Protokoll 178. Verhandlungstag – 27. Januar 2015

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An diesem Verhandlungstag sagen erneut Betroffene des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße aus. Sie schildern eindrücklich den Anschlag selbst und die Auswirkungen, die dieser bis heute auf ihr Leben hat. Außerdem sagen zwei Zeug_innen aus, die Radfahrer am 09.06.2004 in der Nähe der Keupstraße gesehen haben, einmal vor dem Anschlag und einmal danach.

Zeug_innen:

  • [T] (Geschädigter des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • Gerlinde B. (Beobachtung eines Radfahrers am 09.06.2004 in der Nähe der Kölner Keupstraße)
  • Alexander P. (Beobachtung eines Radfahrers am 09.06.2004 in der Nähe der Kölner Keupstraße)
  • [U] (Geschädigter des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • [V] (Geschädigter des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • [W] (Geschädigter des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • [X] (Geschädigte des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • [Y] (Geschädigter des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • [Z] (Geschädigte des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • [S] (Geschädigter des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße)

[Hinweis: Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verzichten wir auf die namentliche Nennung der Betroffenen des Anschlags in der Kölner Keupstraße. Die Angaben der Zeug_innen zu ihren körperlichen Verletzungen, psychischen Folgen und Behandlungen geben wir hier in einem zusammenfassenden Text wieder.]

Der Verhandlungstag beginnt um 09:49 Uhr. Zschäpes Verteidiger Stahl lässt sich heute von seinem Kollegen RA Schulz vertreten. Anwesend sind als Nebenkläger ein Bruder des am 25. Februar 2004 in Rostock ermordeten Mehmet Turgut und ein Geschädigter des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Erster Zeuge ist [T], er nimmt mit seinem RA und dem Dolmetscher am Zeugentisch Platz. Götzl: „Es geht uns um den 09. Juni 2004 und die Ereignisse in der Keupstraße.“ Er bittet E. zu schildern, was er damals erlebt habe und inwiefern er von den Ereignissen betroffen gewesen sei. E. berichtet, seine Angaben werden vom Dolmetscher übersetzt. [Wir geben hier die Angaben von [T] wieder, wie sie vom Dolmetscher aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzt wurden.] [T]: „An dem Tag war es gegen Mittag, ich war vor dem Geschäft und wenn ich mich nicht irre, gab es zwei Kundinnen im Geschäft. Auf einmal kam es zu einer heftigen Explosion. Aufgrund der Heftigkeit der Explosion haben wir uns zu Boden geworfen. Ich war vor dem Geschäft, ich hab mich zunächst auf den Boden geworfen, zehn Sekunden später hinten ins Geschäft reingeworfen. Ca. 30 Sekunden blieb ich im Geschäft.“ Er sei langsam bis zur Tür gekrochen, um hinauszuschauen, was los war. [T] weiter: „Danach sah ich wie die Menschen nach links gelaufen sind.“ Nach einer Minute sei er auch in diese Richtung gegangen, so [T] weiter.

[T] berichtet: „Eine Weile später kehrte ich ins Geschäft zurück. Nachdem die Ereignisse sich beruhigt hatten, gingen wir wieder zum Vorfallort. Nachdem Ambulanz und Polizei eingetroffen waren, kehrten wir in unser Geschäft zurück. In dem Moment sah ich natürlich meine Kollegen aus dem Frisörladen, wie sie verletzt, blutüberströmt waren. Nachdem ich ins Geschäft zurückgekehrt war, sah ich wie Stücke, also Nägelstücke da auf dem Boden liegen. Es war ein Abstand zwischen uns von etwa 60, 70 Meter.“ Götzl fragt nach den Nägeln, die [T] festgestellt habe. [T]: „Die waren in einigen Autos eingeschlagen, diese Wagen standen vor dem Geschäft. In der Nähe des Vorfallortes waren mehr Nägel, in unserer Richtung waren weniger. Götzl: „Diese Autos, waren die unmittelbar vor dem Geschäft?“ [T]: „Die ganze Straße war voll mit Wagen, auch vor meinem Geschäft.“ Götzl fragt, ob in diese Fahrzeuge Nägel eingeschlagen waren. [T] sagt, nicht vor seinem Geschäft, aber ein bis zwei Geschäfte nach links in der Nähe seines Geschäftes seien Nägel eingeschlagen. Er verneint, dass er oder seine Kunden verletzt worden seien. Götzl fragt nach der Zeitangabe „gegen Mittag“. [T] sagt, er könne sich nicht genau erinnern, er vermute, es sei 13/ 14 Uhr gewesen. Götzl: „Waren Schäden an ihrem Geschäft?“ [T]: „Nein.“

