Protokoll 75. Verhandlungstag – 16. Januar 2014

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Der 75. Prozesstag stand ganz im Zeichen des bisher noch nicht aufgerufenen Mordfalles Michèle Kiesewetter, des mutmaßlich letzten Mordes des NSU. Nach der Vernehmung von Polizeibeamten, die als erste nach dem Anschlag am Tatort, der Theresienwiese im baden-württembergischen Heilbronn, eingetroffen waren bzw. den Tatort dann untersucht hatten, wurde der Überlebende des Anschlages, der heute 31-jährige Kollege der Ermordeten, Martin A., vernommen.

Zeug_innen:

  • Kerstin Ki. (Polizistin, Heilbronn, wurde mit Th. zur Heilbronner Theresienwiese alarmiert)
  • Joachim Th. (Polizist, Heilbronn, wurde mit Ki. zur Heilbronner Theresienwiese alarmiert)
  • Roland Ze. (Kripo Heilbronn, ermittelte Zeit eines Anrufs)
  • Stefan Ri. (Kripo Heilbronn, ermittelte zur dienstlichen Ausrüstung der Opfer und den Dienstplänen)
  • Peter Fi. (Polizist, Heilbronn, Spurensicherung Theresienwiese)
  • Martin A. (Kollege von Michèle Kiesewetter, überlebte Kopfschuss in Heilbronn)

Erste Zeugin des Tages ist die Polizeiobermeisterin Kerstin Ki., 30 Jahre, von der Polizeidirektion Heilbronn. Sie war mit einem Kollegen die erste Beamtin am Tatort auf der Theresienwiese in Heilbronn. Der Vorsitzende Richter bittet sie, das Geschehen an jenem 25. April 2007 aus der eigenen Erinnerung zu schildern. Der Einsatz sei wie folgt verlaufen, antwortet Ki.: Sie seien im Revier Heilbronn gesessen als ein Taxifahrer angerufen und gemeldet habe, dass auf der Theresienwiese ein Polizeiauto mit erschossenen Kollegen stehe. Sie seien dort hingerast und das Fahrzeug der Bereitschaftspolizei mit beiden Türen offen vorgefunden. Der Kollege sei zur Frau gegangen und habe gesagt, dass sie ex sei. Ihr Kollege sei am Boden gelegen, er habe dann kurz die Augen aufgemacht. Sie habe dann noch hinter das Haus geschaut, ob da noch jemand dort sei und  dann beim Kollegen A. Erste Hilfe geleistet, nachdem sie einen Funkspruch abgesetzt habe. Das sei um etwa 14:10 Uhr gewesen, sie sei dort mit dem Kollegen Joachim Th. eingetroffen. „Wir waren wirklich in 2 Minuten dort, wir sind wirklich gerast.“

Die Kollegin sei halb draußen in Richtung auf den A-Holm gelegen, der Kollege, wie gesagt, draußen. Auf dem Beifahrersitz seien eine Sonnenbrille und Zigaretten gelegen. Bei der Kollegin sei das Gürtelsystem seitlich verdreht gewesen. Als Verletzungen beim Kollegen habe sie vor allem festgestellt, dass er am Kopf geblutet habe. Sie hätten die Kollegin zur Seite getragen. Beim Kollegen hätten sie die Schutzweste geöffnet. Der Kollege A. habe sich an den Kopf fassen wollen, sie habe seine Hand festgehalten, damit er sich nicht ans Ohr fasste. Dann sei der Rettungsdienst gekommen. Als der Beamte im Rettungswagen gelegen sei, habe man ihr die Einsatzmittel übergeben. Sie habe festgestellt, dass Waffe fehlte. Sie meine auch festgestellt zu haben, dass da im Sitz irgendwo eine Hülse gesteckt habe. Die Sachen seien vom Kollegen Th. An die Spurensicherung (Spusi) übergeben worden. Erst als Polizeihauptkommissar (PHK) Th. den Puls gefühlt habe, habe der verletzte A. die Augen aufgeschlagen. Dann sei PHK Hi. angelaufen gekommen und habe gesagt, dass er Rettungssanitäter sei. Auf Nachfrage präzisiert die Zeugin, dass der verletzte Kollege außerhalb des Autos gelegen sei, seine Füße jedoch noch im Auto gewesen seien.
RAin Wolf (Nebenklage Kiesewetter) will wissen, wo genau sie mit ihrem Einsatzfahrzeug geparkt hätten. Ki. erwidert, dass sie direkt mit Blaulicht bis zum Auto gefahren und nur 2 Meter davon entfernt gehalten hätten. Wolf fragt weiter, wen sie nach der Tatmeldung gerufen habe und wie. Sie seien so perplex gewesen, dass sie einfach so in den Raum gerufen habe. Sie seien dann mit vier Streifen gestartet, sie und ihr Kollege seien als erste rausgefahren. Richter Götzl will noch wissen, ob die Theresienwiese ihr ein Begriff gewesen sei. Ja, antwortete die Zeugin, sie sei auch selber ab und zu dort gewesen, zum Eisessen und so. Götzl fragt weiter, ob der Ort als Platz für Mittagspause der Polizei bekannt gewesen sei. Das bejaht die Zeugin: dort sei es schattig, es gebe nur wenige Passanten. Wo aber die Kollegen der Bereitschaftspolizei (BePo) ihre Mittagspausen machten, wisse sie nicht. RA Erdal fragt, ob zur Tatzeit eine Kunstausstellung in Heilbronn gewesen sei. Das könne sie nicht sagen, so die Zeugin. Die Zeugin wird entlassen.

