Neben einem Zeugen im Mordfall Turgut, der in Rostock die tödlichen Schüsse gehört hatte, wurde an diesem Tag vor allem der Nürnberger Kriminalhauptkommissar Vögeler befragt. In seinen angestrengten Ermittlungen im Umfeld der Familien der Opfer Şimşek und Özüdoğru war er immer wieder erfolglos den kleinsten Verdachtsmomenten in Richtung Steuerhinterziehung, Drogen und Organisierter Kriminalität akribisch nachgegangen. Sowohl Fahrradfahrer am Tatort als auch Rechtsextremismus als Motiv waren für Vögeler offensichtlich keine Spuren, denen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Zeugen:
- Albert Vögeler (EKHK, Soko „Halbmond“, BAO „Bosporus“, Ermittlungen Mordfälle Şimşek und Özüdoğru)
- Alexander He. (Zeuge Mordfall Turgut)
Der Prozesstag beginnt um 9:49 Uhr mit der Feststellung der Präsenz, die unverändert ist. RAin Sturm ist wieder anwesend. Auf Seite der Nebenkläger_innen sind zwei nächste Familienangehörige des ermordeten Enver Şimşek anwesend.
Da der erste Zeuge noch nicht da ist, wird die Befragung des Zeugen Vögeler vorgezogen. Albert Vögeler, 51 Jahre, ist erster Kriminalhauptkommissar, Leiter des K11, Fachdezernat Nürnberg. Er war mit den Ermittlungen in den Mordfällen Şimşek und Özüdoğru betraut, Mitglied der SoKo „Halbmond“ und später der BAO „Bosporus“.
Vögerler berichtet: Şimşek sei damals 38 Jahre alt und wohnhaft in Schlüchtern in Hessen gewesen, habe zwei Kinder gehabt, die damals 13 und 14 Jahre alt gewesen waren. Vögeler schaut in seine Notizen, Götzl bittet ihn, allein aus seiner Erinnerung auszusagen. Şimşek habe einen Blumenstand betrieben, ein Verkäufer sei angestellt: Herr T. Dieser sei damals am 9.11.2000 in Urlaub gewesen, deswegen habe Şimşek das dritte Wochenende in Folge selbst an seinem Blumenstand verkauft.
Ermittelt worden sei, so der Zeuge, damals in Schlüchtern im persönlichen Umfeld des Geschädigten, der in erster Linie mit seinem Blumengroßhandel beschäftigt gewesen sei, ein Ladengeschäft betrieb und drei mobile Stände gehabt habe. Dies sei sein Hauptberuf gewesen. Einmal in der Woche sei Şimşek nach Holland gefahren um Schnittblumen zu ersteigern. In einer angemieteten Kühlhalle seien, so Vögeler, „türkische Hausfrauen“ angestellt, um aus den Schnittblumen Blumensträuße zu fertigen und diese habe Şimşek an Händler verkauft. Bis zu 60 Blumenverkäufer waren Kunden bei ihm. Der Großhandel sei auf Adile Şimşek, die Ehefrau, angemeldet gewesen. Enver Şimşek sei arbeitslos gemeldet gewesen, hatte jedoch eine Genehmigung für die Tätigkeit. Es gab ein Finanzstrafverfahren, bei dem Frau Şimşek eine Geldnachzahlung in Höhe von 65.000 DM und 3000 DM Strafe habe zahlen müssen. Eine „Briefkastenfirma“ in Köln habe wohl seine Einfuhren aus Holland verschleiern sollen, so der Zeuge. Seinen Großhandel habe er seit 1996 geführt, jedoch solle Şimşek ab Mai 2000 die Absicht gehabt haben, den Großhandel zu verkaufen, „was keinen rechten Sinn gab aus unserer Sicht“, so der Beamte. Diese Absicht habe Şimşek gegenüber Zeugen, die ihn gut kannten, geäußert. Diese hätten eine Wesensveränderung an ihm festgestellt, er solle überlegt haben, eine Koranschule in Schlüchtern zu eröffnen. Die Gebrüder T., Cousins von Şimşek, hätten angeboten, 70.000 DM den Blumengroßhandel zu übernehmen.
1985 sei Enver Şimşek mit seiner Ehefrau nach Deutschland gekommen, sie hätten zuerst in Fulda gelebt, seien 1995/1996 schließlich nach Schlüchtern gezogen und dort habe er dann seinen Blumengroßhandel aufgebaut. Schon damals habe er sehr gut verdient, bei einer türkischen Bank habe er über 100.000 Mark angelegt, das schließlich auf eine deutsche Bank transferiert und angelegt. Zu den Ermittlungsergebnissen befragt, sagt Vögeler, dass vor allem die Vernehmungen bei Adile Şimşek „sehr viel gebracht“ hätten, aber auch die bei Fadime Şimşek.
Befragt nach der Persönlichkeit des Ermordeten, sagt der Zeuge, Şimşek sei als zielstrebig und sehr arbeitsam beschrieben worden. Im Geschäftsleben sei er sehr durchsetzungsfähig gewesen, bestrebt darauf Geld zu verdienen. Sehr beliebt sei er in der islamischen Gemeinde gewesen. Als Familienvater sei er sehr liebevoll gewesen. Der Vorsitzende Richter hält dem Zeugen vor, Şimşek sei als gläubiger Moslem, Familienvater und ohne Feinde beschrieben worden, was der Zeuge bestätigt.
