Erklärung von Anwält_innen der Nebenklage zur Vernehmung von Brigitte Böhnhardt

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München, den 21. November 2013
verlesen am 26. November 2013

Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO zu der Vernehmung der Zeugin in den Hauptverhandlungen vom 19. und 20.11.2013:

Die Angaben der Zeugin Brigitte Böhnhardt zu ihrem Sohn waren geprägt davon, dass sie sämtliche Verantwortung für die Entwicklung ihres Sohnes externalisiert und nicht bei ihrem Sohn gesucht hat: Der Systemwechsel nach dem Ende der DDR, die Schule und die Ämter, die kriminellen, älteren Freunde, die ihn ausgenutzt haben sollen.

Ebenso externalisierte sie die Gründe, warum sich ihr Sohn der Neonaziszene angeschlossen hat. Verantwortlich sollen „Rattenfänger“ und „Hohlköpfe“ gewesen sein. Ihr Sohn und seien hingegen nur „Nachläufer“ gewesen. Aus den Schilderungen der Zeugin geht jedoch offensichtlich hervor, dass die „Rattenfänger“ nicht abstrakt und in der Ferne zu suchen waren. Es handelte sich vielmehr um das unmittelbare Umfeld ihres Sohnes in Jena, insbesondere um den Angeklagten , den Beschuldigten André Kapke und auch Uwe . Zwar hat die Zeugin insofern Recht, als dass tatsächlich Nazigrößen aus Westdeutschland in den Osten gingen, um dort gezielt Jugendliche zu werben, es gibt aber keine Hinweise darauf, dass mit diesen Kontakt hatte und durch diese radikalisiert wurde.

Die Zeugin schloss eine selbstbestimmte Entscheidung von Uwe Böhnhardt aus, sich der rechten Szene anzuschließen. Ebenso schloss sie aus, dass diese Entscheidung auch seinem gefestigten politischen Weltbild entsprach. Gerade für diesen Umstand spricht aber, dass Uwe Böhnhardt trotz aller Unterstützung durch das Elternhaus nicht von seiner Ideologie abgerückt ist. Allenfalls hat er diese lediglich vor seinen Eltern mehr oder weniger erfolgreich versteckt. Hätte Uwe Böhnhardt den Ausstieg aus der Szene gewollt, hätte er jede dafür notwendige materielle und ideelle Unterstützung von seinen Eltern erhalten. Er hätte eine Alternative gehabt, die er anscheinend nie auch nur in Betracht gezogen hat. Dieser von der Zeugin berichtete Umstand lässt nur einen Schluss zu: Es waren ideologische Gründe, die Uwe Böhnhardt in der Szene hielten. Uwe Böhnhardt war Zeit seines Erwachsenenlebens ein Neo-Nazi, nichts anderes wollte er sein.

Zu der Person der Angeklagten Zschäpe hat die Zeugin zwei wichtige Einblicke gegeben: Sie gab an, sei „schüchtern und zurückhaltend“ aufgetreten, stellte aber klar, dass sich dies nicht auf den Umgang mit Gleichaltrigen bezog, sondern nur auf den Umgang mit den beiden Eltern Böhnhardt, in deren Schuld sie stand. Weiter berichtete die Zeugin, Beate Zschäpe habe ein „gesundes, normales Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen“ gehabt. Sie habe sich nie in die „zweite Reihe gestellt“. Sie habe ihre eigene Meinung gehabt und habe diese vertreten. Die Beziehung zwischen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und ihrem Sohn Uwe Böhnhardt beschrieb die Zeugin explizit und auf Nachfrage als „gleichberechtigt“.

Des Weiteren habe Beate Zschäpe am frühen Morgen des 5.11.2011 die Familie Böhnhardt angerufen und im Auftrag von Uwe Böhnhardt von dessen Tod unterrichtet. Sie habe letzte Grüße von Uwe Böhnhardt ausgerichtet und vom Suizid der beiden Männer berichtet. Die beiden hätten sich erschossen, weil sie keinen Ausweg gesehen hätten. Dies lässt Absprachen der Drei für ein „Worst-case“-Szenario erkennen.  Absprachen dieser Bedeutung werden nur mit Personen getroffen, denen man uneingeschränkt vertraut und die auf Augenhöhe gleichberechtigt Mitspracherechte bei Absprachen eben dieser Art haben.

