. Diese beiden Schüsse seien wohl die ersten Schüsse gewesen. Es sei dann wahrscheinlich der Einschuss in den Kiefer links gekommen, dabei müsse der Körper muss schon stark vorgebeugt gewesen sein. Dann müsse das Opfer zusammen gebrochen sein. Schwierig seien die Streifschüsse am Arm einzuordnen, diese seien wohl der Waffe mit Kaliber 6.35 zuzuordnen. Er sagt, es sei ein Projektil in der Kleidung des Opfers gefunden worden. Beim Mundschuss sei nicht auszuschließen, dass der Schütze in das Fahrzeug gestiegen sei, es seien aber auch andere Abläufe vorstellbar. Man rede hier von einem Zeitablauf von 10 bis 15 Sekunden, es sei aus einer Distanz von 60 bis 80 cm geschossen worden. Man müsse, so Stiefel, von einem Schützen ausgehen, der mit zwei Waffen hintereinander geschossen habe oder von zwei Schützen, die hintereinander geschossen hätte. Götzl fragt zur Zahl der Schüsse. Stiefel sagt, es seien fünf Hülsen Kaliber 7.65 und zwei Hülsen Kaliber 6.35 gefunden worden, beim Transport von Verletzten könne Munition verloren gehen. Es habe sechs Schüsse Kaliber 7.65 gegeben. Wenn der Durchschuss im Gesicht sich mit dem Durchschuss im Wagendach decke, reduziere sich das auf fünf. Außerdem habe es zwei Schüsse Kaliber 6.35 gegeben. Wenn der leichte Streifschuss am Arm auch Kaliber 6.35 sei, dann seien es neun Schüsse. Dieser könne aber auch im Zusammenhang mit einem anderem Schuss entstanden sein. Es gebe also also sieben bis neun Schüsse insgesamt. Stiefel sagt, sie gingen davon aus, dass der Durchschuss im Dach ein Fehlschuss sei, der durch das Wagendach gegangen sei.

Nebenklagevertreterin RAin Basay fragt Stiefel, warum das Gutachten erst im Jahr 2002 erstellt worden sei, wo doch der Auftrag schon im September 2000 ergangen sei. Stiefel sagt, das könne er heute nicht mehr nachvollziehen, sie seien personell sehr knapp besetzt: „Diese Untersuchung ist zurückgestellt worden, weil andere Dinge vordringlich waren.“ RAin Wierig fragt, ob es möglich sei, dass ein Schütze in jeder Hand eine Waffe habe halten können. Stiefel sagt, man könne das nicht ausschließen. Ob ein Rückschluss auf die Geschicklichkeit des Schützen möglich sei, will Wierig wissen. Das sei mit ungeübten Schützen überprüft worden, so Stiefel, auch ein ungeübter Schütze könne demnach mit der durch den Schalldämpfer verlängerten Waffe auf kurze Distanzen sehr genau schießen. RA Lucas fragt, wo das Video, das von der Rekonstruktion angefertigt worden sei, zu finden sei. Stiefel sagt, die Polizei in Nürnberg müsse das wissen. Welche Untersuchungen denn vor dem Mord an Şimşek vordringlich gewesen sei, fragt Lucas. Das sei heute nicht mehr nachvollziehbar, so Stiefel, Gutachten würden oft erst später geschrieben. RA Narin fragt, ob festzustellen gewesen sei, ob der Schütze Rechts- oder Linkshänder war. Stiefel antwortet, das sei offen geblieben, man habe auch nicht festmachen können, ob es ein oder zwei Schützen waren. Richter Götzl weist darauf hin, dass Stiefel im Jahr 2006 mit dem letzten Gutachten befasst gewesen sei. RA Kolloge fragt, ob anhand der Munitionsteile auf den Schalldämpfer geschlossen worden sei. Stiefel sagt, diese Feststellung habe das BKA getroffen. RA , Verteidiger von fragt hierzu noch einmal nach. Stiefel sagt, das BKA habe die Feststellung getroffen und  dann sei diese Information an sie heran getragen worden, dass bei der Česká ein Schalldämpfer in Betracht komme. Klemke will wissen, ob sich Stiefel sicher sei, dass sich das auch auf das Verbrechen zum Nachteil Şimşek beziehe. Stiefel sagt, er wisse nicht, ob bei der Erstbegehung auch ein Schalldämpfer verwendet wurde, das sei ein Rückschluss. Dann hält ihm Klemke einen Vermerk eines Kollegen vor, wonach der Schalldämpfer die Visierung schwieriger mache. Stiefel sagt, er habe einen anderen Eindruck gehabt. RA Pausch, Verteidiger von Carsten S. fragt, ob es bei der Waffe Kaliber 6.35 auch Hinweise auf einen Schalldämpfer gegeben habe. Stiefel sagt, seines Wissens sei bei der Waffe Kaliber 6.36 offen geblieben, welches Waffensystem es gewesen sei. RA Klemke fragt noch einmal nach den ungeübten Schützen. Stiefel sagt, das sei mindestens jemand von der Rechtsmedizin gewesen. Er selber habe jedenfalls den Eindruck gehabt, dass der Schalldämpfer zur Zielgenauigkeit beitrage.