Als nächster wird der Zeuge Joachim Th., 44, PHK in Heilbronn hereingerufen. Auch ihn bittet Richter Götzl den Hergang am 25.4.2007 zu schildern. Sie hätten Spätdienst auf dem Revier gehabt und er sei der Dienstgruppenleiter gewesen. Um etwa 14:18 Uhr sei er von seiner Kollegin Ki. informiert worden, dass zwei Kollegen erschossen neben dem Streifenwagen auf der Theresienwiese (TW) lägen. Bei der Anfahrt auf die TW sei vor dem Stromhäuschen ein Taxifahrer gestanden und habe auf das Fahrzeug gezeigt. Da habe man man schon die beiden Türen offen gesehen und dass der Kollege draußen lag, Uniformteile seien herumgelegen. Er sei zur Fahrerseite gegangen, wo die Kollegin Kiesewetter halb draußen gelegen sei, mit einem Kopfschuss. Er habe keine Erste Hilfe geleistet: „Für mich war die Kollegin verstorben.“ Dann sei er zum Kollegen hinüber, der habe beim Pulsfühlen dann die Augen geöffnet. Sie hätten das Hemd aufgerissen und die Schutzweste entfernt. Dann sei der Kollege Hi. gekommen und gesagt, er sei Rettungssanitäter. Er habe bei Kiesewetter einen kurzen Beatmungsversuch unternommen,  das habe jedoch nicht funktioniert. Die Leitung sei dann von den Rettungskräften übernommen worden. Ein Kollege habe darauf aufmerksam gemacht, dass die Schusswaffen fehlten, das habe er weitergemeldet. Es hätten eine Schließe und ein Magazin gefehlt, aber was wem gefehlt habe, habe er dann nicht mehr ermittelt. Der Notruf sei von einem Taxifahrer gekommen, der von einem Radfahrer, der zufällig vorbeigekommen sei, informiert worden sei. Ob er sich um den Taxifahrer Ka. gehandelt habe, fragt Götzl nach. Das könne schon sein, antwortet Th., der Anruf sei jedoch bei der Funkzentrale eingegangen, er könne sich nicht erinnern, wie der Name ermittelt worden sei. Es könne sein, dass der Funker POM Ko. den Anruf entgegengenommen habe. Auch dass der Radfahrer Sch. geheißen habe. Das Fahrzeug der betroffenen Kollegen habe mit der Front Richtung Osten, Ausfahrt der Theresienwiese, gestanden, parallel zum Trafo-Häuschen. Beide Türen und Fenster seien offen gestanden, es sei auch ungewöhnlich heiß für April an dem Tag gewesen. Ja, auch an ein Handy könne er sich erinnern: Beim Umlagern der Kollegin sei ihr das Handy aus dem Schoß neben die linke Hand gefallen. Wo es vorher gewesen sei, könne er nicht sagen.

Götzl hält ihm seine Aussage vor, dass der Kollege Ku. darauf aufmerksam gemacht habe, dass die Dienstwaffen gefehlt hätten. Sie hätten festgestellt, dass bei Kiesewetter die Waffe, das Magazin, das Reizstoffsprühgerät und ihre Schließen [= Handschellen], beim Kollegen A. lediglich die Waffe gefehlt hätten. Auch von ihm will Götzl wissen, ob die Theresienwiese bekannt gewesen sei. Ja sicher, antwortet der Zeuge, die TW gehöre zu ihrem Zuständigkeitsbereich. Als Pausenplatz sei sie ihm persönlich nicht bekannt gewesen, Kollegen hätten aber hinterher gesagt, dass das so sei. RA Martinek (Nebenklage A.) fragt nach, ob er als Dienstgruppenleiter mit der Diensteinteilung Kiesewetters zu tun gehabt habe. Nein, sagt der Zeuge, damit habe er überhaupt nichts zu tun gehabt. Die Bereitschaftspolizei (BePo) werde gemeinhin vom Leiter der Fahndungs- und Ermittlungsgruppe eingeteilt. Sie sähen die Kollegen von der BePo zwar, aber sie hätten mit deren eigentlichen Einsatz nichts zu tun. Der Zeuge wird entlassen.

Einen Kurzauftritt legt der Zeuge KHK Roland Ze., 55, von der Kripo Heilbronn: er hatte den Zeitpunkt der Tatmeldung ermitteln sollen. Götzl fragt ihn, wann genau man Kenntnis vom Auffinden der Kollegen erhalten habe. Am Mittwoch, den 25.4.2007, habe ein Taxifahrer, dessen Standplatz der Hauptbahnhof sei, angerufen und mitgeteilt, dass ein Streifenwagen auf der Theresienwiese stehe, aus dem die Kollegen herausgehangen und diese erschossen worden seien, so ungefähr. Die Zeitermittlung sei schwierig gewesen, man habe deshalb auch Funkzellendaten ausgewertet und festgestellt, dass der Taxifahrer Kandil um 14:12 Uhr angerufen habe. Der Zeuge wird entlassen.

Der nächste Zeuge ist der Kriminalbeamte Stefan Ri., 44, von der Kripo Heilbronn. Seine Aufgabe war es zu ermitteln, welche Gegenstände der Betroffenen Kiesewetter und A. am 25.4.2007 gefehlt haben. Der Zeuge sagt aus: Die Landespolizeibeamten hätten eine Grundausstattung. Die Bereitschaftspolizei Böblingen habe mitgeteilt, dass eine 9-Millimeter-Pistole mit Munition, ein Ersatz-Magazin, Handschließen und ein Reizstoffsprühgerät ausgehändigt worden seien. Es habe sich dann herausgestellt, dass bei Martin A. nur die Waffe, bei Michèle Kiesewetter Pistole, Magazin, Reizstoffspray und Schließe gefehlt hätten. Ob ein Taschenmesser der Marke Victorinox verloren gegangen oder entwendet worden sei, habe sich nicht feststellen lassen. Richter Görtl hält dem Zeugen dessen Einlassung vor, dass die es sich um eine nummerierte Waffe der Marke „Heckler & Koch“ mit der Griffgröße M gehandelt habe. Der Zeuge bestätigt, dass diese Angaben erhoben worden seien, um die Waffe zur Fahndung ausschreiben zu können. Die Kiesewetter-Waffe sei mit einer Individualnummer versehen gewesen und bei dem Taschenmesser habe es sich um einen Kreuzschlitzschraubendreher gehandelt, ergänzt der Zeuge. Die vierstellige Schließen-Nummer sei 5.032 gewesen. Da die Gegenstände regelmäßige zur Inspektion der Funktionstüchtigkeit in der polizeilichen Waffenwerkstatt untersucht würden, sei die Individualnummer nötig, um die Sachen eindeutig zuordnen zu können. Götzl zitiert aus den Akten die Individual-Nummer 5.219 des Reizstoffsprühgeräts der Ermordeten. An dieser Stelle werden Lichtbilder von der Ausstattung von Michèle Kiesewetter in Augenschein genommen: eine Taschenlampe „Minimaclite“ gehöre zur Ausstattung der BePo, so der Zeuge. Ebenso ein Reizstoffsprühgerät, hier versehen mit der einer „5.219“, der Nummer des BePo-Zuges; Pistole H&K P2000 9×9 mm und die Handschließe Marke „Cleuso“.

