Protokoll 30. Verhandlungstag – 31. Juli 2013

5

Habil Kılıç wurde am 29. August 2001 in München in seinem Obst- und Gemüseladen erschossen. Zwei Sachveständige beschrieben an diesem Verhandlungstag technisch seine Ermordung, die einer professionellen Hinrichtung gleichkam. Eine benachbarte Zeugin Sch. machte widersprüchliche Angaben zu zwei Radfahrern, die sie gesehen hatte. Schließlich schilderten noch zwei Zeug_innen ihre Erinnerungen an den grausamen Fund des sterbenden Habil Kılıç.

Zeug_innen und Sachverständige:

  • Dr. Oliver Peschel (Sachverständiger, Obduktion des Leichnams von Habil Kılıç)
  • Hans Luber (Waffensachverständiger LKA Bayern, Mordfall Kılıç)
  • Anna Sch. (Zeugin Mordfall Kılıç, Angaben zu zwei Radfahrern in Tatortnähe)
  • Nuran K. (Auffindezeugin Mordfall Kılıç)
  • Holger H. (Auffindezeuge Mordfall Kılıç)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.44 Uhr. Zuerst wird der Sachverständige Dr. Peschel, Rechtsmediziner an der Münchner Uni, vernommen. Peschel hatte zusammen mit Kollegen die Obduktion des Leichnams des am 29. August 2001 in der Bad-Schachener-Straße in München ermordeten Habil Kılıç vorgenommen. Peschel berichtet, er habe zwei Schädeldurchschüsse festgestellt: einen Mittelgesichtsdurchschuss, bei dem keine unmittelbare Hirnverletzung entstanden sei und und einen Hirndurchschuss. Bei letzterem sei der Schädel von hinten links nach vorne rechts durchschossen worden. Peschel schildert diverse Hirnverletzungen und spricht von Schädelbasisbrüchen. Außerdem sei reichlich Blut in den Atemwegen gewesen. Es habe eine ausgeprägte Bluteinatmung gegeben. Die „Erstickungskomponente“ habe noch eine Rolle gespielt, es sei jedoch davon auszugehen, dass es kein Effekt gewesen sei, der vom Betroffenen noch bewusst wahrgenommen worden sei. Am Hals seien Punktblutungen gefunden worden, es habe aber keinen Hinweis auf eine Gewalteinwirkung auf den Hals gegeben. Todesursächlich sei eine zentrale Lähmung in Verbindung mit Ersticken gewesen. Alkohol und Drogen seien im Körper des Opfers nicht festgestellt worden. Vorsitzender Richter Götzl fragt nach einer zeitlichen Einordnung, wann die Einatmung des Blutes eingestellt wird. Peschel sagt, es habe keine unmittelbare Lähmung der Atmung durch den Hirnschuss gegeben, eine gewisse Zeit könne Atmung vorgelegen haben. Man könne das nur schätzen, es gehe um Sekunden bis maximal wenige Minuten. Götzl sagt, eine Zeugin habe von einem „Blubb, blubb“-Geräusch bei Kılıç gesprochen, ob das mit der Atmung zusammen hängen könne. Peschel antwortet, es sei vorstellbar, dass solche Geräusche entstehen.

Dann berichtet Peschel zu einem Blutspurengutachten, das er vorgenommen hat. Es habe sehr ausgedehnte, flächenhafte Antragungen von Blut im Bereich um die Leiche gegeben. Es habe Blutspuren hinter der Verkaufstheke ober- und unterhalb der Theke gegeben. Die oberen Spuren kämen bei einer aufrechten Körperposition des Opfers zustande, die unteren nicht. Ein Schuss habe das Opfer also wohl in aufrechter Position getroffen, das decke sich mit einem gefunden Schussdefekt an einem Spiegel. Der andere Schuss sei wohl auf das hockende oder kniende Opfer abgegeben worden. Rein medizinisch sei nicht feststellbar, wie Kılıç in diese Position gekommen sei. Der Schuss, der das Hirn verletzt habe, sei wohl in der Position, in der sich der Kopf unterhalb der Höhe der Theke befunden haben müsse, abgegeben worden. Nebenklagevertreter RA Behnke fragt, ob die Verletzungen medizinisch beherrschbar gewesen seien. Peschel sagt, der Gesichtsdurchschuss sei medizinisch beherrschbar gewesen, aber ohne medizinische Hilfe könne auch das auch tödlich sein. Der zweite Schuss sei medizinisch nicht beherrschbar: „Auch wenn ein neurochirurgisches Team direkt daneben gestanden hätte, wäre das nicht beherrschbar gewesen.“