Es folgen die angekündigten Erklärungen nach § 257 StPO zur Aussage des Zeugen Sch., der als BKA-Beamter fünf Mal den Angeklagten Holger G. Vernommen hatte. [vgl. Protokolle 23, 24 und 25] Es beginnt RA Klemke. Schon bei der Aussage von Carsten S. habe die Verteidigung Wohllebens auf ein Problem mit der Europäischen Menschenrechtskonvention hingewiesen. Dies stelle sich noch schärfer bei Holger G., weil dieser gar keine Fragen beantworte. Die Aussage von Sch. habe das nicht verbessert. Es seien eine ganze Reihe naheliegender Fragen nicht gestellt worden. Die Chance, kritisch nachzufragen, sei nicht genutzt worden. Über die Gründe könne man lange spekulieren. Fakt sei, dass auf die Angaben G.s keine Feststellungen zu Lasten Wohllebens gestützt werden könnten. Jeder Angeklagte habe das Recht, die Belastungszeugen konfrontativ zu befragen. Es sei nicht zwingend, dass dies in der Hauptverhandlung erfolge, aber irgendwann im Verfahren müsse es die Gelegenheit geben. G. müsse als Angeklagter ja nicht aussagen, daher ließe sich das nicht heilen. Auch wenn der Fehler nicht der Justiz zuzurechnen sei, habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt ausgeführt, dass das dennoch einen Verfahrensverstoß darstellen könne. Dieser sei nur dann nicht gegeben, wenn die Beweise besonders sorgfältig gewürdigt und die Angaben durch andere gewichtige Beweise gestützt würden. Wenn schon bei der Beweiserhebung erhebliche Mängel vorlägen, stelle sich die Frage, wie man das bei der Beweiswürdigung kompensieren könne. In Bezug auf den Waffentransport, zu dem Wohlleben G. veranlasst haben solle, gebe es keine weiteren Beweismittel. Auf dieser Grundlage könnten keine Feststellungen gegen Wohlleben getroffen werden ohne Verstoß gegen die EMRK.

RA Pausch, Verteidiger von Carsten S., erklärt, der Beamte Sch. habe sich als „Rechts-Ermittler“ bezeichnet, dies könne man so werten, dass er fundierte Kenntnisse über die rechte Szene habe. Sch. habe die Angaben Holger G.s weitgehend bestätigen können. Festzustellen sei, dass Carsten S. nicht der einzige Rechte mit Kontakt zu den Untergetauchten gewesen sei, dass S. nicht an den Gewaltdiskussionen und an einem vertraulichen Gespräch G.s mit Wohlleben und einer dritten Person beteiligt gewesen sei, in dessen Verlauf G. gesagt haben soll “die werden sich eher erschießen als ergeben”. Schließlich sei zur Person deutlich geworden, dass das BKA trotz einiger Erkenntnisse eine konkrete Gefahr des Einsatzes von Waffen nicht gesehen habe. Dem Angeklagte S. sei unterstellt worden, er habe eine Gefahr des Einsatzes der Waffe, die er an Mundlos und übergeben habe, für möglich halten müssen. Die Angaben des Zeugen Sch. hätten gezeigt, dass S. keineswegs diese Vermutung gehabt haben muss, da selbst das BKA diese nicht für naheliegend gehalten habe.

