Protokoll 39. Verhandlungstag – 25. Sept 2013

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Durch vier Zeugen und Sachverständige wurde die Beweisaufnahme im Mordfall Theodoros Boulgarides fortgesetzt. Zum Mord an Halit Yozgat in wurde lange der Kriminaloberkommissar Ge. befragt, dessen Ermittlungsarbeit und dessen Aussageverhalten vor Gericht vor allem eines verdeutlichen: Die Angehörigen standen als Verdächtige im Fokus, Vermutungen über rassistische Motive wurden ignoriert und das Problembewusstsein über Rassismus in den ist bis heute gleich Null.

Zeug_innen:

  • Kriminalbeamter Thomas Me. (Erläuterung der Lichtbildmappe zum Tatort Boulgarides)
  • Rettungsassistent Markus Ke. (konnte am Tatort Boulgarides nur noch dessen Tod feststellen)
  • Sachverständiger Rechtsmediziner Dr. Oliver Peschel (über die drei tödlichen Schüsse auf Boulgarides)
  • Sachverständiger Martin Gantschnigg, (Waffeningenieur beim bayerischen LKA zu Schmauchspuren beim Mordfall Boulgarides)
  • KHK Karsten Ro. (Kassel, nahm erste Ermittlungen am Tatort Yozgat vor)
  • KOK Karl-Heinz Ge. (beteiligt an der Mordkommission “Café” zum Mord an Halit Yozgat)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.49 Uhr. Rechtsanwalt Pausch, Verteidiger von Carsten S., ist heute nicht da, so dass RA Hösl den Angeklagten alleine vertritt. Im Publikum, wo die Reihen heute eher spärlich besucht sind, sitzt ein junges Pärchen, das gestern und heute sich in den Prozesspasuen mit dem Angeklagten André E. trifft.

Erster Zeuge ist der Münchner Kriminalbeamte Me. Me. berichtet, er sei zur Tatzeit im Bereitschaftsdienst zur Spurensicherung eingesetzt gewesen. Verständigt habe ihn der Kriminaldauerdienst und mitgeteilt, dass in der Trappentreustraße 4 eine tote männliche Person mit vermutlich Kopfschüssen gefunden worden sei. Er sei dann zum Tatort gefahren und habe dort die Spurensicherung vorgenommen. Bei der Obduktion des Toten in der Nacht sei er ebenfalls dabei gewesen. In den nächsten Tagen und Wochen sei er mit der Spurensicherung an Tatort und Nebentatorten betraut gewesen.

