An diesem Verhandlungstag ist zunächst eine Gutachterin des BKA geladen. Sie hat ein Sprachgutachten erstellt, das überprüfen soll, ob eine Autorinnenschaft Zschäpes beim NSU-Brief vorliegen könnte. Anhand von Vergleichsmaterial (Anträge und ein Brief Zschäpes) kommt sie zu dem Ergebnis, dass eine Autorinnenidentität weder festgestellt noch ausgeschlossen werden könne. Anschließend soll der Zeuge Ar. zu Vernehmungen von Zschäpe und Wohlleben von 1996 zum Komplex „Puppentorso“ vernommen werden. Ein Konflikt zwischen der Verteidigung Zschäpes/ Wohllebens und Richter Götzl spitzt sich allerdings soweit zu, dass erstere ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit gegen Götzl stellen.
Zeuge und Sachverständige:
- Dr. Sabine Ehrhardt (Sprachgutachten zum NSU-Brief, mgl. Autorinnenschaft Zschäpe)
- Ralf Ar. (Vernehmungen von Zschäpe und Wohlleben 1996)
Der Verhandlungstag beginnt um 9:47 Uhr. Zuerst wird die Sachverständige Sabine Ehrhardt, Sprachwissenschaftlerin beim BKA gehört. Götzl sagt, es gehe um Untersuchungen zur Autorenschaft des so genannten NSU-Briefes im Vergleich mit anderen Unterlagen. Ehrhardt beginnt ihre Ausführungen und sagt, sie habe den Auftrag von diesem Gericht gehabt, aus forensisch-linguistischer Sicht Stellung zu nehmen. Es sei ein Textvergleich durchgeführt worden mit dem NSU-Brief und dem Vergleichsmaterial. Das Vergleichsmaterial seien 28 handschriftliche Anträge der Angeklagten aus JVAen und Kopien eines handschriftlichen Briefes der Angeklagten. Dem BKA habe bereits der so genannte NSU-Brief vorgelegen, ein einseitiger Text mit ideologischen Ansichten und Forderungen. Die Autorenerkennung sei eine sprachwissenschaftliche Disziplin, ein Teil der angewandten Linguistik. Kernbereich seien Fehler- und Stilanalyse. Es gehe um Abweichungen von Normen. Man arbeite bei der Fehleranalyse mit „richtig“ und „falsch“, Referenz sei der Duden. Bei der Stilanalyse mit einem Kontinuum von „unangemessen“ bis „angemessen“. Ein Stilmerkmal könne in einem Kontext als angemessen, in einem anderen als unangemessen gelten.
Beim vorliegenden Gutachten sei relevant: ein Textvergleich zum Vorliegen einer Autorenidentität oder -nichtidentität. Jeder Text werde einer Fehler- und Stilanalyse unterzogen und das Ergebnis verglichen und auf einer Wahrscheinlichkeitsskala eingeordnet. Das sei nicht numerisch definiert. Eine Wahrscheinlichkeit für die Hypothese eines gleichen Autors sei umso höher, je mehr übereinstimmende und je weniger divergierende Merkmale vorliegen würden.
Vor jeder Untersuchung gebe es eine Materialkritik, die kritische Würdigung des Materials. Bei der vorliegenden Untersuchung gehe es um insgesamt 30 Texte, das Vergleichsmaterial bestehe aus 28 Anträgen und einem Brief. Dieses Material werde einem Autor zugeschrieben. Einer der Anträge weise augenscheinlich eine andere Handschrift auf und sei daher ausgeschlossen worden. Darüber hinaus gebe es einzelne kleine Einschränkungen, Kopierfehler im Privatbrief, einzelne Schwärzungen. Aufgrund der Menge gehe sie nicht detailliert auf das Vergleichsmaterial ein. Der NSU-Brief sei mit einem Textverarbeitungsprogramm erstellt worden, nur in Großbuchstaben, das untere Drittel der Seite sei leer. Es gebe nur wenige Fehler, meist Zeichensetzung, Kommas, Leerzeichenverwendung. Es gebe wenig markante Stilmerkmale; es sei ein Flugblatt; die Ausdrucksweise sei standardsprachlich; es gebe Vokabular des Rechtsextremismus wie „Sieg“, „Tod“, „Kamerad“, „dass der morgige Tag dem deutschen Volk gehört“. Der Brief habe eine mittlere syntaktische Komplexität.