Götzl fragt, ob das Handy des Opfers ausgewertet worden sei, es gehe ihm um den Tatzeitpunkt. Vögeler berichtet, dass am Tattag ein Handy bei der schwerverletzten Person angefunden worden sei, das zu dem Zeitpunkt auf „stumm“ gestellt gewesen sei. Es habe zwei Anrufe an jenem Tag gegeben um 12:18 und 12:40h, aber die Telefongesellschaft habe nicht sagen können, wer der Anrufer gewesen sei. Die Telefonate hätten jeweils ca. 30 Sekunden gedauert. Eine Begründung dafür, dass die Anrufer nicht ermittelt werden konnten, könne sein, dass die Anrufe entweder aus dem Ausland kämen oder von einem ausländischen Handy aus getätigt worden seien, so Vögeler. Jedenfalls sei Şimşek um 12:45 Uhr noch durch den Zeugen P. am Stand gesehen worden. Dann seien der Zeuge L. gekommen und der Zeuge Z., die am Mercedes Sprinter von Şimşek die Türen als geschlossen wahrgenommen hätten, den Geschädigten aber nicht gesehen hätten. Da die Telefonnummer von Şimşek groß auf dem Wagen stehe, habe Herr L. diese auf dem Wagen geschriebene Nummer angerufen, es habe aber niemand geantwortet. Dieser Anruf sei um 13:15h gewesen. Herr Z. habe die Heckklappe geöffnet aber nichts Auffälliges gesehen, was aber erklärbar sei durch den Aufbau des Innenraumes: Man habe nicht weiter nach vorne und auf den Boden sehen können. Ob denn die Tachoscheibe ausgewertet worden sei fragt Götzl, ja, bestätigt Vögeler, der Wagen sei von früh morgens bis 8:45h gefahren worden, danach wohl nicht mehr bewegt worden.
Intensiv seien der Mercedes Sprinter und der Tatort ausgewertet worden, so Vögeler, daktyloskopische Spuren [Fingerabdrücke] und DNA seien sichergestellt worden, die Spuren hätten jedoch dem Opfer und dessen Angehörigen zugeordnet werden können. Man habe auch ein Kaugummi und ein Handflächenfragment geprüft, diese seien jedoch nur Teilspuren gewesen, deren Prüfung nichts ergeben habe. Auch auf Reifenspuren sei geprüft worden, diese seien aber von schlechter Qualität gewesen, da der Platz, wo der Sprinter gestanden habe, geteert gewesen sei.
Auf Nachfrage von Götzl erläutert der Zeuge die Verbindungsdaten: Die letzten Kontakte des Geschädigten seien überprüft worden, sie seien alle aus dem Umfeld des Geschädigten, der Familie und Bekannte gewesen. Bis auf jene zwei unbekannten Anrufe am Tattag. Sie hätten im Umfeld des Blumenhändlers sehr viele Vernehmungen durchgeführt, auch beim angestellten Verkäufer T., so der Zeuge. Viele weitere Personen hätten sie vernommen, die „Wahrnehmungen“ gemacht hätten, die allerdings viele Widersprüche gehabt haben. So sei da z.B. das Ehepaar K. gewesen, die nach 14 Uhr eine Frau mit Kopftuch und zwei Fahrzeuge gesehen haben soll. Sie sagt, die Schiebetür sei offen gewesen, jedoch hätten die Ermittlungen ergeben, dass sie um diese Uhrzeit – also nach 13:15h – geschlossen gewesen sein müsste. Auch die Zeugin G. sei eine Spur gewesen, so der Zeuge Vögeler. Sie habe am Tattag in ca. 900 m Entfernung vom Tatort ein Streitgespräch mitbekommen zwischen zwei Männern. Den einen solle sie als Enver Şimşek identifiziert haben. Den Zeitpunkt habe sie auf 12:45h-13:15h gelegt. Sie habe einen extra großen Bogen um die Streitenden gemacht. Später habe sie an der Straße den „Aggressor“ wieder gesehen, der zu einem anderen Mann bei einem Auto gegangen sei, welches ein rumänisches Kennzeichen gehabt habe. Die Zeugin erkenne das, weil sie selbst aus Rumänien käme, habe sie gesagt, so Vögeler.
Auf Bitte von Götzl erläutert der Zeuge Vögeler den Fall Özüdoğru: Dieser sei 48 Jahre alt gewesen, sei 1980 nach Deutschland gekommen, 1982 sei die Tochter geboren worden. Viele Jahre haben er und seine Familie in der Tatortwohnung in der Gyulaerstraße gelebt. Er sei Schichtarbeiter bei einem Rüstungsbetrieb gewesen, 25 Jahre lang, und habe bis zu 3.500 DM Gehalt bekommen. Ein großer Raum der Wohnung sei abgetrennt gewesen, dort habe er eine Änderungsschneiderei betrieben, denn seine Ehefrau sei Schneiderin. Es sei ein kleines Geschäft gewesen, die Frau habe sich 1997 von Herrn Özüdoğru getrennt, 1998 sei die Scheidung eingereicht worden. Grund für die Scheidung sei, dass Herr Özüdoğru immer wieder gewalttätig gewesen sei.
Im Geschäft sei nahezu kein Umsatz gemacht worden, führt Vögeler aus. Ehefrau und Tochter seien weiterhin in Nürnberg wohnhaft. Es seien im persönlichen Umfeld des Geschädigten keine Auffälligkeiten festgestellt worden: Er sei politisch eher konservativ eingestellt gewesen. Bei Kollegen hätte der Geschädigte Sammlungen für Stiftungen der türkischen Armee gemacht, so Vögeler. Insgesamt habe es keine Unregelmäßigkeiten und strafrechtlich keine Erkenntnisse gegen Özüdoğru gegeben. Arbeitskollegen und Personen, die ihn gut kannten, hätten Özüdoğru als „nicht streitsüchtig“ und fleißig beschrieben. Die Ehefrau habe natürlich von einem „Martyrium über Jahre hinweg“ berichtet, denn wenn der Geschädigte Alkohol getrunken habe, sei er streitsüchtig geworden, so der Zeuge.