Es folgt eine Pause, dann verliest RA Heer, Verteidiger von , eine Erklärung. Die Vernehmung durch Sch. sei nicht „lege artis“ durchgeführt worden. Es seien nur bestimmte Formulierungen niedergeschrieben worden, die den Ermittlern wichtig erschienen, sonst sei zusammen gefasst worden, wobei RA Hachmeister mitunter korrigiert habe. Wie sich G. tatsächlich geäußert habe, sei nicht mehr nachvollziehbar. Mit Formulierungen wie „nicht protokollierungswürdig“ habe Sch. zugegeben, eine Selektion von Themen vorgenommen zu haben. Für die Verteidigung stehe, zusammen mit der Tatsache, dass sich G. einer konfrontativen Befragung entziehe, keine Möglichkeit, die Glaubhaftigkeit der Angaben G.s zu hinterfragen. Die Vernehmungsbeamten hätten die Prüfung der Glaubhaftigkeit G.s unterlassen. G. habe an vielen, für die Anklage wichtigen Punkten keine Differenzierung zwischen den Personen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vorgenommen. Die Vernehmungsbeamten hätten sich sogar verleiten lassen, die Pauschalisierung zu übernehmen, indem sie nach „den Drei“ fragten. Sch. habe gewusst, dass G. in einer anderen Vernehmung gesagt habe, Zschäpe käme nach den beiden Uwes und habe dennoch nicht nachgefragt, als G. davon gesprochen habe, Zschäpe sei gleichberechtigt. Sch. hätte, so Heer, auch zu den Umständen des Zeigens einer Pumpgun nachfragen müssen, immerhin habe G. angegeben, einen weiteren Waffentransport und überhaupt Bewaffnung abzulehnen. Sch. habe mehrfach von Schlussfolgerungen berichtet, die er gezogen habe, ohne die Aussagen G.s dazu referieren zu können. G. habe sich, das sei bei der Vernehmung von Sch. in inhaltlicher Hinsicht deutlich geworden, in zentralen Punkten widersprochen. Dies gelte vor allem für den Transport der Waffe. Die Angaben zur Beschaffung einer Waffe durch Wohlleben müssten auch im Hinblick auf die Aussagen zur Waffenbeschaffung von Carsten S. betrachtet werden. S. habe ausgesagt, im Jahr 2000 eine Waffe besorgt zu haben. Die von G. behauptete Waffenbeschaffung habe laut G. 2001 oder 2002 stattgefunden. Carsten S. habe berichtet, dass Wohlleben ihn direkt zu geschickt habe. G. habe laut den Vernehmungen nun behauptet, Wohlleben habe sich, als er selbst eine Waffe besorgt haben soll, zuerst an , den anderen Betreiber des „“ gewandt, der ihn dann an Andreas S. verwiesen haben soll. Das erschließe sich nicht. Insgesamt seien sämtliche Angaben von G. unter dem Aspekt zu sehen, dass sie von dem Streben nach einer Kronzeugenregelung geprägt seien. Dies habe schon bei den Vernehmungen vor dem 12. Januar 2012, wo es das erste Mal im Protokoll stehe, im Raum gestanden. Darunter falle auch die Behauptung, dass Zschäpe gleichberechtigt sei. G. sei bewusst gewesen, dass er von der Kronzeugenregelung nur profitieren könne, wenn er auch Zschäpe belaste.

Dann verliest der Nebenklagevertreter RA Elberling in seinem und dem Namen von RA Scharmer, RAin von der Behrens, RA Ilius und RA Stolle eine Erklärung. Der Wortlaut der Erklärung findet sich auf www.nsu-nebenklage.de [direkt zum PDF]und www.hummel-kaleck.org.

Erstens seien, so Elberling, die Aussagen Sch.s, dass G.s Angaben zu stattgefundenen äußerlichen Vorgängen glaubhaft und konsistent seien. G. habe zwar teilweise zögerlich geantwortet, er habe aber die einmal preisgegebenen belastenden Angaben zu den äußeren Tatumständen auf Nachfrage und zu unterschiedlichen Zeiten gleichbleibend wiederholt. Der Angeklagte G. habe seine Angaben allenfalls im Detail korrigiert, wenn er gedacht habe, missverstanden worden zu sein. Die Angaben zeigten keine besonderen Belastungstendenzen gegenüber den übrigen Angeklagten, er habe manche Belastungen erst nach Konfrontation mit Widersprüchen preisgegeben. Daran habe sich auch nichts geändert durch die Befragung des Zeugen Sch. durch die Verteidigung Zschäpe und die Verteidigung Wohlleben, die äußeren Tatsachen seien durch die Befragung nicht erschüttert worden. Das bei der Befragung G.s zum Ausdruck gekommene Desinteresse des Bundeskriminalamtes an konkreten Nachforschungen zu einigen Angaben G.s sei allerdings nicht nachvollziehbar. Es sei der Eindruck entstanden, dass das Bundeskriminalamt dem Angeklagten G. allzu bereitwillig die Rolle des ahnungslosen Freundes abgenommen habe. Zweitens zeige die Aussage des Zeugen Sch., dass die Angaben G.s zu seiner inneren Einstellung nicht nachvollziehbar und widersprüchlich seien, und dass es Hinweise gebe, dass er diese herunterspiele. G. habe einiges nicht wissen wollen und sei klug genug gewesen, nicht immer nachzufragen. Die Übergabe einer scharfen und geladenen Schusswaffe an „die Drei“ spreche für einen Vorsatz G.s. Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie G. sein Wissen und seine Zugehörigkeit zur rechten Szene herunterspiele, seien auch seine unrichtigen Angaben zum letzten Urlaub mit den Dreien. Nur durch die handschriftliche Rückdatierung des letzten Urlaubs auf 2004 habe G.s Geschichte, dass er 2004 aus der Szene ausgestiegen sei, passen können. Drittens sei die Behauptung G.s, er habe von den Taten „der Drei“ nichts gewusst und nichts geahnt, schon deshalb wenig nachvollziehbar, weil G. Mundlos und Böhnhardt als durchaus mitteilungsfreudig dargestellt habe und diese nach seinen Schilderungen sehr offen über strafbares Verhalten von sich und von anderen gesprochen hätten. Das Mitteilungsbedürfnis gerade zu den Themen Waffen und Sprengstoff sei also anscheinend bei Mundlos und Böhnhardt groß und nicht immer kontrolliert gewesen. Dazu passe auch die Angabe von Carsten S., dass einer der Uwes Wohlleben am Telefon berichtet habe, sie hätten jemand angeschossen. Vor diesem Hintergrund sei schließlich auch der von S. berichtete Sachverhalt, dass Böhnhardt und Mundlos ihm bei der Waffenübergabe von einem Anschlag in Nürnberg erzählt hätten, dann aber beim Dazukommen der Angeklagten Zschäpe verstummten, stimmig. Dies weise gerade nicht auf ein eingeschränktes Wissen von Zschäpe hin, sondern im Gegenteil auf deren kontrollierende Rolle. Die beiden Männer hätten wohl gewusst, dass Zschäpe ihre Geschwätzigkeit nicht gutheißen würde, und seien wohl daher verstummt. Der insgesamt sehr offene Umgang mit strafbarem Verhalten weise ebenso darauf hin, dass zumindest der engere Kreis der Unterstützer durch Erzählungen Kenntnis von deren Taten gehabt habe. Viertens beschreibe Sch. Anzeichen dafür, dass G. noch immer nicht alles berichtet habe, was er weiß, und dass er auch seine eigene Rolle im Zusammenhang mit dem NSU weitaus geringer darstelle, als sie tatsächlich war. Welche weiteren Aspekte G. noch zurückhalte, sei im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung noch zu ermitteln.