Der Zeuge hatte auch Ermittlungen zum Zustandekommen des Einsatzplans vom 25.4.2007 vorgenommen. Dazu gibt er an: Er habe nach der Tat Kontakt mit der 5. Bereitschaftspolizei-Abteilung in Böblingen aufgenommen, wo sich POK Ho. mit der Einsatzplanung befasse. Am 16. oder 17. April 2007 sei eine Anfrage zum Einsatz am 25.4.2007, einer Urlaubswoche, hereingekommen, habe der ausgesagt. Ho. habe einen Aushang für Freiwillige, die diese Schicht übernehmen wollten, gemacht und aufgehängt. Kiesewetter habe sich am 19.4. gemeldet und gefragt, ob man sie nicht auf den Einsatzbefehl setzen könne, sie brauche noch Stunden. Sie säße sonst nur sinnlos herum, so könne sie noch ein paar Stunden etwas Sinnvolles machen. Sie habe dann einen Tauschpartner für die an sich volle Schicht gefunden, nämlich den Kollegen Lars De.
Richter Götzl ergänzt aus den Akten: Ho. habe noch nachgefragt, ob Kiesewetter denn nicht nach Hause nach Thüringen fahre. Sie habe das bejaht: übers Wochenende, dann sei sie aber wieder zurück. Deshalb habe ihrem Wunsch nach Einsatz in der Schicht entsprochen werden können. Er will noch wissen, wann diese Einsatzzeiten genau gewesen seien. Der Zeuge sagt: es seien der Einsatzzug 514, und die Beweis- und Festnahmeeinheit (BFE) 524 der BePo Böblingen gewesen an jenem Tag: einmal sei Beginn um 8:30 Uhr und einmal um 11 Uhr gewesen, das hätten die beiden Züge getauscht. Derartige Tausche seien normal, erklärte der Zeuge.

Warum sich die Beamten dort auf der Theresienwiese aufgehalten hätten, fragt Götzl nach. Der Zeuge: Es handele sich um einen Festplatz wie in München. Es sei unter den Einsatzkäften bekannt, dass man dort etwas essen und Pause machen könne. Ermittlungen bei BePo Böblingen hätten ergeben, dass die TW den meisten Einsatzkräften als Pausenplatz bekannt gewesen sei, aber nur wenige wirklich dort Pause gemacht hätten. Was A. und Kiesewetter angehe, so meine er, dass A. zum ersten Mal zum Einsatz in Heilbronn gewesen sei, Kiesewetter wohl schon öfter, er wisse jedoch nicht wie oft.  RA Martinek fragt den Zeugen, wie sich Streifen beim Pause machen verhielten, ob sie sich etwa abmelden würden. Das sei, so der Zeuge, schwierig zu sagen: normal werde während der Streife etwas zum Essen gekauft und konsumiert ohne Abmeldung. Nur wenn Auto verlassen werde, muss das gemeldet werden, um eine ständige Erreichbarkeit sicherzustellen. Da sei eine Abmeldung zwingend.

RA Bliwier will von dem Zeugen wisse, ob er auch Ermittlungen angestellt habe zu den Einsätzen Kiesewetters in der Vergangenheit. Der Zeuge antwortet, sie hätten Datenblätter bei der BePo eingesehen. Bliwier hält „Einsätze aus besonderem Anlass 2006/2007“ vor und fragt, ob der Zeuge solche Aufstellungen gefertigt habe. Ja, er habe solche Aufstellungen angefertigt, erwidert der Zeuge, ob das aber die zitierten seien, wisse er nicht. Auch, ob Kiesewetter diese Einsätze in Uniform oder in Zivil absolviert habe, wisse er nicht. Bliwier zählt eine Reihe von Einsätzen Kiesewetters bei Demonstrationen gegen Rechts auf: Stuttgart 28.1.2006: Anlass Demo rechts; Ulm, 13.2.06, gleicher Anlass; Pforzheim 23.2.06, Demo rechts; Göppingen 15.6.06, Demo rechts; Friedrichshafen, 2006, Demo rechts; Ellwangen, 2006, Demo rechts; Aulendorf, 2006, Demo rechts. Der Zeuge meint, das seien Demonstrationen, bei denen sich Kiesewetter im Einsatz befunden hätte. Diese Einsätze seien bei der BePo erhoben worden. Pforzheim und Stuttgart gehörten jedoch nicht zum Heilbronner Bereich, das habe er so nur von der BePo übernehmen können. Bliwier will noch wissen, ob es sich so auch mit Aufzeichnungen Kiesewetters zu diesen Einsätzen verhalte. Was sie Ob und was sie als BFE-Beamtin aufgezeichnet habe, sei ihm unklar, sagt der Zeuge. Ob ermittelt worden sei, ob Zusammenhänge zwischen dem Anschlag und vorherigen Einsätzen gegen rechts bestünden, wisse er nicht, so der Zeuge. Sein Ermittlungsauftrag sei lediglich die Erstellung einer Liste der Einsätze gewesen, er habe keine weitergehenden Aufträge gehabt. Ob andere Kollegen einen solchen Auftrag gehabt hätten, insistiert Bliwier. Ob es einen solchen im Kontext mit der „Soko Parkplatz“ gegeben habe, wisse er nicht, so der Zeuge.

Richter Götzl lässt sich vom Zeugen bestätigen, dass es sich um die Beweis- und Festnahme-Einheit  BFE 523 gehandelt habe. RAin Wolf will noch wissen, ob dem Zeugen ein Einsatz in Potsdam im März 2007 bekannt sei, an dem A. und Kiesewetter teilgenommen hätten. Das könne er nicht sagen, erwidert der Zeuge. Wie der Aushang eines Schichtplanes vor sich gehe, fragt Wolf weiter nach. Herr Ho. sei der zuständige Geschäftszimmerbeamte bei der BePo in Böblingen, sagt der Zeuge. Wenn es Einsätze gebe und man noch Stunden brauche, könne man sich in einer Liste eintragen. Die befinde sich im Geschäftszimmer in Böblingen und sei nicht öffentlich. Wolf fragt weiter, ob Kiesewetter aufgrund ihrer Bitte eingetragen worden sei oder ob sie sich selber eingetragen habe. Der Zeuge: Das wisse er nicht. Wolf fragt weiter, ob wenn sie sich am 19.4. gemeldet habe, der Zeuge wisse, wann sie dann in die Liste eingetragen worden sei. Nein, meint der Zeuge, das stehe aber im Vermerk, dass der Einsatz am 20.4. gebucht worden sei, spätestens dann müsse sie auf der Liste gestanden haben und gebucht worden sein. Ob er sein könne, so Wolf weiter, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt getauscht habe. Der Zeuge sagt, ihm sei es so mitgeteilt worden. Götzl fragt nach dem Begriff „gebucht“. Das sei Polizeijargon, so der Zeuge, wenn man für einen Einsatz berücksichtigt wird. Das sei aber nicht öffentlich.

