An diesem Prozesstag berichteten Gamze und Elif Kubaşık bewegend und ausführlich über die Folgen der Ermordung ihres Vaters und Ehemanns Mehmet Kubaşık am 4. April 2006. Sie schilderten anschaulich und bedrückend die Details und persönlichen Folgen der rassistisch geprägten Ermittlungen für die ganze Familie. Neben weiteren Zeug_innen und einem Sachverständigen wurde auch eine Frau aus Dortmund befragt, die zur Tatzeit zwei Männer vor Kubaşıks Kiosk gesehen hatte – einen mit Fahrrad und Käppi – die sie gegenüber der Polizei als „Junkies oder Nazis“ beschrieb.
Zeug_innen und Sachverständiger:
- Gamze Kubaşık (Tochter von Mehmet Kubaşık)
- Elif Kubaşık (Ehefrau von Mehmet Kubaşık)
- Janica Dz. (Zeugin, die am Tattag in Tatortnähe zwei Männer, „Junkies oder Nazis“, gesehen habe)
- Julia Hei. (Auffindezeugin Mord an Kubaşık)
- Heinz-Günther Me. (Auffindezeuge Mord an Kubaşık)
- Prof. Dr. Markus Rothschild (Sachverständiger, Blutspurenmusteranalyse Mord an Kubaşık)
- Ralf Br. (Polizeibeamter Nordhessen, Auswertung Notizzettel mit Funkfrequenzen mit Bezug zu Kassel)
Der Verhandlungstag beginnt um 9.46 Uhr. Als Nebenklägerinnen sind Gamze und Elif Kubaşık, Tochter und Ehefrau des am 4. April 2006 in der Dortmunder Malinckrodtstraße ermordeten Mehmet Kubaşık anwesend.
Erste Zeugin ist auch gleich Gamze Kubaşık, die mit ihrem Anwalt Sebastian Scharmer am Zeug_innentisch Platz nimmt. Vorsitzender Richter Manfred Götzl fragt nach dem Tod ihres Vaters. Gamze Kubaşık berichtet, dass ihr Vater, ihre Mutter und sie selbst den Laden, in dem Mehmet Kubaşık ermordet wurde, geführt hätten. Die Mutter habe den Laden morgens um sechs Uhr geöffnet, dann habe der Vater sie abgelöst. Dazwischen habe ihr Vater den jüngsten Sohn zum Kindergarten gebracht und Einkäufe erledigt. Sie selber sei im Berufskolleg gewesen, um ihre Fachoberschulreife zu machen. Danach sei sie meist direkt zum Kiosk gegangen und habe den Vater abgelöst, wenn dieser Erledigungen gehabt habe. Am 4. April 2006 sei Besuch da gewesen: die Schwester ihrer Mutter. Sie habe an dem Tag vergessen, so Gamze Kubaşık, dass sie die ersten beiden Stunden frei gehabt habe und sei wie gewohnt um 7 Uhr aufgestanden, dann sei es ihr eingefallen und sie habe sich entschlossen, ihren jüngsten Bruder in den Kindergarten zu bringen. Sie habe ihren Vater geweckt und ihm das mitgeteilt.
Für einen Kiosk sei der Laden groß gewesen, man bezeichne das eher als Trinkhalle. Rechts sei der Tresen und die Kasse gewesen, dahinter die Zigaretten. Rechts an der Kasse seien Getränkekühlschränke, sie hätten alkoholische und nichtalkoholische Getränke verkauft. Vor der Kasse hätten sie Süßigkeiten und Chips gehabt. Götzl fragt, ob man den Laden habe betreten müssen, um etwas zu kaufen. Ab 22 oder 23 Uhr hätten sie den Laden schließen müssen, so Kubaşık. Dafür habe es dann ein Verkaufsfenster gegeben, dort sei vorne eine Klingel gewesen. Eine Videoanlage habe es gegeben, die sei auch zu erkennen gewesen, ihr Vater habe sie aber abgestellt. Götzl fragt zur Person Mehmet Kubaşık. Gamze Kubaşık berichtet, ihr Vater habe ein oder zwei Jahre vor seiner Ermordung einen Schlaganfall gehabt. Davor habe er bei einer Döner-Produktion als Lieferant gearbeitet, habe diese Tätigkeit aber nicht mehr machen können. Er sei ein Jahr arbeitslos gewesen. Von dem Kiosk hätten sie durch Freunde erfahren und sie hätten ihn übernommen. Auf Frage von Götzl sagt Kubaşık, sei habe zwei jüngere Brüder, die heute 13 und 18 Jahre alt seien. Der ältere sei damals in die Realschule gegangen, der jüngere habe den Kindergarten besucht. Dann geht es um die Folgen des Mordes an Mehmet Kubaşık für die Familie. Gamze Kubaşık berichtet, dass der jüngere Bruder nicht viel mitbekommen, weil er so jung gewesen sei. Einmal sei er aus dem Kindergarten gekommen und habe erzählt, dass die Erzieherin ihm gesagt habe, der Vater sei im Himmel. Er spreche wenig und höre heute aufmerksam zu bei Gesprächen über den Vater. Sie habe den Eindruck, dass er relativ wenig Erinnerung an den Vater habe. Mit dem anderen Bruder sei es schwieriger gewesen. Einmal seien sie und ihre Mutter in die Schule eingeladen worden, weil der Bruder sich geprügelt habe. Beim Gespräch darüber habe der Bruder gesagt, dass er mit dem anderen Schüler eigentlich gut befreundet gewesen sei. Dann habe der aber zu ihm gesagt, er solle den Jungen nicht anfassen, weil die Eltern dem Jungen gesagt hätten, dass sie, die Kubaşıks, keine gute Familie seien. Der Junge habe davon gesprochen, dass die ganze Familie Kubaşık Drogen nehme.
