Von Felix Hansen, erschienen in: Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, #56, Sommer 2014
Auch nach 150 Verhandlungstagen befindet sich der Münchener NSU-Prozess noch mitten in der Beweisaufnahme. In den letzten Wochen und Monaten mussten mehrere Neonazis vor Gericht aussagen, hierbei ging es um Unterstützungsleistungen für den NSU.
Einen wichtigen Zeugen kann das Gericht nicht mehr vernehmen. Der langjährige V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Thomas Richter („Corelli“) verstarb Anfang April nach offiziellen Angaben an einer unentdeckten Diabetes. Ein bislang nicht namentlich bekannter V-Mann des Hamburger Verfassungsschutzes hatte im März seinen V-Mann-Führern eine CD mit dem Titel „NSU/NSDAP“ übergeben, die er 2006 von „Corelli“ bekommen haben will. Auf der CD befinden sich nach Angaben von Ermittler_innen 15.000 rassistische und antisemitische Bilder. Während das BfV bislang bestritten hatte, das Kürzel „NSU“ vor November 2011 gekannt zu haben, musste Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen Anfang Oktober einräumen, dass seine Behörde bereits 2005 eine CD gleichen Titels von „Corelli“ bekommen hatte, die erst jetzt wieder aufgetaucht sein soll. Ein Sonderermittler soll nun für das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags den Fall aufklären.
Wenn es nach der Bundesanwaltschaft geht, wird die CD nicht Gegenstand des Verfahrens. In bekannter Manier trat sie Anträgen der Nebenklage entgegen, die CD im Prozess zu behandeln und u.a. „Corellis“ V-Mann-Führer zu laden. Mal wieder argumentierten die Ankläger_innen, im Verfahren gehe es nur um die fünf Angeklagten. Auf einen Zusammenhang zwischen dem Strafverfahren und der CD gebe es bislang keine Hinweise. Dabei gibt es weitere Berührungspunkte zwischen „Corelli“ und dem NSU, beispielsweise tauchte er bereits auf Uwe Mundlos’ Telefonliste auf und lernte diesen wohl auch in den 90er Jahren persönlich kennen.
V-Mann „Otto“ berichtet
Für die Vernehmung von Tino Brandt waren gleich drei volle Tage vorgesehen. Brandt, der derzeit wegen des Verdachts der Zuhälterei in U-Haft sitzt, hatte den Thüringer Heimatschutz (THS) maßgeblich mit aufgebaut, während er zeitgleich ab 1995 für den Geheimdienst arbeitete. Er sei nach einem von ihm veranstalteten Konzert in Saalfeld-Rudolstadt von zwei Geheimdienstlern unter der Zusicherung, dass es um Themen wie Straftaten nicht gehe, angeworben worden, so Brandt vor Gericht. Das sei für ihn Bedingung gewesen, da es für ihn nicht in Frage gekommen sei, „Leute ans Messer zu liefern“. Das habe das Landesamt aber auch nicht weiter interessiert. Vor Aufnahme seiner Tätigkeit habe er sich noch bei Kai Dalek, damals V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes, rückversichert, so Brandt. In der Anfangszeit war Brandt wichtiger Unterstützer der Abgetauchten, ließ ihnen Geld zukommen und fragte Thorsten Heise nach Unterkünften. Das alles unter den Augen seiner Geldgeber, die er über alles Wesentliche bei seinen wöchentlichen Treffen informierte – zu einer Festnahme führte all dies nicht, selbst als Brandt von einem bevorstehenden Telefonat berichtete. Deutlich wurde in Brandts Aussage aber auch, dass der Austausch nicht nur einseitig war. Von seinen Gesprächspartnern hätte er regelmäßig Material erhalten, beispielsweise Thüringer Antifa-Zeitungen.