Die Anträge seien handschriftliche Texte auf zehn vorgedruckten Zeilen, briefartig, es gebe eine Anrede, teilweise gebe es Spiegelstriche und Nummerierungen. Es gebe Fehler auf allen sprachlichen Ebenen, z. B. überzählige Kommas, bei der Orthografie, der Klein-Groß-Schreibung, der Getrennt-Zusammen-Schreibung, der ss/ß-Schreibung. Es gebe auch Grammatikfehler, allerdings seltener, bei Kasusendungen. Vereinzelt gebe es Wortverwendungsfehler. Es finde sich ein sehr formeller, nahezu gestelzter Stil, eine geringe syntaktische Komplexität. Auffällig seien unvollständige Sätze, z. B: „Verbringe derzeit meine Freistunde in Haus 17“. Es fehle das „Ich“, das sei ein Merkmal des umgangssprachlichen Sprachgebrauchs. Der Privatbrief sei ein vierseitiger handschriftlicher Text mit einer Zeichnung links oben. Es würden sich Fehler auf allen sprachlichen Ebenen finden, bspw. fehlende Kommas, Orthografiefehler, Grammatikfehler, ein Wortverwendungsfehler. Zur Stilanalyse lasse sich sagen, dass es ein umgangssprachlicher bis salopper Stil sei, vereinzelt würden sich formelle Formulierungen finden. Der Text habe eine mittlere Komplexität. Es würden sich Smileys und Inflektive finden, z. B. „grins“. Jede optische und sprachliche Markierung von Themenwechseln fehle. Auch im Privatbrief seien unvollständige Sätze enthalten, das könne hier aber als angemessen gelten.
Dann kommt Ehrhardt zur Bewertung. Da gehe es um Einschränkungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Zu den Einschränkungen sagt Ehrhardt, nicht vergleichbare Aspekte seien: Die Realisierungsart, der NSU-Brief sei mit einem Textverarbeitungsprogramm entstanden, das Vergleichsmaterial handschriftlich. Die Fehlerkategorie Leerzeichen sei nicht mit dem Wortabstand im handschriftlichen vergleichbar. Im NSU-Brief würden nur Großbuchstaben auftreten, die Fehlerkategorie der Groß- und Kleinschreibung sei nicht bewertbar, auch nicht die ss/ß-Schreibweise. Dazu würden sich Textsortenunterschiede finden, der NSU-Brief sei ein Flugblatt, das Vergleichsmaterial Anträge und ein Privatbrief. Zu den Übereinstimmungen sagt Ehrhardt, es gebe vier nennenswerte Übereinstimmungen, diese seien jedoch nicht von hoher Aussagekraft. Die erste sei die Falschschreibung der Konjunktion „dass“. Diese sei allerdings sehr verbreitet. Im NSU-Brief finde sich das zweimal, d. h. es sei durchgehend falsch geschrieben. Im Privatbrief an sieben von acht Stellen. In den Anträgen sei es jedoch überwiegend richtig geschrieben. Hier finde sich eine vergleichsweise hohe Intraautorvarianz. Die zweite Übereinstimmung sei ein falsch gesetzter Apostroph. Für den Fehler im NSU-Brief gebe es eine Erklärung, für die Fehler in den Anträgen gebe es keine Erklärung.