Dann ergänzt Nebenklagevertreterin RAin Lunnebach. Der Bezug auf die EMRK ehre den Kollegen Klemke immer, aber die Anklage stütze sich nicht auf die Pistolenübergabe durch G. An G. gerichtet sagt sie, was ihre Mandantschaft bewege, sei, dass G. 2000/2001 eine Pistole übergeben haben wolle und wie man da sagen könne, man habe 2004 bis Ende die Freunde weiter empfangen. Lunnebach sagt, sie meine., dass sich G. die Rolle, dass er auf freiem Fuß und im Zeugenschutz ist, erst noch verdienen müsse.

Nach der Mittagspause folgt um 13.40 Uhr der Zeuge H., ein Beamter des BKA Meckenheim, der Holger G. am 13. November 2011 vernommen hat. H. referiert zunächst die Angaben zur Person, die G. gemacht hat. Dann sagt er, G. habe angegeben, dass er beim „Nationalen Widerstand Jena“ gewesen sei, einer Gruppe von 10 bis 20 Personen. Böhnhardt habe er ab 1990 kennengelernt und sich mit ihm angefreundet, sie beide seien die einzigen Rechten in einer Gruppe gewesen. Sie hätten dann eine eigene Gruppierung gegründet, dort seien Mundlos und Zschäpe hinzu gekommen. Man habe Aufkleber und Spuckis verklebt und und Handzettel erstellt und verteilt. Das habe den Zeitraum bis 1996 umfasste. G. habe angegeben, mit der Zeit den Kontakt zu der Gruppe etwas verloren zu haben durch seine Zeit im Internat in Seelingstädt. G. habe angegeben, er sei gemäßigt gewesen, andere hätten mehr forciert als er. H. sagt, er habe G. nach den Straftaten gefragt, die Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Ende der Neunziger vorgeworfen worden seien. G. habe gesagt, er sei nicht beteiligt gewesen und habe nichts gewusst. Über die Taten sei gesprochen worden, über die Täter nicht. Er habe im Nachhinein erfahren, dass Böhnhardt und Mundlos damit zu tun gehabt hätten, zu einem Zeitpunkt, als er schon nach Hannover umgezogen sei. Die nächste Frage sei nach dem Überlassen von Dokumenten an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gewesen, und wann man sich nach dem Abtauchen wiedergesehen habe, so H. G habe gesagt, dass die drei 2006/2007 zu ihm nach Hannover gekommen seien. Böhnhardt habe seine Adresse gekannt, weil er ihn beim Umzug gefahren habe und anschließend ein paar Tage geblieben sei. Man habe sich über alte Zeiten ausgetauscht, und dass jeweils der rechte Bereich verlassen worden sei. Sie seien vom äußerliche her auch eher bürgerlich gewesen. In der Folge sei es jährlich im Juli/August zu Besuchen gekommen, zweimal in Hannover, einmal in Lauenau an einem Rasthof und 2010 und 2011 in der Wohnung G.s in Lauenau. G. habe ausgesagt, dass er große Stücke auf Böhnhardt und Mundlos gehalten habe, das seien für ihn Macher gewesen. H. sagt, G. habe angegeben, zu den dreien gesagt zu haben: „Von euch hört man ja Sachen“ und sie hätten gesagt: „Wir könnten dir auch Sachen erzählen“. Er habe es aber mehr oder weniger auf sich beruhen lassen und nicht näher wissen wollen. Dann sei G. der Vorhalt gemacht worden, so H., dass er sich während des Abtauchens mit dem Verbleib der Drei befasst und zum Beispiel zu den Eltern von Böhnhardt gesagt habe, die Drei würden sich eher erschießen als stellen. Deshalb sei der Kontakt der Eltern Böhnhardts zur Gruppierung, auch zu Wohlleben, abgebrochen worden. Zu den Dokumenten habe G. gesagt, so H., dass Böhnhardt ihn gefragt habe, ob er ihnen seinen Führerschein überlassen könne. Um die Wertschätzung der drei nicht zu verlieren, habe er den Führerschein ausgehändigt. Und es sei in der Zeit danach ja auch nichts passiert.