Ein „Nazi-Anwalt“ im Zeugenstand
Auf Antrag der Nebenklage musste der Szene-Anwalt Thomas Jauch als Zeuge in München aussagen. Jauch, bestens bekannt in der Nazi-Szene, ist Rechtsbeistand mehrerer Zeugen im Verfahren und soll Anfang 1998 die Verteidigung Beate Zschäpes übernommen haben. Gleich zu Beginn seiner Aussage verweigerte Jauch die Aussage, da er die Angeklagten bereits vertreten oder beraten habe, eine Aussage also Mandatsverhältnisse berühre. Zu zahlreichen anderen Fragen hatte Jauch keine „reale Erinnerung mehr“, auch Unterlagen gebe es nicht mehr, bekannte er, nachdem ihn Holger Gerlach und Carsten Schultze von der Schweigepflicht entbunden hatten. Auch mit zahlreichen anderen THS– und Blood&Honour-Mitgliedern, wie Thomas Starke und Jan Werner, hatte Jauch zu tun, nach seinen Worten alles nur in beruflicher Hinsicht. Fragen der Nebenklage wollte Jauch nicht beantworten, da diese seiner Meinung nach überhaupt kein Fragerecht habe. Auch wenn er letztendlich antworten musste, tendierte der Erkenntnisgewinn der Vernehmung des „Nazi-Anwalts“ einmal mehr gegen Null. Werner und Starke, beide ebenfalls Unterstützer des NSU verweigerten in München die Aussage, da gegen sie noch ermittelt wird.
„Brüder schweigen“
Gesprächsbereiter war auch Thomas Gerlach nicht. Der Neonazi, über Jahre eine der führenden Figuren der Thüringer Neonazi-Szene, wollte von Gewalt-Diskussionen in der Szene nichts wissen. Gerlach wurde zu seinen Kontakten zu Ralf Wohlleben, mit dem er über Jahre das „Fest der Völker“ organisierte, und seine Kontakte in das Unterstützungsumfeld befragt. Als Mitglied der Hammerskins ist er bestens international vernetzt und reiste regelmäßig zu Treffen ins europäische Ausland und die USA. Während Blood&Honour laut Gerlach nur ein loser Zusammenschluss von Musikbands gewesen sein soll, verweigerte er zu den Hammerskins sämtliche Antworten. Sein sich „selbst gestelltes Wertegefühl“ verbiete ihm darüber zu reden. Während sich die anderen Nazi-ZeugInnen vor Gericht meist in Erinnerungslücken und Ahnungslosigkeit flüchten, wenn die Fragen zu unbequem werden oder es eng für sie wird, blieb Gerlach dabei, zum Komplex „Hammerskins“ nichts zu sagen. Erst später berief er sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht, was ihm das Gericht nach längeren Diskussionen zubilligte, denn die Hammerskins könnten als kriminelle Vereinigung eingestuft werden. Beistand bekam Gerlach vom Angeklagten André Eminger, der ein T-Shirt „Brüder Schweigen – bis in den Tod“ trug. Der Slogan ist deutlicher Verweis auf das Treuelied der SS und die US-Amerikanische Neonazi-Terrorgruppe The Order.
Neonazis sind im Münchener Prozess nicht nur als Zeug_innen oder Angeklagte anzutreffen, auch Zuschauer_innen aus der rechten Szene reisen regelmäßig nach München. Als Gerlach erstmals aussagen musste, saßen Enrico Marx und Maik Eminger auf der Besuchertribüne. Der Bruder des Angeklagten André Eminger war selbst bereits als Zeuge geladen, durfte aber als Verwandter die Aussage verweigern. Auch er trug ein „Brüder Schweigen“-T-Shirt, als er morgens in das Gerichtsgebäude kam, zog dies aber aus, bevor der den Gerichtsaal betrat. Auch Karl-Heinz Hoffmann, Gründer der gleichnamigen Wehrsportgruppe, stattete dem Prozess Anfang Oktober einen kurzen Besuch ab.
Das Gericht hat sich in den letzten Monaten viel mit dem früheren Umfeld der NSU-Mitglieder und der Frage der Ceska beschäftigt.
Wann die Kölner Keupstraße Thema im Prozess sein wird, ist weiter offen. Die Initiative „Keupstraße ist überall“ plant, die juristische Bearbeitung des Bombenanschlags im Gericht öffentlich zu begleiten. Zum Tag X, dem Tag, an dem die Keupstraße erstmals verhandelt wird, ruft die Initiative zu einem bundesweiten Aktionstag und einer Demonstration und Dauerkundgebung in München auf.