Protokoll 35. Verhandlungstag – 17. Sept 2013

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Die Verteidigung Zschäpes stellte erst einen, dann einen zweiten gegen den gesamten Senat. Die Diskussionen, ob die Hauptverhandlung derweil fortgesetzt werden kann, dauerten den ganzen Tag mit dem Ergebnis, dass der Prozess auch für den darauf folgenden Tag (Mittwoch) ausgesetzt wurde. Ärgerlich und belastend insbesondere für die Angehörigen des ermordeten Mehmet Turgut, die für diese Woche angereist waren, und für Elif und Gamze Kubaşık, die am Folgetag aussagen sollten.

[türkçe]

Der Verhandlungstag beginnt um 9.50 Uhr. RA Pausch, Verteidiger von Carsten S., lässt sich heute vertreten. Vorsitzender Richter Manfred Götzl teilt mit, dass RA Stahl, einer der Verteidiger_innen von , diese Woche nicht an der Verhandlung teilnehmen wird. Anwesend sind als Nebenkläger zwei Brüder des am 25. Februar 2004 ermordeten Mehmet Turgut.

Nach der Präsenzfeststellung teilt Götzl mit, dass RA Stahl ein Ablehnungsgesuch gegen alle Mitglieder des 6. Strafsenats gestellt habe. Dieses sei zusammen mit den dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter_innen an den zuständigen Senat weiter geleitet worden, die Unterlagen würden kopiert und den Verfahrensbeteiligten ausgehändigt. Nun gehe es darum, ob die Hauptverhandlung trotz des Befangenheitsantrags fortgesetzt werde, so Götzl. Er bittet um Stellungnahmen. Die Bundesanwaltschaft erklärt, sie sei der Auffassung, das Verfahren könne und müsse fortgesetzt werden. Nebenklagevertreterin RAin Pinar sagt, sie könne keine Stellung nehmen, solange sie den Inhalt des Gesuchs nicht kenne. Götzl legt eine Pause ein, um beim zuständigen Senat herauszufinden, wie lange das Kopieren des Schriftsatzes dauern wird. Danach teilt er mit, dass die Kopien in etwa 90 Minuten fertig seien, über die Frage der Fortsetzung der Hauptverhandlung könne jedoch hier entscheiden werden. Dazu gibt er wieder das Wort an die Verfahrensbeteiligten.

Bundesanwalt Diemer sagt, das Gesetz erlaube es, fortzusetzen, der Antrag müsse ohnehin in spätestens zwei Tagen entschieden sein und angesichts des Verfahrensstoffes müsse fortgesetzt werden. RA Behnke, Vertreter eines Bruders von Mehmet Turgut, sagt, so ein Antrag versande im Verfahren, wenn die Gründe nicht zwingend seien. Er kenne die Gründe zwar nicht, gehe aber davon aus, dass sie nicht zwingend seien. Nach Nebenklagevertreter Reineke, der darauf hinweist, dass man zwei Tage verliere, wenn man nicht weiter verhandele und der Antrag nicht durch komme, spricht RA , Verteidiger von Ralf . Er sagt, es sei ihm ohne Kenntnis der geltend gemachten Gründe versagt, sich dazu zu äußern, ob weiter verhandelt werden soll. Der § 29 (2) der Strafprozessordnung impliziere, dass es sich um eine Ermessensvorschrift handele. In das Ermessen sei das Interesse der Angeklagten Zschäpe einzubeziehen. Es gehe auch darum, ob es der Angeklagten zuzumuten sei, mit einem möglicherweise befangenen Senat weiter verhandeln zu müssen. RA Heer, Verteidiger von Zschäpe, sagt, man könne nicht weitere Stellungnahmen einholen, ohne dass jemand den Wortlaut des Textes kenne. Das Gesuch sei am Montag, den 16. September, am frühen Nachmittag eingegangen, der Senat hätte den Antrag allen Beteiligten zukommen lassen können. Götzl erwidert, das sei nicht die Aufgabe des hiesigen Senats, sondern die des zuständigen Beschlusssenats. Heer antwortet, dann sei mindestens zu unterbrechen bis die Kopien vorliegen. Nach einer kurzen Unterbrechung verkündet Götzl um 10.35 Uhr, die Kopien seien um 11.45 Uhr fertig. Er werde die Verhandlung nun bis 13 Uhr unterbrechen, so dass alle Beteiligten das Gesuch lesen könnten.