Dann sei G., so H., vorgehalten worden, im Zusammenhang mit Mord am Michèle Kiesewetter sei ein Wohnmobil mit Chemnitzer Kennzeichen festgestellt worden sei und die Vermieterin habe ihn als Anmieter erkannt. Es seien jährlich Anmietungen mit seinen Personalien vorgenommen worden. G. habe gesagt, die Zeugin habe nicht ihn erkannt, sondern nur das Lichtbild im Ausweis. Die Übergabe eines Reisepasses habe G. in den letzten Besuch, 2011, eingeordnet, da seien Böhnhardt und Mundlos alleine gekommen mit einem großen, schicken Fahrzeug. In G.s Fahrzeug habe Böhnhardt den neu ausgestellten Reisepass gesehen und Interesse gezeigt. G habe ausgesagt, letztlich eingewilligt und den Reisepass übergeben zu haben. Dann sei G. vorgehalten worden, dass mit seinen Personalien ein Wohnmobil für den Banküberfall am 4. November 2011 angemietet worden sei. G. habe auf seine Beschuldigtenvernehmung am 5. November durch die Kripo Eisenach verwiesen. Damit sei die zum Teil sehr schleppende Vernehmung beendet gewesen. Weitere vertiefende Fragen seien an diesem Tag nicht gestellt worden, weil absehbar gewesen sei, dass Folgevernehmungen stattfänden. Götzl fragt nach G.s Verhalten. H. sagt, G. habe einen zerrissenen Eindruck gemacht. Die Freundschaft zu den Drei habe ihm auf der einen Seite viel bedeutet, auf der anderen Seite sei ihm bewusst gewesen, dass er durch die Übergabe der Dokumente die Taten, die ja auch in der Presse behandelt worden seien, unterstützt habe. Dies habe sich darin ausgedrückt, dass er bei einigen Vernehmungspassagen aufgelöst und den Tränen nah gewesen sei, bei anderen sei er dann wieder aufrecht gewesen und habe auf die Freundschaft zu den Drei nichts kommen lassen.

Götzl möchte im Folgenden wissen, bei welchen Themen diese Auffälligkeiten jeweils feststellbar gewesen seien; er fordert H. auf, nicht zu interpretieren. Nachdem ihm die Antworten H.s nicht ausreichen, geht er einzelne Themen der Vernehmung durch. Ob der Angeklagte Wohlleben angesprochen worden sei, will Götzl wissen. Wohlleben sei im Zusammenhang mit der Gruppierung „Nationaler Widerstand Jena“ genannt worden, neben Wohlleben und den Drei sei außerdem André K. genannt worden, G. habe ausgesagt, andere Namen seien ihm nicht mehr erinnerlich. H. sagt, G. habe angegeben, man habe sich in einer Lokalität namens „Winzerstube“ oder „Winzerverein“ getroffen. Götzl hilft und nennt den Namen „Winzerclub“. G. habe ausgesagt, die Zeit sei eine vertane Zeit gewesen. Götzl hält aus dem Protokoll vor, G, habe angegeben; es sei eine Verschwendung von Zeit gewesen und die ersten Bruchstellen habe es gegeben als er im Berufsförderungswerk war von 1994 bis 1997. H. bestätigt das. Dann geht es um die Aktivitäten der Gruppe. G. habe einmal gesagt, sie hätten sich als Nationalisten bezeichnet, ein anderes Mal habe er von Neonazis gesprochen, so H. Der Name NWJ sei zur Unterzeichnung von Flugblättern erfunden worden. Götzl nennt eine Aktion, die im Protokoll erwähnt wird: das Kleben von Plakaten zum 8. Mai, der nicht Befreiung, sondern Kapitulation gewesen sei. H. bestätigt das. Dann spricht Götzl von einem Handzettel, in dem der „Nationale Widerstand“ „allen Bürgern“ ein frohes Weihnachtsfest wünscht und will wissen, wie G. die Gruppe für sich selbst gesehen habe. H.: „Offenbar hat ihm die Ideologie und das Zusammensein einen gewissen Lebenshalt gegeben.“ Es folgt ein längerer Vorhalt mit den Straftaten, die Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Ende der 1990er zur Last gelegt wurden. H. sagt, G. habe angegeben, dass er nicht beteiligt gewesen sei. Nach Vorhalt Götzls, G. habe angegeben, ihm sei erst Ende 1997 im Rahmen eines Besuchs von André K. in Hannover klar geworden, dass die Drei für die Taten verantwortlich gewesen seien, sagt H., das sei G.s zeitliche Einordnung gewesen, tatsächlich sei der Fund erst im Januar 1998 gewesen. Es geht dann um die Besuche der Drei in Hannover. H. sagt, G. habe angegeben, der Wunsch nach der Übergabe des Führerscheins sei beim zweiten Besuch geäußert worden. Im Nachhinein sei festgestellt worden, dass der erste Besuch wohl schon 2005 gewesen sei, denn schon für die Anmietung des Wohnmobils bei der Tat in Heilbronn sei sein Führerschein benutzt worden. Deswegen habe G seine Aussage geändert, der erste Besuch habe 2005 stattgefunden, der zweite 2006. Götzl will wissen, ob G. angegeben habe, ob sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bei den Besuchen zu Politik geäußert hätten. H. sagt, er habe keine Erinnerung. Götzl hält vor, dass G. angegeben habe, die Drei hätten zu verstehen gegeben hätten, sie hätten mit der Szene abgeschlossen. H.: „Das ist das, was ich nach meiner Meinung nach ausgesagt habe.“ Götzl sagt, H. habe G. Informationen vorgehalten über ein vertrauliches Gespräch über die Geflüchteten und darüber, dass G. gegenüber den Eltern von Böhnhardt geäußert habe, dass die drei sich eher erschießen als stellen würden. Götzl will wissen, woher die Informationen stammen. H. sagt, das seien die Informationen, die er am Vernehmungstag bekommen habe, seiner Erinnerung nach seien sie vom Thüringischen . G. habe angegeben, nicht gewusst zu haben, wo sich die Drei aufhielten.