Was die Tat angehe, so berichtet Vögeler auf Bitte Götzls: Özüdoğru sei am 13. Juni 2001 um 21.45h in seinem Geschäft tot aufgefunden worden. Am Tatort seien zwei Hülsen gefunden worden, die „schleunigst zum BKA“ gebracht worden seien. Die Schüsse seien aus einer Ceska 83 abgefeuert worden. Die Gewissheit, dass es sich um die selbe Waffe wie bei den anderen Morden handele, habe man schon zwei Tage später gehabt, so Vögeler.
Auf Nachfrage berichtet der Zeuge von den Ermittlungsansätzen: So habe sich die Zeugin P. am Tattag direkt an der Absperrung des Tatortes an die Polizisten gewandt: sie habe nachmittags einen Transporter gesehen und um 16:30h zwei Schüsse gehört. Sie habe aus dem Fenster geschaut und einen Mann aus der Richtung von Özüdoğrus Ladengeschäft weggehen gesehen Der Mann sei laut Zeugin als Beifahrer in einen geparkten Opel Omega eingestiegen. Man habe nach ihren Angaben auch ein Phantombild angefertigt. Sie habe gesagt, sie habe den Mann schon einmal zwei Tage vor dem Mord auf der Straße gesehen. Er habe an dem alten Auto von Özüdoğru gestanden und mit diesem gestritten. Dies sei für ihn ein Ermittlungsansatz gewesen, sie hätten Befragungen im ganzen Viertel getätigt. Weil der Opel des unbekannten Mannes ein schwarzes Kennzeichen mit weißen Buchstaben gehabt habe, habe man, so Vögeler, eine Fahndung nach dem Fahrzeug in Nürnberg und an der Grenze zu Polen gemacht, die Fahndung sei sogar veröffentlicht worden. Es seien verschiedene Hinweise eingegangen, aber keine, die „auf den Täter geführt“ hätten.
Vögeler sagt, eine weitere Spur sei „aus unserer Sicht“ damals eine Telefonnummer aus England gewesen. Die Nummer sei laut Europol auch in einem englischen Rauschgiftverfahren aufgetaucht. Sie habe einem Herrn Ö. gehört, der wohl auch der Frau Özüdoğru bekannt gewesen sei. Letztendlich habe sich herausgestellt, dass die Nummer zu einem Pub gehörte. Ebenso sei eine holländische Nummer verdächtig gewesen, die jedoch auch zu keinen nennenswerten Erkenntnissen geführt habe, so der Zeuge.
Eine weitere Spur sei der Staub gewesen, den sie zur Untersuchung eingeschickt hatten, so Vögeler: Bei dem Staub aus zwei Hartschalenkoffern des Geschädigten habe man „Restspuren von Kokain, Heroin und Cannabis“ festgestellt, auch bei dem Staub, der dem Beifahrersitz des PKW des Herrn Özüdoğru zuzuordnen war. Allerdings nicht im Kofferraum oder an irgendeinem anderen Ort. Auf Nachfrage von Götzl erklärt der Zeuge, dass dies nur „feinste Spuren“ wären, die auch „Übertragungsspuren“ sein könnten, „aber dieses Ergebnis haben wir bekommen bei den Untersuchungen.“
Auf Nachfrage erläutert der Zeuge die Tatortauswertung genauer: Man habe die Tatortspuren im Geschäftsraum und der Wohnung ausgewertet und Personen aus dem persönlichen Umfeld zugeordnet, letztendlich blieben aber keine Spuren übrig, die einem unbekannten Täter hätten zugeordnet werden können. Wichtigster Fund seien die beiden besagten Hülsen gewesen. Götzl hält dem Zeugen aus dem Sachstandsbericht zum Fall Enver Şimşek der „SoKo Halbmond“ vor: Man habe DNA Spuren auf Gläsern bei Şimşek im Führerhaus des PKW gefunden, eine weibliche und eine männliche DNA, die nicht zugeordnet werden konnten. Ja, das stimme, sagt Vögeler, er wisse aber letztendlich, dass keine relevanten Tatortspuren unidentifiziert geblieben seien.
Zu den Verbindungen zwischen den beiden Mordfällen Şimşek und Özüdoğru befragt, sagt der Zeuge Vögeler, dass man außer bei der Waffe keine direkte Verbindung habe feststellen können. Sicherlich habe es Leute gegeben, die Özüdoğru kannten und bei Herrn Şimşek Blumen gekauft haben, aber das wäre für „uns“ nicht relevant gewesen.
Insgesamt hätten sie „umfangreiche Ermittlungen in verschiedenen Bereichen“ geführt. Da sei im Fall Şimşek der Konkurrent „C.“ aus Friedberg in Hessen gewesen. Der Geschädigte und „C.“ sollen sich bekämpft haben, „C.“ habe gesagt, er wolle Şimşek vernichten. Man habe „C.“ durchsucht. Auf Nachfrage von Götzl erklärt Vögeler, dass sie verdeckte Informationen bekommen hätten, dass dieser „C.“ einen „Killer“ gesucht habe, „der den Şimşek umbringe“. Schlussendlich hätten sie, so Vögeler, aber den „C.“ als Verdächtigen ausschließen müssen. Aber das sei ein großer Komplex gewesen, der sie Monate lang beschäftigt habe.