Der Vorsitzende Richter Götzl geht über zur Inaugenscheinnahme der Lichtbildmappe, die Me. angefertigt hat. Anhand einer Karte erläutert Me. den Tatort. Der Block bestehe aus fünf Häusern südlich der Landsberger Straße. Direkt am Ladengeschäft sei ein Fußweg, dann ein Radweg, in der Nähe sei eine Bushaltestelle mit Wartehäuschen. Es sei ein stark verkehrsbelasteter Bereich mit zwei Fahrspuren pro Richtung. Gegenüber befinde sich ein öffentlicher Parkplatz. Auf der Landsberger Straße befinde sich eine Trambahnlinie. An der Bushaltestelle hielten zwei Linien, die damals im Zehn-Minuten-Takt gefahren seien, so dass im Schnitt alle fünf Minuten ein Bus gekommen sei. An der S-Bahn-Haltestelle Donnersbergerbrücke in der Nähe hielten die Linien der S-Bahn-Stammstrecke und die Bayerische Oberlandbahn. Es folgen zuerst Luftaufnahmen der Gegend und Fahrpläne der beiden Buslinien, die an der Bushaltestelle gehalten haben. Dann folgt eine Aufnahme vom Geschäft „Schlüsselwerk“. Der Tatort liege unmittelbar am Gehweg, so Me. Die blauen Folien an den Fenstern, die im Bild zu sehen sind, seien von der Polizei angebracht worden, um neugierige Blicke abzuwenden. Die nächste Aufnahme des Ladens sei unmittelbar nach dem Eintreffen am Tatort gemacht worden, so Me. Die Aufnahme zeigt die geöffnete Ladentür. Me. erläutert, er habe die Tür so geöffnet vorgefunden, die Tür verfüge nicht über eine Türschließautomatik, sie sei also so stehen geblieben. Danach kommen Bilder vom Wohnhaus, zunächst von der Haustür, die geschlossen gewesen sei und zu der man nur mit Schlüssel Zugang bekomme, dann von den beiden Fenstern der mit dem Laden verbundenen Wohnung, in der Boulgarides gewohnt hat. Dann werden Bilder aus dem Treppenhaus des Wohnhauses gezeigt. Eine Stahltür an der rechten Seite führe zur Gaststätte „Trappentreuhof“, so Me., die Türe rechts zur Wohnung von Boulgarides. Diese Tür sei ins Schloss gezogen gewesen. Es folgt eine Skizze des Ladens und der angrenzenden Wohnung. Auf der Skizze ist die Lage des Leichnams von Theodoros Boulgarides hinter dem Tresen eingezeichnet, sowie der Fundort eines Projektils, das vor den Stufen zum Wohnbereich gefunden worden sei. Götzl möchte wissen, ob es in der Wohnung Auffälligkeiten gegeben habe. Me. verneint das. Die Wohnung sei „bestimmungsgemäß eingerichtet“ gewesen, es habe keine Anzeichen für einen Kampf oder Ähnliches gegeben. Bild 15 zeigt den Verkaufstresen von hinten, unterhalb habe das Handy von Boulgarides gelegen, so Me., es sei sichergestellt und ausgewertet worden. Dann werden Bilder von der Registrierkasse gezeigt. Me. sagt, es gebe keine Hinweise, dass daraus etwas entnommen wurde. Das nächste Bild zeigt den Leichnam von Boulgarides. Der Bauch ist frei gemacht. Der Kopf des Opfers liegt in einer großen Blutlache. Eine Aufnahme zeigt ein schnurloses Festnetztelefon, das, so Me., zwischen den Beinen der Leiche gefunden worden sei. Daneben sieht man einen Deckel. Dieser sei abgesprungen, so Me., auf dem Display sehe man die Nachricht, dass Mitteilungen vorhanden seien. Dann geht Me. die Bilder der Wohnung durch. Götzl bittet darum, dies schnell zu erledigen. Me. geht die einzelnen Räume durch und sagt wiederholt, die Räume seien „bestimmungsgemäß eingerichtet“ gewesen. Die Bilder aus dem Büro zeigen zwei Tische, an einem stehen vier Stühle. An einem der Stühle habe eine Jacke gehangen, die, so Me., Boulgarides habe zugeordnet werden können, weil in ihr Visitenkarten gefunden worden seien. Es werden Bilder der beiden (laut Me. unverschlossenen Keller) von Boulgarides gezeigt. Hier hätten sich nur Renovierungsmaterialien gefunden, sagt Me. Keller und Wohnung seien mit einem Rauschgiftsuchhund abgesucht worden, es habe aber keine Feststellungen gegeben. Die nächsten Aufnahmen zeigen Nahaufnahmen der Blutspuren an den Kleidern, den Hausschuhen sowie an den Händen des Opfers. Dann folgen Aufnahmen von Blutspuren, die zwischen den Beinen von Boulgarides, an den Fächern unterhalb des Tresens, auf dem Boden im Bereich neben dem Kopf des Opfers, am hinter dem Leichnam stehenden Regal, am Heizkörper und an Wänden gefunden worden seien. Me. spricht von „Schleuderspuren“, die aus der Bewegung entstanden seien, und von „spritzerförmigen“ Spuren. Dann wird die Bekleidung des Opfers einzeln gezeigt. Me. weist darauf hin, dass die Strickjacke und das Poloshirt von Boulgarides bei der Obduktion hätten aufgeschnitten werden müssen. Die großen Blutantragungen an der Rückseite der beiden Kleidungsstücke seien durch das Liegen in der Blutlache erklärbar. Richter Götzl sagt, dass die Bilder von der Obduktion übersprungen werden sollen, dazu werde ja heute noch der Sachverständige Peschel gehört. Es folgt ein Bild von einer Waffe. Dies sei eine Ceska 83, Kaliber 7.65 Browning, sagt Me. Es sei nicht die Tatwaffe, sondern eine typgleiche Waffe. Es sei festgestellt worden, dass aus einer solchen Waffe gefeuert worden sei. Dann wird eine Aufnahme vom gefundenen Projektil gezeigt. Me. führt aus, das Projektil sei an der Unterseite stark abgeplattet. Auf Nachfrage von Götzl sagt er, die anderen beiden Projektile seien bei der Obduktion gefunden worden.

Dann geht es um die Schussrekonstruktion, auf den folgenden Bildern sind Personen mit Waffen zu sehen, die in verschiedene Richtungen zielen. Die ersten Bilder seien noch am 15. Juni 2005 angefertigt worden, so Me. Es gehe dabei um die Schüsse, als Boulgarides schon gelegen habe. Auf den Bildern ist der Leichnam von Theodoros Boulgarides zu sehen. Es sei bei den Schussrekonstruktionen auch darum gegangen, ob die Geräuschentwicklung auf der Straße wahrnehmbar gewesen sei und ob, falls man aus einer Plastiktüte heraus feuere, kleine Plastikteilchen zu finden seien. Es habe dazu verschiedene Versuchsanordnungen gegeben, mit einer Tüte oder mit zwei Tüten. Man sieht Bilder, bei denen die Waffe in einer durchsichtigen Plastiktüte steckt. Ein Bild zeige ein Kunststoffteilchen, das bei dem Schuss aus der Tüte abgetrennt worden sei, so Me. Bei den Schussversuchen seien die Hülsen in der Tüte zurück geblieben. Dann werden Bilder vom auf dem gegenüberliegenden Parkplatz abgestellten PKW von Boulgarides gezeigt, in dessen Ladebereich sich Materialien für den Schlüsseldienst befinden.