Es folgt der Sachverständige Luber, Waffensachverständiger beim Bayerischen LKA. Luber berichtet, er habe zwei Vollmantelprojektile Kaliber 7.65 Browning, ein Polohemd sowie vier Hautstücke untersucht. Die Bestimmung der Waffe sei vom BKA vorgenommen worden. Wegen des Fehlens einer Tatwaffe sei die Bestimmung der Schussentfernung schwierig. Es habe Hinweise gegeben, dass die Waffe schon zweimal in Nürnberg und einmal in Hamburg benutzt worden sei. Es sei untersucht worden, wo die Projektile Defekte verursacht hätten. Es habe eine Passspur in einer Spiegeleinfassung hinter der Theke gegeben. Das Projektil sei quer eingeschlagen und passe sehr gut mit dem Gesichtsdurchschuss zusammen. Das zweite Projektil sei massiv abgeplattet gewesen. Das passiere nicht beim Auftreffen auf Schädelknochen, sondern nur auf hartem steinernen oder metallischem Material wie z.B. dem Fliesenboden in Kılıçs Laden. Beim ersten Schuss habe das Opfer wohl noch gestanden, beim zweiten Schuss habe es sich in einer kauernden Position befunden. Auffällig sei, dass keine Hülsen gefunden worden seien, diese könnten in einer Tüte oder einem Beutel aufgefangen worden sein. Das habe sich später bestätigt, es seien Kunststofffetzen mit Schmauchspuren gefunden worden. Eventuell sei ein Schalldämpfer benutzt worden, dadurch werde die Schmauchausbreitung beeinträchtigt. Auffallend sei auch gewesen, dass keine Abstreifringe (siehe Protokoll zum 28. Verhandlungstag) gefunden worden seien. Es habe keine Anzeichen für aufgesetzte Schüsse gegeben. Auf dem Polohemd seien keine Schmauchspuren gefunden worden.

Dann werden am Richtertisch Lichtbilder vorgelegt. Ein Bild zeigt die Spur am Spiegel, das zweite das abgeschrägte Projektil, das dritte demonstriert die Schussrichtung beim ersten Schuss, und das vierte die Schussrichtung beim zweiten. RA Klemke, Verteidiger von Wohlleben, fragt, ob es irgendwelche Spuren auf dem Boden gegeben habe, die auf den Einschlag eines Projektils hindeuteten. Luber sagt, es sei nichts gefunden worden, der massive Steinboden müsse aber nicht beschädigt werden, außerdem habe es massive Einblutungen gegeben. Versuche an diesem speziellen Fußboden seien nicht durchgeführt worden, aber derartige Spurenbilder seien beim Einsatz von Kaliber 7.65 etwa bei Suiziden bekannt. Die Projektile hätten ihm vorgelegen und seien dann für das Gutachten ans BKA gegangen. Luber sagt auf Frage Klemkes, er nehme an, dass die Projektile hinsichtlich des Steinbodens nicht chemisch untersucht worden seien. Klemke will wissen, ob es anhand der Projektile möglich sei, festzustellen, ob ein Schalldämpfer verwendet wurde. Diese Untersuchungen seien beim BKA gemacht worden, so Luber, es habe keine Hinweise auf einen Schalldämpfer gegeben. Zur Methode müsse man den Sachbearbeiter beim BKA befragen. Nebenklagevertreter Langer fragt zu einer möglichen Positionsveränderung des Schützen und zum zeitliche Abstand der beiden Schüsse. Der zeitliche Abstand sei waffentechnisch nicht bestimmbar, so Luber. Er gehe davon aus, dass der Schütze beim ersten Schuss vor der Theke gestanden habe und dann an die Theke heran oder hinter die Theke gegangen sei zum zweiten Schuss.