Ein anderer Komplex sei ein Herr T. gewesen, der in BTM-Handel (Betäubungsmittel) und Schutzgelderpressugen involviert gewesen sei. Laut Vögeler hätten sie einen Kronzeugen aus dem Verfahren gegen T. Befragt. Dieser Kronzeuge habe berichtet, er habe verschiedene Drogentransporte durchgeführt. 1997 habe er Streckmittel im Fahrzeug von Şimşek von Holland nach Frankfurt transferiert und Şimşek erkannt. Später habe sich allerdings herausgestellt, dass das so nicht stimmen könne, denn der Kronzeuge. habe gesagt, dass auf dem Fahrzeug des Herrn Şimşek dessen Aufschrift war. Diese wurde nachweislich aber erst später angebracht.
Auch die Ermittlungen in Bezug auf einen Herrn Y., der einen ähnlichen Großhandel wie Şimşek bei Karlsruhe gehabt habe und gegen den Jahre lang wegen Rauschgift ermittelt wurde seien ergebnislos verlaufen. Es habe sich herausgestellt, dass Y. seinen Großhandel schon längst verkauft hatte, so Vögeler. Auch die Ermittlungen Richtung Rumänien, die sich aus der Aussage der Zeugin G. ergeben hatten, hätten zu keinem Ergebnis geführt.
Der Vorsitzende Richter Götzl unterbricht für eine Viertelstunde und beginnt dann die Befragung des Zeugen Alexander He., 27, Anwohner in der Nähe des Tatortes des Mordes an Mehmet Turgut in Rostock am 25.4.2004.
Der Zeuge berichtet: „Mein damaliger Wohnort war nicht mal 30 m vom Tatort entfernt.“ Er habe vom Wohnzimmer Blick auf den Kebabgrill gehabt, habe sich an jenem Tag noch im Schlafzimmer aufgehalten, weil er frei hatte. „,Ich habe einen Schuss unbewusst gehört und dann zwei Schüsse bewusst gehört“, er sei davon wach geworden, so He. „Ich hab mir erst nichts dabei gedacht“, weil das Gegend sei, „wo das mal passieren“ könne. Vom Wohnzimmer aus habe er nichts gesehen, was er als „unüblich“ empfunden habe. Auf den Aufruf der Polizei hin habe er sich dann bei der örtlichen Polizei gemeldet und gesagt, dass „ich die Schüsse gehört habe und mir sicher [war], dass es keine Knallkörper war.“ Ihm habe sich die Richtung des Geräusches erschlossen und er habe sie dem Mord zugeordnet.
Auf Nachfrage erklärt He. die Anzahl der „bewussten“ und „unbewussten“ Geräusche: „ich würde sagen, ich bin durch den ersten [Schuss] wach geworden, es kann natürlich sein, dass das schon der zweite oder dritte war.“ Auch sei er sich schon zu dem Zeitpunkt sicher gewesen, dass es sich zum einen Pistolenschuss und nicht um einen Feuerwerkskörper handele. Götzl fragt: Haben Sie Ahnung von Waffen? Zeuge He. erzählt, er habe sich damals „eingehend für das Thema interessiert“, habe sich im Internet informiert, es sei sein Interessengebiet gewesen, er sei jung gewesen: „ich würde jetzt vielleicht sagen: typisch männlich“. Ob er selbst Erfahrungen mit Waffen habe, fragt Götzl: „Selbstverständlich nicht“, antwortet der Zeuge.
In welchem Abstand seien die Schüsse gefallen: „1-2 Sekunden“, die Echos hätten sich nicht unterbrochen, so He.. Gefragt nach der Uhrzeit sagt er „Irgendwas in der Früh, zwischen 7 und10h“, er habe nicht auf die Uhr geschaut.
Nach den Geräuschen sei er aus dem Schlafzimmer, was nach Süden rausgehe, ins Wohnzimmer gegangen und habe dort aus dem Fenster geschaut, habe aber nichts sehen können. Ob er sonstige Beobachtungen gemacht habe, will Götzl wissen. He. sagt, ihm sei damals ein Fahrzeug aufgefallen, dass zwei bis drei oder vielleicht fünf Tage vorher dort beim Dönerimbiss, direkt am Zaun von der Kindertagesstätte, permanent geparkt hatte, was vorher nicht dort war. Was genau für ein Fahrzeug das war, könne er heute nicht mehr sagen.
Götzl beginnt, dem Zeugen aus seiner Vernehmung vorzuhalten und fragt ob er die Fenster offen gehabt habe. Der Zeuge sagt, er wohne im 3. Stock und bejaht: „Ich konnte die Schüsse gut hören, weil das Fenster angekippt war.“
Götzl hält ihm vor, er habe damals ausgesagt, er habe nach dem Wachwerden auf sein Handy geschaut, die Uhr habe 10:12h gezeigt. Er habe das später mit seinem Funkwecker verglichen und festgestellt, dass sein Handy zwei Minuten nachginge. Also seien die Schüsse ziemlich genau um 10:14h gefallen. Auch habe er damals ausgesagt, dass „ein Schalldämpfer wohl nicht benutzt“ worden sei, denn sonst hätte er das nicht hören können. Der Zeuge sagt, er könne sich nicht mehr an die Uhrzeit erinnern, aber dann sei das wohl so gewesen. Seine Auffassung betreffend des Schalldämpfers bestätigt er, auch könne er einen Revolver von einer Pistole unterscheiden und schließe darauf, dass es eine Pistole gewesen sei. Er sei nach den Schüssen noch zwei Minuten im Bett geblieben, sei dann aufgestanden und habe aus dem Wohnzimmerfenster geguckt, wo niemand draußen zu sehen gewesen sei. Das habe ihn gewundert, weil man ja sonst immer jemanden sieht, wenn es „komische Geräusche“ gebe, „keinerlei Personen oder Fahrzeuge“.