RA Erdal will wissen, wer der Chefermittler der „Soko Parkplatz“ gewesen sein. Das sei der Kollege Hu. gewesen, sagt der Zeuge. Erdal fragt nach, welche Aufgaben Beamte gehabt hätten, die Mitglieder des Ku-Klux-Klans (KKK) gewesen seien.waren. Bei ihnen, so der Zeuge, seien keine Beamten gewesen, die beim KKK Mitglied gewesen seien. Er persönlich kenne keine. Die „Soko Parkplatz“ habe nicht in diese Richtung ermittelt, weshalb er dazu keine Auskunft geben könne. Als Erdal nachhaken will, weil die KKK-Geschichte doch in den Medien gestanden habe, unterbricht Götzl mit der Aufforderung, die Frage später noch einmal mit entsprechender Belegstelle zu stellen.
RA Langer will wissen, wann die beiden BePo-Einsatzzüge ihren Schichtbeginn getauscht hätten. Wann das getauscht worden sei, sei unklar, erklärt der Zeuge. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass direkt am 25.4. getauscht worden sei, wohl eher ein, zwei Tage früher. Der Zeuge sagt, es sei nichts Ungewöhnliches, dass getauscht werde, den Grund, warum getauscht worden sei, könne er nicht sagen. Ob das irgendwo vermerkt werde, fragt Langer weiter. Wenn es einen Tausch gebe, dann werde das im Geschäftszimmer der BePo-Züge vermerkt, sagt der Zeuge.
RA Erdal legt einen Artikel zum KKK-Komplex aus der Berliner Morgenpost vom 31.7.2012 vor. Zu diesem Zeitpunkt sei er nicht mehr Angehöriger der „SoKo Parkplatz“ gewesen, sagt der Zeuge.

Nach einer kurzen Pause kommt der nächste Zeuge: KHK Peter Fi., 51, von der PD Heilbronn, der vom 25.4.2007 bis Ende Mai 2009 Mitglied der „Soko Parkplatz“ gewesen ist und dort mit Kriminaltechnik und Spurensicherung betraut war. Er berichtet, er sei um etwa 14:50 Uhr am Tatort gewesen, wo sein Kollege Ke. schon Fotos gemacht habe. Man sei arbeitsteilig vorgegangen, er sei im Einzelnen mit dem Dienstfahrzeug befasst gewesen. Am Opfer Kiesewetter und im weiterer Tatortbereich seien folgende Spuren festgestellt worden: Vorne rechts vor Auto eine Hülse, Kaliber 7,62, Marke: Tokarev; Ein Hülse, Kaliber 9 mm, sei hinter dem Auto gefunden worden. Im Fahrersitz steckte ein Projektil, ebenfalls 7,62 mm; in einem Lichtschacht neben dem Fahrzeug an der Nordseite des Trafo-Häuschens seien 2 weitere Munitionsteile gefunden worden: ein deformiertes Geschoss und eine Kupferumantelung des Kalibers 9 mm; auf der Rückbank hinter dem Fahrersitz wurde ein weiteres Geschossteil entdeckt, 7,62 mm. Im Dienstfahrzeug selbst wurden DNA- und Fingerspuren gesichert: insgesamt habe man acht Fingerspuren gefunden, von denen 4 nicht auswertbar, zwei dem Kollegen A., eine Kiesewetter zuzuordnen gewesen seien, eine sei nicht identifiziert worden. Eine habe sich auf dem Dach des Dienstfahrzeuges rechts vom Blaulichtsockel befunden. DNA-Spuren im Fahrzeuginneren und an den Türen, an der A-Säule und der B-Säule sowie am Dachrahmen seien zunächst den beiden Opfern zuzuordnen gewesen. Die Tatortabsuche nördlich des Dienstfahrzeuges habe eine Vielzahl von Kippen und kleiner Asservate zutage gefördert. Auch in den folgenden Tagen sei noch nachgesucht worden, weitere Lichtschafte des Trafo-Häuschens seien untersucht und weitere Kippen gefunden worden. Nach Hinweisen von Zeugen und Polizisten sei ihnen noch eine Vielzahl von Asservaten zugeführt worden, die untersucht werden mussten.

An dieser Stelle werden Lichtbilder in Augenschein genommen. Ein Googlemaps-Ausdruck zeigt die Theresienwiese, den Neckarkanal, die Schienenstrecke Berlin – Stuttgart und den Radweg vom Stadtteil Böckingen ins Heilbronner Zentrum. Ein Lichtbild aus einem Polizeihubschrauber zeigt den Tatort mit Dienstfahrzeug; der Tatort sei überzeltet gewesen als Sichtschutz für das Opfer Kiesewetter. Etliche Auszüge aus einem Stadtplan von Heilbronn mit dem Tatort werden gezeigt, der Zeuge erläutert sie. Eine Tatort-Skizze sei von der 3D-Abteilung der Kripo Stuttgart erstellt worden: Zunächst habe die 3D-Lasereinheit den Innenraum gescannt: das Blut der Opfer sei konzentriert auf Mittelkonsole zu erkennen, außerdem das Tokarev-Projektil und die Brille von A. Weitere Skizzen und Asservatenlagepläne zeigen nummerierte und gekennzeichnete Fundstücke und Spuren, 3D-Rekonstruktionen des Wagen-Innenraums zeigen einzelne Blutspuren am Schweller der Fahrerseite, an der Rückenlehne, auf dem Beifahrersitz. Weitere Lichtbilder zeigen den Leichnam Kiesewetter, dessen Lage durch eintreffende Streifenbeamte geändert worden sei, also nicht durch den fotographierenden Kollegen Ke. Ein Foto zeigt die Schulterklappe eines Polizeimeisters, die vor dem Streifenwagen lag. Bilder zeigen Blutantragungen am Schweller, am Sitz, auf der Mittelkonsole; außerdem eine Zigarettenkippe, das Projektil in der Rückenlehne Fahrersitz, auf dem Beifahrersitz eine Kippe und eine Brille. Auf der Rückbank wurden Einsatzunterlagen mit Blutansprenkelungen gefunden, außerdem eine Dienstmütze im Sitzraum, eine weitere im Fußraum, alles voller Blutantragungen. Weiteres Bild: Polizei kontrolliert mithilfe der Feuerwehr das Dach des Trafo-Häuschen; Fotos der Hülse 9 mm hinter dem Fahrzeug mit zwei Kippen in absoluter Nahaufnahme; Nahaufnahmen der 7,62-Hülse vorne vom Auto; Bilder von den Geschoßteilen im Kellerschacht; Tatortbilder mit einem Blumenmeer von den Tagen danach; Bilder von Gitterstäbe vor einem Luftschacht am Trafo-Haus. Man habe, so führt der Zeuge aus, dort DNA-Spuren abgenommen, weil sich von hier möglicherweise die Täter angeschlichen hätten. Aus diesem DNA-Bereich habe es keine Befunde gegeben. Bilder vom Kofferraum des Dienstfahrzeugs innen zeigen die Amok-Box mit Maschinenpistole und die Einsatztaschen der Beamten – alles sei vollzählig. Es werden zahlreiche 3D-Darstellungen möglicher Schusslinien gezeigt: Ein gelber Punkt, so erläutert der Zeuge, soll die mögliche Position des Kopfes des Opfers Kiesewetter darstellen, um mögliche Schussverläufe und Flugbahnen zu rekonstruieren. Die Scan-Simulationen beruhten jedoch lediglich auf hypothetischen Annahmen, die anhand etwa der Abprallmarke im Kellerschacht erhoben worden seien, die Opfer seien ins Fahrzeuginnere projiziert worden, um Schussverläufe, Flugbahnen und ballistische Befunde zu ermitteln. Es werden Fotos von der mit Beamten nachgestellten Tatort-Auffindesituation gezeigt, wobei es, so der Zeuge, um die Erreichbarkeit der Dienstwaffen gegangen sei. Ein Foto zeigt, dass die Dienstwaffe straff am Körper sitzt und auch durch die Rückenlehne an den Körper des Beamten gedrückt wird, wenn er im Auto sitzt. Kollegen hätten die Opfer dargestellt, erläutert der Zeuge. Es sei auch um die Frage gegangen, ob Zeugen aus Blickrichtung Osten, die Opfer hätten sehen können. Ein Foto versucht die Auffindesituation zu rekonstruieren: Der Radfahrer Sch. sei der Tatentdecker gewesen und habe vom Radweg aus, auf dem er zufällig fuhr, einen sehr flachen Blickwinkel gehabt, sagt der Zeuge.