Es folgt die Zeugin Sch. Sch. wohnt in einem quer zur Bad-Schachener-Straße liegenden Gebäude in der Nähe des Tatorts beim Mord an Habil Kılıç (siehe Protokoll zum 22. Verhandlungstag). Sie hat angegeben, am Tattag zwei Radfahrer gesehen zu haben. Sch. berichtet, sie habe an dem Tag vormittags eigentlich die Wohnung lüften wollen und habe dann unter ihrem Fenster zwei dunkel gekleidete junge Männer mit schwarzen Fahrrädern stehen sehen. Eigentlich habe sie schimpfen wollen, das habe sie dann aber doch nicht gemacht. Sie habe das Fenster zu gemacht und die Gardine zugezogen. Sie sagt in Richtung Götzls: „Und jetzt wollen sie wissen, wie die ausgeschaut haben.“ Sie führt aus, die Männer seien zwischen 22 und 26 Jahre alt und dunkelhaarig gewesen. Sie hätten kurze Haare gehabt und eigentlich sehr gepflegt ausgeschaut. Sie hätten schwarzen Radldress getragen. Dann hätten sie sich erst die Mütze angezogen und Radlerhandschuhe. Einer habe einen Rucksack gehabt, sie könne aber nicht mehr sagen welcher. Bei denen, „die gezeigt werden“ könne sie sich nicht erinnern, dass die so ausgeschaut hätten. Besonders bei dem kleineren, die Ohren habe sie nicht gesehen. Sie sei gelernte Schneiderin und sehe, was passt und was nicht passt. Die Männer seien dann aufs Radl gestiegen und den Gehweg Richtung Süden weggefahren. Es folgt die Inaugenscheinnahme von Luftaufnahme der Gebäude an der Bad-Schachener-Straße. Sch. erläutert, dass sie in dem auf dem Bild rechten Häuserblock an der Ecke Richtung Bad-Schachener-Straße, dort habe sie auch aus dem Fenster geschaut. Sie zeigt auf einen Weg am Gebäude und sagt, dort seien die Männer weg gefahren. Die Mützen seien runde, schwarze Kappen gewesen, „wie sie die jungen Leute haben“, sie hätten ausgesehen wie kurze Pudelmützen. Zu den Rädern befragt, sagt sei, es seien „rabenschwarze“ Räder mit dünnen Reifen gewesen. Sie habe, so Sch., nichts von dem verstanden, was die Männer gesagt hätten. Die Männer hätten keinen nervösen Eindruck gemacht. Götzl fragt, warum Sch. nicht mit den Radfahrern geschimpft habe, wie geplant. Sch.: „Mir war das auf einmal// ich weiß nicht, vielleicht weil sie sich da unterhalten haben, da platzt man auch nicht dazwischen.“ Die Männer seien unterschiedlich groß gewesen. Sie habe den Eindruck gehabt , dass das Osteuropäer seien, nicht so wie man sich deutsche Menschen vorstelle. Die Männer hätten „hohe Wangenknochen“ gehabt. Der kleiner Mann sei ihr älter vorgekommen und er habe auch nicht so große Ohren gehabt. Götzl möchte wissen, mit welchen Bildern sie das verglichen habe. Sch. antwortet, mit den Bildern aus den Medien, die seien das nicht gewesen. Götzl möchte wissen, ob sie 2001 Gesichter habe erkennen können. Sch. antwortet, sie habe die schon erkennen können, die Augen aber nicht, die Männer hätten keinen Bart getragen und seien gepflegt gewesen. Götzl hält ihr vor, sie habe in einer Vernehmung am 29. August 2001 gesagt, sie habe die Gesichter nicht gesehen. Sch. sagt, ja, das gehe nicht, die Haut habe sie gesehen, aber die Augenfarbe nicht. Aufmerksam sei sie auf die Männer durch Zufall geworden, sie habe lüften wollen. Sch. sagt, sie habe Kılıç vom Sehen gekannt und bei ihm eingekauft. Götzl sagt, sie habe damals ausgesagt, sie kenne Kılıç nicht und gehe dort nie einkaufen. Sch.: „Das kann nicht sein.“ Götzl hält ihr vor, sie habe damals ausgesagt, die Männer hätten beide ein Headset getragen, eine Freisprechanlage am Kopf. Sch. antwortet, auch das könne nicht sein, das habe sie nicht gesagt, sie kenne so etwas gar nicht. Götzl hält ihr eine Aussage vor, nach der sie gesagt habe, sie habe es eigenartig gefunden, dass die beiden Männer trotz breitem Gehweg an der Hausmauer entlang gefahren seien. Sch. sagt, die Männer hätten an der Hauswand gestanden und beim Losfahren hätten sie auf den Weg vor gemusst. Nebenklagevertreter RA Narin fragt, woran Sch. festgemacht habe, dass es Osteuropäer waren. Sch. sagt, die Hautfarbe sei etwas dunkler gewesen. Sie habe früher beruflich viel mit “ Menschen, die nicht aus Deutschland