Götzl fragt nach der Situation für Gamze Kubaşık selbst. Die sagt, dass es bei ihr sehr schlimm gewesen sei. Sie habe ein sehr gutes Verhältnis mit ihrem Vater gehabt, eine sehr vertraute Vater-Tochter-Beziehung. Es habe angefangen, dass sie Gerüchte gehört habe, dass Leute hinter ihr getuschelt hätten, der Vater habe wohl Drogen genommen und an Kinder und Jugendliche verkauft. Eine Frau, die sie flüchtig kenne, habe gesagt, dass seine Kinder doch genauso enden sollten: „So eine Art Verfluchung, die Kinder sollen auch drogenabhängig sein.“ Dann berichtet sie von Angstzuständen, die sie entwickelt habe und die dazu geführt hätten, dass sie eine Ausbildung, die sie 2006 nach ihrem Abschluss sicher gehabt habe, nicht habe beginnen können. Jeder der eingestiegen sei in den Zug auf dem Weg zur Ausbildungsstelle sei für sie verdächtig gewesen, dass es der Mörder ihres Vaters sein könne, der sie beobachte und verfolge. Ihre Situation habe sich dann verschlechtert, sie habe den Verlust des Vaters nicht akzeptieren können. Ein Jahr lang habe sie das Haus nicht verlassen können. Sie bejaht in ärztlicher Behandlung gewesen zu seien, aber das sei nichts für sie gewesen. Richter Götzl fragt nach den Folgen für die Mutter. Sie berichtet: „Meine Mutter trauert Tag und Nacht über den Verlust ihres Mannes.“ Gamze Kubaşık berichtet über die körperlichen und seelischen Folgen der Tat für ihre Mutter. Ihr eigener Zustand habe sich vor dem Bekanntwerden des NSU verbessert. Sie sei verheiratet und habe ihren Mann um sich. Nachdem sie erfahren habe, wie die Morde zustande gekommen sind, habe das noch mal mit ihr angefangen. Sie berichtet von körperlichen Problemen. Dann sagt sie: „Und wenn Sie mich fragen, ob ich heute noch Angstzustände habe, es ist so, wenn ich alleine bin.“ Befragt zu ihrer heutigen Situation sagt sie, sie versuche, sich nach außen hin stark zu zeigen, innerlich sehe es ganz anders aus. Sie denke viel über die Tat nach, viel über ihren Vater. Den jüngeren Bruder versuchten sie aus der Sache herauszuhalten, so Kubaşık. Ihr älterer Bruder kriege alles mit und ziehe sich zurück, wenn es um den Vater gehe. Wenn im Fernsehen etwas darüber laufe, gehe er in sein Zimmer und schaue es sich sich dort an. Sie wisse auch, dass er mit seinen Freunden nie darüber gesprochen habe. Die Trauer der Mutter habe sich nicht verbessert. Seit der Vater tot ist habe ihre Mutter nichts Helles mehr angezogen: „Wenn man schwarz gekleidet ist, weiß man bei uns, dass derjenige in Trauer ist.“
RA Scharmer fragt, auf welche Situation Gamze Kubaşık getroffen sei, als sie am 4. April 2006 aus der Schule gekommen sei. Sie habe, als sie mit einer Bekannten die Malinckrodtstraße hoch gelaufen sei, von weitem eine Menschenmenge, Absperrungen und viele Polizisten gesehen. Sie habe angenommen, dass es bei einem marokkanischen Café in der Straße wieder mal Streit gegeben habe, das sei öfters vorgekommen. Aber dann habe sie gesehen, dass es um den Kiosk geht. Sie habe von den Menschen gehört: „Oh nein, da ist die Tochter“. Ein Polizist sei gekommen und sie habe gesagt, dass sie die Tochter des Besitzers sei. Nachdem sie ihm ihren Ausweis gegeben habe, habe der Polizist sie zu einem Auto begleitet. Vorne am Fahrersitz habe eine Polizistin gesessen. Auf ihre Frage, was los sei, und den Hinweis, dass sie rein wolle, weil ihr Vater sie bestimmt brauche, sie könne übersetzen, habe die Polizistin gesagt, es sei alles in Ordnung, ihr Vater schaffe das. Dann sei ein älterer Polizist gekommen, habe sich zu ihr gesetzt und gesagt, dass ihr Vater verletzt worden sei. Sie habe immer noch unbedingt in den Laden gewollt und die ganze Zeit die Tür des Wagens aufgemacht. Dann habe der älter Polizist gesagt: „Frau Kubaşık, Ihr Vater ist tot.“ Die Polizistin habe gesagt, dass sie blass werde: „Ich habe sie noch gehört, aber ich konnte nicht antworten. Es kam mir so vor, als wäre das gerade ein Traum.“ Scharmer fragt nach einer Vernehmung bei der Polizei am 5. April 2006. Gamze Kubaşık berichtet, sie hätten in der Nacht gar nicht geschlafen, die Wohnung sei voll mit Bekannten und Verwandten gewesen. Sie und ihre Mutter seien von der Polizei abgeholt worden. Bekannte hätten ihnen beim Anziehen geholfen, sie hätten kaum geschafft, sich vernünftig anzuziehen. Ihre Mutter und sie seien getrennt worden: Sie sei in einem Raum, in dem bereits zwei Polizisten gesessen hätten, gegangen. Scharmer fragt, ob sie von den Polizeibeamten gefragt worden sei, ob sie der Vernehmung folgen könne. Kubaşık antwortet: „Ich wurde weder gefragt, ob ich der Vernehmung folgen kann, noch wie es mir geht.“ Sonst hätte sie gesagt, dass sie das nicht könne und ob man das nicht verschieben könne. Auf die Möglichkeit, einen rechtlichen Beistand beizuziehen, sei sie nicht hingewiesen worden. Sie erinnere sich, dass man gefragt habe, ob ihr Vater Feinde habe. Sie sei auch gefragt worden, ob ihr Vater eine Geliebte habe. Sie habe gesagt, dass ihr Vater so etwas niemals tun würde und habe sich über die Frage geärgert. Ihr seien Bilder von neun, zehn oder vielleicht mehr ausländischen Männern vorgelegt worden, sie habe keinen erkannt. Der Polizist habe sie gebeten, die Bilder noch einmal anzuschauen und sei habe wieder gesagte, sie erkenne niemanden. Der Polizist habe zu den anderen Polizisten geblickt, der nur getippt habe, und gesagt: „Ihr fällt es noch nicht mal auf, dass eine Person mehrmals abgebildet ist.“ Der Polizist habe sich darüber lustig gemacht. Mehrmals sei die Polizei auch bei anderen Gelegenheiten bei ihnen zu Hause gewesen, bestätigt Kubaşık. Einmal, wohl am Tag nach der Ermordung und nach der Aussage, seien auch Hunde dabei gewesen. Die Wohnung sei leer gewesen. Die Tür habe auf gestanden und sie sei hinein gegangen. Ein Mann sei gekommen und habe gesagte, sie solle raus gehen: „Ich sagte, ich gehe nicht raus, ich wohne hier.“ Im Schlafzimmer der Eltern seien Männer in weißen Anzügen gewesen mit großen Hunden, die an den Sachen der Eltern herum geschnüffelt hätten. Einmal, nachdem sie von der Beerdigung des Vaters nach Deutschland zurück gekommen seien, habe sie gesehen, wie die Polizei auch das Auto ihres Vaters mit Hunden abgesucht hätten. Scharmer fragt nach einer Vernehmung am 25. April 2006. Dort sei öfters gefragt worden, ob sie mitbekommen habe, dass ihr Vater Drogen verkaufe oder Verbindungen zu Drogen habe, ob er verwickelt sei bei der PKK oder der Mafia. Dann hätten sie sie nach einer türkischen Bank gefragt, ob er da Geld transportiert habe, ob sie wisse, dass der Vater Beziehungen zu anderen Frauen hatte. Das habe sie alles verneint. Scharmer fragt, ob sie auch nach einem „geheimen Freund“ gefragt worden sei. Das bestätigt Kubaşık, sie habe geantwortet, dass es einen Typen gegeben habe, den sie zweimal getroffen habe zusammen mit Freundinnen, und der sie irgendwie toll gefunden habe. Sie erinnere sich an eine Vernehmung zu Hause, bei der die Polizistin K. und deren Chef ihnen ein großes Blatt, eine Art „Stammbuch“ vorgelegt hätten von den Familien der Mutter und des Vaters, und sie hätte dabei helfen sollen, etwa wer wie heiße. Sie hätten vorher schon mal über die rechte Szene geredet. Da habe ihre Mutter gesagt, dass sie wisse, wer ihren Mann umgebracht habe, das seien die Nazis gewesen. Das habe die Mutter gegenüber Frau K. und dem Chef wiederholt. Frau K., die Türkin sei, habe das dem Chef übersetzt, und der habe gesagt, das man das ausschließen könne.
