Zuerst veröffentlicht auf www.aida-archiv.de
Bei der Gedenkkundgebung am 9. November 2013 zur Erinnerung an die Pogromnacht 1938 sprach Robert Andreasch auf dem Münchner Marienplatz über die lange Geschichte neonazistischen Terrors in München. Seine dort weitgehend frei gehaltene Rede hat er für aida-archiv.de nachträglich aufgeschrieben.
Von der SS zur WSG
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges veröffentlichte der SS-Hauptsturmführer Arthur Ehrhardt das Heftchen „Werwolf – Winke für Jagdeinheiten“, es ist heute noch in Neonaziversänden und bei großen Online-Händlern erhältlich. Die Werwolf-Anweisungen waren ein militärischer Versuch des Nationalsozialismus, die drohende Kapitulation durch eine Art Guerillakrieg einzelner, bewaffneter Saboteure noch abzuwehren. Einzelne und kleine Zellen sollten selbständig und ohne „Chef“ immer wieder mit Anschlägen und Morden aus dem Verborgenen auftauchen. Gleichzeitig befeuerte Ehrhardt mit seinem Heft einen in der Neonaziszene heute bedeutenden Mythos. Nämlich, dass in einer Situation weitgehender Niederlage durch eine terroristische Strategie das Ruder gewissermaßen noch rumgerissen werden könne.
Arthur Ehrhardt war von 1950 bis 1971 Herausgeber der neonazistischen Zeitschrift „Nation und Europa“ in Coburg. Seine militärische Banden-Taktik, die er auch nochmal im „Nation Europa“-Heft nachdruckte, wurde von Neonazis in die Bundesrepublik übernommen. Schon in den frühen 1950er Jahren plante beim „Bund Heimattreuer Jugend“ der „Technische Dienst“ um den Wehrmachtsoffizier Dieter von Glahn für den Fall einer kommunistischer Rebellion Anschläge und politische Morde.
Ab 1973 scharte Karl Heinz Hoffmann in seiner „Wehrsportgruppe“ in Süddeutschland hunderte Neonazis und Militärfreaks um sich. Im Mai 1976 verübte das WSG-Mitglied Dieter E., ein 19-jähriger Bundeswehrsoldat, in München einen Sprengstoffanschlag auf den amerikanischen Radiosender „American Forces Network“. Am 19. Dezember 1980 erschoss ein WSG-Mitglied mit einer Pistole Hoffmanns in Erlangen den Rabbi Shlomo Levin und dessen Lebensgefährtin Frieda Pöschke. Die Polizei ermittelte lange innerhalb der jüdischen Gemeinde Erlangens nach einem Täter, weil sie dort angebliche mafiöse Intrigen witterte.
Am Abend des 26. September 1980 legte Gundolf Köhler eine u. a. aus dem Material einer britischen Werferhandgranate gebaute Bombe am Ausgang des Oktoberfests in einen Papierkorb. Bei der Detonation starben dreizehn Menschen, auch der Attentäter selbst wurde getötet, 211 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Gundolf Köhler war politisch im „Hochschulring Tübinger Studenten“ geprägt worden , dessen ideologisches Gebräu der „Spiegel“ damals ein „Gemisch aus kaum kaschiertem Rassismus, dumpfem Antikommunismus, aus CSU-und Freikorps-Programmatik“ nannte. Die Behörden sagten bzw. sagen bis heute: Ein „Einzeltäter“ sei er gewesen, ohne politischen Hintergrund, durch eine Klausur im Studium gefallen an jenem Tag. Die Ermittlungen wurden abgebrochen und nicht wiederaufgenommen, ohne die Verbindungen zum Attentat der NATO-Stay-Behind-Gruppen im Bahnhof von Bologna zu untersuchen oder die Verwicklungen diverser Landesämter für Verfassungsschutz ins Münchner Tatortgeschehen.
Der Terror von rechts kann durchaus unterschiedliche Ziele verfolgen: Nach der „Strategie der Spannung“ sollte ein allgemeines Bedrohungsgefühl liberalere Gesellschaftsmodelle diskreditieren. Manchmal war die politische Zielsetzung konkreter: Eine Gruppe extrem Rechter zum Beispiel plante 1973, ein Flugzeug auf der Route von Stuttgart nach Berlin zu entführen und so die Freilassung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zu erpressen.