Obduktionsbilder sind der Akte, in der der Zeuge blättert, entnommen worden und werden nicht gezeigt. Lediglich CT-Aufnahmen der Rechtsmedizin im Robert-Bosch-Krankenhaus vom Kopf des Mordopfers Kiesewetter werden gezeigt: man sieht deutlich den Durchschuss von der linken Wange nach hinten links über Ohr, wo ein schwerer Schädeldefekt erkennbar ist. Ebenfalls wird eine CT-Aufnahme des überlebenden Beamten A. in Augenschein genommen. Fotos vom Diensthemd Kiesewetters: blutverschmierter Fetzen; die ursprünglich beige Farbe sei fast nicht mehr zu erkennen, kommentiert der Zeuge; Bilder der Gürtelsysteme/Holster von Kiesewetter  und A.: es seien hier komplexe Spurensicherungs-Maßnahmen vorgenommen worden; zum einem beim LKA BaWü auf DNA-Spuren, zum anderen beim BKA auf Fingerabdrücke. Es habe dann eine weitere DNA-Spurensicherung gegeben, jedoch keine in auswertbaren Zustand gefunden worden. Das Gürtelsystem der Kollegin Kiesewetter sei komplett leer gewesen, bei A. habe nur die Dienstwaffe gefehlt. Der Sicherungsbügel beim Koppelsystem Kiesewetters sei ordnungsgemäß geöffnet worden, bei A. sei er mit Gewalt geöffnet worden. Dazu sei ein erheblicher Kraftaufwand von 50 Kilopond aufgewendet worden. A. sei nach der Tat mit Rettungshubschrauber nach Ludwigsburg verlegt worden, erläutert der Zeuge angesichts eines Lichtbildes von Blutantragungsbereichen an der Kleidung A.s: das seien im Vergleich zu Kiesewetters Kleidung eher wenig. Ein Brandloch auf der Diensthose von A. stamme vermutlich von der brennenden Kippe; seine Schutzweste sei blutig gewesen; Foto des Inhalts des Geldbeutel von A. mit einem auffälligen Beck’s-Bier-Emblem.

Der Zeuge fährt fort: Die heiße Phase in den ersten Tagen habe noch eine Flut von Asservaten erbracht; man habe gar nicht alle erfassen können. Es werden einige Lichtbilder von Asservaten gezeigt: z.B. eine Zigarettenschachtel „Sopainae“ mit Feuerzeug. Etwa 1,5 Kilometer vom Tatort entfernt sei ein Feuerzeug mit DNA-fähigem Material gefunden worden. Eine Uhr, eine Flasche Moskovskaya, ein Stück eines Sonnenbrillenglases ohne DNA. Eine Schulterstütze einer Softball-Waffe, ein Getränkebecker mit Trinkhalm und Deckel, Pfandmarken für Einkaufswägen. Das meiste habe nichts mit der Tat zu tun gehabt, so der Zeuge. Richter Götzl fragt nach, ob der Zeuge auch etwas mit der Asservaten-Auswertung in der Frühlingsstraße in Zwickau zu tun gehabt habe. Der Zeuge verneint dies, seine Tätigkeit habe 2009 geendet. BAWin Greger will wissen, warum bei einem Reizstoffsprühgerät aus dem Jahr 2011 sein Name aufgetaucht sei. Das sei ein namensgleicher Kollege, Wolfgang Fi., er habe das dem Gericht bereits mitgeteilt.

RAin Wolf fragt, wie die Schulterklappe und der Knopf vom Tatort zugeordnet worden sei. Der Zeuge erklärt, die Schulterklappe habe am Diensthemd A.s gefehlt. Der Dienstknopf sei aufgrund der Lage vermutlich vom Hemd A.s. Ob jedoch ein Knopf am Diensthemd A.s gefehlt habe, wie RAin Wolf nachfragt, sei nicht ermittelt worden, so der Zeuge. RA Narin fragt nach der Pfandmarke und den Schlüsselanhänger bei den Asservaten. Nein, sagt der Zeuge, dem sei nicht nachgegangen worden. Narin teilt mit, dass die Aufschrift auf der Marke „LSI-GmbH: Baufirma aus Leipzig Sachsen“ laute und fragt, ob es da Spuren gebe. Nein, antwortet Fi., dazu gebe es keine Ermittlungen. Blutverschmierte Taschentücher? 4 oder 5 seien in der Folgezeit nach der Zeit sichergestellt und ausgewertet worden, Ergebnis wisse ich jetzt nicht. Das sei erst 2009 erfolgt? Wisse er nicht, so der Zeuge.
RA Langer fragt ob Kippen zuzuordnen waren, die nicht zu Kiesewetter und A. gehört hätten. Ja, sagt der Zeuge, im Heckbereich und im erweiterten Bereich in den Lichtschächten habe es eine eine Vielzahl von Kippen gegeben. Da seien einige als Personentreffer zugeordnet worden, die Ermittlungen zu den Personen wisse er aber nicht. Das sei zeitnah dem Einsatzabschnitt Ermittlungen mitgeteilt worden. Langer fragt nach, ob ihm etwas zur Erstellung einer DVD mit Sphärenpanorama-Aufnahmen bekannt sei. Ja, er sei bei der Erstellung LKA Stuttgart anwesend gewesen, so der Zeuge. Er sei nur wegen der Technik anwesend gewesen. Ob es Erkenntnisse dabei gegeben habe, könne er nicht sagen. RA Stolle fragt mit Bezug zu den Tatortbildern, ob es einen asphaltierten Weg parallel zum Neckarkanal an der Westseite der Theresienwiese gebe. Der Zeuge bejaht das: es gebe einen Fuß- und Radweg entlang des Neckarufers bis zum südlichen Ende der Theresienwiese.
RA Bliwier fragt, ob es noch weitere Ermittlungen in der Sachen Kiesewetter gebe. Das entziehe sich seiner Kenntnis, erklärt der Zeuge. Bliwier fragt weiter, ob er die Ermittlungsgruppe Umfeld kenne. Das bejaht der Zeuge, sie sei im Auftrag des LKA BaWü tätig und ermittle zu den Bezügen des NSU nach Baden-Württemberg. Zu Inhalt und Ergebnissen der Ermittlungen wisse er indes nichts.
RAin von der Behrens will wissen, ob das Blut durch Rettungsmaßnahmen auf der Kleidung der Toten verteilt worden sei. Das lasse sich nicht sagen, erklärt der Zeuge, denn das sei nicht untersucht worden. Von der Behrens will weiter wissen, wie gut der Radweg, von dem aus der Zeuge Sch. seine Beobachtung gemacht habe, denn vom Dienstfahrzeug aus zu erreichen gewesen sei. Das komme auf die Bewegung an, zwischen 5 und 10 Sekunden, schätzt der Zeuge.
RA Erdal fragt, ob es eine Liste von Polizeibeamten gebe, die vom Einsatzplan jenes Tages gewusst hätten. Das wisse er nicht, sagt der Zeuge, das sei nicht seine Zuständigkeit.
Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm fragt, ob die Lichtbilder, die vom Radweg gemacht worden seien, in der Tageszeit der Tatzeit angepasst gewesen seien. Das wisse er nicht, er sei nicht dabei gewesen. Da müsse man seinen Kollegen Ke. fragen.
RA Stolle fragt noch einmal zu den Radwegen nach und ob der Radweg, der parallel zur Theresienwiese in Nord-Süd-Richtung verlaufe mit dem Radweg in Ost-West-Richtung über den Neckar miteinander verbunden seien. Das bejaht der Zeuge mit Inaugenscheinnahme einer entsprechenden Karte.