Es folgt die Zeugin Gerlinde B. Götzl sagt, es gehe um Ereignisse im Bereich der Keupstraße in Köln am 09. Juni 2004, um B.s Beobachtungen. B.: „Es war, ich denke mal, zwischen halb Drei und Drei, ich war bei Kieser-Training, das Studio befindet sich in unmittelbarer Nähe. Ich war zu Fuß auf dem Weg zu meinem Auto, ein bisschen unwegsames Gelände und beobachtete ca. 15 Meter vor mir auf dem Weg, dass mir ein junger Mann entgegenkam mit dem Fahrrad. Er ist mir sehr aufgefallen, weil das Fahrrad so behutsam geschoben wurde. Ich konnte ihn lange beobachten und hatte Blickkontakt. Das Fahrrad schien mir sehr neu zu sein, die Felgen blinkten, es war kein Reifen platt.“ Hinten sei eine schwarze Box auf dem Gepäckträger gewesen, so B.: „Ich habe noch nachgeblickt, weil es mir etwas merkwürdig vorkam, habe mir aber sonst keine Gedanken gemacht.“ Götzl möchte wissen, ob B. noch eine Erinnerung an das Aussehen des Mannes hat. B.: „Ich habe einige Zeit später ein Phantomfoto anfertigen lassen. Ich konnte mich gut erinnern, weil er das Alter meines Sohnes hatte und habe ihn mir gut eingeprägt. Ein schlanker junger Mann. Mein Sohn war Jahrgang ’77 und wie sich rausstellte, der Mann auch.“

Er habe Sportkleidung getragen, ein T-Shirt, und sei etwas verschwitzt, angespannt gewesen. Das habe sie sich nicht erklären können, denn er habe das Fahrrad ja geschoben. Der Mann habe Käppi getragen, die Augen seien dunkel gewesen. Götzl fragt, was B. damit meine, dass es sich herausgestellt habe. B.: „Ich habe ihn wiedererkannt auf den Fotos, mehr oder weniger als es rauskam, da habe ich ihn wiedererkannt. Götzl: „Auf welchem Foto?“ B.: „Auf dem ersten Foto, das im Fernsehen abends kam. Es waren ja zwei Täter. Als das Foto von Uwe Böhnhardt kam, hat es heftige Reaktionen bei mir hervorgerufen.“ Götzl: „Hatten Sie zu einem früheren Zeitpunkt mal Fotos gesehen?“ B.: „Nein, bei der Zeugenaussage wurden mir Fotos gezeigt von irgendwelchen anderen Personen, aber da war die Person nicht dabei.“ Götzl fragt, ob B. ein Video vorgeführt worden sei. Zwei, drei Tage später habe sie ein Foto bekommen, was sich auf der Videokamera befunden habe, so B. Da sei nur ein Täter zu sehen. Die Bildqualität sei nicht sehr gut gewesen, so dass sie gesagt habe, sie könne jetzt nicht hundertprozentig behaupten, dass das der Täter ist.

Götzl fragt, wie der Mann das Fahrrad geschoben habe. B.: „Ich kann nur sagen, dass es so vorsichtig geschoben wurde, dass es mir sehr aufgefallen ist. Mir ist aufgefallen, dass es ganz neu war. Es hatte weder vorne noch hinten einen Platten. Dann hab ich noch die schwarze Box in Erinnerung. Konnte mir aber keinen Reim drauf machen.“ Götzl fragt nach sonstigen Details. B.: „Es hatte so einen gebogenen Lenker, mein Mann hat fast das gleiche.“ Sie habe das bei der Polizei angegeben, und die hätten das Fahrrad ihres Mannes gleich im Keller angeschaut. Götzl: „Auf welcher Körperseite hatte der Mann das Fahrrad?“ B.: „Ich bin rechts, er ist links an mir vorbei.“ Der Weg sei nicht sehr breit, sie sei der Meinung, dass er nicht zu ihr gewandt ging, sondern an der anderen Seite, aber hundertprozentig sicher sei sie sich nicht. Sie sei zur Rechten an ihm vorbeigegangen, so B. auf Frage. Sie glaube, dass das Fahrrad zu ihrer Seite gewesen sei, weil sie alles sehr gut habe sehen können. Götzl fragt nach der Kleidung des Mannes. Sportkleidung, eine Radlerhose, Dreiviertel oder lang, und T-Shirt auf jeden Fall, so B.: „Es war sehr heiß an dem Tag. Und Käppi und Turnschuhe. Ich hab mich mehr auf das Fahrrad konzentriert in dem Moment, weil es so merkwürdig war.“