sind“.zu tun gehabt Sie habe nicht das Gefühl gehabt, dass es Deutsche oder Österreicher, „unser Schlag“, gewesen seien. Das sei ihr Eindruck gewesen, davon gehe sie nicht weg. Zu „objektiven Merkmalen“, an denen sie das festgemacht habe, befragt, sagt Sch., entweder seien sie braun gebrannt gewesen oder wegen dieser hohen Wangenknochen. RA Scharmer hält Sch. vor, sie habe in der Vernehmung von einer „verdächtigen Beobachtung“ gesprochen. Sch. sagt, es sei ihr nichts verdächtig vor gekommen, nur die „Unverschämtheit“, dass die die Räder vor ihrem Fenster abgestellt hätten. Scharmer möchte wissen, ob sie auch mal was anderes gesagt habe als „Osteuropäer“.  Sch. verneint das. Scharmer hält ihr aus dem Vernehmungsprotokoll vor, sie habe angegeben, die Männer hätten ein „ausländisches Aussehen“ gehabt, es hätten Türken gewesen sein können. Sch. sagt, das habe sie ganz bestimmt nicht gesagt. Scharmer sagt, 2005 sei sie nochmal vernommen worden und da habe sie laut Protokoll davon gesprochen, dass die Männer eher westeuropäisch ausgesehen hätten. Das habe sie nicht gesagt, so Sch. RAin Wierig fragt, ob Sch. bei den Leuten ein Handy, vielleicht eins mit einem Knopf im Ohr, gesehen habe, damals habe sie ausgesagt, dass sie jemandem mit einem „Headset (Handy)“ gesehen habe. Sch. sagt, das wisse sie jetzt. Auf Frage von RA Behnke sagt Sch., sie habe bei einer Lichtbildvorlage niemanden erkannt. RAin Lunnebach hält vor, Sch. habe ausgesagt, dass die Männer die Räder vorbei geschoben hätten, dann plötzlich aufgestiegen seien und im beschleunigten Tempo weg gefahren seien. Sch. sagt, das könne nicht sein, die Männer hätten an der Wand gestanden und hätten eine Schritt zu den Rädern gemacht. RAin Kaniuka möchte wissen, was Sch. damit meine, die Männer seien um die Ecke gekommen. Sch. sagt, das sei blöd zu erklären, es sei nur ein Schritt. Anhand der Lichtbilder demonstriert Sch., dass ihre Wohnung im Parterre sei und die Männer um die Hausecke herum gekommen seien. Die Räder hätten da gestanden und sie seien einen Schritt hin gegangen. Dann hätten sie sich die Mütze angezogen und Handschuhe und seien weg gefahren. Das gehe nicht „mit Speed“, weil da eine Wiese sei. RAin Kaniuka fragt, ob sich Sch. erinnern könne, von einem Kurierdienst gesprochen zu haben. Sch. antwortet, sie habe gesagt, die schauen so ähnlich aus wie ein Kurierdienst wegen ihres Outfits. RAin Wolf fragt, ob Sch. die Personen schon einmal vorher gesehen habe, was Sch. verneint. Wolf sagt, bei der zweiten Vernehmung habe Sch. gesagt, sie habe die beiden vorher schon gesehen, da seien sie zwischen den Wohnblocks zur Bad-Schachener-Straße gefahren und nach 20 Minuten seien sie ihr dann wieder unter ihrem Fenster aufgefallen. Sch. sagt, das habe ihr eine andere Mieterin erzählt, eine älter Dame, die ihr gegenüber wohne. Sch. will den Namen und die Adresse der Frau zunächst nicht nennen, tut es dann aber doch. Schneiders fragt zur Größenangabe: Sch. sagt, das sei von oben herunter schwierig. Schneiders hält ihr vor, sie habe angegeben, die Männer seien mindestens 1,90 m groß gewesen und sie habe über die Fensterbank hinweg das Deckhaar gesehen. Sch. sagt, das könne sein, sie seien sicher größer als 1,70 m gewesen, an die Größe könne sie sich aber nicht erinnern. Sch. gibt an, sie habe immer gesagt, die Männer hätten dunkle Haar gehabt. Schneiders hält ihr vor, sie habe gesagt, dass beide richtig schwarzes Haar gehabt hätten. Sch. sagt, das sei bei ihr dunkel. RA Stahl fragt nach der Länge des Haares, Sch. gibt an, die Haare seien vielleicht drei bis vier Zentimeter lang gewesen. Dann fragt Stahl nach der Vernehmung am 29. August 2001. Die Erinnerung sei schwierig, so Sch. Stahl will wissen, ob der Beamte etwas aufgeschrieben oder diktiert habe. Sch. sagt, der Beamte habe die Personalien aufgeschrieben. Ob sich der Beamte Notizen gemacht habe, könne sie nicht sagen. RA Klemke fragt nach dem Größenunterschied zwischen den beiden Männern. Sch. sagt, das sei nicht viel gewesen, fünf bis sechs Zentimeter vielleicht.