Andere Neonazis nehmen die nationalsozialistische Unterscheidung von sogenannt „wertvollem“ und sogenannt „unwerten“ Leben in die eigene Hand und gehen mit Gewalt gegen die vor, die nicht in ihren nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsträumen vorgesehen sind. Dass manchmal nur einzelne Angehörige einer rechtsterroristischen Organisation zur konkreten Tatausführung schreiten, hat dabei schlicht einen praktischen Grund: Im Falle eines Auffliegens bleibt die Gesamtgruppe möglichst ungefährdet. Den Behörden erleichtert das die Legende von angeblichen „Einzeltätern“ die zudem häufig als „verwirrt“ oder „wahnsinnig“ dargestellt werden. Abgestritten wird dabei, dass die extreme Rechte in der Lage ist, stabile Netzwerke auszubauen; und der Eindruck soll sich verstärken, dass die militante Rechte angeblich zersplittert agiere, angeblich ohne Ideologie und angeblich gesellschaftlich isoliert.
Vom „Kommando Omega“ zum „NSU„
Kurz nach dem Oktoberfestattentat versuchte die Führungsriege der neonazistischen Münchner Partei „Volkssozialistische Bewegung Deutschlands“ (VSBD/PdA), Waffen und Munition zu besorgen. Ihr Aktivist Frank Schuberth erschoss an Heiligabend 1980 zwei Schweizer Grenzbeamte bei einem Waffentransport. 1981 starteten fünf Parteifunktionäre um Friedhelm Busse in München als „Kommando Omega“ zu einem Banküberfall. Auf der Fahrt zum Tatort lieferten sie sich östlich von München in der Putzbrunner Straße eine Schießerei mit Polizeibeamten, zwei Neonazis kamen dabei ums Leben.
Die Münchner Wolfgang Abel und Marco Furlan bildeten die neonazistische „Gruppe Ludwig“ und reisten in den 1980er Jahren von München aus zu zehn Mordanschlägen in Norditalien. In der Nacht auf den 7. Januar 1984 verübten sie einen Brandanschlag hier, auf das „Liverpool“ in der Schillerstraße, dabei starb Corinna Tatarotti, acht Gäste wurden verletzt. Das tödliche Attentat geriet in München schnell für viele Jahre in Vergessenheit.
Anfang der Neunziger Jahre radikalisierte sich die neonazistische Szene noch einmal deutlich. Über 500 Brandanschläge und tausende gewalttätige Attacken pro Jahr waren die Folge. Die Politik reagierte mit der Abschaffung des Asylrechts als Grundrecht und die Neonazis lernten: brutale Anschläge sind eine erfolgreiche Option. 1993 fuhren die Münchner Neonazis mit einem Reisebus vom neonazistischen AVÖ-Laden in der Herzog Heinrich Straße aus ins Elsaß, womöglich zu einem Schießtraining. Mit dabei: Tino Brandt, zumindest ab dem darauffolgenden Jahr V-Mann des Verfassungsschutzes. 1994 schickte die neonazistische “Bajuwarische Befreiungsarmee” aus Österreich eine Briefbombe an die in München lebende Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer.
Spätestens ab 1995 diskutierten die Neonazis breit terroristische Konzepte. Sie lasen die terroristischen „Turner Diaries“ und die Broschüren „Eine Bewegung in Waffen“. Darin heißt es: „Der Werwolf der Zukunft ist ein Feierabend- und Wochenendterrorist“. Gefordert werden u. a. „Banküberfälle“, um „den Einsatzgruppen finanzielle Spielräume zu schaffen“. Die paramilitärischen Nachfolgestukturen der „Nationalistischen Front“ propagierten Werwolf-Aktivitäten und riefen zu einer Abrechnung auf: „Bildet kleine geheime Gruppen, greift die feindlichen Strukturen an“.