Götzl hält vor, dass das Fahrzeug neben dem Kebabgrill ein weißer Golf gewesen sei, der da aber schon seit Wochen gestanden habe und auch danach immer noch in der Parknische direkt neben dem Imbiss gestanden habe. Der Zeuge sagt, er könne sich heute nicht mehr genau daran erinnern.
Ob ihm in Erinnerung sei, dass dann irgendwann die Polizei gekommen sei, will Götzl wissen: Nein, er erinnere sich nicht. Götzl hält ihm vor: Er habe ferngesehen, bis ca um 14 Uhr ein „Kumpel“ kam, der ihm sagte, er solle mal aus dem Fenster schauen. Da wäre dann der Imbiss polizeilich abgesperrt gewesen. He. bestätigt seine Aussage.
Ob er die Leute am Imbiss gekannt habe, will Götzl vom Zeugen He. wissen. Ihm seien Bilder vorgelegt worden, er glaube, er hätte einen davon identifizieren können. Götzl sagt, dass laut Akten im nur ein Foto gezeigt wurde. He. sagt: „in meiner Erinnerung wurden mir mehrere Fotos gezeigt“, „sonst wäre es ja auch zu einfach gewesen.“ Er selbst habe da auch öfter gegessen, sagt He. Götzl hält ihm vor, die Leute vom Imbiss seien „mal freundlich, mal abweisend“ gewesen, was der Zeuge damit begründet habe, dass er manchmal eine Jacke abgehabt habe, die einer Bomberjacke ähnele. Daran kann sich He. nicht erinnern. Ob er mal Unterhaltungen mitbekommen habe, will Götzl wissen. Der Zeuge verneint, er habe auch „deren Landessprache nicht verstanden“, insofern könne er dazu nichts sagen.
Richterschaft und BAW haben keine Fragen an den Zeugen. Nebenklage-Vertreter RA Narin fragt, wie man in den Vernehmungen auf das Thema Schalldämpfer gekommen sei, ob er das von sich aus erzählt habe oder ob er danach gefragt worden sei. He.: „Ich kann mich nicht daran erinnern, danach gefragt worden zu sein.“ Ob er wisse, wie ein Schuss mit Schalldämpfer klinge. Der Zeuge bejaht, er gehe davon aus, dass er die Schüsse sonst nicht gehört hätte. Er wisse das aus Medien, Internet, aus Filmen, Audiospuren – er habe sich damit beschäftigt. Ob er aus der Nachbarschaft einen Herrn Felix V. kenne. Zeuge He. „Nein, nicht dass ich wüsste.“
Ein anderer Nebenklage-Anwalt fragt, ob es Vermutungen und Gerüchte in der Nachbarschaft gegeben habe. Der Zeuge sagt, er habe keinen Kontakt zur Nachbarschaft, er habe sich nur mit seinem Kumpel insofern darüber unterhalten, dass dieser gesagt hatte: „Guck mal aus dem Fenster“. Das könne doch nicht alles gewesen sein,hakt der Anwalt nach, selbst wenn man das ja von „Norddeutschen“ kenne. Der Zeuge ergänzt, man brauche unter Freunden nicht viele Worte. Nun fragt der Anwalt direkt, ob der Zeuge unter Druck stehen würde oder gar bedroht worden sei. He. antwortet: „Nein, ich bin aus freien Stücken hier“, er sage freiwillig aus, und sage das, an was er sich erinnern könne.
Die Verteidigung hat keine Fragen an den Zeugen, der dann ohne Vereidigung entlassen wird.
Mittagspause.
Vor dem Gericht findet in der Mittagspause eine antifaschistische Mahnwache in Gedenken der Opfer des NSU sowie der weiteren 172 Todesopfer rassistischer und rechter Gewalt statt. Ebenfalls vor dem Gericht verbringt der Angeklagte André E. seine Mittagspause mit dem bekannten Neonazi Daniel Thönnessen und einem weiteren Kameraden. Thönnessen ist ein wegen Sprengstoffdelikten verurteilter ehemaligen Aktivist der inzwischen verbotenen Kameradschaft Aachener Land (KAL), der mittlerweile in München lebt und am zweiten Prozesstag der Verhandlung als Zuhörer folgte. Die beiden Neonazis gehen auch zur antifaschistischen Kundgebung und versuchen, die Teilnehmenden und anwesende Journalist_innen zu fotografieren.
Um 12.37 Uhr wird die Sitzung fortgesetzt mit der Befragung des Zeugen Vögeler. Zunächst fragt Nebenklagevertreter RA Tikbas. Tikbas spricht Vögeler darauf an, dass Özüdoğru politisch konservativ gewesen sei und Geld für die türkische Armee gesammelt habe. Er will wissen, wie Vögeler zu diesen Erkenntnissen gekommen sei. Vögeler sagt, sie hätten Arbeitskollegen befragt, seine Fahrgemeinschaft, und da sei gesagt worden, er sei rechts gewesen und es sei auch mal der Name MHP gefallen. Die Witwe habe dazu keine Angaben machen können. Er glaube, dass es zwei Einzahlungen gegeben habe in der Größenordnung 5.000, 10.000 DM. Tikbas fragt, ob überprüft worden sei, seit wann Özüdoğru im Besitz des Fahrzeugs gewesen sei, in dem Drogenspuren gefunden worden seien. Vögeler sagt, Özüdoğru sei seit mehreren Jahren im Besitz des Fahrzeugs gewesen. Der Vorbesitzer sei nicht befragt worden. Tikbas hält Vögeler aus der Akte vor, in der Wohnung, dem Laden und dem PKW Özüdoğrus seien keine Hinweise auf Rauschgift gefunden worden; er will wissen, wie es dazu gekommen sei. Vögeler sagt, die Spuren an den Koffern seien gleich am Tatort entnommen worden, das Ergebnis vom BKA sei aber erst im April 2002 gekommen. Tikbas sagt, Vögeler habe auf die Frage des Vorsitzenden nach Verbindungen zwischen den Morden an Özüdoğru und Şimşek geantwortet, es gebe keine außer der Waffe. Er will wissen, was konkret zu dieser Feststellung unternommen worden sei. Vögeler sagt, die Bekanntenkreise der beiden Opfer seien befragt worden. Da habe es keine Erkenntnisse gegeben und auch bei der Telefonauswertung seien keine Übereinstimmungen gefunden worden.