Nach der Vernehmung regt RA Stahl an, angesichts der Diskrepanzen in den Beschreibungen, den Beamten, der Sch. vernommen hat, zu befragen, ob ihm die Information ‚osteuropäisch‘ vorgelegen habe oder er die Angabe ‚vermutlich türkisch‘ vielleicht selbst ergänzt habe.

Es folgt um 11.33 Uhr die Mittagspause. Um 14.05 Uhr geht es weiter mit der Zeugin Nuran K. Götzl fragt zu K.s Erinnerungen an den 29. August 2001. K. berichtet, sie sei gerade von der Arbeit gekommen und habe in dem türkischen Lebensmittelladen ein Brot holen wollen. Sie habe die Leute gekannt, vor allem die Frau, aber auch den Mann. Vor dem Laden sei sie ihrem Sohn und einem Freund des Sohnes begegnet, die damals vielleicht acht Jahre alt gewesen seien und ebenfalls etwas hätten kaufen wollen und ihr gesagt hätten, dass der Herr nicht da sei. Sie sei dann rein und habe nach dem Mann gerufen, sie habe aber nicht den Namen gerufen, sondern „Amca“ [türkisch: Onkel, höfliche Anrede für älteren Mann]. Dann habe sie ein Geräusch gehört wie von einem Kaffeeautomaten. Sie sei dann Richtung Küche gegangen und habe den Mann liegen sehen. Dann sei der Postbote gekommen, der habe telefonieren wollen, was nicht geklappt habe. Und dann sei sie zum Polizeigebäude direkt nebenan gelaufen. Zur Zeit sagt sie, sie habe damals als Arzthelferin gearbeitet und es sei wohl gegen ein Uhr gewesen. Götzl fragt zur Lage des Opfers. K. antwortet, es sei erschreckend gewesen.
Normalerweise habe sie mit dem Mann keinen Kontakt gehabt, sie würden nur unter Frauen „ratschen“. Den Namen habe sie nicht gekannt. Die Frau habe sie aber gekannt, die habe eine Tochter gehabt, sei glücklich gewesen. Sie sei häufiger im Laden gewesen , um Kleinigkeiten einzukaufen.
Die Kinder hätten an dem Tag Süßigkeiten kaufen wollen, sie hätten sie sich genommen und sie selbst sei da geblieben, um zu zahlen. Die Kinder seien dann wieder raus gegangen. Götzl will wissen, ob die Kinder das Geschäft mit ihr betreten hätten. Die Kinder seien im Laden gewesen und seien dann wieder raus. Sie habe dann den Mann voller Blut am Boden liegen sehen, ob seitlich oder auf dem Rücken, wisse sie nicht mehr. Das Geräusch sei gekommen, „blubb blubb“ sei gekommen als sie den Mann gerufen habe, vielleicht habe er ihr etwas sagen wollen. Götzl möchte wissen, ob die Kinder das Opfer gesehen hätten. K.: „Nein, Gott sei Dank, nicht.“ K. erzählt, der Postbote habe ein Telefon gehabt und sie hätten beide versucht, zu telefonieren. Das habe aber nicht geklappt, vielleicht seien sie zu aufgeregt gewesen. Der Postbote sei gleich rein gegangen, um zu helfen. Sei selbst sei nicht nochmal im Geschäft gewesen, sondern sei zum Polizeigebäude gerannt. Götzl hält K. vor, sie habe in einer Vernehmung angegeben, dass ihr drei Kinder gefolgt seien, als sie in den Laden gegangen sei, um nach Kılıç zu schauen. K. sagt, sie könne sich nicht an ein drittes Kind erinnern. Ob sie sich an Blut erinnern könne, will Götzl wissen. K. bejaht das. Sie habe einen Schock bekommen, als sie den Mann da habe liegen sehen. Götzl hält K. vor, sie habe angegeben, sie sei an der Kasse vorbei gegangen, habe sich in die Küche gebeugt und habe Kılıç hinter der Kasse in einer riesigen Blutlache liegen sehen. Auch das bestätigt K. Weiter hält Götzl vor, sie habe in der Vernehmung gesagt, die Kinder hätten sich an ihr vorbei gedrängt, weil sie wissen wollten, was passiert sei. K. sagt, das sei nicht so gewesen, die Kinder seien schon weg gewesen. Daran, dass sich die Kinder erschrocken und geschrien hätten, kann sie sich nicht erinnern. Sie betont, die Kinder hätten nichts gesehen. Götzl sagt, K. habe angegeben, der Postbote und sie selbst hätten mit ihrem Handy versucht, die Polizei oder einen Arzt anzurufen. Ob sie ein Handy gehabt habe, wisse sie jetzt nicht mehr. Nach einen Vorhalt, sie habe gesagt, dass sie drei mal das blubbernde Geräusch gehört habe, fragt Götzl noch einmal zur Lage Kılıç. Er hält K. vor, sie habe gesagt, dass sie Kılıç gleich links hinter der Vitrine „mit den Semmeln“ auf dem Boden liegen gesehen habe.