Um 13.07 Uhr geht es weiter. Sofort bittet RA Heer ums Wort, es sei dringlich, sonst seien weitere Schritte „präjudiert“. Sie hätten nun die dienstlichen Erklärungen der Richter_innen gelesen und es gehe darum, mit der Mandantin zu beraten, ob gegebenenfalls ein weiteres Ablehnungsgesuch gestellt werde, dafür bitte er um Beratungszeit. RA Klemke schließt sich für Wohlleben dem Ablehnungsgesuch Zschäpes gegen den Richter Kuchenbauer an. Er führt aus, dass sich im Beschluss vom 9. September 2013, den Richter Kuchenbauer unterzeichnet habe, zwei Formulierungen fänden, auf die sich Wohlleben bei seiner Ablehnung Kuchenbauers stütze. Zum einen stehe dort, die Strafsache sei außergewöhnlich umfangreich und „im Hinblick auf den Tatnachweis besonders schwierig”. An einer anderen Stelle spreche Kuchenbauer von „Schwierigkeiten im Hinblick auf den Tatnachweis”. Wohlleben halte Richter Kuchenbauer nicht mehr für unvoreingenommen. Die Formulierungen implizierten, so Klemke, dass sich der Richter im Hinblick der Schuld der Angeklagten bereits festgelegt habe und nur noch der Nachweis zu führen sei. Es ergebe sich, dass es Kuchenbauer nicht um die Aufklärung des Sachverhalts geht, sondern nur noch um die Aufklärung eines Tatnachweises, hier sehe sich ein Richter also als Strafverfolger. Götzl unterbricht die Sitzung erneut; um 13.38 Uhr geht es weiter.

Heer verkündet, dass die Mandantin beabsichtige, ein weiteres Ablehnungsgesuch gegen die Mitglieder des Senats einzubringen, Dafür benötigten sie zwei Stunden. Götzl unterbricht die Sitzung, um 15.45 Uhr soll es weiter gehen. Die Unterbrechung wird jedoch verlängert. Um 16.04 Uhr geht es dann weiter. RAin Sturm, Verteidigerin von Zschäpe, weist zunächst darauf hin, dass sie den Antrag noch nicht ausdrucken konnte. Dann verliest sei den zweiten Befangenheitsantrag. Beim Antrag Stahls war es um dessen Vergütung gegangen. Die ihm zugebilligte Summe erscheint Stahl angesichts des Umfangs des Verfahrens als zu niedrig. Im von Richter Kuchenbauer unterschriebenen Bescheid zur Pauschvergütung finden sich zudem die zwei Formulierungen vom „Tatnachweis“.  In einem Gespräch mit allen Senatsmitgliedern habe sich Kuchenbauer so geäußert, dass er erwäge, den mehrfachen Satz der Gebühren zuzubilligen. Dabei sei mitgeteilt worden, dass, auch wenn Kuchenbauer über derlei Dinge allein entscheiden könne, der Senat den Antrag beraten werde.  In einem Telefongespräch zwischen RA Stahl und Kuchenbauer vor der Beschlussfassung habe Kuchenbauer Stahl mitgeteilt, dass der Beschluss fertig sei, der Senat aber noch darüber beraten müsse, die Entscheidung ginge Stahl dann zu. RAin Sturm führt zum zweiten Antrag aus, es seien ihnen nun die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter zugegangen. Darin behaupteten die Richter, außer Kuchenbauer, sie hätten an der Beschlussfassung nicht mitgewirkt. Kuchenbauer habe angegeben, in eigener Zuständigkeit allein entschieden zu haben. Die Richter hätten erneut, so Sturm, verdeutlicht, dass sie der Mandantin nicht unvoreingenommen gegenüber stünden. Es habe jedenfalls zwischen einigen Richtern eine Absprache statt gefunden, deswegen sei nicht die Unterschrift relevant. Ein Richter, der eine erkennbar falsche dienstliche Äußerung abgebe, sei abzulehnen. Richter Kuchenbauer habe sich zudem nicht zum Vorwurf der evidenten Vorverurteilung geäußert. Die dienstliche Äußerung Kuchenbauers, in der er sich auch explizit zum Punkt Vorverurteilung äußere, habe ihr erst Sekunden bevor die Verhandlung fortgesetzt wurde, vorgelegen, so Sturm. Dazu müsse man sich noch mit der Mandantin beraten. Es wird erneut unterbrochen bis 16.47 Uhr. Danach verkündet RAin , Verteidigerin von Wohlleben, Wohlleben schließe sich dem Ablehnungsgesuch Zschäpes an. RA Heer erklärt, das Ablehnungsgesuch bleibe auch nach der ergänzenden dienstlichen Äußerung von Richter Kuchenbauer in vollem Umfang aufrecht erhalten. Er finde es auch bemerkenswert, dass Kuchenbauer in seiner Äußerung auf die Gebührenordnung Bezug nehme, dort sei vom „Tatnachweis“ nicht die Rede. Zudem sei es bemerkenswert, dass Richter Kuchenbauer nachlege, das habe er bei einer Vielzahl von Ablehnungsgesuchen noch nicht erlebt.