Ein Nebenklagevertreter fragt, ob Me. weiter an den Ermittlungen beteiligt gewesen sei. Ke. sagt, er habe die Auswertung bis 2007 gemacht, dann sei die Soko und die BAO gekommen. Dann geht es darum, ob das gefundene Plastikteil durchsichtig gewesen sei. Me. bestätigt das. Er habe keine Erklärung, warum die Klappe des Telefons auf der Blutlache gelegen habe, sie könne auch durch die Rettungssanitäter verschoben worden sein, so Me. auf Nachfrage. Nebenklagevertreter RA Prosotowitz möchte wissen, ob sich auf der Klappe Auftropf- oder Abdruckspuren befunden hätten. Me. sagt, er sei kein Sachverständiger für Blutspuren. RA Reinecke fragt nach dem Display des Telefons. Me. erläutert es anhand des Fotos, dort stehe „Sie haben neue Nachrichten“. Reinecke fragt nach dem schräg stehenden Hörersymbol, das zu sehen ist, ob es sich dabei um ein Zeichen handele, dass versucht worden sei, ein Amt zu bekommen. Dazu könne er nichts sagen, so Me., das sei von den Kollegen ausgewertet worden. Wohllebens Verteidiger RA fragt, wer den Einsatz des Rauschgiftspürhundes angeordnet habe. Me. sagt, das wisse er nicht genau, es sei aber im Zuge der Soko passiert. Die Vernehmung endet um 10.49 Uhr.

Um 11.30 Uhr geht es weiter mit dem Zeugen Markus Ke., der als Rettungsassistent am Tatort des Mordes an Boulgarides war. Er sagt, er erinnere sich, dass er und sein Kollege den Einsatz bekommen hätten, da seien sie vielleicht einen oder anderthalb Kilometer weg gewesen.
Nach drei Minuten seien sie dort gewesen, er sei dann in den Laden und habe dort eine männliche Person auf dem Boden vorgefunden. Es sei ziemlich viel Blut in der Kopfregion gewesen. Die Schädelverletzungen seien offensichtlich so intensiv gewesen, dass es nicht mehr „mit dem Leben vereinbar“ gewesen sei. Er habe schon beginnende Leichenflecke festgestellt und dann ein EKG geschrieben. Die Polizei sei relativ schnell da gewesen, sie seien wohl ziemlich zeitgleich mit dem Streifenwagen angekommen. Götzl möchte wissen, wer den Tatort betreten habe. Ke. sagt, er habe den Tatort betreten und sein Kollege, der ihm das EKG gebracht habe. Er habe dann nochmal rein gehen sollen, um etwas zu schauen, er wisse aber nicht mehr was. Es sei darum gegangen, dass die Spurenlage nicht verwischt wird, er sei noch zweimal rein gegangen und habe am nächsten Tag seine Stiefel abgegeben zur Spurensicherung. Die Lage von Boulgarides habe er nicht verändert, nur das EKG angebracht. Dieses habe die Nulllinie gezeigt. Die Füße von Boulgarides hätten Richtung Tresen gelegen, der Kopf zur Wand, so Ke. auf Frage von Götzl. Auf dem Tresen habe, so glaube er, ein Telefon gestanden. Erinnerungen an Personen im Bereich des Geschäftes habe er nicht. Dann macht Götzl Vorhalte. Er habe bei der Polizei angegeben, dass sie den Einsatz um 19.07 Uhr bekommen hätten und um 19.10 Uhr da gewesen seien. Das bestätigt Ke. Dort seien sie auf den Mitteiler getroffen, einen etwa 30 Jahre alten Mann, der verstört gewirkt habe, führt Götzl weiter aus. Ke. sagt, er könne sich jetzt nicht erinnern, er glaube, dass jemand vor dem Laden gestanden habe, das sei aber eine Vermutung. Auf die Frage, ob außer dem Mitteiler und ihm selbst jemand den Laden betreten habe, habe Ke. bei der Polizei ausgeführt, dass sein Kollege hinter ihm herein gekommen sei und mehrere Personen, informierte Polizisten und der Geschäftsführer des Ladens im Vorraum nahe der Eingangstüre gewesen seien, so Götzl. Ke. sagt, er wisse, dass die vorne geblieben seien, deshalb habe er auch etwas nachschauen sollen, er wisse aber nicht mehr was. Götzl fragt nach Blutspuren, Ke. sagt, er wisse noch, dass auf dem Boden massiv Blut gewesen sei und er glaube, auch an der Wand. Dann geht es darum, ob eine beginnende Leichenstarre am Kiefer von Boulgarides festgestellt worden ist. Ke. sagt, er vermute das, weil er auch Leichenflecke festgestellt habe, wisse es aber nicht. Götzl hält vor, es sei keine Leichenstarre festgestellt worden, aber an den Schlüsselbeinen Leichenflecke. Ke. bestätigt das. Götzl möchte wissen, ob Ke. am Telefon etwas aufgefallen ist. Ke. verneint das, er habe das Telefon aber gesehen, und sei sich relativ sicher, dass es rechts hinten auf dem Tresen gewesen sei. Götzl sagt, er habe damals ausgesagt, dass sich an den Füßen von Boulgarides ein schnurloses Telefon befunden habe, dessen Akku runter gegangen sei, am Tresen sei außerdem ein Blutrinnsal gewesen. Ke. sagt, das wisse er jetzt nicht mehr.

Um 11.52 Uhr folgt die Mittagspause.

Um 13.40 Uhr wird die Anhörung des Rechtsmediziners Dr. Peschel fortgesetzt, heute zur Obduktion von Theodoros Boulgarides und zum Tatort.