“ K. antwortet, Kılıç habe nur Fladenbrot verkauft. Zu ihren damaligen Angaben, Kılıç habe mit dem Kopf Richtung Küche und den Füßen zur Außenwand hinter der Vitrine ausgestreckt auf dem Rücken gelegen, das linke Bein sei ausgestreckt gewesen, das rechte Bein sei im Knie etwas nach außen rechts angewinkelt gewesen, kann K. heute nichts mehr sagen. Dann hält Götzl K. vor, sie habe gesagt, dass Kılıç noch zwei- oder dreimal versucht habe, den Mund zu bewegen. K. sagt, das sei gewesen, wie wenn Kılıç noch etwas habe sagen wollen. Dann geht es um die zeitliche Einschätzung. Sie habe bei der Polizei nach zehn Sekunden ‚Stopp‘ gesagt, als ein Beamter auf den Sekundenzeiger seiner Armbanduhr geschaut habe und habe dann gesagt, ungefähr so lange sei sie im Geschäft gewesen. K. sagt, das müsse länger gewesen sein. Götzl sagt, K. habe angegeben, der Postbote sei auch kurz in das Geschäft gegangen und habe sofort an den Hals von Kılıç gefasst. K.: „Er wollte auf jeden Fall erste Hilfe leisten.“ Götzl sagt, sie habe damals bei der zeitliche Einordnung von 10.45 Uhr gesprochen. Zunächst ist K. erstaunt. Dann sagt sie, das sei ja 2001 gewesen, sie habe aber erst ab 2002 als Arzthelferin gearbeitet und daher könne das stimmen. Götzl liest weiter aus der Vernehmung K.s. vor: Kılıç sei ein sehr stiller Mann gewesen, dazu müsse man aber wissen, dass es bei Türken als höflich gelte, wenn Männer nicht viel mit verheirateten Frauen sprechen; sie selbst habe meistens mit Frau Kılıç gesprochen. K. bestätigt das. K. sagt auf Frage Götzls, Kılıç habe zusätzlich in der Großmarkthalle gearbeitet. Auf Frage sagt K., es habe nach dem Mord alle möglichen Gerüchte gegeben, um Schulden etwa, sie selber habe sich daran aber nicht beteiligt. Dann geht es um K.s Sohn. Götzl sagt, K. habe früher ausgesagt, dass ihr Sohn das Opfer gesehen habe, dass er von dem blutigen Gesicht träume und sie deswegen mit ihm zum Kinderarzt gegangen sei. K. bleibt aber dabei, dass die Kinder nichts gesehen hätten. Dann geht es um eine Skizze, in der K. im Jahr 2001 die Auffindesituation Kılıçs eingezeichnet hatte. K. bestätigt, das sei ihre Schrift und erläutert die Skizze am Richtertisch. Nebenklage Narin möchte wissen, wie weit die Polizeistation weg sei vom Laden und wie lange K. gebraucht habe. K. sagt, die Polizei sei 20, 30 Meter weg, sie wisse nicht mehr, wie lange sie gebraucht habe, sie sei aber schnell gerannt. Narin fragt nach den Kunden des Ladens. Frau Kılıç habe in der letzten Zeit vor dem Mord kalte Speisen angebotene, und die Polizeibeamten seien auch Kunden gewesen, ansonsten die Türken aus der Gegend. Wirtschaftlich sei Frau Kılıç in der letzten Zeit, seit sie die kalte Theke gemacht habe, zufrieden gewesen. Auf Nachfrage aus der Nebenklage, ob die Kinder die Leiche wirklich nicht gesehen habe, sagt K, sie sei sich hundertprozentig sicher. Auf die Frage, wie sie sich die Aussagen von damals erkläre, sagt K. sie könne sich nicht erinnern. Dann nennt sie auf Nachfrage den Namen des Kinderarztes. Zuletzt fragt RAin Schneiders, wann K. nach Deutschland gekommen sei. K. sagt, sie sei seit 1975 in Deutschland. Schneiders will wissen, ob K. 2001 genauso gesprochen habe wie heute. K. sagt, es sei damals wohl schlechter gewesen. Ob es sein könne, dass Sie damals falsch verstanden worden sei in Bezug auf den Kinderarzt, will Schneiders wissen. K. sagt, sie könne sich jedenfalls nicht erinnern, so etwas gesagt zu haben.