Die dritte Übereinstimmung seien lange Genitiv-Endungen, die verwendet worden seien, mit „es“, nicht mit „s“. Es gebe zwei Genitivsubstantive im NSU-Brief, beide mit langen Enden. Allerdings sei es in diesem Fall auch die gebräuchliche Form. In den Anträgen sei die verwendete Form „Termines“ sehr ungewöhnlich. Auffällige Befunde gebe es sonst nicht. Als vierte Übereinstimmung gebe es eingesparte Redeteile. Das habe keine große Aussagekraft, es sei nicht zu bestimmen, ob es eine zufällige Abweichung sei oder ein systematischer Fehler. Unterschiede seien überzählige Kommas, in den Anträgen sei das die größte Fehlerkategorie, im Privatbrief auch. Im Vergleichsmaterial komme es vor, dass ein Pronomen fehlt, im NSU-Brief seien die Sätze jedoch alle vollständig. Man könne sagen, dass es keine Unvereinbarkeiten gebe, z. B. eine unterschiedliche sprachliche Kompetenz oder häufige Präferenzen im Satzbau. Zu den Schlussfolgerungen sagt Ehrhardt, dass es erstens Einschränkungen durch nichtvergleichbare Aspekte gebe. Dann gebe es Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit geringer Aussagekraft. Abschließend sagt sie: „Eine Autorenidentität kann weder festgestellt, noch ausgeschlossen werden.“ Götzl bittet die SV kurz ihren Tätigkeitsbereich zu schildern. Ehrhardt sagt, sie sei promovierte Sprachwissenschaftlerin, seit 10 Jahren forensische Linguistin beim BKA, seit eineinhalb Jahren leite sie den Fachbereich. NK-Vertreter RA Erdal fragt, wo Ehrhardt studiert habe. Ehrhardt: „In Jena.“ Die SV wird entlassen.
Nach einer Pause bis 10:23 Uhr folgt der Zeuge Ralf Ar. Götzl sagt, es gehe um eine Vernehmung von Zschäpe am 20.06.1996 und eine Vernehmung von Wohlleben am 30.07.1996, Ar. solle mit Zschäpe beginnen. Aus seiner Erinnerung heraus, so Ar., könne er sagen, dass sie am Vormittag des Tages eine Durchsuchung durchgeführt hätten. Er sei Mitglied bei der Soko Rex gewesen. Im Anschluss an die Durchsuchung sei man zur PI Jena gefahren und die Vernehmung gemacht. Er selber sei dort nur anwesend gewesen. Auf Frage sagt Ar., es sei eine Beschuldigtenvernehmung gewesen und um den Vorwurf dieses Puppentorsos gegangen. Zschäpes Verteidiger RA Heer verlangt, dass Ar. zunächst einen zusammenhängenden Sachbericht abgeben müsse. Ar. sagt, er habe natürlich Akteneinsicht bekommen, die Protokolle durchgelesen. Er könne zitieren, was er gelesen habe, aber zu dem Tag selber könne er nicht mehr allzu viel sagen. Er könne nach achtzehn Jahren nur wiedergeben, was er im Protokoll gelesen habe. Er wisse, dass er mit dabei gewesen sei: „Aber wie das abgelaufen ist, tut mir leid.“ Götzl fragt, ob Ar. eine Erinnerung an Zschäpe habe. Ar.: „Ja.“ Auf Frage sagt Ar., bzgl. des Inhalts der Erinnerung könne er nur das wiedergeben, was im Protokoll stehe, was er gelesen und was er auch unterschrieben habe. Götzl fragt, was Ar. zum Inhalt sagen könne. Zschäpe sei gefragt worden, so Ar., wo sie an dem Tag gewesen sei, und habe angegeben, dass sie sich nicht erinnern könne, dass sie aber zu größten Teilen immer mit ihrem damaligen Lebensgefährten zusammen gewesen sei. Und dass sie den Vorfall aus der Presse entnommen und sich drüber unterhalten hätten, sie wüssten nicht, wer es gewesen sein könnte.