Dr. Peschel erzählt zunächst von der Obduktion, die er in Anwesenheit von Polizeibamten und eines Staatsanwalts sowie des LKA-Schusswaffenexperten Ga. durchgeführt hat. Dabei fanden sich drei Schussverletzungen: Ein Schädeldurchschuss im Bereich des Gesichtsschädels, ein Nachweis von schmauchtypischen Bestandteilen fand sich hier nicht, der Austrittsort war unmittelbar am Ansatz des linken Ohrläppchen. Die zwei anderen Schüsse waren Schädelsteckschüsse. Ein Schusskanal horizontal in die rechte Kieferhöhle nach hinten, parallel und unter der Schädelbasis. Hier war in der hinteren rechten Schädelgrube ein grabenförmiger Knochendefekt, es fand sich ein Vollmantelprojektil zwischen Kopfschwarte und knöchernem Schädel.

Der dritte Schussdefekt war in der Kinnregion, das Projektil trat durch die Zunge hindurch und trat in den linken Vorderhauptslappen ein, am Schädeldach fand sich ein Vollmantelprojektil. Punktblutungen in Augenlid und Bindehäuten seien nicht im Sinne einer Strangulation zu interpretieren, sondern häufig bei Schädelschüssen zu finden. In den oberen und tiefen Atemwegen sei reichlich Blut gewesen. Todesursache sei eine zentrale Lähmung in Verbindung mit einem Ersticken durch Bluteinatmung gewesen. Eine chemisch-toxikologische Untersuchung auf u. a. Benzodiazepin, Kokain, Methadon, Amphetamin, Cannabis, LSD seien negativ verlaufen.

Peschel gibt an, er sei vor der Obduktion am Tatort Trappentreustraße 4 gewesen, zusammen mit u. a. Herrn Wilfling vom K111. Die Leiche sei bekleidet und in Rückenlage hinter dem quer zum Eingang stehenden Verkaufstresen gelegen. Blutanhaftungen habe es zwischen den Füßen des Opfers gegeben und hinter der Tür seien sehr feine Tropfspuren gewesen, typisch für das Abtropfen von Blut ohne Bewegungskomponenten. Im Bereich der Ladentheke und um den Kopf der Leiche herum hätte es sehr viele Blutspuren gegeben. An einem Stehregal seien an tiefen Regalböden Blutspurenantragungen gewesen, die von unten nach oben angetragen wurden, also aus einer Quelle abgeschleudert. Der Ursprung dieser Spuren ließe sich plausibel auf die letztliche Kopfposition des Betroffenen lokalisieren. In Verbindung mit dem Obduktionsbefund erläutert der Sachverständige seine Hypothese: Die horizontal verlaufende Schussverletzung sei damit in Einklang zu bringen, dass von einer stehenden Person auf eine stehende Person ein Schuss gesetzt wird. Die anderen Schussverletzungen seien mehr oder weniger ansteigend. Im Hinblick auf die Blutspuren lasse sich das sehr gut damit in Einklang bringen, dass sich das Opfer schon am Boden in Rückenlage befunden hat.

Um 14.06 Uhr beginnt die Aussage des Sachverständigen Martin Gantschnigg, Diplom Waffeningenieur beim bayerischen LKA.

Am Tatort Boulgarides sei ihm ein Projektil gezeigt worden, mit dem etwas durchschossen worden sein muss. Aus einer Abplättung an der Spitze von 50 Grad, für den nur der Steinboden in Frage käme, habe man einen Anhaltspunkt für den Schusswinkel. Das in der Nähe des Kopfes aufgefundene Geschoss sei ursächlich für den Durchschuss gewesen. Man könne daraus über die Reihenfolge der Schüsse etwas sagen, das Opfer muss vom ersten Schuss im Stehen getroffen worden sein, dann sei möglicherweise der Körper umgefallen und dann seien die Schüsse in den Kopf abgegeben worden: ein Durchschuss, ein Steckschuss.

Weder an der Kleidung, noch um die Einschüsse herum konnte, dies sei ein “wunderlicher Befund”, Blei aus Schmauch nachgewiesen werden. Der Schmauch müsse anderweitig abgestreift gewesen sein, ein bisschen durch den Schalldämpfer, aber es müsse noch ein anderes Medium durchschossen worden sein. Da in diesem Fall keine Hülse aufgefunden wurde, habe wohl eine Tüte als Hülsenfang gedient und auch die Schmauchspuren verhindert. Versuche mit durchsichtigen Tüten hätten charakteristische Ergebnisse gezeigt, kleine schmauchbelastete Plastikteilchen seien davon geflogen. Und in der Tat sei bei der Spurensicherung so ein Teil gefunden worden. Der erste Schuss muss vor der Verkaufstheke abgegeben worden sein und das Opfer muss dahinter gestanden haben. Schüsse von unten nach oben wären hier aus Platzgründen gar nicht möglich.

Der Nebenklagevertreter RA Prosotowitz fragt, ob beim zweiten Schuss die Tüte nicht kaputt sei und wieder Schmauch durchgehe. Gantschnigg antwortet, die Tüte falle schwerkraftmäßig immer wieder vor die Mündung und verhindere erneut Abstreifringe und andere Spuren. Auf Nachfrage gibt Gantschnigg an, dass sie in diesem Fall aber zuerst nicht wegen dem fehlenden Schmauch, sondern wegen der fehlenden Hülsen auf die Tüten gekommen seien.