Nächster Zeuge ist der Postbote Holger H. H. fragt zunächst, ob er seine Notizen nutzen dürfe, was Götzl verneint. H. berichtet dann frei, er sei von der anderen Straßenseite gekommen und habe an der Ampel gewartet. Der nächste Abgabepunkt [der Post]sei die Rogatekirche gewesen, an dem Tag habe er keine Post für diese Abgabestelle gehabt. Die nächste Nummer sei ein „Steigerhaus“ gewesen, wo man die Treppen hochgehen müsse, er habe ein paar Minuten gebraucht. Dann sei er mit dem Fahrrad zum Haus Nummer 16 gefahren, dort sei ihm eine Frau entgegen gekommen, ganz aufgeregt. Die Frau habe von einem Unfall gesprochen, der Herr Kılıç liege am Boden. Er sei rein gegangen und da habe Kılıç in einer riesigen Blutlache auf dem Boden gelegen. Ihm sei gleich aufgefallen, dass es nach Pulverdampf gerochen habe, aber er sei Laie und habe gedacht, das komme von dem vielem Blut. Entweder der Frau oder einem Passanten habe er gesagt, dass die jemand von der Polizei holen sollten, hundert Meter weiter sei eine Polizeistation. Er sei dann zurück und habe ein Telefon gesucht, er habe vergessen, dass er ein Handy dabei gehabt habe. Im Hinterzimmer habe ein Telefon gestanden und er habe die Feuerwehr angerufen. Es sei eine „grauslige Situation“ gewesen. Der Mann habe aus dem Gesicht geblutet, aus Nase und Mund, aber er habe gar keine Wunde entdecken können. Irgendwie sei da nur eine riesige Blutlache gewesen. Er habe den Mann versucht anzusprechen, der sei aber nicht mehr bei Bewusstsein gewesen. Er habe versucht, ihn auf die Seite zu drehen, das sei aber schwierig gewesen, weil der Mann einen massigen Körper gehabt habe. Die Atmung sei dann leichter gegangen. Dann seien zwei Polizisten gekommen, einer habe Einweghandschuhe gehabt und habe den Hinterkopf abgetastet und gesagt, das sei eine Schusswunde. Auf Frage Götzls sagt H., die Frau habe er nicht gekannt, das sei wohl eine Kundin gewesen, vielleicht eine Türkin. Es sei ein Kind dabei gewesen. Er habe den Jungen auch raus geschickt. Der habe mit bleichem Gesicht leicht versetzt mitten im Laden gestanden und den Verletzten angestarrt. Er, H., habe gesagt, geh raus. Er wisse aber nicht mehr genau, ob es ein Junge oder ein Mädchen gewesen sei. Götzl fragt nach der Lage von Kılıç. H. sagt, Kılıç habe auf dem Rücken gelegen, die Beine seien fast ineinander verknotet gewesen, wie eine Marionette, die man loslässt, es sei eine ganz unnatürliche Haltung gewesen. Ob die Frau versucht habe, zu telefonieren, will Götzl wissen. H. sagt, vielleicht habe er es ihr gesagt oder einem Passanten, es seien Leute vorbei gekommen, er habe nicht gesehen, ob sie telefoniert habe. Er wisse nicht mehr, ob die Frau auch ein Handy gehabt habe. Zur zeitliche Einordnung sagt er, es sei vormittags gewesen, vielleicht halb elf, er wisse das nicht mehr, habe es aber sicher zu Protokoll gegeben. Götzl fragt, ob H. Geräusche wahrgenommen habe. H. sagt, laienhaft gesprochen sei das Blut in die Lunge gelangt und durch irgendeinen Reflex habe Kılıç das wieder ausgespuckt. Er, H., habe jedoch keinen Willen erkennen können, keine Möglichkeit, dass Kılıç was habe sagen wollen. Herrn Kılıç habe er vermutlich am Vortag das letzte Mal gesehen, das wisse