Dann wird der Zeuge entlassen.

Nach der Mittagspause wird der Zeuge Martin A. aufgerufen. Der 31-jährige Polizeibeamte beim LKA Baden-Württemberg ist der Überlebende des Mordanschlages vom 25.4.2007, bei dem Michèle Kiesewetter starb. Er schildert seine Erinnerungen an jenen verhängnisvollen Tag: Er sei um 8 Uhr, 8:30 Uhr aufgestanden, habe gefrühstückt. Normalerweise fahre er zwar mit dem Fahrrad zum Dienst, weil die Dienststelle nahe bei seiner Wohnung liege. An jenem Tag sei er mit dem Auto gefahren und habe dort seine Schutzweste und die Waffe angelegt. Es seien Streifenteams gebildet und Einsatzausrüstung verteilt worden. Dann seien sie nach Heilbronn zur Einsatzbesprechung zum Polizeirevier in der John-F.-Kennedy-Straße gefahren, um sich mit den Kollegen vom Revier Heilbronn zu besprechen. Kiesewetter sei dort schon öfter gewesen und deshalb auch gefahren. Sie habe ihm alles zeigen wollen, habe relevante Örtlichkeiten gekannt, die man anfahren sollte. Dem lag die Konzeption sichere Innenstadt zugrunde, denn Heilbronn habe eine relativ große Drogenproblematik gehabt. Sie sollten relevante Leute aufsuchen, kontrollieren und gegebenenfalls Platzverweise erteilen. Sie seien im Zuge dessen schon einmal auf der Theresienwiese gewesen, dort sei jedoch nichts gewesen, als sie dort eine kurze Raucherpause gemacht. Davor oder danach seien sie beim Bäcker gewesen und dann nochmal ins Revier gefahren. Dort seien sie in der Anzeigenerstattung nach Heilbronner Standard eingewiesen worden. Dann seien sie zielstrebig zur Theresienwiese gefahren und hätten sich zum Verteiler-Häuschen gestellt. Sie hätten noch eine Gruppe beim Hallenbad kontrolliert, an der Fontäne, das sei unauffällig verlaufen. Eine Person mit Platzverweis auf dem Platz habe glaubhaft gemacht, dass sie auf ein Schulkind warte, das mit der Schulklasse im Bad sei. Und einen ehemaligen Heroindrücker hätten sie beim Friedhof kontrolliert. Er habe ihnen seine alten Einstichlöcher gezeigt und gesagt, er sei clean. Sie hätten ihn in einem höflichen Gespräch darauf hingewiesen, dass es nicht so gut sei, wenn jemand, der nicht ins Bild passe, sich tagsüber auf dem Friedhof aufhalte. Und da höre es dann auf: die Theresienwiese sei nur ein paar Meter über der Straße. Dass sie da geparkt hätten, wisse er nur von den Bildern, die er später gesehen habe. Seine Erinnerung an die Tatzeit setze im Grunde gar nicht mehr ein, da sei nichts.

Richter Götzl bittet ihn, von da an zu schildern, wo seine Erinnerung wieder einsetze. Er habe gedacht, er habe 7 Wochen im Koma gelegen, es seien jedoch nur zwei oder drei gewesen. Er sei aufgewacht und habe sich gefragt, ob das eine Übung sei und scherzt: „Ich denke, das ist ein schlechter Scherz von meinen Kollegen, die trainieren praxisnah“. Er habe sich alles abgerissen und dadurch viel Blut verloren und sei wieder umgefallen. Es sei seine Familie da gewesen, seine Schwestern. Es hieß, er habe ein Unfall gehabt. Er habe dann gedacht, er habe einen Motorradunfall gehabt, nach den Verletzungen zu urteilen. Dann habe er sich erinnert, dass er er weder einen Motorradführerschein noch überhaupt ein Motorrad. Auf die Frage nach seiner Kollegin schließlich, sei ihm erklärt worden, dass „Michele nicht mehr da“ sei und dass er mit einem Kopfschuss im Koma gelegen habe. Er habe in seinem Krankenzimmer keinen Spiegel gehabt, keinen Fernseher, keine Außenkontakte und keinerlei Zugriff auf Medien, er sei zwei Wochen nur dagelegen, ohne die Welt wahrzunehmen. Da sei er in Tränen ausgebrochen und habe dem Kollegen in den Bauch geboxt, weil er gedacht habe, der wolle ihn hochnehmen. Er habe im Koma enorm an Gewicht verloren und habe seinen Oberschenkel mit einer Hand umfassen können, schon nach wenigen Schritten habe er Muskelkater gespürt. Psychologen hätten Aufmerksamkeitstests mit ihm gemacht, da niemand gewusst habe, was ihm von den Schäden bleiben werde. Sein Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis seien eingeschränkt gewesen, seine rechte Seite gelähmt. Er habe sich bewegen können, ja, aber eingeschränkt: er habe Hände und Arme nur eingeschränkt bewegen können, sie hätten sich angefühlt wie fremd. Obwohl er früher Rechtshänder gewesen sei, habe er lange zurück zu diesem Zustand gebraucht. Dann sei er in die Unfallklinik nach Neresheim gekommen. Dort sei man auf Gehirngeschädigte spezialisiert, er sei zum Aufwachen aus dem Koma dorthin gekommen. Als er so fit gewesen sei, dass man ihn habe gehen lassen können, sei er nach Stuttgart-Gerlingen in die Reha gekommen, dann zwei Monate in eine Tagesklinik mit weiteren Reha-Maßnahmen. Er habe seine Arbeitsfähigkeit wieder herstellen wollen, um wieder in den operativen Dienst zurückkehren zu können. Anfang September sei er wieder im Team gewesen, aber nichts sei mehr so gewesen, wie vorher. Er habe sich nach seiner Ausbildung auf das Polizeileben gefreut, habe noch eine BFE-Ausbildung gemacht und danach eigentlich eine Woche Urlaub gehabt, sich stattdessen aber freiwillig für die Schicht in Heilbronn gemeldet. Es sei in Heilbronn sein erster und letzter Tag im Dienst gewesen. Das letzte Mal auf der Straße, danach trage er keine Waffe mehr, werde auch keine mehr bekommen, wolle das auch nicht mehr.