Nach einer Sitzungspause kommt um 15.00 Uhr der Zeuge Karsten Ro., Kriminalhauptkommissar beim Polizeipräsidium Nordhessen in Kassel. Er war am 6.4.2006, am Tag der Tötung von Halit Yozgat, in dessen Internetcafé in Kassel mit Ermittlungen betraut worden.

Kurz nach 20.00 Uhr sei er am Tatort Holländische Straße 82 eingetroffen und hätte später auf der Dienststelle eine Person, die dort verhaftet worden war, Herrn Sh., vernehmen sollen. Herr Sh. war zur Tatzeit am Tatort in einer der Telefonzellen im linken Bereich, er habe in seiner Vernehmung geschildert, dass er zwei, dreimal etwas Dumpfes gehört habe, wie wenn Luftballons geplatzt seien. Wegen eines Plakats auf der Telefonzelle habe er nichts sehen können, eine männliche Person, 180 cm groß und kräftig habe jedoch unmittelbar nach dem dumpfen Knall das Internetcafé verlassen. In einer Nachvernehmung habe Herr Sh. dies relativiert und nur noch davon gesprochen, dass irgendjemand rausgehuscht sei.

Das Tatobjekt liege an einer Hauptausfallstraße Richtung Vellmar im Norden, der Geschädigte habe das Internetcafé im Hochparterre betrieben. Im ersten Raum seien insgesamt sechs Telefonzellen gewesen und der Tresen im rechten hinteren Bereich. Am schmalen Zugang zum hinteren Raum mit Internet-PCs sei eine weitere räumlich abgetrennte Telefonzelle gewesen, die Nummer sieben, in der sich zur Tatzeit eine Zeugin mit einem kleinen Kind befunden haben. Im hinteren Raum seien sieben Internet-PCs gewesen, die Tür zu einem dortigen Hintereingang sei nicht zu öffnen gewesen.

Bei der Inaugenscheinnahme einer Skizze erläutert der Zeuge die Lage des Getöteten: “Als ich am Tatort war, lag er bereits hier vorne, durch Rettungskräfte nach vorne gezogen, weil hinten ist es sehr eng.” Rechtsanwalt Klemke fragt hier noch einmal nach, ob das Opfer ursprünglich hinter dem Tresen gelegen habe. Der Zeuge gibt an, dass er es nur in der Mitte des Raums gesehen habe, “denn hinter dem Tresen kann man keine Leichenschau machen”.

Gegen 15.20 Uhr beginnt die Vernehmung des Zeugen KOK Karl-Heinz Ge., der bis Ende November 2009 im PP Nordhessen im Kommissariat für Tötungsdelikte tätig war

Am Tag der Tötung von Halit Yozgat sei er vom Kriminaldauerdienst informiert worden und zum Tatort gefahren. Da sei schon eine größere Menschenmenge außerhalb der Absperrungen gewesen. Ein Polizist habe berichtet, dass bei seinem Eintreffen zwei Rettungswagen bereits anwesend waren. Der Kollege habe den Notarzt nach Beobachtungen gefragt, aber der hatte keine Hinweise. Vor dem Geschäft habe er zwei Jugendliche und einen älteren Mann aus dem Irak festgestellt, die alle während der Tat in dem Geschäft waren. Die beiden Jugendlichen hätten im hinteren Bereich am Computer gesessen, einer an Platz drei, einer an Platz sieben. Die Computerplätze waren jeweils mit Sichtblenden aus Spanplatten ausgestattet. Später habe sich herausgestellt, dass eine weitere Person da gewesen sei, die auf dem Computerplatz zwei saß.

Die Holländische Straße sei eine Ausfallstraße mit Straßenbahnschienen mittig und Gehwegen und Parkflächen. Sie sei stark befahren, auch fußgängermäßig stark frequentiert mit sehr vielen kleinen türkischen Läden, aber auch anderen Geschäften. Am Tatort innen habe er das Opfer auf dem Rücken liegend mit blutverschmiertem Gesicht gesehen, die Beine parallel zu den linksseitigen Telefonzellen, Mullbinden und anderes medizinisches Material sei noch da gelegen. Im Bereich des Schreibtischs habe er geringe Blut-Tropfspuren festgestellt. Hinter dem Schreibtisch seien in L-Form unten Ausziehschränke angebracht gewesen, hier sei ebenfalls nach unten verlaufend ein Blutbild feststellbar gewesen, im Bereich des Mülleimers, der wiederum hinter der Computeranlage in einem Türrahmen abgestellt war, mit Blut- und Hirnpartikeln.

Rechtsmediziner Prof. Saternus und der Staatsanwalt seien vor Ort erschienen, zusammen hätten sie eine erste Inaugenscheinnahme der Leiche durchgeführt und zwei Einschusslöcher an der rechten Kopfseite oberhalb des Ohres festegstellt, aber keine typischen Abwehrverletzungen, beispielsweise an den Händen. Er sei dann noch eine Zeitlang in dem Café geblieben und während dieser Zeit sei die Computeranlage sichergestellt worden von der entsprechenden Dienststelle.

Am nächsten Tag sei er im Klinikum Kassel bei der Obduktion unter Leitung von Prof. Saternus anwesend gewesen. Die Obduktion habe ergeben, dass das Opfer mit zwei Schüssen in den Kopf getötet wurde. Zwei Projektile steckten im Kopf und wurden sofort sichergestellt und auf den Weg gebracht nach Wiesbaden zur Untersuchung. Der Erschossene hatte Schürfwunden am Kopf, die mit dem Spurenbild im Bereich des Mülleimers an einer Holzleiste, stimmig waren. Der Zeuge erläutert, er sei davon ausgegangen, dass der Verstorbene auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch sitzend erschossen wurde und sich dann so gedreht hat, dass die Blutspuren auf Schreibtisch, Unterschrank und Mülleimer erklärbar waren.