RA Heer unterbricht erneut und beanstandet, es könne nicht angehen, dass der Zeuge nur herunterbete, was er gelesen habe. Götzl sagt, das sei eine Frage des Vorhaltes, um beurteilen zu können, inwiefern man noch Erkenntnisse bekomme. Heer sagt, der Zeuge habe bekundet, dass er sich nicht mehr erinnern könne. Götzl sagt, Ar. habe sich an Zschäpe erinnert. Bundesanwalt Diemer sagt, es sei legitim, was der Vorsitzende hier mache, es sei ein zulässiges Mittel, die Erinnerung des Zeugen aufzufrischen, Heer solle nicht das Geschäft aufhalten. Die Auseinandersetzung geht weiter. U.a. sagt Zschäpes Verteidigerin RAin Sturm, dass der Zeuge ganz deutlich gesagt habe, er könne nur angeben, was er gelesen habe, dann habe Götzl gefragt, was Ar. noch erinnere. Das sei Abfragen des Aktenstudiums und das interessiere niemanden. Götzl sagt, es interessiere ihn. Dann müsse man diskutieren, was dem Urteil zugrunde gelegt werde, erwidert Sturm, sie finde das ausgesprochen kritisch. Götzl fragt Stellungnahmen zur Beanstandung ab, der Zeuge wird aus dem Saal geschickt. Aus der Nebenklage wird gesagt, es seien gewisse Erinnerungen da und es sei legitim da nachzufragen. Wohllebens Verteidiger Klemke sagt, dass es um die Erinnerung des Zeugen an die Vernehmung, nicht um die Erinnerung an die Lektüre des Protokolls gehe. Dann bittet RA Stahl im Hinblick auf Götzls Äußerung, dass es ihn sehr wohl interessiere, um eine kurze Unterbrechung der Hauptverhandlung. Es folgt eine Pause bis 10:54 Uhr.
Danach verlangt Heer einen Gerichtsbeschluss über die Beanstandung, Klemke schließt sich an. Götzl fragt, worauf sich die Beanstandung beziehe, ihm reiche ein Schlagwort. Stahl sagt, es gehe darum, dass Götzl, obgleich der Zeuge unmissverständlich mitgeteilt habe, dass er keine eigene Erinnerung mehr an das habe, was dort vor sechzehn oder achtzehn Jahre geschehen sei, fortsetze, und gesagt habe, das interessiere ihn. Götzl fragt, ob es darum gehe, dass der Zeuge überhaupt weiter vernommen wird. Klemke sagt, es gehe darum, dass Zeuge von Götzl veranlasst werde, das wiederzugeben, was er von der Lektüre der Vernehmungsniederschriften in Erinnerung habe. Insoweit habe Götzl auch erklärt, ihn interessiere, was der Zeuge gelesen habe. Götzl sagt, das habe die Verteidigung falsch verstanden, ihm sei es um die Vorbereitung gegangen, nicht um das Referieren der Akte. Aber er könne ja noch die anderen Fragen erst stellen. Der Zeuge kommt wieder rein. Götzl fragt, ob Ar. Erinnerungen an Zschäpe habe. Ar. sagt, er wisse, dass sie früh zur Hausdurchsuchung bei ihr gewesen seien und sie danach mitgenommen hätten zur PI Jena zur Vernehmung. Er wisse noch, dass sein Leiter, Herr Hollandt, zu ihm gesagt habe, er solle sich mal mit ihr unterhalten, vielleicht erzähle sie ihm ja was. Ar. verneint, dass Hollandt bei der Vernehmung zugegen gewesen sei. Außer ihm sei Frau H. (heute Sch., 153. Verhandlungstag) dabei gewesen, die habe die Vernehmung geführt.
Götzl: „Haben Sie selbst auch Fragen gestellt?“ H. habe mal den Raum verlassen, so Ar., und da habe man sich normal unterhalten, also er habe keine Vernehmungsfragen gestellt. Heer unterbricht und sagt, er beantrage, den Zeugen zu befragen, ob er die Bekundung selbst erinnert oder es aus dem Protokoll hat. Götzl sagt, Heer solle doch mal warten, das hätte er sowieso getan, aber die Reihenfolge bestimme nicht Heer. Heer: „Ich habe einen Antrag gestellt und bitte diesen zu entscheiden.“ Bundesanwalt Diemer sagt, seines Erachtens sei es prozessual geboten, die Vernehmung jetzt fortzusetzen. NK-Vertreter RA Behnke sagt, ein Antrag zur Verhandlungsführung sei unzulässig. Götzl fragt Ar., ob das jetzt Umstände seien, die er noch in Erinnerung habe. Ar.: „Ja, sonst könnte ich es ja nicht sagen.“ Heer sagt, es gehe darum, worauf die Erinnerung basiere, er halte den Antrag aufrecht. Götzl: „Welchen Antrag?“ Heer sagt, er habe eben einen Antrag gestellt. Götzl sagt, wenn er sich nicht täusche, habe er genau diese Frage gerade gestellt. Der Zeuge wird aus dem Saal geschickt. Dann sagt Heer, er habe beantragt, den Zeugen jetzt zu befragen, worauf die Erinnerung beruht. Diese Frage habe Götzl nicht gestellt. Götzl erwidert, Heer habe ihn ja gar nicht dazu kommen lassen, nachzufragen: „Sie beanstanden etwas, was noch gar nicht im Raum ist.“ Heer: „Ich habe nichts beanstandet, ich habe einen Antrag gestellt.“ Diemer sagt, man solle weitermachen. Götzl sagt, er setze dann die Befragung fort.