Den Kiosk hätten sie nicht mehr betreten können. Sie hätten dort persönliche Gegenstände gehabt, etwa die Räder der Geschwister, aber die hätten sie nicht wieder bekommen. Sie hätten sich durch die Miete verschuldet und der Vater habe noch Schulden bei der „Metro“ gehabt. Deswegen hätten sie unterschrieben, dass die Sachen aus dem Kiosk dafür verwendet werden. Zu wirtschaftlichen Folgen des Mordes befragt, sagt Gamze Kubaşık, der Vater sei der Hauptverdiener gewesen. Sie hätten erstmal nicht gewusst, wie sie das machen sollten. Sie sei Frau K. dankbar, die habe bei den Anträgen beim Arbeitsamt geholfen. Scharmer fragt: „Sie waren erstmals auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen?“ Kubaşık bestätigt das. Dann will Scharmer wissen, ob im Nachhinein erzählt worden sei, dass Telefon- und Kontodaten der Familie überprüft worden sind, was Kubaşık verneint. Zum Charakter ihres Vaters sagt Ganze Kubaşık: „Mein Vater war ein sehr guter Mensch, man mochte ihn einfach. Und das hab ich an ihm so geliebt.“ Wenn sie draußen gewesen seien, habe sie immer das Gefühl gehabt, dass fast ganz Dortmund ihn kennt. Die Jugendlichen hätten ihn besonders gemocht, er sei witzig gewesen und habe Späße gemacht.
Dann fragt RA Klemke, Verteidiger von Wohlleben. Er fragt nach der Schlägerei des älteren Bruders, die Ganze Kubaşık erwähnt hatte und bringt zunächst die Namen der Brüder durcheinander. Dann will er wissen, wie der Schulfreund heißt. Das wisse sie nicht, so Kubaşık: „Und wenn Sie fragen, ob das ein Deutscher war oder ein Türke, das weiß ich auch nicht. Ich weiß, dass sie das fragen wollen.“ Klemke fragt, ob die Verwünschungen, von denen Kubaşık gesprochen habe, von Fremden oder Freunden gewesen seien. Götzl sagt, die Frage sei beantwortet. Klemke sagt, so genau nicht, und fragt, welcher Nationalität die Personen gewesen seien. Oberstaatsanwalt Weingarten beanstandet die Frage. Götzl fragt, welche Relevanz die Frage habe. Kubaşık sagt, es seien Deutsche wie Ausländer gewesen. Götzl fragt Klemke noch einmal nach der Relevanz. Klemke sagt, die Zeugin habe von deutschen und türkischen Menschen gesprochen. Götzl sagt, er habe „ausländisch“ verstanden, nicht „türkisch“. Klemke fragt die Zeugin, ob es Ausländer unterschiedlicher Nationalität gewesen seien. Nach Protest von Seiten der Bundesanwaltschaft sagt Klemke, er knüpfe nur an einen Bericht der Zeugin an. Scharmer sagt, Klemke solle erklären, inwiefern die Nationalität dieser Menschen von Bedeutung sei. Klemke wiederholt, er knüpfe an Äußerung der Zeugin an. Götzl erwidert, das bedinge allein noch keine Relevanz. Klemke beantragt einen Gerichtsbeschluss. Weingarten sagt, für die Tatfolgen seien Gerüchte und Tuscheleien relevant, nicht aber die Nationalität von Tuschlern und Gerüchtestreuern. Klemke sagt, die Zeugin habe selbst Deutsche und Ausländer erwähnt. Scharmer sagt, das sei gefallen, obwohl die Frage beanstandet gewesen sei. Nach einer Unterbrechung verkündet Götzl um 11.02 Uhr, dass die Nichtzulassung der Frage bestätigt wird.
Klemke fragt, ob die Durchsuchung der Wohnung mit Hunden zeitlich vor oder nach dem Getuschel gewesen sei. Scharmer sagt, er beanstande die Frage, weil sie schon beantwortet sei. Klemke fragt, ob Kubaşık die Vernehmungsbeamten mal gefragt habe, wie die auf die Fragen nach Drogen gekommen seien. Kubaşık sagt, sie könne sich nicht erinnern, ob sie sie gefragt habe. Sie wisse nur noch, dass sie bei der ersten Vernehmung deshalb den Eindruck gehabt habe, dass es nicht um ihren Vater gehe und deshalb unbedingt ihren Vater habe sehen wollen. Dann sagt Klemke, Kubaşık habe geäußert, dass die Familie vor dem Tod des Vaters keine Leistungen vom Arbeitsamt erhalten habe. Scharmer sagt, Gamze Kubaşık habe gesagt, dass sie selbst keine Leistungen vom Arbeitsamt bezogen habe. Klemke widerspricht, Götzl sagt, die Frage könne man zulassen. Kubaşık sagt, sie könne sich nicht erinnern, dass die Familie Leistungen bezogen habe. Wahrscheinlich hätten die Eltern als sie hergekommen sind, Leistungen bekommen, aber seitdem sie denken könne, habe ihr Vater immer gearbeitet. Klemke fragt nochmal nach. Gamze Kubaşık sagt, sie wisse nicht, ob die Familie nie Leistungen bekommen habe, bis zum Tod des Vaters: „Aber wenn es der Fall war, hatten wir wohl den Anspruch.“ Klemke fragt, ob es im Polizeiwagen, als sie vom Tod des Vaters erfahren habe, Reaktionen ihrerseits gegenüber Dritten gegeben habe. Kubaşık verneint die Frage.