Zu weiteren Auswirkungen des Anschlags auf sein Leben heute befragt, erzählt der Zeuge, dass es da sehr viele gebe, äquivalent zum Grad seiner Behinderung. Vor allem das Trauma: „So’n Attentat steckt man nicht so einfach weg!“ Die Kollegin sei danach einfach weg gewesen: er schlafe nicht gut, wache auf. Sein Kindertraum, ein normaler Polizist zu werden, sei dahin. Er habe einen Gehörschaden. Die Ärzte sagten, er solle zu den Schäden stehen. Der Schusskanal habe auch seinen Gleichgewichtssinn geschädigt, v.a. nachts könne er sich nicht halten. Sein Kopf sehe aus wie eine Landkarte, man habe ihm den Schädel bei den Not-Operationen abgenommen, überall seien Löcher für Kanülen und gegen die Schwellungen des Gehirn zu finden. Er stehe unter erhöhter Epilepsie-Gefahr, was bei einem Kugelschuss in den Kopf rein normal sei. Er habe aber gar keine Schmerzen mehr, außer an den Narben selber.
Götzl fragt, ob denn weitere Operationen nötig werden könnten. Der Zeuge sagt, dass die Munition in seinem Kopf in drei Teile gesplittert sei, zwei davon seien herausoperiert worden, der dritte sei noch drin: es sei nach Meinung der Ärzte ein zu großes Risiko, an der Stelle zu operieren. Das werde nur gemacht werden, wenn wieder Schmerzen auftreten würden oder der Splitter wandere oder heiß werde. „Ich bin gottfroh, dass ich leben: wenn’s nicht unbedingt nötig ist, lass ich niemand mehr an meinen Kopf ran“. Er werde ein Hörgerät bekommen, ein Implantat wolle er nicht: in seinem Interesse wolle er darauf verzichten, ein gesundes Ohr reiche. Das gehöre jetzt zu seinem Leben dazu, er habe viel hingenommen. Er sei noch nicht richtig zum Trauern gekommen, das bedeute, er habe die letzten 7 ½ Jahre versucht, zu verstehen. Er sei nicht mehr in ärztlicher Behandlung, aber in der Trauma-Therapie. Die Seelsorge der Kirche und ein Trauma-Therapeut kümmerten sich um ihn.

Auf Nachfrage fasst der Zeuge noch einmal zusammen: Direkt nach der Tat sei er nach Ludwigsburg geflogen worden, dann sei er 8 Wochen in Neresheim gewesen: dort sei das medizinisch Notwendige getan worden. In Stuttgart-Gerlingen sei er dann 2 Monate in der ambulanten Reha gewesen. Dann habe er zwei Monate Urlaub gehabt: er habe mit einer  Polizeiseelsorgerin gesprochen und viele Gespräche dienstlich und außerhalb der Polizei geführt. Es habe jede Menge Hilsangebote gegeben, es sei um seine künftige Belastbarkeit gegangen. Es habe dann noch eine Operation am Gehör gegeben: in eine riesige Weichmasse hinter dem Ohr sei  Oberschenkelfleisch implantiert worden, um die Weichstelle zu stabilisieren. Danach habe er nicht mehr rausgehen wollen, weil sein Kopf nicht mehr so geschützt sei. Der Sommer 2008 stand im Zeichen von Seelsorge und Trauma-Therapie. 2008/2009 habe er dann ein Studium für den gehobenen Dienst angefangen. Regelmäßig seien Elektroenzephallogramme (EEG) gemacht worden, um festzustellen, ob das Metallteil wandere, ob es heiß werden könne etwa bei einem Kernspin. Während des Studiums sei er bei einem Spezialisten für Hirngeschädigte gewesen. Er habe eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) gehabt, um die er sich nicht so gekümmert habe. Nach dem Studium habe er deswegen ein halbes Jahr nicht zum Dienst gehen können: das habe ihn getriggert und retraumatisiert. Er habe zu der Zeit eine Abneigung gegenüber der Polizei empfunden: er habe Angst um seine Kollegen gehabt. Nach Seelsorge und Therapie sei er jetzt im  Polizei-Innendienst, es gehe ihm so weit wieder gut.

Götzl fragt, wie er mit den ergebnislosen Ermittlungen fertig geworden sei. Er sei bis heute unzufrieden, sagt der Zeuge. Es gebe kein Motiv, das sei alles bis heute nicht klar. Die Ermittlungen seien ins Leere gegangen. Für ihn sei eine Welt zusammengebrochen. Allmählich habe er sich damit abgefunden, er habe gedacht, die Tat werde wohl nicht mehr aufgeklärt werden. Gedacht habe er in diesem Zusammenhang: „Ich helf‘ euch, wo’s geht, holt es aus mir heraus“. Er habe auf Kommissar Zufall gehofft, aber der habe auch kein Motiv gefunden. Götzl will noch wissen, ob er mal bei Demos der rechten Szene eingesetzt gewesen sei. Das verneint der Zeuge, gar nicht. Er sei in Ausbildung gewesen und dann erst nach Böblingen zur BePo gekommen. Gefragt nach der Vernehmung unter Hypnose, meint er, in der Hypnose-Vernehmungen habe er sich eher was aus Erzählungen und Medien zusammengereimt. Die zehn Minuten der Tat seien ein riesengroßes schwarzes Loch: er habe das für sich auffüllen müssen. Das habe keiner auffüllen können. Alles andere sei rekonstruierbar.