Daraufhin beanstandet Heer genau das und bittet um einen Gerichtsbeschluss. Götzl fragt, ob Heer sich gegen die Fortsetzung der Vernehmung verwehre. Heer fragt, ob Götzl vielleicht seine Absicht erläutern könne. Götzl sagt, das werde er nicht tun. Heer: „Dann bin ich auf Ihre nächste Frage gespannt.“ Götzl: „Also soll ich doch fortfahren?“ Der Zeuge kommt wieder rein und Götzl fragt, ob Ar. sich noch an seine letzte Frage erinnere. Ar.: „Ja, Sie hatten mich gefragt, woran ich mich erinnern kann.“ Götzl sagt, es sei um die Vernehmungspause gegangen, und fragt, ob das eine eigene Erinnerung sei. Ar.: „Ja, das ist eine eigene Erinnerung. Aus dem Protokoll kann ich das nicht haben, das steht ja nicht drin.“ Götzl fragt, ob Ar. noch wisse, in welcher Situation Frau H. den Vernehmungsraum verlassen habe. Ar.: „Nein.“ Götzl sagt, es gehe ihm, um nicht zu komplizieren, darum, ob Ar. das aus eigener Erinnerung wisse oder ob hier das Protokoll eine Rolle gespielt habe. Dann fragt er, was Ar. denn noch vom Verhalten bzgl. Zschäpe in Erinnerung habe. Da könne er nichts zu sagen, so Ar., er wisse nur noch, dass man sich normal unterhalten habe. Es sei ihm nicht bekannt, ob sie aufgeregt war. Zur Räumlichkeit der Vernehmung sagt Ar., er wisse nur noch, dass es auf der damaligen PI Jena gewesen sei.
Bei der Soko Rex sei er von April bis August gewesen. Götzl fragt, wie weit Ar. eingebunden gewesen sei, wie sein Aufgabenbereich gewesen sei. Er habe, so Ar., Ende des Jahres 1995 seine Ausbildung beendet, sei ein paar Wochen bei der Bereitschaftspolizei gewesen und im April zur Soko Rex gekommen, um dort eigentlich zu lernen, im August habe er die Soko verlassen. Götzl fragt, inwiefern Ar. hier noch mit weiteren Vernehmungen betraut gewesen sei. Bei der einen sei er anwesend gewesen, so Ar.: „Wenn ich bei der zweiten nicht meine Unterschrift gelesen hätte, also da habe ich überhaupt keine Erinnerung.“ Er bejaht, damit die Vernehmung Wohllebens zu meinen. Sonst habe er, glaube er, keine gemacht. Götzl fragt, ob Ar. was Zschäpe anbelangt, sonst noch irgendeine Erinnerung habe. Ar.: „Nein, ich habe das komplett aus den Augen verloren, bis sie in der Presse wieder auftauchte, klar.“ Bzgl. der Durchsuchung sagt Ar., er wisse, dass er fotografieren sollte. Er habe die Wohnung beim Betreten und Verlassen fotografiert. Er wisse nur, dass es früh gewesen sei. Es sei wohl die Wohnung der Mutter gewesen, er sei sich nicht mehr sicher. Er wisse nur, dass es in Jena in einem Neubauviertel gewesen sei. Ihm sei auch das Protokoll nicht bekannt. Erinnerungen an Zschäpes Verhalten bei der Hausdurchsuchung habe er nicht mehr. Es seien Dinge sichergestellt worden, aber was es gewesen sei, wisse er nicht mehr sicher, er glaube Fotoalben und Tonträger.