Die Zeugin gab zu diesem mit Zschäpe geführten Telefongespräch außerdem an, es seien nur wenige Sätze gewechselt worden. Erst nach dem Telefonat seien ihr zahlreiche Fragen eingefallen, die sie unter Schock stehend vergessen habe zu stellen. Diese Angabe ist mit den bisherigen Ermittlungen nur schwer in Einklang zu bringen. Laut noch einzuführenden Ermittlungsergebnissen hat dieses Telefonat ganze 7.58 Minuten gedauert (vgl. SAO 51/96).

Die Zeugin Böhnhardt hat zudem von mehreren Personen berichtet, die den Kontakt zu ihrem untergetauchten Sohn, zu Beate Zschäpe und zu Uwe Mundlos hielten. Manche benannte sie namentlich, wie den Angeklagten Ralf Wohlleben und den Beschuldigten André Kapke. Andere hat sie namentlich nicht gekannt, wie z.B. den jungen Mann, der die in Plastiktüten verpackten Utensilien des Uwe Böhnhardt abholte, und den „jungen hübschen Mann“, der zwei Mal Geld abgeholt hat. Den Mann, der die Tüten abgeholt hat, und den „jungen hübschen Mann“ konnte die Zeugin angeblich nicht beschreiben und hat letzteren auch nicht auf den ihr vorgelegten Bildern wiedererkannt. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass die Zeugin ihn auch nicht wiedererkennen wollte: Sie betonte mehrfach, dass sie viele Dinge gar nicht habe wissen wollen und noch jetzt nicht wissen wolle, weil sie Menschen, die ihrem Sohn geholfen hätten, keine Probleme bereiten wolle. Andere Unterstützungshandlungen gab die Zeugin in der Hauptverhandlung nur auf intensive Nachfrage und Vorhalte zu.

Das Schutzverhalten der Zeugin als Mutter führte aus unserer Sicht dazu, dass sie – bewusst oder unbewusst – aber objektiv  unrichtig und unvollständig zu der Verstrickung ihres Sohns, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in der Neonaziszene ausgesagt hat. Sie gab an, dass sie an allen Gerichtsverfahren ihres Sohns zwischen 1993 und 1997 teilgenommen hat. In diesen Gerichtsverhandlungen wurden nicht nur die rechtsgerichteten Taten ihres Sohnes erörtert, sondern auch die gemeinsamen Aktivitäten und Straftaten von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe u.a. in der .

Es gibt noch weitere Unterstützer, die die Zeugin nicht gesehen hat, wie der oder die Verfasser der vielen Zettel, die sie im Briefkasten fand mit Anweisungen für mindestens drei Treffen und für mindestens drei bis fünf Telefonate in Telefonzellen. Zudem muss demnach auch davon ausgegangen werden, dass die anrufende Person und die Geld oder Gegenstände abholende Person nicht in jedem Fall identisch waren.

Somit wird auch aus der Befragung der Zeugin Brigitte Böhnhardt einmal mehr deutlich, dass die Gruppe der Helfer und Helfershelfer des NSU wesentlich größer ist, als der mehr als überschaubare Kreis der Personen auf der Anklagebank vermuten lässt.