Es folgt um 11.10 Uhr die Vernehmung Elif Kubaşıks, der Witwe des ermordeten Mehmet Kubaşık. Sie nimmt mit ihrem Anwalt Carsten Ilius und einem Dolmetscher am Zeug_innentisch Platz. Am Tattag habe sie den Laden selber aufgemacht, berichtet sie. Weil ihre Schwester zu Besuch gewesen sei, habe sie etwa um 9.40 Uhr nach Hause gehen müssen. Sie habe mit der Schwester einiges eingekauft und danach den jüngsten Sohn vom Kindergarten abgeholt. Sei seien Richtung Park gegangen und hätten in der Straße die Beamten gesehen. Einige Minuten zuvor habe eine Nachbarin angerufen und gesagt, sie, Elif Kubaşık, solle zum Laden gehen, da sich da viele Polizeibeamten eingefunden hätten. Sie habe an einen Unfall gedacht. Es sei alles abgesperrt gewesen. Die Polizisten hätten sie nicht in den Laden gelassen. Dann hätten die Polizisten einen Krankenwagen geholt. Sie seien eingestiegen. Ihre Tochter habe gezittert und gesagt: „Mein Väterchen, mein Väterchen.“ Sie habe gefragt, was los sei, und habe geschrien. Der Beschäftigte des Wagens habe ihr dann gesagt, dass ihr Mann in den Kopf geschossen worden sei. Sie habe gefragt, warum man ihm das angetan habe. Danach erinnere sie sich zunächst an nichts mehr. Sie sei in einem Schockzustand gewesen. Man habe sie nach Hause gefahren. Sie habe nicht schlafen können, sie sei nicht in der Lage gewesen, selbst stehen zu bleiben. Viele Menschen seien da gewesen, auch ein Psychologe habe sich mit ihr beschäftigt. Am darauf folgenden Tag seien Polizisten gekommen und hätten DNA- und Fingerabdruckspuren von ihr und den Kindern genommen. Dann hätten sie sie mitgenommen zur Vernehmung. Dort seien sie gefragt worden, was mit ihrem Mann gewesen sei, wieso sie gefragt habe, warum er angeschossen worden sei. Die Kripo habe eine Durchsuchung der Wohnung machen wollen. Sie habe gesagt, dass erlaube sie, damit der Mörder schnell festgestellt werden könne. Die Kripo habe nicht gesagt, dass sie Heroin oder dergleichen suchen. Götzl fragt, ob sie am 4. April 2006 ihren Mann zu erreichen versucht habe. Das bestätigt Elif Kubaşık, sie habe oft angerufen, er habe aber nicht geantwortet. Sie habe gedacht, er sei vielleicht verärgert, weil sie sich verspätet habe. In der Regel habe sie den Laden aufgemacht. Wenn aber sie oder eines der Kinder krank gewesen sei, habe ihr Mann sich hauptsächlich um den Laden gekümmert. Kubaşık bestätigt, dass sie den Laden hätten aufgeben wollen, ihr Mann habe einen Interessenten gehabt, mit dem er sich einig gewesen sei und den sie selbst zweimal gesehen habe. Betrieben hätten sie den Kiosk etwa zwei Jahre. Auf Frage von Götzl beschreibt Elif Kubaşık ihren Mann. Er sei sehr besorgt gewesen um die Familie, er sei eine Person gewesen, die von den Menschen sehr gemocht und geliebt worden sei. Er habe seine Kinder geliebt, insbesondere die Tochter. Sie selbst und Mehmet hätten sich geliebt und daraufhin geheiratet. Kubaşık: „Mit seiner Ermordung sind alle unsere Träume zerbrochen. Wir hatten wie alle anderen Menschen ein ganz normales, liebenswürdiges Leben.“ Nach der Ermordung habe es nichts mehr gegeben, was für sie weiß gewesen sei: „Es ist alles geschwärzt worden.“ Sie könne nicht vergessen, wie ihre Kinder gelitten hätte. Der Tag ging einfach nicht zu Ende, als eine Frau mit den Kindern zurück zu bleiben. Sie berichtet von körperlichen Problemen, die sie bekommen habe.
Zwei Monate nach der Tat habe sie eine Demonstration veranstaltet, damit der Mörder gefasst werde. Weiter sagt Kubaşık: „Uns wurde großes Unrecht angetan, dass wir mit Mafia zu tun hätten, mit Rauschgift, mit Frauengeschichten und dergleichen.“ Solche Gerüchte seien auch von unbeteiligten Menschen verbreitet worden. Sie und ihre Tochter hätten lange nicht nach draußen gehen können. Es sei mit Fingern auf sie gezeigt worden. Wenn sie irgendeine Person mit Rucksack und Käppi auf dem Fahrrad gesehen habe, habe sie immer gewartet, bis der vorbeigefahren war. Wenn sie daheim ein Geräusch gehört habe, habe sie geschrien. Sie hätten ein zweites Schloss eingebaut. 2008 sei ein großer Stein ins Fenster geworfen worden und die erste Scheibe sei zerbrochen. Die Polizei habe sie besänftigt, das könnten ja Kinder gewesen sein. Am Tag der Demonstration hätten sie Familie Yozgat zum Essen eingeladen. Kubaşık berichtet weiter, ihr Kind sei von anderen Kindern auf der Straße blutig geschlagen worden. Dem Kind sei vorgeworfen worden, dass sein Vater mit Heroin gehandelt hätte. Später sei es auch in der Schule zu Vorfällen gekommen. Der ältere Sohn habe es nicht ertragen können, dass sein Vater ermordet wurde, er sei elf gewesen: „Als ich ihn fragte, wieso gehst du nicht nach draußen, sagte er, dass die anderen Kinder mit dem Finger auf ihn zeigen würden.“
Der jüngere Sohn habe immer gefragt, wo sein Vater sei, sie habe ihm nicht erzählen können, dass sein Vater getötet wurde. Die Erzieherinnen im Kindergarten hätten ihm das erzählt. Beide Söhne hätten in der Schule ein Jahr verloren. Dann sagt Elif Kubaşık: „Was ich erlitten habe, kann nur ich und Allah verstehen.“ Auf Frage von Götzl sagt sie, sie selbst sei auch wegen der Gerüchte angesprochen worden. Die Bekannten hätten ihr geglaubt, aber die, die sie nicht kannten, hätten gesagt, wenn es nicht zutreffen würde, würde die Polizei nicht mit Suchhunden bis in den Keller kommen. Sie berichtet, dass sie 2012 in Kur gefahren sei und in der Tram Nazis gesehen und sehr große Angst vor ihnen gehabt habe. Als sie in der Kur angekommen sei, habe sie sofort wieder zurück gewollt, sei dann aber doch geblieben. Unmittelbar nach der Tat habe sie Probleme mit der Haut bekommen. Jetzt, als sie hier vor Gericht habe erscheinen müssen, sei sie wieder erkrankt.