Die Ergebnisse der Untersuchung der Projektile seien schnell gekommen. So sei bekannt geworden, dass der Erschossene mit einer Ceska 7.65 erschossen wurde, die bereits bei acht vorherigen Serienmordstraftaten als Tatwaffe benutzt worden war. Bei zwei Taten der Serie sei eine zweite Waffe verwendet worden, eine 7.35 [gemeint ist wohl 6.35]. Das habe seine Annahme bestätigt, dass vielleicht nicht eine einzeln handelnde Person dort tätig war, sondern dass es zwei waren. Denn die Holländische Straße sei stark frequentiert und man müsse jede Sekunde damit rechnen, dass jemand um die Ecke kommt. Sehr wahrscheinlich müssten daher mindestens zwei Personen beteiligt gewesen sein, damit der zweite “jemanden, der in Tür- oder Geschäftsnähe kommt, dann abhalten kann, wie auch immer”.

Eine Tatortskizze wird in Augenschein genommen, auch der Zeuge Ge. beschreibt nun die, Telefonzellen. Einer der Jugendlichen sei am PC 3, einer an PC 7 gesessen, die zunächst noch nicht bekannte Person an PC 2. Die Auffindung des Geschädigten sei durch den Vater des Verstorbenen erfolgt. Einer der Jugendlichen sei dann durch die lauten Hilfeschreie des Vater nach vorne gekommen und habe versucht, erste Hilfe zu leisten. Für die Rettung sei Halit Yozgat dann in diesen [mittleren]Bereich verlegt worden. Anfangs sei auch ein blutverschmierter Stuhl im Fensterbereich gelegen, wo er zuerst an einen Kampf gedacht hätte. Es habe sich aber durch die Zeugen herausgestellt, dass der Vater diesen Stuhl “weggeworfen” hatte, da sei bei der Tat keine Gewaltanwendung erfolgt. Das Geld sei auch noch unter dem Schreibtisch gelegen, niemand habe beispielsweise schnell etwas durchwühlt.

Nun werden Bilder von der Lage des Opfers durchgegangen. Zu sehen ist der Leichnam, der vor Telefonzellen liegt. Deren Türen sind mit jeweils einem großen Plakat beklebt. Ge. erläutert die von der Polizei gefertigten Aufnahmen: “Die Sicht aus der Telefonzelle 3 nach draußen ist stark eingeschränkt”; “Hier sehen sie nen Kinderwagen, der gehörte einer schwangeren Frau”, “Das ist jetzt eine Aufnahme vom Computerraum, die Spanplattenverkleidungen der jeweiligen Computerarbeitsplätze, hier schräg gegenüber ist der zweier”.

Der Zeuge Ge. gibt an, dass der Vater des Getöteten seinen Sohn ablösen wollte, da dieser Abendrealschule machte und zum Unterricht wollte, “ich hab ihn nur gefragt, ob er jemand rausgehen sehen hat oder irgendwas gesehen hat, das hat er verneint”. Nun will der Vorsitzende Richter Götzl wissen, in welche Richtungen ermittelt wurde und inwiefern das mit Belastungen für die Familie verbunden war. Ge. antwortet zunächst, dass die Auswertung der Computeranlage die Zeugenaussagen der beiden Jugendlichen und der Frau bestätigt habe. Zunächst seien die beiden Jugendlichen in das Internetcaé reingekommen, Platz 3 und Platz 7, danach sei die Frau mit dem Kind reingekommen, in Telefonzelle 7. Gegen 17.50 Uhr [gemeint ist wohl 16.50 Uhr]sei laut Anlage eine Person reingekommen, der der Verstorbene den Platz zwei zugewiesen hat. Dies sei auch durch eine Telefonaufzeichnung bestätigt worden, denn der Verstorbene hatte zu dieser Zeit mit einem Schulkameraden telefoniert. Und dieser hörte, wie gesagt wurde, “Sie können Platz zwei benutzen”. Die Computerauswertung habe ergeben, dass sich diese Person um 16.50 Uhr eingeloggt habe an Platz 2. Götzl weist Ge. darauf hin, dass er eben von 17.50 Uhr gesprochen habe. Dies sei ein Versehen gewesen, sagt Ge., 16.50 Uhr sei richtig, denn die Person habe sich ja bereits gegen 17.01 Uhr wieder ausgeloggt. Die Jugendlichen und der Iraker hätten ausgesagt, zwei Knallgeräusche gehört zu haben, aber nicht in der Art, dass sie das als Schüsse zugeordnet haben.