Tikbas fragt dann zum Mordfall Şimşek. Er möchte wissen, wie der Name der Vertrauensperson sei, die davon gesprochen habe, dass „C.“ einen Killer zur Ermordung Şimşeks gesucht habe. Vögeler sagt, der Person sei Vertraulichkeit zugesichert worden, er kenne den Namen aber auch nicht. Zuständig sei die Dienststelle Nürnberg gewesen. RA Lucas fragt, ob es weitere Spuren neben der Drogenspur gegeben habe. Vögeler sagt, ein großes Aufgabengebiet sei gewesen, weitere Tötungsdelikte zu prüfen, ob auch diese zur Serie gehörten. Da sei zum einen der Fall Kılıç in München zu nennen, zum anderen habe es in Heilbronn einen Mord mit Schusswaffe an einen türkischen Geschäftsmann gegeben. Der Täter sei später am Flughafen Stuttgart festgenommen worden, es sei ein Auftragskiller aus Holland gewesen. Hier hätten auch die Hintermänner geklärt werden können. Dieser Vorgang sei intensiv auf Verbindungen zu Şimşek untersucht worden.
RA Lucas fragt nach Verdachtsmomenten innerhalb des Familienkreises. Vögeler sagt, das familiäre Umfeld werde bei ungeklärten Tötungsdelikten grundsätzlich untersucht. Außerdem habe es aus „Blumenhändlerkreisen“ Hinweise auf eine Freundin gegeben und es sei im Fahrerbreich des Mercedes Sprinter ein Zettel gefunden worden, der als Liebesbrief habe gedeutet werden können. Dort habe übersetzt gestanden: „Komm zurück, Liebling“. Schließlich habe die Witwe im Mai 1999 ohne Wissen ihres Manns 25.000 DM von einer Bank in der Türkei abgehoben. Die Idee, dass Şimşek eine Freundin gehabt habe und das ein Motiv sein könne, habe sich zerschlagen. Lucas will wissen, ob es Spuren gegeben habe, an denen man festgehalten habe bis zum 4. November 2011. Vögeler sagt, es habe keine offenen Spurenbereiche gegeben, die zum Täter hätten führen können, mit Ablauf 2008 habe es keine heiße Spur mehr gegeben. Verbindungen zur Angeklagten Zschäpe seien ihm damals keine aufgefallen, so Vögeler. Lucas fragt, ob denn in Richtung Rechtsextremismus ermittelt worden sei. Vögeler antwortet, innerhalb der Soko „Şimşek“ und später „Halbmond“ sei über das Motiv Fremdenfeindlichkeit diskutiert worden, es sei aber nicht ermittelt worden, weil es keine Hinweise gegeben habe. Hinweise auf kriminelle Gruppe und Betäubungsmitteldelikte habe es gegeben. Erst nach den Morden an Theodoros Boulgarides und İsmail Yaşar seien erste Ermittlungen in Richtung eines Snipers oder einer kleinen Zelle durchgeführt worden. Die OFA [= Operative Fallanalyse] München habe dann ein Täterprofil gemacht. Das Ergebnis sei eine Serientäterhypothese gewesen, dass eine kleine Zelle, zwei bis drei Personen, aus „ideologischen oder psychopathischen Gründen“ die Taten begeht. Erst ab 2006 habe es strukturierte Ermittlungen in Richtung Rechtsextremismus gegeben, vorher nicht. Lucas hält Vögeler dann einen Vermerk vor, nach dem sich die Ermittlungen unter anderem auf die nächsten Angehörigen des Opfers konzentriert hätten, diese würden sich „auffallend zurückhalten“ und hätten „bislang nicht ihr gesamtes Wissen preisgegeben“, daher seien sie in operative Maßnahmen einzubeziehen. Lucas sagt, dann seien die verschiedenen Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gegen die Familie Şimşek aufgeführt und fragt, an welchen Tatsachen festgemacht worden sei, die Angehörigen würden nicht alles preisgeben. Vögeler sagt, es sei im Herbst 2000 der Eindruck entstanden, die Familie halte weitere Erkenntnisse zurück, Tatsachen habe es „nicht direkt“ gegeben. Lucas sagt, das seien massive Maßnahmen gewesen und ein Eindruck sei subjektiv. Vögeler antwortet, die Zielrichtung sei gewesen, dass das Opfer möglicherweise mit einer kriminellen Gruppe zu tun gehabt habe oder Opfer einer Erpressung oder Bedrohung gewesen sein könne, möglicherweise habe die Familie etwas gewusst. Lucas sagt, das sei also eine Hypothese gewesen. Vögeler: „Das ist richtig.“