Nach einer Pause geht es um 14.53 Uhr weiter. H. sagt, G. habe angegeben, das erste Treffen habe ohne, die weiteren Treffen nach telefonischer Anmeldung stattgefunden. Die Treffen seien so abgelaufen, dass man Kaffee und Kuchen getrunken und sich unterhalten habe. G. habe angegeben, dass er sinngemäß gesagt habe „Mensch, über euch hört man ja Sachen.“ Die Antwort sei gewesen: „Wir könnten dir auch Sachen erzählen.“ Götzl zitiert das Protokoll, demzufolge G. gesagt habe, dass er damals geantwortet habe, er wolle nichts wissen, es sei um den Zeitraum, wo sie untergetaucht waren, gegangen und er habe den Eindruck gehabt, dass es ihnen ganz recht gewesen sei, dass er nichts habe wissen wollen. H. sagt, G. habe dazu nichts weiter angegeben. Dann geht es um den Reisepass. Laut G. hätten sich Mundlos und Böhnhardt über sein Auto lustig gemacht und bezweifelt, dass man damit noch in Urlaub fahren kann. Sie hätten dann in der Beifahrertür seinen neuen Reisepass gefunden. G. habe angegeben, er habe keinen Grund gehabt, den Zusicherungen, das mit dem Pass nichts passieren werde, nicht zu glauben. Es geht dann um Reiseunterlagen der „Berge & Meer Touristik“ zu einem Urlaub bei Den Haag, diese seien, so H., bei der Durchsuchung bei G. gefunden worden und G. vorgehalten worden. G. habe gesagt, es sei um einen Urlaub mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern gegangen. Götzl sagt, im Protokoll stehe ein Zeitraum vom 15.10.2011 bis zum 22.11.2011. H. sagt, es sei wohl nur eine Woche gewesen, das sei wohl ein Protokollfehler, es müsse „22.10.“ heißen. Nach kurzem Hin und Her stellt Götzl fest, dass die Vernehmung am 13. November stattgefunden habe. H. sagt, das stütze seine Interpretation. Dann geht es um das Wohnmobil mit Chemnitzer Kennzeichen, das in Heilbronn genutzt worden sei. Götzl möchte wissen, wie G. auf den Vorhalt reagiert habe. H. sagt, G. habe gesagt, dass er nicht der Anmieter gewesen sei, auch wenn er bei einer Lichtbildvorlage wieder erkannt worden sei. Als Beleg habe G. angeführt, dass er seit Mitte der 90er nicht mehr in gewesen sei. Götzl fragt nach einer Passage im Protokoll, in der es darum geht, dass sich G. mit Hachmeister besprochen habe. H. sagt, es habe häufiger Rücksprachen G.s mit Hachmeister gegeben, hier sei es darum gegangen, dass G. den ersten Besuch auf 2005 korrigiert habe und dass er angegeben habe, dass das Wiedererkennen ein Wiedererkennen von Passbild zu Passbild gewesen sei. Götzl hält vor, G. habe sich dagegen verwahrt, mit den Straftaten etwas zu tun gehabt zu haben, wenn die Dokumente benutzt worden seien, dann ohne sein Wissen. Das sei G.s Schlussaussage gewesen. Das Verhalten G.s könne er nicht mehr einzelnen Fragen zuordnen, so H.