Götzl möchte wissen, welche Vorinformationen Ar. gehabt habe damals. Es sei um den Vorwurf dieses Puppentorsos an der Autobahn gegangen. Und der damalige Lebensgefährte Zschäpes habe seines Erachtens damals einen Abdruck hinterlassen am Tatort. Götzl fragt, wer damit gemeint sei, und Ar. nennt Böhnhardt. Beschuldigte im Verfahren seien Böhnhardt, Zschäpe und noch ein Dritter gewesen, so Ar. auf Frage, er wisse nicht mehr, wer das war. Götzl: „Was können Sie zu Herrn Wohlleben in dem Zusammenhang sagen?“ Ar.: „Gar nichts.“ Götzl fragt, ob Ar. noch wisse, ob er bei Zschäpe als Beschuldigter durchsucht habe. Ar.: „Ich denke Ja.“ Götzl fragt, wer bei der Durchsuchung noch dabei gewesen seien. Mehrere Beamte vom LKA, so Ar., aber bis auf Frau H. seien ihm die nicht namentlich bekannt. Götzl : „Jetzt nochmal zurück zur Vernehmung. Sie sagten, Sie hätten an Frau Zschäpe eine Erinnerung, aber nicht mehr an den Inhalt der Vernehmung.“ Ar.: „Das haben Sie richtig verstanden.“ Götzl fragt, an welche Situation Ar. sich dann noch erinnere in Bezug auf Zschäpe. Das könne er nicht erklären, so Ar., er wisse nur noch, dass es so sei. Er habe keine Erinnerung an den Ablauf der Vernehmung, nur noch, dass er dort gewesen sei. Er habe da lernen sollen.
Götzl fragt, ob sich Ar. erinnere, wie vorgegangen wurde bei der Protokollierung. Das verneint Ar., er könne nur wiedergeben, wie es im Protokoll stehe. Er verneint, zu dem Zeitpunkt schon mal in Eigenregie Vernehmungen durchgeführt zu haben. Götzl fragt, ob es damals irgendwelche Besprechungen gegeben habe, wie Protokolle erstellt wurden in der damaligen Phase, eine Einweisung. Er gehe davon aus, so Ar., könne es aber nicht mehr mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Götzl fragt, ob Ar. das Gespräch mit Hollandt noch selbst in Erinnerung habe. Das bejaht Ar., er wisse, dass Hollandt gesagt habe, er solle mit reingehen und sich doch mal unterhalten. Das sei an ihn persönlich gegangen, so Ar. auf Frage. Götzl fragt, ob Ar. das umgesetzt habe. Ar. sagt, er denke, dass sie in der Pause, als H. den Raum verlassen habe, sich ganz normal unterhalten haben. Er erinnere sich, dass gesprochen worden sei, aber könne nichts zum Inhalt sagen. Götzl fragt zum Verhalten Zschäpes in den Pausen: Das sei ganz normal gewesen, so Ar., er habe keine Erinnerung, dass sie extrem nervös gewesen sei. Wäre sie hysterisch oder dergleichen gewesen, würde er sich wahrscheinlich erinnern. Das tue er aber nicht. Er verneint, Kontakt zu Böhnhardt gehabt zu haben. Götzl fragt zum Fingerabdruck. Der sei gefunden worden auf einer Kiste, die wiederum auf der Autobahnbrücke gestanden habe, an der der Puppentorso angebracht gewesen. Auf Nachfrage sagt Ar., das sei ein Pappkarton gewesen, da hätten wohl mehrere Kartons gestanden, beschriftet mit „Bombe“.