Für die Bundesanwaltschaft gibt Oberstaatsanwältin Greger eine Stellungnahme zu Fortsetzung der  Hauptverhandlung ab. Eine Entscheidung über die Ablehnungsgesuche würde eine Unterbrechung der Verhandlung erfordern, so Greger. Folgende Gesichtspunkte sollten in die Entscheidung darüber einfließen: Die geladenen Zeugen seien bereits anwesend bzw. die für den morgigen Tag auf dem Wege. Eine Unterbrechung berühre außerdem die Verfahrensposition der anderen Angeklagten, insbesondere unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots. Zwei Angeklagte befänden sich in Untersuchungshaft. Das sei auch zu berücksichtigen, obwohl diese beiden Angeklagten die Anträge gestellt hätten. Der Beschleunigungsgrundsatz sei umso gewichtiger, als die Ablehnungsgesuche offensichtlich nicht begründet seien. Nebenklagevertreterin RAin Lunnebach sagt, es habe „etwas von absurdem Theater“, dass wegen der Vergütung der Verteidiger das Verfahren unterbrochen werden solle und man sich einen ganzen Tag darüber unterhalte. Es sei „möglich und notwendig“, die Hauptverhandlung fortzusetzen. In Richtung der Verteidigung Wohllebens sagt Lunnebach, man könne sich einem Befangenheitsgesuch nicht anschließen, Wohlleben müsse sich schon selbst entscheiden, ob er befangen sei oder nicht. RA Heer erwidert auf Oberstaatsanwältin Greger, für einen Missbrauch bestehe kein Anhaltspunkt: Das Ablehnungsgesuch sei so schnell wie möglich angebracht worden. Die Zeugen hätten benachrichtigt werden können, so Heer. Es gehe darum, die Verfahrensposition seiner Mandantin zu sichern, alles andere hätte organisatorisch bewerkstelligt werden können. Nach einer Unterbrechung teilt Götzl mit, dass die Ablehnungsgesuche weitergeleitet worden seien, ein Teil des Beschlusssenats am Mittwoch aber ebenfalls Sitzung habe. Daher werde der morgige Termin abgesetzt. Um 17.40 Uhr unterbricht er die Sitzung bis Donnerstag, den 19. September, um 9.30 Uhr.

Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

“Dass die Verteidigung von Frau Zschäpe am heutigen Verhandlungstag diese Befangenheitsgesuche anbrachte, war zumindest für die anderen Verfahrensbeteiligten eine Überraschung, auch weil der Antrag auf den Vorschuss von 77.000 € und der diesbezügliche Beschluss nicht bekannt gewesen sind. In der Sache ist richtig, dass die anwaltliche Vertretung in einem solchen Umfangsverfahren nicht ansatzweise mit den gesetzlichen Gebühren zu stemmen ist.[…] Gründe für die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter, an die nach dem Gesetz hohe Anforderungen gestellt werden, liegen allerdings nicht vor.“

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