Dann fragt RA Scharmer, ob Vögeler die Aussagen der zwei Zeugen Bu. (siehe Protokoll zum 21. Verhandlungstag) kenne, was Vögeler bestätigt. Scharmer will wissen, ob dazu weitere Ermittlungen angestrengt worden seien. Vögeler referiert zunächst die Zeugenaussagen und sagt dann, die Informationen seien wie andere Aussagen von etwa 40 Zeug_innen entgegen genommen und geprüft worden. Was denn in Richtung dieser beiden Radfahrer gemacht worden sei, will Scharmer wissen, Vögeler sei ja auch in der BAO Bosporus gewesen und an anderen Tatorten habe es ja auch Hinweise auf Radfahrer gegeben. Vögeler sagt, bei den Ermittlungen zu Şimşek seien keine weiteren Maßnahmen gemacht worden, es sei bei den beiden Personen auch nicht sicher gewesen, ob sie tatsächlich mit dem Fahrrad unterwegs oder wegen der Hitze mit einer kurzen Hose bekleidet gewesen seien. Scharmer fragt, ob den Zeugen nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße Videoprints von den dortigen Radfahrern gezeigt worden seien. Vögeler sagt, er sei sich nicht sicher, ob den Zeugen Videoaufnahmen gezeigt worden seien, da müsse er sich informieren. RAin Basay fragt nach einem Sachstandsbericht, in dem von einem Treffen die Rede sei, bei dem auch „StMI“ anwesend gewesen sei. Das sei das Staatsministerium des Inneren in Bayern, so Vögeler. Basay möchte wissen, warum diese Behörde dabei gewesen sei. Vögeler antwortet, das sei die oberste Dienststelle und es sei ja eine brisante Sache gewesen, nachdem es dann schon vier Morde gewesen seien, auch in Rostock und München. Basay fragt weiter, ob sich Vögeler erinnere, dass er beim Untersuchungsausschuss gefragt worden sei, ob von dieser Behörde aus Ermittlungen in Richtung Fremdenfeindlichkeit geführt worden seien. Vögeler sagt, er könne sich nicht erinnern.
Dann fragt RA Langer zu einem Beitrag in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ zum Mord an Şimşek. Vögeler sagt, seine Dienststelle habe Informationen geliefert, das Drehbuch sei dann von der Redaktion der Sendung geschrieben worden mit dem Einverständnis der Dienststelle. Langer will wissen, wie die Darstellung der Täter gewesen sei. Vögeler sagt, das seien zwei Täter mit einem dunklen PKW gewesen, er wisse es aber nicht genau. Ob die Täter vielleicht von oben bis unten in schwarzer Lederkleidung dargestellt worden seien, will Langer wissen. Das könne sein, so Vögeler. RA Daimagüler fragt zu einem Check des finanziellen Hintergrunds von Özüdoğru. Vögeler sagt, bei Özüdoğru sei festgestellt worden, dass er 3500 DM verdient habe bei der Rüstungsfirma Diehl und Beträge an seine Frau weiter gegeben habe. Es habe finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Türkei mit einem Immobilienprojekt des Bruders der Ehefrau gegeben, aber im Grunde seien es geordnete Verhältnisse gewesen. Dann hält Daimagüler Vögeler einen Bericht aus der Akte vor, nach dem bis auf Turgut alle Opfer Einkünfte geltend gemacht hätten, mit denen eine normale Lebensführung nicht möglich sei. Daimagüler will wissen, ob es jetzt bei Özüdoğru Unregelmäßigkeiten gegeben habe oder nicht. Vögeler sagt, das sei verallgemeinert worden, bei Özüdoğru sei keine Auffälligkeit festzustellen gewesen. Bei verschiedenen Geschäften der anderen Opfer sei nicht jede Einnahme dem Finanzamt gemeldet worden. Bei der Schneiderei Özüdoğrus sei nahezu kein Umsatz da gewesen, aber der habe ja auch als Schichtarbeiter verdient. Daimagüler fragt, ob mit ‚verallgemeinert‘ alle Opfer gemeint seien. Vögeler sagt, das beziehe sich auf alle Geschäfte. In Rostock sei von Anfang an festgestellt worden, dass hier eine Geldwäscheverdachtsanzeige vorliege. Daimagüler will wissen, ob das bei Özüdoğru der Fall gewesen sei oder nicht. Vögeler antwortet, Özüdoğru müsse man da raus nehmen.
RA Narin fragt, ob gegenüber der Polizei von Familienangehörigen Verdachtsmomente geäußert worden seien. Vögeler sagt, der Schwager habe einen Verdacht gegen den „C.“ geäußert. Jemand anderes habe „Blutrache“ genannt, vor 40 Jahren habe der Vater von Şimşek in der Türkei jemanden getötet, dessen Angehörige in München wohnhaft seien. Das sei etwas weit hergeholt gewesen, sei aber überprüft worden, ohne Ergebnis. Frau Şimşek habe gemeint, dass „der böse Polizist“ in Nürnberg dahinter stecken könne, der immer Ordnungswidrigkeitenanzeigen gestellt habe. Sie habe auch Fremdenfeindlichkeit angesprochen. Wichtiger seien aber die Hinweise auf „C.“ gewesen. Konkrete Hinweise auf Fremdenfeindlichkeit habe es nicht gegeben. An Tatorten seien ihm keine Hinweise auf rechtsextreme Organisationen aufgefallen, die „Fränkische Aktionsfront“ kenne er vom Namen, so Vögeler auf Frage Narins. Narin spricht Vögeler auf einen Vermerk an, nach dem es Hinweise auf außereheliche Beziehungen im Fall Şimşek gegeben habe, was „im türkischen Ehrbegriff“ ein Tatmotiv darstellen könne; ob Vögeler den „türkischen Ehrbegriff“ erläutern könne. Vögeler sagt, er wolle da keinen Unterschied machen zwischen Deutschen und Türken, Eifersucht sei als Motiv denkbar.