Der Arzt habe gefragt, ob sie mit der Arbeit oder dem Ehemann Probleme habe, das könnten Gründe für die Erkrankung sein. Götzl möchte wissen, warum sie bei jemand mit Käppi und Fahrrad gewartet habe. Zwei, drei Monate nach der Tat sei ihnen von der Polizei gesagt worden, dass es zwei Personen mit Fahrrädern gewesen seien, die Käppis getragen hätten.
Nachdem es heraus gekommen sei, dass es Nazis waren, habe sie Angst um ihre Kinder gehabt. Kubaşık: „Es mag vielleicht komisch klingen, aber in einem Land der Demokratie müssen wir uns mit solchen Ängsten abgeben.“
Dann berichtet Kubaşık, dass die Polizei Polizisten aus Istanbul gerufen habe, ein oder zwei seien zu ihnen gekommen. Da sei gesagt worden, dass innerhalb der Familie wohl irgendwelche Rachetaten verübt würden, man kenne diese Familie aber nicht. Jedes Mal bei der Vernehmung bei der Polizei habe sie bekundet, dass ihr Mann ein sehr guter Ehemann gewesen sei. An einige Bruchstücke der Vernehmung erinnere sie sich. Bei der ersten Vernehmung sie ihr gesagt worden, dass in der Tasche ihres Mannes drei Bankkarten gefunden worden seien. Das sei komisch. Sie habe gesagt, dass sie zwei Karten hätten, eine gemeinsame und eine für den Laden. Ihr Mann habe seine Karte verloren und eine neue beantragt. Dann sei ein Schlüssel zu viel an seinem Schlüsselbund gefunden worden. Sie hätten so einen Stellplatz für den Wagen mit einem Hindernis gehabt, dafür sei dieser Schlüssel gewesen. Der Polizist habe den Schlüssel ausprobiert, in der Tat sei er dafür gewesen.
Zu den wirtschaftlichen Folgen der Tat befragt, sagt Elif Kubaşık, Frau K. habe bei den Anträgen fürs Arbeitsamt geholfen. 2009 habe das Amt die Zahlungen eingestellt und der „Weiße Ring“ habe geholfen. Zweimal sei sie nach Solingen gefahren für ein Gutachten fürs Versorgungsamt. Sie hätten sehr schlechte Tage erlebt. Sie sagt: „Mein Mann hat so etwas nicht verdient.“ Die Polizei habe berichtet, dass ihr Mann in einem Blutsee gelegen habe. Dann sagt Kubaşık: „Ich hoffe, dass der deutsche Staat die Mörder bestraft.“ RA Ilius fragt, wie es den Eltern ihres Manns ergangen sei. Die Mutter ihres Mannes habe nach der Ermordung einen Herzinfarkt erlitten. Zur Zeit sei sie in Ankara in Behandlung, es bestehe die Gefahr, dass sie eine Lähmung erleidet. Sie habe den Mord an ihrem Sohn nicht verkraften können. Sie seien 15 Jahre nicht in der Türkei gewesen. 2006 hätten sie dort hinfahren wollen. Die Mutter habe ihren Sohn nach so langer Zeit wieder sehen können, aber leider sei es zu diesem Vorfall gekommen. Ilius fragt, ob es Ermittlungen im Heimatort gegeben habe. Kubaşık antwortet, in Urfa, wo İsmail Yaşar her stamme, habe es Ermittlungen gegeben. Die Polizei habe versucht, eine Bekanntschaft festzustellen. Bei der Polizei sei sie dem Bruder von Yaşar begegnet und habe ihn mehrmals gefragt, ob sie sich kennen würden, das habe der aber verneint. Im März 2007 sei sie von einer Reporterin gefragt worden, wer ihren Mann getötet haben könne. Schon damals habe sie den Verdacht geäußert, dass Rechtsradikale ihren Mann ermordet haben. Sie hätten sehr oft zur Sprache gebracht, dass hinter den Morden an acht türkischen und einem griechischen Staatsangehörigen Rechtsradikale stehen müssten. Diese Aussage sei nicht beachtet worden.
Einmal hätten Polizisten Gamze und sie gefragt, was denn passieren würde, wenn es eine „Familienfehde zwischen den Stämmen“ gäbe. Ilius fragt, ob die Polizei mit Elif Kubaşık gesprochen habe, wie man die Durchsuchungen möglichst schonend und unauffällig durchführen könne. Kubaşık: „Nein, sie haben nur gesagt, dass sie mit einem Hund kommen und ich sagte, wenn das der Aufdeckung des Mordes dienen würde, bin ich nicht dagegen.“ Später hätten sie von Aussagen der Nachbarn erfahren, dass wenn sie mit Drogen nichts zu tun hätten, die Polizei ja nicht mit Hunden suchen würde. Auch die Nachbarn seien zu dem Thema befragt worden. Einer habe gesagt, dass Mehmet mit solchen Dingen nie zu tun hätte. Dem sei gesagt worden, dass er keine Ahnung habe, und dass Mehmet sehr wohl etwas mit solchen Dingen zu tun gehabt habe. Als sie zur Abgabe von DNA-Proben und Fingerabdrücken mitgenommen worden seien, habe sie gefragt, wieso das passiere, so Elif Kubaşık. Da habe er gesagt, um diese Abdrücke mit Spuren im Laden abgleichen zu können: Ilius fragt, ob ihr gesagt worden sei, dass sie rechtlichen Beistand haben könne wegen der Ermittlungen. Sie habe gesagt, dass sie einen Anwalt wolle, auch gegenüber Frau K. habe sie das erwähnt. Die habe gesagt, es gebe doch keinen Tatverdächtigen, keine Beweise, für was sie da einen Anwalt wolle.