Das internationale Netzwerk von „Blood and Honour“ (das mit den Sektionen „Bayern“ und „Franken“ im Freistaat organisiert war) und dessen rechtsterroristischer Arm „Combat 18“ propagierte terroristische Strategien wie den „führerlosen Widerstand“, ab 1996 auch offen im Magazin der deutschen „B&H„-Division. Da hieß es beispielsweise, „die Patrioten“ müssten sich auf einen „Rasskrieg vorbereiten“ und dafür „geheime Strukturen schaffen und bereit sein, ihr Leben zu lassen“. Teil dieser „Blood and Honour“-Szene und ihres Umfelds waren zu dieser Zeit auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Co., die später das Netzwerk des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ bildeten.
1999 legten NSU-Mitglieder eine kunstoffummantelte Rohrbombe, die wie eine Taschenlampe aussah, in der Kneipe „Sunshine Pub“ in der Nürnberger Scheuerlstraße ab. Als ein Mitarbeiter beim Putzen die vermeintliche Lampe einschaltete, explodierte der Sprengsatz und verletzte ihn an seinen Händen. Damit begann die aus dem sogenannten Untergrund heraus begangene Attentatsserie des NSU. Den bayerischen Zeitungen war das Bombenattentat damals nur wenige Zeilen wert. Die Polizei stellte das Ermittlungsverfahren nach wenigen Wochen ein. Im bayerischen Verfassungsschutzericht für das betreffende Jahr 1999 stand: „rechtsterroristische Strukturen“ seien „nicht bekannt geworden.“ und „eine Strategiedebatte über eine gewaltsame Beseitigung des politischen und gesellschaftlichen Systems in Deutschland“ fände von rechts „derzeit nicht statt“.
Im August 2000 wurde am Haus der Familie des ehemaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg eine professionell gebaute Bombe entdeckt, deren Zeitzündermechanismus bereits lief. Und im September 2000 erschossen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Nürnberg den Blumenhändler Enver Simsek. Ein halbes Jahr später stand im Verfassungsschutzbericht – wie im Vorjahr: „Rechtsterroristische Strukturen sind in Bayern nicht bekannt geworden“.
Am 29. August 2001 betraten Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt nach 10.35 Uhr den Frischmarkt von Habil Kilic in der Bad-Schachener Straße in München. Einer der Täter schoss dem 38-Jährigen Kilic mit der Pistole Ceska 83 in den Kopf. Der Überfallene versuchte noch, sich hinter dem Tresen zu ducken. Die Täter gingen herum und schossen ihm noch einmal von hinten in den Kopf. Zeuginnen wiesen auf zwei junge Männern mit Fahrrädern hin, die Polizei suchte allenfalls als potenzielle Zeugen nach ihnen. Beate Zschäpe archivierte später in Zwickau Münchner Zeitungsartikel über die Tat.
Von der „Schutzgruppe“ zum „Freien Netz Süd“
Am 6. September 2003 wurden der damalige Münchner Neonazi Martin Wiese und acht weitere Mittäter_innen verhaftet.
Sie hatten Waffen und Sprengstoff besorgt, unter tatkräftiger Mithilfe von Didier Magnien, einem V-Mann des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Und sie diskutierten über einen Anschlag auf die Grundsteinlegungsfeier für Synagoge, jüdisches Museum und Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde, die genau vor zehn Jahren, am 9. November 2003, stattfand. Im Oktober 2004 hatte der Neonazi Vinzenz J., bis heute in der militanten Neonaziszene aktiv, im oberbayerischen Gmund eine Hausdurchsuchung. An seiner Tür hing ein Schild: „Achtung Achtung – Kanaken und Juden“. In seiner Wohnung fand sich ein großes Waffenarsenal, darunter ein Maschinengewehr, sechs Sturmgewehre, ein Fliegerabwehrgeschoss sowie zwei Hohlladungsgeschosse, die mit jeweils einem Kg TNT gefüllt waren.
Das NSU-Netzwerk sorgte dafür, dass den Mörder_innen zu dieser Zeit allein für München Informationen über mindestens 104 potenzielle Tatorte vorlagen, ausgedruckt mit genauer Lagebezeichnung oder in Stadtplänen markiert (zudem waren auch in Nürnberg, Erlangen, Fürth und Hof viele potenzielle Opfer und Anschlagsziele ausrecherchiert und dokumentiert). Am 15. Juni 2005 gab es am Nachmittag ein Telefonat aus einer der Zwickauer Polenzstraße benachbarten Telefonzelle mit einem Handy im Bereich der Münchner Trappentreustraße. Nach 18.30 Uhr betraten die NSU-Mörder hier in der Trappentreustraße 4 den gerade neueröffneten Schlüsseldienstladen von Theo Boulgarides und schossen ihm mit der Pistole Ceska 83 in den Kopf. Im Brandschutt des von Beate Zschäpe in Brand gesetzten Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße wurden im November 2011 Kartenausschnitte der Umgebung des Tatortes gefunden, die nur wenige Tage vor der Tat ausgedruckt worden waren.