Götzl fragt nach dem Weg, den B. genommen habe und der Örtlichkeit, an der B. dieser Mann entgegengekommen sei. B.: „Das ist eigentlich ein unwegsames Gelände, so ein Brachland, das nicht genutzt wird. Das ist eine Abkürzung.“ Da sei auch das Tor, das nicht verschlossen gewesen sei, aber verschlossen werden könne. Sie habe ihr Auto auf dem Parkplatz geparkt, deswegen habe sie diese Abkürzung genommen. Da müsse man bei der Straßenbahnlinie 4 zweimal durch ein Drängelgitter. Sie habe nicht erkennen können, ob der Mann aus Richtung dieses Drängelgitters gekommen sei oder von geradeaus. Das Gelände sei groß und, weil das eine leichte Kurve sei, habe sie ihn da erst gesehen. Das „Kieser-Training“ sei auf der Schanzenstraße, so B. auf Frage. Götzl fragt, wo sich das befinde, wenn man aus der Keupstraße komme. Rechts, so B., da würden sich große Firmengebäude befinden. Götzl fragt, ob B. damals eine Skizze in Augenschein nahm, eine Zeichnung gefertigt habe. Sie sei nach ein paar Tagen mit zwei Beamtinnen nochmal da gewesen, so B., und sie hätten das nachgestellt: „Ich sollte angeben, wo ich den ersten Blickkontakt hatte.“ Dann nimmt B. eine Internet-Karte der Gegend mit eingezeichnetem Weg und einem Kreuz in Augenschein und erläutert ihren Weg. Sie zeigt, wo der „Trampelpfad“ beginnt, dann sei da eine leichte Biegung und es sei zugewachsen, deshalb habe sie den jungen Mann erst recht spät sehen können. Götzl: „Haben Sie das Kreuz damals eingezeichnet?“ Davon gehe sie aus, so B.

Auf Frage sagt B., dass sie ihr Fahrzeug an der Berliner Straße auf dem Parkplatz geparkt habe. Götzl fragt nach den zeitlichen Angaben 14:30 Uhr und 15 Uhr. Ihre Filiale schließe um ein Uhr, so B., sie habe noch diverse Arbeit verrichten müssen und sei gegen Zwanzig nach Eins ins Studio gegangen. Sie trainiere immer 40 Minuten und sei sofort zurückgegangen, das seien ca. 5 Minuten Fußweg. Vorhalt aus der Vernehmung von B. am 11.06.2004: An diesem Mittwoch war ich zum Training bei Kieser; von dort aus bin ich gegen 15:05 Uhr nach rechts raus und über die Schanzenstraße rechts zur Haltestelle … wo die Schanzenstraße rechts … Markgrafenstraße. Götzl: „Diese Zeitangabe ist sehr exakt.“ B.: „Ich kann es jetzt nicht mehr so genau sagen, ich weiß nicht mehr, wann ich den Arbeitsplatz verlassen habe. Es mag sein, dass es etwas später war. Aber es war nicht wesentlich später oder früher.“ Götzl: „Haben Sie eine Erinnerung, warum sie so eine Minutenangabe gemacht haben?“ B.: „Nein, aber ich denke, dass ich es damals noch eher wusste.“ Vorhalt: An die Uhrzeit 15:05 Uhr kann ich mich deshalb erinnern, weil ich immer Einheiten von zwei Minuten mache, da hängen an allen großen Geräten Uhren wie am Bahnhof. Da lese sie es ab, so B.: „Ich hätte das recherchieren können, denn bei Kieser loggt man sich ein und aus, aber ich habe das nicht gemacht.“ Vorhalt: Ich war bei der letzten oder vorletzten Trainingseinheit gegen 14:50 Uhr, dann habe ich mich ausgeruht, so dass ich gegen 15:05 Uhr das Fitnesscenter verlassen haben sollte. B.: „Ist möglich, kann ich mich aber jetzt nicht mehr festlegen.“