Dann fragt RAin Schneiders, Verteidigerin von Ralf Wohlleben. Sie fragt zu Ermittlungen in Richtung Holland wegen Betäubungsmitteln und ob es in diesem Zusammenhang Hinweise auf Waffen und Sprengstoff gegeben habe. Vögeler sagt, die „Größe“, die den Auftragskiller nach Heilbronn geschickt habe, das wären bewaffnete Leute gewesen. Und bei einer weiteren Zielperson aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität aus Holland sei eine große Anzahl von Waffen und Sprengmitteln sichergestellt worden. Es habe Erkenntnisse gegeben, dass diese Gruppe auch über Ceskas verfügen solle, eine Ceska 83 habe aber nicht festgestellt werden können. Es sei zwar interessant gewesen, dass dort wohl auch Magazine einer Ceska 83 aufgefunden worden seien, aber, die Spur habe sich zerschlagen. Mit den Magazinen alleine könne man auch keine Waffengleichheit feststellen.
RA Klemke, Verteidiger von Wohlleben, fragt nach der Größenordnung von Tatverdächtigen bei Tötungsdelikten, die Familienangehörige oder Intimpartner seien. Vögeler sagt, die sei außergewöhnlich hoch, das seien sicher 60 bis 70 Prozent. Nebenklagevertreter Narin fragt, ob Vögeler Kenntnisse darüber habe, wie oft bei Beziehungstaten eine solche Serie von Morden üblich sei. Vögeler sagt, die Beziehungstat sei eine Einzeltat, eine Serie sei ihm nicht bekannt.
RA Tikbas fragt nach einer Anmerkung des damaligen bayerischen Innenministers Beckstein in den Akten zu Şimşek, ob auch ein rechtsradikales Motiv denkbar sei. Vögeler sagt, er wisse von der Anmerkung, es habe auch Gespräche zwischen dem Soko-Leiter und dem Minister gegeben. Er selber habe nicht nachgefragt, wie Beckstein zu dieser Einschätzung gekommen sei, die Frage nach dem rechtsradikalen Motiv hätten sie sich in der Soko aber auch gestellt. RA Erdal fragt Vögeler, auf welche Hinweise er denn gewartet habe bezüglich rechtsradikaler Taten. Vögeler sagt, es seien keine Hinweise da gewesen, sie hätten ständig Öffentlichkeitsfahndungen gemacht, hätten sich mit Staatsschutz und Verfassungsschutz in Verbindung gesetzt, es habe aber keine Hinweise gegeben. RA Erdal möchte erläutern, es gehe ihm nicht um „den fahrlässigen Fehler“, aber Götzl unterbricht ihn. Erdal solle offene Fragen stellen, Erklärungen könne er später abgeben, so Götzl. Erdal sagt, Vögeler habe angegeben, ab 2006 habe es Diskussionen gegeben, aber keine Ermittlungen zu Rechtsradikalen. Vögeler widerspricht, es sei schon ab 2001 zu Fremdenfeindlichkeit diskutiert worden, es habe aber keine Hinweise gegeben. 2006 sei dann eine Analyse erstellt worden, dass eine kleine Gruppe aus eigener Ideologie oder psychopathischen Gründen ausländische Menschen erschießen wolle. Ob die Tatsache, dass nur Türken erschossen worden seien, kein Hinweis für Vögeler gewesen sei, will Erdal wissen. Vögeler sagt, das sei nicht richtig, der Herr Boulgarides sei Grieche gewesen. RA Erdal unterbricht den Zeugen, daraufhin unterbricht Götzl ihn und wird laut. Erdal solle vernünftige Fragen stellen und sich ein Vorbild an den anderen Nebenklagevertreter_innen nehmen. Es folgt eine Pause bis 13.46 Uhr, nach der Erdal sagt, er habe keine weiteren Fragen.
Die Vernehmung Vögelers wird unterbrochen, er wird später noch zu anderen Themen gehört werden. Dann wird festgestellt, dass allgemein darauf verzichtet wird, die Notärzte zu den Fällen Kiliç und Kubaşık zu hören. Schließlich verliest RA Lucas eine Erklärung: Der Zeuge habe dargestellt, welche Spuren zunächst verfolgt worden seien. Dabei sei Şimşek in Verdacht geraten. Der Zeuge habe aber deutlich gemacht, dass alle diese Spuren falsch gewesen seien und zu keinen Ergebnissen für die heutige Anklage geführt hätten.
Der Verhandlungstag endet um 13.50 Uhr.
Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:
“Die Aussage von EKHK Vögeler belegt das Phänomen des institutionellen Rassismus. Für den Ermittler war „klar“, dass die Familie vermeintlich Angaben zurückhält. Er hatte kein Problem damit, ihre Telefone abzuhören, sie zu observieren und sogar ihr Auto zu verwanzen. Die Familie hatte auf mögliche rassistische Motive hingewiesen. Zwei Fahrradfahrer, die von mehreren Zeugen im Zusammenhang mit Schussgeräuschen gesehen wurden, interessierten ihn nicht. Es musste Organisierte Kriminalität sein. Herr Vögele ließ keinerlei Bedauern oder Schuldbewusstsein erkennen. Dass dieser Beamte immer noch eine leitende Funktion ausübt, zwischenzeitlich sogar befördert wurde, zeigt, dass Behördenführung und Politik das grundsätzliche Problem verkannt haben. Solange solche Ermittlungen weiter von Beamten mit derartigen Vorurteilen geführt werden, wird sich das katastrophale Versagen der Behörden im Rahmen der Tatserie des NSU auch in Zukunft fortsetzen.“