Um 11.58 Uhr folgt die Mittagspause. Es folgt die Zeugin Dz. aus Dortmund. Sie berichtet, sie habe zur Tatzeit in einem Hotel gearbeitet, hundert Meter von dem Kiosk entfernt. Sie sei an dem Kiosk vorbei gegangen, gegen 12:15 Uhr und da seien ihr zwei Männer entgegen gekommen, einer auf dem Fahrrad, einer daneben gehend. Der auf dem Fahrrad habe sie böse angeguckt, so dass sie ihren Kopf zur Seite gedreht habe. Sie habe das ganz unangenehm gefunden. Dann sei sie nach Hause und nach einer halben Stunde wieder raus gegangen, die genaue Zeit wisse sie nicht. Sie habe zur Sparkasse und in die Stadt gewollt. Da hätten die beiden Männer am Kiosk gestanden. Sie habe eigentlich Zigaretten holen wollen am Kiosk, habe als sie die Männer gesehen habe, aber sofort die Straßenseite gewechselt. Sie sei in die Stadt gegangen und als sie abends nach Hause gekommen sei, sie alles abgesperrt gewesen. Ihre Mutter habe ihr erzählt, dass der Kioskbesitzer umgebracht wurde. Götzl fragt nach einer Beschreibung der Männer. Dz. sagt, den zweiten könne sie gar nicht mehr beschreiben, den auf dem Fahrrad schon ein bisschen. Sie habe alles verdrängt, in der Zeit danach sei es ihr richtig schlecht gegangen. Der Fahrradfahrer habe eine Mütze, ein Käppi und eine schwarze Jacke getragen, zur Größe könne sie nichts sagen. Götzl fragt zur Frisur und Dz. sagt, der habe ein Käppi getragen, ganz unten, so dass man nur die Augen sehen konnte. Die Stirn habe man gar nicht sehen können. Dz. führt auf Nachfrage aus, dass – soweit sie sich erinnern könne – der mit der Mütze gar keine Haare gehabt habe. An das Rad und die zweite Person könne sie sich überhaupt nicht erinnern. Das erste Zusammentreffen sei zwischen Kiosk und ihrer Wohnung gewesen, das zweite Mal habe sie die Männer am Kiosk stehen sehen. Sie habe die Straßenseite gewechselt, weil sie denen nicht nochmal habe begegnen wollen, weil der Radfahrer sie ganz böse angeguckt habe. Götzl hält nun aus Vernehmungen vom 7. April 2006 vor. Zur zeitliche Einordnung sagt er, sie habe um 12.30 Uhr Feierabend gehabt und sei die Malinckrodtstraße hoch gelaufen, ihre Wohnung habe sie gegen 12.50 Uhr wieder verlassen. Das könne sein, so Dz., die genaue Zeit wisse sie heute nicht mehr. Götzl hält vor, sie habe angegeben, die Männer seien schätzungsweise 25 bis 30 Jahre alt gewesen, hätten kurze, dunkelblonde Haare gehabt und hätten wie Deutsche gewirkt. Götzl möchte wissen, woran sie das festgemacht habe. Dz. sagt, das sei ihr auf den ersten Blick gekommen, das sei ihre Einschätzung gewesen. „Wie Junkies oder Nazis, das war meine Aussage“. Die Männer hätten auf sie nicht so sauber gewirkt, sie könne es nicht besser beschreiben, das sei ihr Eindruck gewesen. Götzl sagt, sie müsse mit den Begriffen „Junkies“ und „Nazis“ ja etwas verbinden. Dz.. sagt, das sei vom Gefühl her so gewesen, sie könne das nicht sagen. Götzl hält vor, Dz. habe in einer Vernehmung angegeben, die Männer seien „zappelig“ gegangen und eher unkontrolliert, so wie man das von Junkies kenne. Das könne sein. Befragt, wie Nazis aussähen, sagt sie, von der Kleidung und vom Aussehen her seien die Männer wie Nazis gewesen. Götzl fragt nach Lichtbildern. Dz. sagt, ihr seien über 2000 Bilder vorgelegt worden, sie habe aber niemanden erkannt. Dann wird eine Skizze in Augenschein genommen, die Dz. bei einer Vernehmung angefertigt habe. Sie sagt, das sei ihre Schrift, aber sie könne sich nicht daran erinnern. Dann erläutert sie anhand der Skizze, wo sie die beiden Männer das erste und das zweite Mal gesehen habe. An Bilder aus der Überwachungskamera eines Bankautomaten, die ihr vorgelegt werden, könne sie sich nicht erinnern, so Dz. Nebenklagevertreter RA Schön fragt, ob ihr Bilder aus dem Kölner Komplex oder Videos vorgelegt worden seien. Ihr seien viele Bilder vorgelegt worden, aber wo die hergekommen seien, wisse sich nicht. Einmal seien ihr Bilder von jemandem auf einem Fahrrad mit Käppi gezeigt worden, bestätigt Dz. Sie habe keine Erinnerung, ob da Ähnlichkeiten bestanden hätten. Auf Frage von RA Scharmer sagt Dz., als ihre Mutter ihr das erzählt habe, habe sie gesagt. „Ich weiß, wer das war“. Abends sei sie auf dem Weg nach Hause in eine Internetcafé im Haus gegangen und habe das erzählt. Die hätten das dann wohl an die Polizei weiter geleitet. Scharmer zitiert aus den Akten der Polizei, es sei bekannt geworden, dass eine Frau Dz. weitere Angaben machen könne zu zwei deutschen Männer, die wie Rechtsradikale ausgesehen hätten. Scharmer sagt, das sei am 6. April gewesen und will wissen, ob Dz. selber schon mit der Polizei gesprochen habe vorher: Das verneint die Zeugin. Scharmer sagt, in der polizeilichen Vernehmung tauche nichts mehr von Nazis auf und fragt, warum. Das wisse sie nicht mehr, so Dz., auch nicht, ob sie von der Polizei danach gefragt worden sei. RAin Kaniuka fragt, ob sie die beiden Männer habe sprechen hören: Die hätten sich zwar unterhalten, aber sie habe sie nicht gehört, so Dz. Ein Nebenklagevertreter hält Dz. vor, sie habe bei nochmaliger Befragung ausgesagt, dass die Männer definitiv keinen rechtsradikalen Eindruck gemacht hätten, da sei sie wohl falsch verstanden worden. Daran könne sie sich überhaupt nicht erinnern, antwortet Dz. Dann wird Dz. gefragt, ob die Lichtbilder, die ihr vorgelegt worden seien, ihrer Beschreibung vom Typ her entsprochen hätten, was Dz. verneint. Auf Nachfrage sagt sie, es seien, wie gesagt 2000 Bilder gewesen. RA Erdal möchte, dass der Zeugin die bekannten Videosequenzen mit den Radfahrern aus Köln vorgelegt werden. Nach einer Pause werden um 13.50 Uhr die Bilder gezeigt. An das Video könne sie sich nicht erinnern, so Dz., ob ihr überhaupt Videos gezeigt wurden, wisse sie nicht mehr. Sie habe auf dem Video gar nichts erkennen können, so Dz. auf Frage aus der Nebenklage. Auf Frage von RAin von der Behrens sagt Dz. sie wisse nicht mehr, wie häufig sie vernommen worden sei. Von der Behrens sagt, es gebe einen polizeilichen Vermerk vom 6. April, demzufolge Dz. mit der Aussage, dass es Rechtsradikale seien, missverstanden worden sei. Daran könne sie sich nicht erinnern, dass sie das gesagt habe. Bei einer weiteren Vernehmung, so von der Behrens, habe sie ausgesagt, sie habe den Mann mit dem Fahrrad und der Mütze im Armee-Look in Erinnerung, wisse aber nicht mehr ob es eine Armeehose oder -Jacke gewesen sei. Vom Typ her sei es ein Junkie oder Nazi. Dz.: „Das könnte so sein. Junkie oder Nazi, daran kann ich mich erinnern.“ Weiter führt Dz. aus, sie habe das verdrängt. Weiter hält von der Behrens vor, sie habe im Oktober 20006 gesagt, der Junkie oder Nazi habe einen sehr stechenden Blick gehabt. RAin von der Behrens fragt, ob es sein könne sein, dass sie das an dem Tag gesagt habe. Die Zeugin bejaht das. RA Klemke beanstandet die Frage. Dann möchte von der Behrens wissen, wovor Dz. Angst gehabt habe. Dz. sagt, sie habe sich über 2000 Bilder von irgendwelchen Kriminellen anschauen müssen. Im Nachbarhaus sei ein Mord passiert, neben ihrer Haustür, sie habe Angst gehabt. RA Klemke fragt noch einmal, ob Dz. selbst keinen Kontakt zur Polizei gesucht habe, was diese wieder verneint. Klemke sagt, es gebe einen Telefonvermerk, demzufolge sie am 5. April 2006 gegen 20.15 Uhr bei der Polizei angerufen habe. Aus der Nebenklage wird der Vorhalt beanstandet. Götzl sagt, da stehe nur „eine weibliche Person“. Klemke sagt, da stehe, eine weibliche Person mit ausländischem Akzent, die den Namen Dz. genannt habe, habe angerufen. Die Frau habe angegeben, von einem Sporthotel zu ihrer Wohnung in der Malinckrodtstraße gegangen zu sein, so Klemke weiter.