Dann fragen die Nebenklagevertreter_innen, zunächst RAin Lunnebach. Sie fragt, ob G. die Belehrung verstanden habe. Er habe den Eindruck gehabt, dass G. es verstanden habe, außerdem habe er sich mit seinem Anwalt besprechen können, so H. Die Ich-Form im Protokoll sei nicht so zu verstehen, dass wörtlich protokolliert worden sei, sondern dass es G.s originäre Aussage sei. Lunnebach will wissen, ob die Informationen vom Verfassungsschutz aus der so genannten „Drillingsakte“ stammen. Dem Zeugen wird nach einigen Unklarheiten eine Zusammenstellung von Erkenntnissen vom 13. November 2011 vorgelegt, die ein anderer BKA-Beamter aus der „Drillingsakte“ erhalten habe. H. sagt, dass er die Informationen nicht vom Thüringischen VS bekommen habe, sondern von der Führungsgruppe aus Meckenheim [BKA]. Das vorgelegte Schreiben komme ihm nicht bekannt vor, nur einige Inhalte. Seiner Erinnerung nach seien es einzelne Schreiben mit einzelnen Informationen gewesen. RA Scharmer hält H. vor, er habe G. zu Beginn der Vernehmung den Vorwurf eröffnet, dass G. die terroristische Vereinigung um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe unterstützt habe. Außerdem sei G. informiert worden, dass Gegenstand der Ermittlungen „auch die so genannten Dönermorde“, ein Mord an einer Polizistin und Sprengstoffanschläge seien. H. bestätigt, dass er das so gesagt habe. Scharmer will wissen, ob erläutert worden sei, was das im Einzelnen bedeutet. H. sagt, er sei der Meinung gewesen, dass G. gewusst habe, was damit gemeint sei: „Heute würde man das nicht mehr sagen, sondern Česká-Morde.“ Ob G. bei H. nachgefragt habe, woher die Informationen, die vom VS stammten, kommen, will Scharmer wissen. H. verneint das.

RA Narin fragt, was beim Protokolleintrag, die Drei hätten eine Existenz jenseits früherer Aktivitäten, mit Existenz gemeint sei. H. sagt, G. habe das nicht ausgeführt. In Bezug auf die wirtschaftliche Existenz habe G. in einer früheren Vernehmung gesagt, dass sich Mundlos im IT-Bereich bewegt habe. Dann fragt RAin Sturm, Verteidigerin von Zschäpe. Sie fragt nach Betäubungsmitteln, die bei G. gefunden worden seien bei der Durchsuchung am 13. November, dem Tag der Vernehmung. Diese seien als Zufallsfund betrachtet worden, so H., er habe G. nicht dazu befragt. Sturm fragt, wer die Namen im Zusammenhang mit dem NWJ angesprochen habe, G. selbst oder H . H. sagt, die Namen habe G. genannt und er, H., habe sie ins Protokoll gegeben. Sturm will wissen, ob G. die Namen in der Reihenfolge, wie im Protokoll – Böhnhardt, Mundlos, K., Wohlleben, Zschäpe – genannt habe. H. sagt, er könne sich nicht mehr erinnern und messe der Reihenfolge auch keine Bedeutung zu. Zu den politischen Bruchstellen während G.s Zeit in Seelingstädt sagt H., dass er da wohl nicht näher nachgefragt habe. Sturm will wissen, durch wen die telefonische Ankündigung der Besuche vorgenommen worden sei. H. sagt, erster Ansprechpartner G.s sei Böhnhardt gewesen, aber ob das in diesem Zusammenhang Böhnhardt gewesen sei, könne er jetzt nicht sagen. Zu den Einwänden der Lebensgefährtin von G. gegen die alten Kumpels habe er nicht nachgefragt, so H. Dann will Sturm mit Bezug auf den Fehler bei der Urlaubszeit wissen, ob sich G. die Vernehmung aufmerksam durchgelesen habe. Das nehme er an, so H., G. habe auch Korrekturen vorgenommen.
Nebenklagevertreter Stolle will wissen, ob sich G. Gedanken gemacht habe, warum die Drei ihn beim ersten Treffen zu diesem Zeitpunkt aufgesucht hätten. H. antwortet, G. habe sich nur dahingehend geäußert, dass er sich beehrt gefühlt habe. Das seien Vorbereitungen gewesen zu dem, was dann gefolgt sei, aber dazu habe sich G. in der Vernehmung nicht geäußert. RAin Sturm fragt, ob das letzte ein Schluss von H. sei. H. bejaht das, es seien ja in der Folge Forderungen an G. herangetragen worden. Zuletzt fragt der Sachverständige Saß. Er will wissen, ob G. zwischen den dreien differenziert habe. H. sagt, er habe den Eindruck gehabt, dass G. eher zu Böhnhardt eine Beziehung gehabt habe.