Götzl fragt, wie intensiv Ar. sich mit dem Protokoll beschäftigt habe. Er habe es gelesen, so Ar., er habe eine gute Stunde Zeit gehabt und sie sich mehrfach durchgelesen. Götzl: „Kamen irgendwelche Erinnerungen zurück?“ Ar.: „Nicht an den Inhalt.“ Ansonsten nur das, was er schon geschildert habe. Götzl fragt, ob das aufgrund des Studiums des Protokolls zurückgekommen sei. Das könne er jetzt schlecht trennen, so Ar., was er vorher schon wusste und was ihm beim Lesen kam. Götzl sagt, Ar. habe gesagt, der Inhalt sei ihm nicht in Erinnerung, und fragt, ob er aber noch in Erinnerung habe, ob belehrt wurde. Ar.: „Ich gehe davon aus.“ Das stehe auf dem Protokoll, er könne es aber nicht mehr genau sagen. Götzl: „Wissen Sie denn noch, um welchen Vorwurf es konkret bei Frau Zschäpe ging?“ Um den gesamten Sachverhalt, ob sie beteiligt war oder nicht, so Ar. Näheres dazu könne er jetzt nicht sagen. Götzl fragt, ob zum Inhalt durch die Befragung noch irgendwelche Details zurückgekommen seien. Ar.: „Nein.“ Er verneint, noch aus der Erinnerung zu wissen, ob Zschäpe den Vorwurf bestritten hat. Götzl sagt, dann werde er die Angaben aus dem Protokoll Ar. mal vorhalten. RA Stahl beantragt eine Unterbrechung für zwei Stunden inklusive Mittagspause, man beabsichtige einen „unaufschiebbaren Antrag“ zu stellen. RA Klemke beantragt ebenfalls eine Unterbrechung. Es folgt die Mittagspause bis 14:16 Uhr.
Danach beginnt RA Heer ein Ablehnungsgesuch gegen Götzl zu verlesen. Zschäpe lehne Götzl wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Heer verliest zunächst den Ablauf der Einvernahme, wie ihn sich die Verteidigung Zschäpe mitgeschrieben hat. Zwischendurch bittet Heer um eine Pause, weil er in der Zeile verrutscht sei. Um 14:25 Uhr geht es weiter. Dann verliest Heer weiter den Ablauf zur Vernehmung bis zur Ankündigung Götzls, nun Vorhalte aus dem Protokoll zu machen. Zur rechtlichen Würdigung sagt Heer, Götzl habe durch seine Befragung zum Ausdruck gebracht, um jeden Preis die in den Akten befindliche Niederschrift in die Hauptverhandlung einzuführen. Dies könne grundsätzlich geboten erscheinen, wenn die geringste Aussicht bestehe, dass Erinnerungen zurückkommen. Heute habe der Zeuge Ar. aber in nicht mehr hinterfragbarer Art und Weise erklärt, dass er sich die betreffenden Niederschriften eigenständig mehrfach vorgehalten habe, ihm aber dennoch keine Erinnerungen gekommen seien. Ar. dennoch erneut die Niederschrift vorzuhalten, zeige, dass Götzl den Inhalt der Ermittlungsakte über den Zeugen nachvollzogen wissen wolle. Das lasse nur den einen Schluss zu, dass das Ergebnis, welches die Hauptverhandlung erbringen solle, für den Vorsitzenden bereits fest stehe. Es handele sich um einen verkappten Urkundenbeweis. Was sonst solle es ergeben, als einen Mosaikstein für eine in der Vorstellung des Vorsitzenden bereits vorhandene Version.
Statt seine Befragung zu beenden, habe der Vorsitzende angekündigt, dem Zeugen nun die Vernehmungsniederschrift vorzuhalten. Es komme nicht darauf an, dass der Vorsitzende sage, es werde im Urteil differenziert. Götzl habe erst gestern bekundet, das Verfahren gerate zeitlich völlig aus den Fugen. Angesichts des Beschleunigungsgrundsatzes müsse das Herbeiziehen des Aktenbestands den Eindruck wachsen lassen, dass es dem Vorsitzenden darauf ankomme, den Akteninhalt als Grundlage des Urteils zu nehmen. Dann sagt RA Klemke, Wohlleben lehne Götzl ebenfalls wegen Besorgnis der Befangenheit ab und nehme inhaltlich vollumfänglich Bezug auf das eben begründete Gesuch. Bundesanwalt Diemer sagt, man könne dem Stegreif keine Stellung nehmen, rege aber an, fortzufahren. NK-Vertreter RA Langer nimmt Stellung und sagt, aus der Tatsache, dass der Vorsitzende allgemein angekündigt habe, Vorhalte zu machen, könne nicht auf eine Besorgnis der Befangenheit geschlossen werden, ohne einen konkreten Vorhalt abzuwarten. Die Aussage des Vorsitzenden, er sei schon interessiert, sei ohne Belang, da anschließend fortgesetzt worden sei. Es sei nicht bekannt, was der Vorsitzende habe fragen wollen. Aber auch wenn der Vorsitzende weitere inhaltliche Vorhalte zur damaligen Vernehmung mache, seien diese zulässig. Denn die Auskünfte des Zeugen seien nicht einheitlich gewesen. Ar. habe geäußert, dass er „nicht mehr allzu viel“ sagen könne, also nicht nichts. Ar. habe zwar zu konkreten Fragen gesagt, dass er keine Erinnerung habe, habe aber im Gegensatz dazu Einzelheiten aus seiner direkten Erinnerung bekundet. Somit sei es die Aufgabe des Vorsitzenden, Vorhalte zu machen, da konkret kein Umstand ersichtlich sei, dass es ausgeschlossen sei, dass sich der Zeuge nicht doch noch an den ein oder anderen Inhalt der Vernehmung erinnert. Der Zeuge habe schließlich gesagt, dass Erinnerungen zurückgekommen seien, aber nicht an den Inhalt.