Daran habe sie keine Erinnerung, so Dz. Klemke sagt, in diesem Telefonvermerk würden ganz andere Daten angegeben: den 3. April um 00.30 Uhr. Klemke: „Kommt Ihnen eine Erinnerung, ob Sie die Begegnung nicht zu den Nachtstunden hatten?“ Das verneint Dz. Dann hält Klemke vor, in dem Telefonvermerk sei die Rede von Junkies, die besoffen waren. Sie könne sich nicht erinnern, dass sie so etwas gesagt habe, so die Zeugin, sie habe auch keine derartigen Beobachtungen gemacht. Klemke sagt, in dem von RAin von der Behrens vorgehaltenen Vermerk, demzufolge die Männer definitiv keinen rechtsradikalen Eindruck gemacht hätten, sei auch das Datum 3. April vermerkt. Dz. sagt, das, was sie beobachtet habe, sei am 4. April gewesen, daran könne sie sich erinnern: „Also sie brauchen mich nicht für doof erklären. Ich kann mich erinnern, wo und wann das passiert ist.“ Richter Götzl hält aus der Vernehmung vom 16. Juni 2006 vor, in der stehe, dass die Zeugin wiederholt zum Datum ihrer Beobachtung befragt worden sei. Sie habe angegeben, sich am Abend um 20.15 Uhr bei der Polizei gemeldet zu haben. Weiter stehe dort, sie habe immer von Dienstag bzw. vom 4. April gesprochen, wenn zu Beginn ihres Kontakts zur Polizei von einem anderen Datum die Rede sei, so liege es nicht an ihr. Dann sagt Götzl, Dz. sei das Bild eines Fahrrads vorgelegt worden und fragt, ob sie keine Erinnerung an das Fahrrad habe. Das bestätigt Dz. und die Vernehmung ist beendet.
Es folgt die Zeugin Hei. Sie berichtet, dass sie am 4. April 2006, sie glaube, es sei vormittags oder frühe Mittagszeit gewesen, zum Kiosk gewollt habe, um sich für die Fahrt zu Arbeit eine Zeitung und Wasser zu kaufen. Sie habe geklingelt, es sei aber niemand gekommen. Dann sei sie zur Tür rein und habe jemanden hinter dem Tresen liegen sehen. Sie sei sofort raus und habe einen Mann angesprochen, dass da jemand liege und sie wisse nicht, was mit dem sei. Sie habe gewartet bis Polizei und Notarzt gekommen seien, sei aber nicht noch einmal in den Laden gegangen. Götzl fragt, wie der Geschädigte gelegen habe. Sie wisse nicht mehr, ob es so war, sagt Hei., aber es könne sein, dass er auf dem Bauch gelegen habe. Sie habe den Ermordeten als Kioskbesitzer gekannt, bestätigt Hei., er sei still und höflich gewesen. Götzl hält vor, Hei. habe ausgesagt, sie habe am Dienstag die S-Bahn zur Arbeitsstelle um 13.27 Uhr nehmen wolle. Das habe sie ungefähr auch in Erinnerung, sagt Hei. Dann sei sie in die Apotheke Schützenstraße gegangen, zitiert Götzl weiter die Vernehmung, das sei gegen 12.55 Uhr gewesen, direkt im Anschluss sei sie zum Kiosk gegangen, kurz vor 13 Uhr. Sie denke, dass das hinkomme, so Hei. Sie habe angegeben, den Mann rechts unten liegen gesehen zu haben, mit dem Oberkörper zum Regal hin, das Gesicht habe etwas nach unten, aber in Richtung der Scheibe, vor der sie stand, gezeigt. Hei. sagt, das sei heute so verschwommen und vage. Sie meine, dass sie auch Blut gesehen habe. Götzl hält vor, sie habe angegeben, den Laden nicht betreten zu haben, sondern zum erstbesten Passanten gelaufen zu sein. Dass sie raus gelaufen sei, wisse sie noch genau, so die Zeugin. Der Mann, mit dem sie gesprochen habe, mit dem habe sie hier gerade draußen gesprochen, der sei rein gegangen. Götzl sagt, sie habe angegeben, ihn gefragt zu haben, ob der Mann noch lebt, und er habe gesagt, der sei noch warm. Hei.: „Tut mir leid, das hab ich verdrängt.“ Nebenklagevertreter RA Stolle fragt zu verschiedenen Daten auf dem Vernehmungsprotokoll, eines sei der 5. April und das andere der 16. Oktober. An das Datum könne sie sich nicht erinnern, so Hei. Götzl sagt, es sei die Rede davon, dass die Zeugin „am Dienstag“ zu ihrer Arbeitsstelle habe fahren wollen, das sei sechs Monate später eine ungewöhnliche Formulierung.