Götzl fragt, was die Ermittlungen zum Opfer selbst ergeben hätten: “Damit wir ein Bild vom Leben des Opfers gewinnen können”. Nachdem bekannt war, dass es ein Opfer innerhalb der Tötungsserie war, sei, so Ge., sofort eine große Mordkommission gebildet worden. In der “MK Café” sei er gemeinsam mit dem Kollegen Fa. zuständig gewesen “für eine mögliche Motivlage im Umfeld der Familie”. Ge. schildert: “Wir haben sehr viele Gespräche mit Herrn und Frau Yozgat geführt, wie ich meine, sehr kooperativ, harmonisch und vertrauensvoll. Ich habe Herrn Yozgat gesagt, dass wir alles tun werden, die Wahrheit für diese schreckliche Tat herauszufinden”. Die Eltern seien sofort damit einverstanden gewesen “und ich kann nur wiederholen, wir haben von Anfang bis Ende sehr harmonisch zusammengearbeitet, Dankeschön”.

Die entsprechenden Feststellungen seien gewesen, dass Halit Yozgat überall als netter, freundicher Kumpel bezeichnet wurde. Der sei einfach nett gewesen und habe mit Keinem Ärger gehabt, “auch in der Familie gab es keine Probleme, die Eltern haben ihm das Internetcafé ausgestattet und ihn unterstützt”. Hinsichtlich des Opfers hätten sie bei Freunden und Bekannte, auch in der Abendrealschule, Vernehmungen durchgeführt: es gab keine Ansätze, dass irgend ein Motiv vorhanden sein könnte. Halit Yozgat habe einen guten Freund gehabt, der wegen Drogendelikten im Gefängnis gesessen sei, “aber es gab keinen Zusammenhang, dass Halit in die Straftaten verwickelt war” und auch “innerhalb der Familie war es genauso”, da hätten sie “keine Anhaltspunkte feststellen können für eine Motivlage für diese schreckliche Tat”. In der Historie des Internetcafés habe es vor Familie Yozgat dort eine Teestube gegeben, in der es Drogenhandel gegeben hätte, “aber da hatten die Yozgat nichts zu tun, jedenfalls konnten wir absolut nichts feststellen. Da war kein Zusammenhang herzustellen von der Familie Yozgat zu den Drogendelikten dieser Tätergruppe”. Die Familie habe ein Mehrfamilienhaus gekauft, “da hatten sie noch Schulden, aber da war auch keine Spur herzuleiten, dass da ein Tatzusammehang stehen könnte.” Die Familie habe in einer türkische Holding Geld angelegt gehabt, die, so Ge., “in Betrugszusammenhang stand. Aber auch da gabs kein Ansatz, dass in diesem Zusammenhang eine Motivlage vorhanden sein könnte”. Fazit sei, “dass die Ermittlungen im Umfeld der Familie keinen Anhaltspunkt für eine Spur in der Familie ergeben haben”. Die Familie habe sich ihnen gegenüber sehr kooperativ gezeigt, “das beruht auf Gegenseitigkeit, wir haben die Familie auch über den Sachstand informiert.” Der Zeuge Ge. weiter: “Ich hatte das Gefühl, dass wir mit der Familie da an einem Strang gezogen haben”.

Götzl zitiert aus den Akten , dass Halit Yozgat “montags bis freitags von 17.15 bis 21.30 Uhr Abendrealschule” hatte, “da wurde das Internetcafé von Elternteil oder Aushilfen geführt”. Ge. erläutert, die Eltern hätten sich jeweils kurzfristig abgesprochen, ob sie selbst oder Aushilfen das Internetcafé in dieser Zeit führen. So sei es auch am Tattag gewesen, die Eltern seien zum Einkaufen in der Stadt gewesen bevor sie ihn ablösen wollten. Götzl spricht dann kurz an, dass es wohl auch zu einem VE-Einsatz [“Verdeckter Ermittler”] gekommen sein soll. Der Zeuge Ge. bestätigt das: “Ja, aber auch da kamen keine Hinweise zu einem Motiv oder Tatzusammenhang”. Götzl liest aus den Akten vor: “über mehrere Monate wurden die Telefonanschlüsse der Familie überwacht, Ansätze hat die TKÜ [Telekommunikationsüberwachung] nicht erbracht”. Als Götzl aus den polizeilichen Akten zitiert “normale Familie mit normalen Problemen, türkische Landsleute berichten nur positiv”, ergänzt dies der Zeuge Ge. “Das waren zwar gläubige Muslime, aber westlich orientiert und haben sich in unser Gesllschaftssystem sehr gut integriert”. Ob sie nach der TKÜ die Familie informiert hätten, will Götzl wissen. “Wenn ich mich recht erinnere, haben wir sie danach informiert. Aber wir sagten ihnen, wir ermitteln in alle Richtungen” . Wie die Reaktion der Familie war ? “Ja, nicht widersprüchlich”.

Von der Bundesanwaltschaft will OStAin Greger wissen, wie es mit dem Internetcafé weiterging. Herr Yozgat, so Ge., sei bestrebt gewesen, es zu verkaufen. Greger fragt dann nach den Auswirkungen des Todes auf die Familie. Der Tod habe die gesamte Familie sehr mitgenommen, sagt Ge., den Vater und die Mutter ganz besonders auch. Der Sohn sei der Mittelpunkt der Familie gewesen und auf so abscheuliche Art herausgerissen worden.