er nicht genau. Meistens sie Frau Kılıç im Laden gewesen. Mit ihr habe er geredet, der Mann habe wohl nicht so gut Deutsch gekonnt. Götzl fragt, ob H. weitere Personen wahrgenommen habe. Wenn Götzl jetzt auf die Radfahrer anspiele, müsse er passen, so H. Allerdings habe es ein Ereignis gegeben, als er an der Ampelanlage gewesen sei. Er habe bei Grün los fahren wollen und da sei ein weißer oder taxigelber Mercedes die Bad-Schachener-Straße bei Rot über die Ampel gebraust. Er sei fast mit dem zusammen gerast. Er habe dann ein paar Stunden später bei dem Polizisten angerufen, ob das vielleicht verknüpft sei, aber heute wisse man ja, dass es so nicht so gewesen sei. Götzl fragt nach H.s Notizen. H. sagt, die habe er unmittelbar am selben Tag angefertigt. Er verliest die verschiedenen Zeiten seines Dienstes am 29. August 2001, dann „Mord an Kılıç“. Götzl hält H. vor, er habe am 29. August davon gesprochen, er sei gegen 10.45 Uhr in Richtung Bad-Schachener-Straße gefahren, und am 31. August habe er gesagt, dass er während des Wartens auf die Grünphase auf die Kirchturmuhr geschaut und da sei es 10.32 Uhr gewesen. Weiter hält Götzl vor, H. habe angegeben, dass seine frühere Angabe, den Laden um 10.45 Uhr betreten zu habe, wohl nicht richtig sei, weil er maximal fünf Minuten auf dem Weg zum Laden mit der Postzustellung beschäftigt gewesen sei und daher den Laden etwa um 10:37 Uhr betreten habe. H. bestätigt das. Dann hält Götzl vor, H. habe früher von zwei oder drei Kindern gesprochen. H. sagt, er könne sich nur an eines erinnern. Weiter sagt Götzl, H. habe davon gesprochen, dass die Frau versucht habe, mit dem Handy Hilfe zu holen, das aber nicht geschafft habe. Er habe keine Erinnerung mehr. Außerdem, so Götzl, habe H. gesagt, auch er habe mit dem Handy der Frau ein paar Mal versucht zu telefonieren. Das könne er sich nicht vorstelle, so H. Dann habe H. die Frau zur Polizei geschickt, so Götzl über H.s frühere Aussage. H.: „Dann hab ich doch die Frau zur Polizei geschickt, okay.“ Schließlich spricht Götzl davon, dass H. ausgesagt habe, von einer Renate K. erfahren zu haben, dass diese noch um 10.15 Uhr Kılıç lebend gesehen habe. H. sagt, er habe eine Kollegin mit dem Namen K. gehabt, er könne sich daran aber nicht erinnern.

Nach der Vernehmung fragt Götzl, ob die Vernehmungen der Notärzte in den Fällen Kılıç und Kubaşık benötigt würden. Die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung meinen, dass das nicht benötigt werde. RA Scharmer sagt für die Nebenklage, dass er sich dazu morgen gerne dazu erklären würde. Götzl sagt, dass es auf den Verzicht der Nebenklage nicht ankomme. RA Scharmer sagt, es gehe nicht um den Verzicht, sondern um eine Erklärung dazu.

Um 15.16 Uhr endet der heutige Verhandlungstag.

Rechtsanwalt Stolle erklärt zur Vernehmung von Frau Sch.:

“Die Zeugenvernehmung bestätigt, dass zur Tatzeit auch am Tatort Kilic zwei Fahrradfahrer waren, die ihre Fahrräder in unmittelbarer Nähe abgestellt hatten und den Tatort zügig verlassen hatten. Auch an anderen Tatorten wurden zwei Fahrradfahrer gesehen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich für die Polizei daraus kein eigener Ermittlungsansatz ergab.“

    » «