Götzl fragt noch nach dem Grad der Behinderung des Zeugen nach dem Attentat. Er sei zu 70  Prozent behindert, gibt der Zeuge zu Protokoll: Wegen der Hirnverletzung zu 30 Prozent, der Rest seien der Gleichgewichtsverlust und das Trauma. Er bestätigt den Dienst im Innendienst ab September 2007 angetreten zu haben. Sein Studium für den gehobenen Dienst war von 2008 bis 2011, er habe dann zwei Monate gearbeitet und sei dann ein halbes Jahr zuhause gewesen. Von Götzl nach den Auswirkungen auf seine Familie gefragt, sagt der Zeuge, die Verletzungen seien sehr schlimm gewesen. Anfangs habe man ihn tragen oder er habe gestützt werden müssen. Das sei für seine Familie sehr, sehr belastend gewesen: dass der einzige Sohn der Familie fast „übern Jordan gegangen“ sei. Er sei vorher lebenslustig gewesen. Während seines Studiums der Wirtschaftsinformatik habe er sich bei der Polizei beworben. Er habe wissen wollen, „ob die mich wollen“. Das sei ein Kindheitstraum gewesen. Er sei genommen worden. Die Einstellungszahlen der baden-württembergischen Polizei seien 2004 jedoch gering gewesen, weshalb er sich zunächst für den mittleren Dienst habe festlegen müssen. Anfangs habe sich die Familie nach dem Studienabbruch an den Kopf gefasst. Die Familie habe an seiner Frustration nach dem Attentat ziemlich „zu Knuschpern“: das neue Leben habe nichts mehr mit dem Lebenstraum zu tun, jetzt sei er im Innendienst. Ob er noch Medikamente nehmen müsse, will Götzl noch wissen. Heute nicht mehr, gibt der Zeuge an. Im Krankenhaus habe er etwas zur Blutverdünnung bekommen, gegen die Thrombose-Gefahr, und natürlich Antibiotika zur Wundheilung. Heute wolle er auch keine Medikamente mehr: Er sei eh eher immer einer gewesen, der erst zum Arzt gehe, wenn er den Kopf unterm Arm trage.
Götzl fragt noch nach, ob er Michèle Kiesewetter schon vor dem Einsatz gekannt habe. Er sei Anfang 2007 mit Ausbildung fertig gewesen, da habe er dann Kiesewetter kennengelernt, sie sei auch Ausbilderin gewesen, er habe aber keinen richtigen Kontakt zu ihr gehabt. Sie sei ein „quirliges Mädchen“ gewesen, er selber hingegen sehr schüchtern, sie sei „locker-flockig rumgesprungen“. Sie habe ihre Fachhochschulreife nachgemacht, er habe sie da lernen sehen, sie sei „sehr engagiert, lebensfroh, ein tolles Mädchen“ gewesen.

RA Scharmer fragt, wie es zur Zuteilung von Frau Kiesewetter gekommen sei. Das wisse er nicht, erwidert der Zeuge. Da sei eine Pinnwand vor der Geschäftsstelle. Die Liste für die Schicht sei schon voll gewesen, irgendwann habe sich dann jemand gestrichen und er habe sich eingetragen.
Scharmer will wissen, ab wann das ersichtlich gewesen sei. Am Donnerstag vor dem Einsatz sei die Liste gehangen, sagt der Zeuge. Am Sonntag habe ihn Kiesewetter angerufen und gefragt, ob man die Schicht gemeinsam machen wolle. Die Einsatzpläne hingen jetzt nicht mehr draußen: das hätten sie aus der Geschichte gelernt. Scharmer fragt, wie es zum ersten Aufenthalt auf der Theresienwiese gekommen sei. Auf Anregung Kiesewetters, gibt der Zeuge an, deshalb seien sie zu diesem bekannten Pausenplatz gefahren. Scharmer fragt noch, ob bei dieser ersten Zigarettenpause auf der Theresienwiese die Fenster des Wagens offen gewesen seien. Natürlich, sagt der Zeuge, sie seien sogar ausgestiegen. Ob sie das über Funk gemeldet hätten, hakt Scharmer nochmal nach. Der Zeuge verneint: sie hätten noch Handfunkgeräte gehabt, deshalb habe es keine Abwesenheitsmeldung gegeben.
RA Langer fragt, ob der Dienst so gewesen sei, wie der, für der er sich eingetragen habe. Ja, sagt der Zeuge, es habe Änderungen gegeben. Aber wer sich wann eingetragen habe oder eingetragen wurde, sich wieder gestrichen oder nachgetragen habe, sei ihm unbekannt. Es habe feste Zeiten für Heilbronn gegeben, alles weitere sei flexibel gewesen; die Einsatzbesprechungen seien fix, sonst alles flexibel gewesen. Ob er etwas von dem Anfangszeiten-Tausch mitbekommen habe, will Langer noch wissen. Davon habe er nichts mitbekommen, sagt der Zeuge. Für ihn habe es keinen Wechsel gegeben. Langer fragt weiter, ob sie bei einer Pause ohne Aussteigen auch im Auto geraucht hätten. Der Zeuge bejaht, dass das beim Trafo-Häuschen so gewesen sei.
RA Lex will wissen, ob sie mit dem Streifenwagen beim erstes Mal auf der Theresienwiese an demselben Standplatz geparkt hätten. Beim ersten Mal hätten sie sich ca. 30 Meter davon entfernt hingestellt.
RA Stolle fragt, wie die Teams zusammengestellt würden. Der Zeuge gibt an: Wer welches Team bilden würde, hätten sie nicht gewusst. Kiesewetter habe ihn kennenlernen wollen, sie sei wissbegierig gewesen, wer neue Kollegen sind. Der Einsatzleiter habe das gewusst und akzeptiert.

Der Zeuge Martin A. wird um kurz nach 15 Uhr entlassen.

Richter Götzl gibt noch Änderungen für Dienstag, 21.1.2014 bekannt: Susann E., Ehefrau des Angeklagten André E., sei geladen. Außerdem habe sich Ahmet A., der Zeuge der in der vergangenen Woche unentschuldigt ferngeblieben war, sich gemeldet: er wolle kommen und aussagen. Die Mutter von Michèle Kiesewetter sei abgeladen worden.
RA Pausch, Verteidiger von Carsten S. erklärt, sie hätten Überlegungen angestellt zum Beweisantrag von RA Hoffmann (s. 72. Verhandlungstag). Die Verteidigung Schultze schließe sich diesem Antrag an.

Rechtsanwalt Scharmer kommentiert den Tag:
„Es muss aufgeklärt werden, ob Michele Kiesewetter tatsächlich zufällig als Opfer durch den NSU ausgesucht wurde, weil sie als Polizeibeamtin Representantin des Staates ist. An dieser Version der Anklage können zumindest Zweifel entstehen. Die Bundesanwaltschaft und ermittelnden Kriminalbeamten haben hierzu wesentliche Ermittlungen bislang unterlassen. Es hätte auf der Hand gelegen, dass eine Polizeibeamtin die reihenweise dienstlich bei rechten Demonstrationen eingesetzt war und aus der Region des Trios kommt, auch ein bewusst individuell ausgewähltes Opfer gewesen sein kann. Zumindest wäre es wichtig, das abzuklären. Warum hier nicht weiter ermittelt wurde, ist vollkommen unklar.“

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