Es folgt der Zeuge Me. Er berichtet, er habe 50 Meter vom Tatort entfernt eine Lottoannahmestelle. Die junge Frau, die gerade hier drin gewesen sei, habe ihn informiert, dass der Herr Kubaşık da so komisch liege. Er sei rein gegangen, habe zweimal die Halsschlagader gefühlt, ob er noch lebt, und dann hätten sie die Polizei informiert. Kubaşık habe so schräg an dem Regal gelegen, dann habe er die Einschussstelle gesehen und so ein Rinnsal, Blut. Kubaşık habe er mehr flüchtig gekannt, so Me. Es sei ein ganz normaler, netter Mann gewesen, er könne da nichts Nachteiliges sagen. Die Tür sei nicht verschlossen gewesen, aber habe nicht offen gestanden, als er rein gegangen sei. Nach hinten sei auch eine Möglichkeit gewesen, den Kiosk zu verlassen. Götzl fragt, wer dort gewesen sei. Me. sagt, es sei gar keiner vor dem Kiosk gewesen, die junge Frau habe ihn informiert, dann sei er hinein gegangen. Götzl hält vor, Me. habe in einer Vernehmung angegeben, ein Herr Ga. und die Frau hätten vor der Trinkhalle gestanden. Ga. sei ein Kunde von ihm, so Me., der habe nur auf dem Bürgersteig gestanden. Zur Lage hieße es im Protokoll, so Götzl, die habe Me. bei der Polizei nachgestellt und es sei ein Foto gemacht worden; Kubaşık habe mit dem Kopf am Regal gelegen und es sei Blut von der linken Gesichtshälfte auf den Boden getropft. Me. bestätigt das. Die Kasse sei laut Vernehmung zu gewesen, der Schlüssel habe gesteckt, so Götzl. Me. sagt, da habe er weniger drauf geachtet. RA Ilius sagt, Me. sei von der Polizei in Dortmund nach zwei Männer mit einem Fahrrad gefragt worden. Da könne er sich nicht erinnern, so Me., aber die andere Zeugin, die eben hier gewesen , die habe so etwas gesagt. Er könne sich nicht erinnern, dass er nach Tätern gefragt worden sei mit Fahrrädern. Götzl fragt, ob ihm denn andere Personen aufgefallen seien, was Me. verneint. Er sei erst nach der Aussage der anderen Zeugin da hin gelaufen. und was vorher am Kiosk abgelaufen sei, wisse er nicht. Er wisse auch nicht von verdächtigen Leuten.
Nach einer Pause geht es um 14.52 Uhr mit dem Sachverständigen Dr. Rothschild vom Institut für Rechtsmedizin Köln weiter. Rothschild hat eine Blutspurenmusteranalyse zum Mord an Mehmet Kubaşık durchgeführt. Grundlage seines Gutachtens seien eine eigene Tatortbesichtigung, Kleidungsstücke, das Sektionsprotokoll und ein Foto des Zeugen Me., auf dem dieser die Lage des Getöteten nachgestellt habe. Bekannt gewesen sei, dass Kubaşık zwei Kopfschüsse erhalten habe, einen Durchschuss sowie einen Steckschuss. Durch den Steckschuss, der am rechten Auge eingetreten sei und dessen Projektil im linken hinteren Kopfbereich gefunden worden sei, sei sofortige absolute Handlungsunfähigkeit eingetreten. Es seien vor Ort drei weitere Projektile Kaliber 7,65 Browning und auf der Registrierkasse eine zum Kaliber passende Hülse gefunden worden. Das Blut habe sich auf den Bereich vor einem Regalbrett, wo laut Me. der Kopf des Opfers gelegen habe, konzentriert. An einer Steckdose sei eine Beschädigung gefunden worden. Das Regalbrett habe eine Schussdurchsetzung gehabt. Weiter oben, etwa auf Kopfhöhe, sei eine Projektilspur gewesen. Insgesamt seien vier Schüsse abgegeben worden. Die Abfolge könne so gewesen sein. Der zweite Schuss sei der Steckschuss, der mit Sicherheit zu einem sofortigen Zusammenbruch geführt habe. Die Spuren sprächen weiter dafür, dass dann zwei weitere Schüsse auf den schon knienden oder vorn übergebeugten Kubaşık gegangen seien, einer habe verfehlt. Die Anhörung endet um 14.57 Uhr.
Es folgt der Zeuge Br., Polizeibeamter beim Polizeipräsidium Nordhessen. Br. berichtet, er habe einen Notizzettels mit handschriftlichen Aufzeichnungen ausgewertet, den sie von der BAO Trio in Kopie bekommen hätten. Auf der einen Seite sei eine Zahlenkolonne. Über Google habe er heraus gefunden, dass es im Internet eine Datenbank mit den Funkfrequenzen im Sicherheitsbereich gebe. Auf dem Zettel seien beide Kanäle aus dem „2-Meter-Band“ für Handfunkgeräte aufgeführt und insbesondere für Kassel auch Rettungsdienste. Außerdem sei da eine Abkürzung gewesen, wo er geschlossen habe, dass das der Tatort im Fall Yozgat ei: „Hollä. Straße 82“. Auf der anderen Seite seien zwei Straßennamen gewesen, die nicht in Kassel seien, aber auch einen Skizze, die den Tatort in Kassel zeigten. Auch wenn Details nicht genau gestimmt hätten, die Telefonzellen seien schräg angeordnet und auch der Tresen, hinter dem Halit Yozgat damals gestanden haben müsse. RA Narin fragt nach einer weiteren Frequenz, der Frequenz 168.040. Das sei wohl ermittelt worden, so Br., aber sie hätten nur Kassel und unmittelbare Umgebung als Aufgabe gehabt.
Richter Götzl teilt mit, dass der Zeuge Ta. (siehe Protokolle zum 41. und 47. Verhandlungstag) nicht gekommen sei und diesmal unentschuldigt. Es stelle sich nun die Frage nach Ordnungsmaßnahmen.
RA Heer sagt, die Verteidigung Zschäpe habe angeregt, in Bezug auf die Zeugin E. einen Psychologen zu bestellen zur Frage der Erinnerung und der Vernehmungsfähigkeit, der vom Gericht bestellte Gutachter sei aber Psychiater. Im Folgenden entspinnt sich eine Diskussion zwischen Götzl und Heer ob Psychologie oder Psychiatrie die geeignete Disziplin sei, um die Vernehmungsfähigkeit zu beurteilen. An deren Ende sagt Götzl, dass der Sachverständige ja morgen gehört werde.
Die Bundesanwaltschaft beantragt die Vorführung des Zeugen Ta. sowie ein Ordnungsgeld gegen den Zeugen.
Die Sitzung endet um 15.11 Uhr.
Nebenklagevertreter RA Scharmer erklärt zu den Aussagen der beiden Zeuginnen Kubaşık:
„Auch jeder noch so absurde Ansatz […] wurde verfolgt. Die Hinweise der Familie, dass auch ein rechtsradikales Motiv in Betracht kommen könnte, wurden ignoriert. Die Familie wurde dadurch zum zweiten Mal zum Opfer. Die damals ermittelnden Polizeibeamten hatten bis heute keine dienstlichen Konsequenzen zu spüren. Für Gamze Kubasik war es wichtig, durch ihre Aussage ihre Leidensgeschichte zu schildern und ihren Vater auch öffentlich zu rehabilitieren.“
Nebenklagevertreter RA Stolle ergänzt:
„Für das weitere Verfahren ist es für Elif Kubasik von zentraler Bedeutung, dass endlich die Taten und ihre Hintergründe vollständig aufgeklärt werden.“