Letzter Zeuge für heute ist der Polizeibeamte Ma., der die Zeugin M. (Mordfall Özüdoğru, siehe Protokoll zum 21. Verhandlungstag) im 2007 und 2012 vernommen hat. Im Rahmen einer Revision des Falls sei Frau M. noch einmal befragt worden, zunächst im März 2007 telefonisch, dann im April persönlich. Dabei sei es um eine Wahllichtbildvorlage gegangen, auf der der Verfassungsschützer Andreas T. [war zur Tatzeit des Mordes an Halit Yozgat am Tatort]dargestellt ist. Zunächst hätten er und ein Kollege die Zeugin M. noch einmal zur Erinnerung an den Tattag befragt. 2001 habe M. angegeben, sie sei am Wohnzimmerfenster beim Staubwischen gewesen und habe eine Person gesehen, die in ein Auto gestiegen und weggefahren sei. Darauf angesprochen, habe M gesagt, dass sie sich nicht genau erinnere, ob es das Wohnzimmer war, sie sei aber bei den zwei Schüssen und bei der Person, die sie gesehen habe, geblieben. 2001 habe sie gesagt, dass sie die Person kenne aus einem Streit mit Özüdoğru. Bei der Wahllichtbildvorlage habe sich M. gründlich vorbereitet und sich auf eine Person festgelegt, nachdem sie dieser Person einen Dreitagebart habe anmalen dürfen. Das sei aber nicht Andreas T. gewesen, sondern eine Vergleichsperson. Eine zweite Spur sei eine Gruppe junger Leute gewesen mit einem Fahrzeug, die laut M.s Aussage von 2001, häufiger in die Schneiderei gegangen seien. Dazu habe M. 2007 aber nichts weiter zu sagen gewusst. Er habe dann einen Einschätzungsvermerk gemacht, weil er die Angaben bis auf die Schüsse für fragwürdig gehalten habe. Ein Nachbar von Frau M. habe dem Phantombild sehr ähnlich gesehen. Frau M. sei auch 2007 noch einmal zu den jungen Leuten befragt worden, sie sei wohl der Meinung gewesen, dass Özüdoğru etwas mit Rauschgift zu tun gehabt habe. Er, Ma., sei damals der Meinung gewesen, dass die jungen Leute mit der Tötung nichts zu tun haben. 2012 sei Frau M. noch einmal aufgesucht worden und da habe M gesagt, sie habe Zschäpe zusammen mit Mundlos in einem Schreibwarengeschäft gehen sehen. Frau M., so sei sein Eindruck gewesen, habe das mit Meldungen der Presse „rund gemacht“. Die Ermittlungen hätten keinen Hinweis auf einen Mann und eine Frau im Schreibwarengeschäft ergeben. Götzl zitiert, dass M. bei einer Nachvernehmung am 28. März 2012 ihre Aussage zu Zschäpe relativiert habe, sie habe eine blonde Frau gemeint. Weiter zitiert Götzl die Einschätzung Ma.s, dass Frau M. als Zeugin nicht brauchbar sei.
Nebenklagevertreter RA Erdal will wissen, ob Ma. die Vernehmung vom 25. Juli 2001 kenne, da sei die junge Frau als „Barbiepuppe“ geschildert worden. Erdal will wissen, was denn das Besondere an einer solchen Puppe sei. Ma. antwortet, er könne das nicht genau sagen, die Vernehmung habe ein anderer Kollege geführt, er nehme an, M. habe die junge Frau deswegen damit verglichen, weil sie eine gute Figur und blonde Haare gehabt habe. Erdal sagt, es gebe eine Besonderheit bei Barbiepuppen, der Zeuge solle sich im Saal umschauen, welches Gesicht einer Barbiepuppe ähnlich sehe. Götzl fragt nach dem Zusammenhang der Frage. Erdal sagt, das Gesicht Zschäpes habe Ähnlichkeit mit einer Barbiepuppe. Götzl fragt, ob sich Erdal erinnere, dass Frau M. auch gesagt habe, sie habe die Leiche aus ihrer Wohnung gesehen. Erdal sagt, die Zeugin könne sich an einigen Punkten geirrt haben, aber am Punkt Barbiepuppe gebe es Ähnlichkeiten, er habe keine weiteren Fragen. Der Zeuge wird zu einer anderen Frage noch einmal gehört werden.

Um 16.20 Uhr endet der Verhandlungstag.

Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Scharmer erklärt zu der Vernehmung des Waffensachverständigen:

“Es ist bezeichnend, dass für insgesamt sieben Seiten Gutachten mehr als zwei Jahre durch den Sachverständigen benötigt wurden. Welcher Fall sollte im Vergleich zu dem ersten Mord einer Serie, die an türkischen und griechischen Migranten verübt wurde, vorrangig zu behandeln gewesen sein?“

Zum Komplex Vernehmung Holger G. empfehlen wir, die gemeinsame Erklärung von einigen Anwält_innen der Nebenklage im Wortlaut nachzulesen.

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