Zur Farbe des Rades sagt B., es sei silberfarben gewesen und habe einen schwarzen, gebogenen Lenker gehabt. Götzl fragt nach der schwarzen Box auf dem Gepäckträger. Das sei eine gewölbte gewesen, wie eine Motorradbox, für ein Fahrrad schon relativ groß, sagt B.: „Ist mir jedenfalls aufgefallen.“ Götzl fragt nach der Statur des Mannes: B.: „Schlank, sportlich sah er aus.“ Sie verneint, dass ihr mal ein Vergleichsrad vorgelegt oder gezeigt worden sei. Vorhalt: Heute wurde die obengenannte Zeugin an ihrer Wohnanschrift aufgesucht, ihr wurde ein Bild eines Vergleichsfahrrads vorgelegt. B.: „Als Bild ja, aber nicht als Original.“ Es sei relativ identisch mit dem Rad ihres Mannes gewesen, das im Keller gestanden habe. Götzl fragt, ob es ein Herren- oder Damenrad gewesen sei. B.: „Kann ich nicht genau sagen.“ Vorhalt: Frau B. legte sich nicht fest, ob es sich bei dem abgebildeten Rad um ein Baugleiches handelte, aber von der Art her sei es ähnlich, sie sei sich nicht sicher, ob es ein Herrenrad war, wiederholte aber, dass das Rad sehr gepflegt oder neu war. B.: „Ja.“ Vorhalt: Es könnte sein dass der Mann eine Kappe getragen hat, das Gesicht konnte ich relativ gut sehen, wenn er eine Schirmkappe getragen hätte, wäre das nicht so gewesen. B.: „Das hat sich für mich im Nachhinein durch das Foto mit Käppi bestätigt. Vorhalt aus einer späteren Vernehmung: An die Kopfbedeckung kann ich mich nicht erinnern; da ich keine Haarfarbe und Frisur in Erinnerung habe, kann ich mir vorstellen, dass er eine Kopfbedeckung getragen haben könnte, aber das kann ich nicht mit Gewissheit sagen. B.: „Ja.“

Vorhalt: Mir werden jetzt Videosequenzen vorgespielt; ich bin mir ziemlich sicher, dass die Person in der ersten Videosequenz die Person ist, die ich auf dem Fußweg gesehen habe, das Fahrrad mit dem Lenker, die enganliegende Radhose sowie seine schlanke Statur. B. bejaht das. Auf Frage, ob sie sich an die Farbe des T-Shirts erinnere, sagt B., sie sei sich ziemlich sicher, dass es blau war, ob dunkel oder hell wisse sie nicht, und die Hose habe eine andere Farbe gehabt. Vorhalt: Ein bläuliches T-Shirt. B.: „Ja.“ Götzl sagt; eben habe B. gesagt, dass sie, als sie die Presseveröffentlichung gesehen habe, sicher gewesen sei, dass es Böhnhardt gewesen sei damals. B.: „Ja.“ Vorhalt aus der zweiten Vernehmung: Aufgrund dessen, dass ich mit der Person nur so kurzen Blickkontakt hatte, schließe ich aus, dass ich denjenigen wiedererkennen könnte. B.: „Ja. Da kommt natürlich die Sorge dazu, dass, wenn man jemand erkennt, dass man den wirklich hundertprozentig wiedererkennen muss, dem bin ich ein bisschen ausgewichen.“ Zu dem Zeitpunkt sei sie davon ausgegangen, dass die Täter leben und eines Tages ihr gegenübergestellt werden: „Aber die Reaktion, die bei mir emotional ausgelöst wurde, als ich das Foto gesehen habe, die war halt so.“