Der rassistische Terror verbreitete unter Migrantinnen und Migranten Angst und Schrecken. Die Morde können zudem als „Binnenpropaganda“ für AnhängerInnen der rechten Szene gelesen werden, die mit versteckter oder offener Freude reagierten. Nicht zuletzt der im Jahr 2010 veröffentlichte „Döner-Killer“-Song der Neonaziband „Gigi und die Braunen Stadtmusikanten“ zeigt: die rassistische Botschaft kam und kommt an. Einem Bericht des italienischen Inlandsgeheimdienstes AISI zufolge versuchten im Jahr 2008 Neonazis aus München und Meran gemeinsam in Südtirol, von Migrant_innen betriebene Kleinbetriebe auszurecherchieren, den Behördenangaben zufolge zur Planung von „exemplarischen Aktionen“. Wenn das zutrifft, dann hätten die Münchner Neonazis die mörderische Strategie des NSU gewissermaßen zu exportieren versucht.
Im August 2008 wollten zwei Rechte in Geltendorf eine Flakgranate aus dem Zweiten Weltkrieg aufbohren. Beide wurden bei der Explosion der Granate lebensgefährlich verletzt. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde der rechte Hintergrund der Explosion lange verschwiegen. Ein Jahr später entdeckte die Polizei beim Vater eines der Beteiligten ein umfangreiches Waffen- und Sprengstofflager: Drei Pistolen mit Munition, sieben umgebaute Handgranaten mit Sprengladung und Lunte, drei selbstgefertigte Sprengvorrichtungen, gefüllt mit Nägeln. Auch im Jahr 2013 wurden bei Rechten in München Waffen, Munition und einmal ebenfalls eine zündfertige Nagelbombe beschlagnahmt. Kein Zufall: Gewaltbejahung und Brutalität sind wesentliche Merkmale faschistischer Identität und Ideologie. Bekämpft wird, was nicht ins völkische Weltbild passt, Aufrufe zu Mord und Terror sind Alltag in neonazistischen Liedtexten und CDs, auf Buttons und Textilien. Daniel Weigl vom „Freien Netz Süd“ beispielsweise verkaufte jahrelang vom oberpfälzischen Wackersdorf aus ungehindert T-Shirts mit der Aufschrift „Tod dem Weltfeind“ und „AJAB“, also „All jews are bastards“, mit Blutspritzern grafisch gestaltet. Wie im Nationalsozialismus werden Jüdinnen und Juden zum „Weltfeind“ erklärt, offen wird ihnen die Ermordung angekündigt.
Auch einige der führenden Mitglieder der Münchner Naziszene wurden einschlägig verurteilt: unter anderem Karl-Heinz Statzberger („Freies Netz Süd“, BIA), als Mitglied in der terroristischen „Schutzgruppe“. Und Daniel Th. stand im Februar 2011 wegen „Vorbereitung von Explosionsverbrechen“ vor Gericht: Bei einer Polizeikontrolle am 1. Mai 2010 waren Sprengsätze gefunden worden, deren Verwendung zu tödlichen Verletzungen hätten führen können. Th. erhielt in seinem Prozess lediglich eine Bewährungsstrafe. Dabei war ihm auch noch vorgeworfen worden, zusammen mit anderen Neonazis auf eine Mauer am jüdischen Friedhof in Aachen „Den Juden den Gashahn aufdrehen“ gesprüht zu haben.
Dieser eliminatorische Antisemitismus der in München aktiven Neonazis bringt uns zum Ausgangspunkt der Kundgebung zurück, zurück zum 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, zu dieser weiteren Stufe auf dem Weg zur industriellen Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden. Über Auschwitz und die Shoah hat der Schriftsteller und Widerstandskämpfer Primo Levi für uns heute geschrieben:
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen – darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“