Es sei gerade die Aufgabe des Vorsitzenden, eine Trennung zwischen Gelesenem und Erinnertem herbeizuführen. Der Versuch der Verteidigung, die faktische Befragung zu verhindern, müsse als Eingriff in den Fortgang der Befragung gewertet werden. Bundesanwaltschaft und andere Verfahrensbeteiligte könne nicht untersagt werden, Vorhalte zu machen. Dem Vorsitzenden würde dann absurderweise ein eingeschränkteres Fragerecht zustehen als den anderen Verfahrensbeteiligten. RA Klemke sagt, die Verteidigung Wohlleben halte es nicht für angängig, die Hauptverhandlung durch Vernehmung von Ar. fortzusetzen, insbesondere nicht durch Vorhalte aus der Vernehmung, denn genau hierauf beziehe sich der Grund des Antrags. Heer sagt, die Verteidigung Zschäpe widerspreche der Absicht, die Hauptverhandlung fortzusetzen. NK-Vertreter RA Prosotowitz sagt, er schließe sich der „richtigen Stellungnahme“ des Kollegen Langer an. RA Reinecke sagt, er sehe keinen Grund, diesen Zeugen jetzt nicht zu Ende zu vernehmen. Sonst laufe es darauf hinaus, dass über den Antrag die Verfahrensführung an sich gerissen werde. Es gehe doch immer um Verfahrensbeschleunigung. Narin sagt, er wolle sich Langer anschließen und darauf hinweisen, dass in der Vergangenheit durch die Verteidigung Zschäpe zur Besorgnis der Befangenheit darauf verwiesen worden sei, dass der Vorsitzende nicht ausführlich Fragen stelle. Das sei wieder mal widersprüchliches Verhalten. Klemke sagt zu Reinecke, er habe in Bezug auf die gestrige Befragung des Zeugen Ho. nicht den Eindruck, das die Fragen der NK irgendwie beeinflusst worden seien durch den Beschleunigungsgrundsatz. Es folgt eine Unterbrechung bis 15:07 Uhr. Danach fragt Götzl, ob es noch Stellungnahmen gebe. Diemer sagt, die BAW könne in 15 Minuten Stellung nehmen. Der Zeuge wird noch einmal aufgerufen und Götzl sagt, die Vernehmung werde für heute unterbrochen. Der Verhandlungstag endet um 15:09 Uhr.
Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert: „Der Vorsitzende unterbrach die Verhandlung, über den Befangenheitsantrag wird bis zum nächsten Verhandlungstag am kommenden Dienstag entschieden – mit dem sicheren Ergebnis, dass er zurückgewiesen wird, da er völlig substanzlos ist.Offensichtlich will die Verteidigung gegenüber ihrer Mandantin Stärke und Aktivität vortäuschen – vielleicht ein Signal für die kommende Woche, in der ein möglicher Chemnitzer Unterstützer, der damalige Mann der kürzlich vernommenen Antje Probst, und der V-Mann Carsten Szczepanski vernommen werden sollen.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2014/11/27/27-11-2014/