Es wurde durch die Angaben der Zeugin auch deutlich, dass die Bewaffnung des Trios zu einem sehr frühen Zeitpunkt allen Beteiligten bekannt war. Die Zeugin schilderte ein Gespräch mit zwei Beamten des LKA, das sie und ihr Mann 1999 führten. Auf Vorhalt gab Frau Böhnhardt an, dass der LKA-Beamte ihnen bei diesem Gespräch gesagt habe, das LKA wisse, dass die Drei bewaffnet seien. Die Behörden und Familie Böhnhardt wussten also schon 1999 von der Bewaffnung des Trios. Da zudem bereits im Vorjahr Rohrbomben und Sprengstoff gefunden worden waren, die den Untergetauchten zugeordnet wurden, musste spätestens 1999 allen Beteiligten – Behörden wie Unterstützern – die extreme Gefahr, die von den Untergetauchten ausging, bewusst gewesen sein. Es erscheint nach der Vernehmung sogar möglich, dass die Zeugin Böhnhardt ihren Sohn weiter unterstützt hat, nachdem sie Kenntnis davon hatte, dass die Drei bewaffnet waren. Sie gab an, dass sie erst nach der „Rücknahme des Angebots“ die Unterstützung eingestellt habe.

Die Angaben der Zeugin zu dem Untertauchen und dem Verbleiben im Untergrund haben viele Fragen aufgeworfen.

Die Zeugin schilderte, dass ihr Sohn im Herbst/Winter 1997 zu einer Freiheitsstrafe von über 2 Jahren verurteilt worden war und die Familie seit dieser Verurteilung jeder Zeit auf die Aufforderung zum Strafantritt wartete. Die Zeugin beschrieb, dass ihr Sohn sich bereits darauf eingestellt hatte, die Haft anzutreten, von einer besonderen Anspannung wegen der bevorstehenden Haft berichtete sie nichts. Hätte Uwe Böhnhardt wirklich eine so panische Angst vor dem Gefängnis gehabt, wie die Zeugin behauptete, wäre nicht erklärlich, dass das sogenannte Trio in dem Wissen, dass Uwe Böhnhardt eine lange Gefängnisstrafe verbüßen muss, in der Garage zündfertige Rohrbomben produzierte, wie es in der Anklage heißt. Dieser Umstand, zusammen mit den Angaben der Zeugin, ihr Sohn habe ruhig auf den Strafantritt gewartet, lassen auch den Schluss zu, dass das Trio das Untertauchen schon länger geplant hatte und die Rohrbombe mitgenommen werden sollte.

Auch die Darstellung von den sogenannten „Verhandlungen“ bezüglich des Sich-Stellens bestätigt den Eindruck, dass das Trio sich für ein Leben im Untergrund bewusst und unabhängig von den Durchsuchungen am 26. Januar 1998 entschieden hatte. Die von der Zeugin geschilderten Verhandlungen mit dem Verfassungsschutz und der Staatsanwaltschaft über die Voraussetzungen blieben im Dunkeln. Die Zeugin behauptet, das Trio hätte sich stellen wollen und die Behörden hätten dies durch den „Rückzug des Angebotes“ verhindert. Allerdings lief die ganze Schilderung der Zeugin darauf hinaus, dass es außer ganz allgemeinen Bekundungen keine konkreten Hinweise dafür gab, dass das Trio sich ernsthaft stellen wollte. Vielmehr schilderte die Zeugin, dass Uwe Böhnhardt entsprechenden Gesprächen ausgewichen sei. Sie konnte kein einziges konkretes Rückkehr-Szenario schildern und gab an, dass nie über die Verjährungszeiten gesprochen wurde, auch nicht nach der Mitteilung des Eintritts der Verjährung.

Ob das Trio sich schon über einen längeren Zeitraum auf ein Untertauchen vorbereitet hatte, wird durch die weitere Beweisaufnahme zu klären sein. Wesentlich dürften hier etwa die in der Garage gefundenen Asservate sein, wie die sog. von Mundlos mit Unterstützeradressen oder das von herausgegebene „Sonnenbanner – Nationales Sozialistisches Monatsblatt“, in dem sich ein Artikel über „Zellenbildung“ befindet (Nachlieferung 7/228).

v.d. Behrens, Rechtsanwältin
Dr. Daimagüler, Rechtsanwalt
Dr. Elberling, Rechtsanwalt
Kuhn, Rechtsanwalt
Lex, Rechtsanwältin
Lunnebach, Rechtsanwältin
Sariyar, Rechtsanwalt
Scharmer, Rechtsanwalt
Stolle, Rechtsanwalt