Als Nebenklagevertreter kündigt Rechtsanwalt Bliwier Widerspruch an: “Ich möchte die Harmonie trüben” und fragt nach Ge.s türkischem Kollege Tu. Ismail Yozgat, sagt Ge. habe sich diesem wohl anvertraut und sich von ihm Informationen erhofft. Bliwier hakt nach, ob er sich nicht eher beschwert habe, dass die Ermittlungen in eine falsche Richtung liefen? Nein, das glaube er nicht, antwortet der Zeuge. Rechtsanwalt Bliwier liest einen Vermerk des Kollegen Tu. vom 9.6., aus der Sachakte 1 Band 2 Blatt 190 vor: “Er fragte mich, ob es Neuigkeiten gebe und ich sagte, dass ich nicht in der MK Café arbeite. Er fing an zu erzählen, dass die Ermittler einen falschen Weg hätten. Sie sollten aufhören, ihn und seine Familie zu verdächtigen. Da wäre nichts zu ermitteln. Ich fragte ihn nochmal, ob er nichts verheimlicht. Daraufin fing er an zu weinen, er hätte seinen Sohn verloren… er wäre der festen Überzeugung, dass sein Sohn und die anderen Opfer aus ausländerfeindlichen Motiven umgebracht worden seien”. Ge bestätigt den Vermerk, aber ihm gegenüber habe sich Herr Yozgat nicht so verhalten. Bliwier will wissen, was mit dieser Information, dass Yozgat der festen Überzeugung sei, ausländerfeindliche Motive lägen vor, passiert sei. Ge antwortet: “Wir haben dem Herrn Yozgat auch gesagt, dass wir ausländerfeindliche Motive, religiöse Motive ermitteln”. Bliwier hakt erneut nach: “aber gab es Ermittlungen?” Ge. sagt, es habe Ermittlungen über das Staatsschutzkommissariat und das BKA in diese Richtung gegeben, er habe es jedoch nicht veranlasst und wer dies veranlasst habe, wisse er nicht. Bliwier verweist auf einen Bericht Ge.s, in dem nichts davon stehe, dass man ausländerfeindliche Hintergründe geprüft habe. Ge. verweist erneut auf seine Besuche in der Schule, da sei wichtig gewesen, “gab es da möglicherweise ausländerfeindliche Auseinandersetzungen”. Auf Bliwiers Nachfrage nach weiteren Ermittlungsbeispielen sagt Ge.: “Ich muss ihnen noch etwas sagen. In der ersten Phase, als ich las, der Iraker stammt aus dem Kurdenzentrum Mossul im Irak, da hab ich gleich gedacht, Halt, Stopp, gab es da möglicherweise etwas”. Bliwier fragt nach, ob “Kurden aus dem Irak” für den Zeugen ausländerfeindliche Hintergründe belegen. Ge. verneint und Bliwier sagt: “Das ist doch klar, ich mach ihnen konkret keinen Vorwurf”. Er ziehe allerdings die berichtete “Harmonie” in Zweifel.

Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Kolloge will wissen, ob die Schaufensterscheiben von der Polizei mit Stoff verhängt geworden seien, was Ge. bestätigen kann. Ein weiterer Nebenklagevertreter fragt nach dem Telefonat, das der Verstorbene kurz vor der Tötung geführt habe und bei dem jemand gehört habe, “sie können Platz zwei benutzen”. Was denn mit dem Handy des Verstorbenen passiert sei? Ge. erklärt diesen Sachverhalt folgendermaßen: Während der Obduktion habe er den ED [Erkennungsdienst] nach dem Mobiltelefon gefragt. Es sei jedoch kein Handy in den Kleidungsstücken in der Pathologie als auch keines am Tatort gefunden worden. Infolge dessen habe festgestellt werden können, dass dieses Handy ein Mitarbeiter der Pathologie im Klinikum gestohlen hatte. Durch eine Ortung habe festgestellt werden können dass er es nach Hause genommen habe, er habe dies schließlich auch zugegeben. Auch dieses Telefon sei dann ausgewertet worden wie auch alles, “was aus der gesamten Telefonanlage herausgekommen ist”, überprüft worden sei. In Zusammenhang auch mit den Taten 1 bis 8 seien Abgleiche geführt worden von Funkzellen, Handydaten und Kennzeichen. Aber da habe kein Zusammenhang festgestellt werden können.

Der Prozess endet um 16.40 Uhr.

Nebenklagevertreter RA Peer Stolle erklärt zur Aussage des Kasseler Ermittlers:

“Trotzdem Halit Yozgat das neunte Opfer der Mordserie war, kam die Polizei in Kassel nicht auf die Idee, nach rechten Tätern zu suchen. Stattdessen suchte man mit allen Mitteln das Tatmotiv in der Familie, der Organisierten Kriminalität und im Drogenhandel – machte die Familie somit zum zweiten mal zum Opfer. Noch heute betont der leitende Beamte, dass diese Ermittlungen richtig, notwendig und in alle Richtungen, obwohl es keinerlei Ermittlungen im Hinblick auf ein rassistischen Motiv gab. Das ist nicht nur ein erneutes Beispiel für institutionellen Rassismus, sondern auch für das immer noch fehlende Problembewusstsein der Polizei.“

Nebenklagevertreter RA Dr. Björn Elberling kommentiert:

“Im Hinblick darauf, dass kommende Woche der zur Tatzeit am Tatort anwesende Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und -Führer Andreas Temme als Zeuge aussagen wird, dürfte die dummdreiste Vorwärtsverteidigung des heutigen Polizeizeugen letztlich nur einen Vorgeschmack auf noch zu erwartende weitere Rechtfertigungsversuche darstellen.”

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