Götzl: „Hat denn der Mann außer dem Fahrrad sonst noch was mit sich geführt?“ B. verneint das, sie könne sich erinnern, dass er beide Hände am Lenker hatte und etwas vornübergebeugt ging. Deswegen habe sie die Größe nicht so einschätzen können, durch die gebeugte Haltung. Vorhalt: Der Mann kam mir in der Kurve entgegen. Ich bin mittig auf dem Weg gegangen und er mit dem Fahrrad von mir aus gesehen links, ich hab nicht sehen können, woher der Mann kam. B.: „Ja.“ Vorhalt: In dem Video schiebt er das Rad auf der anderen Seite, als ich das eigentlich vom Fußweg in Erinnerung habe, aber vielleicht kann ich mich da getäuscht haben; mir ist auch die markante Tasche nicht aufgefallen, ich bin nicht sicher. B.: „Ich bin jetzt der Meinung, dass man mir das Video vom anderen Mann gezeigt hat. Da war am Anfang ja nicht klar, dass es überhaupt zwei Männer waren. Ich glaube, dass es der andere war, den man mir gezeigt hat. Denn an diese Tasche, weil ja, wie gesagt, hinten die Box drauf war, kann ich mich nicht erinnern.“

OStAin Greger: „Sind Ihnen in dem Zusammenhang noch weitere Personen aufgefallen?“ B.: „Nein, nein, er war also ganz allein. Mir war das auch ein bisschen unheimlich da in dem unwegsamen Gelände, da wird manchmal gedealt, in den Ecken stehen schon mal Personen, die mir früher mal aufgefallen waren, deswegen bin ich da ziemlich aufmerksam gegangen.“ NK-Vertreter RA Reinecke fragt, welche Lichtbildmappen B. vorgelegt worden seien. Mehrere Ordner, so B. Reinecke: „Gab es da was Verbindendes?“ B.: „Kann ich nicht sagen, nach welchem System da Bilder gezeigt wurden.“ Reinecke fragt, ob B. gefragt worden sei, ob die Person vielleicht türkisch oder kurdisch war. B.: „Bin ich gefragt worden. Und ich habe gesagt, vom rein Äußerlichen würde ich nicht sagen, dass der türkisch oder kurdisch war. Ich hatte durch meine Tätigkeit sehr viel mit türkischen und kurdischen Kunden zu tun und hatte da schon einen Blick dafür, glaube ich zumindest.“ Reinecke: „Ist Ihnen im Hinblick auf die sommerlichen Temperaturen beim Täter was aufgefallen?“ B.: „Nein, der Täter wirkte ein bisschen geschwitzt oder angespannt, das Gesicht gerötet.“ Reinecke: Ich meine gelesen zu haben, dass Ihnen aufgefallen war, dass der Täter nicht verschwitzt war.“ Schweißränder oder ein nasses T-Shirt habe sie nicht erkannt, so B. dazu. RAin Lunnebach hält vor: Ich arbeite schon 13 Jahre an der Sparkasse Mülheim und kann die Nationalität aufgrund des Äußeren gut einschätzen; ich schließe einen Türke aus; ich meine, eher ein Osteuropäer, einen Italiener, Jugoslawen, Albaner; einen Deutschen schließe ich aber auch nicht aus. B.: „Ja.“

Nach einer Pause folgt um 10:52 Uhr der Zeuge Alexander P. Er berichtet zum 09.06.2004, dass er damals Beobachtungen gemacht habe im Bereich Keupstraße: „Beobachtungen ist gut. Ich hatte zum Zeitpunkt ein Motorrad abholen wollen bei der Firma „Zweirad Jung“ an der Ecke Keupstraße.“ Er habe mit dem Monteur gesprochen. Vier Wochen zuvor habe man bei einem Verkehrsunfall versucht, „mich unter einen LKW zu schieben“. Er sei da mit einer Leihmaschine gewesen und habe klären wollen, wann er endlich sein Motorrad abholen könne. Während des Gesprächs habe es eine richtige Detonation gegeben. Der Boden habe vibriert und der Monteur habe gesagt: „Was war das jetzt? Ich sagte: Das war ein richtiger Knall. Und er sagte: Das war mehr als nur ein Knall. Er meinte, da ist wohl eine Bombe losgegangen.“ Er habe sich verabschiedet, aufs Motorrad gesetzt, seinen Helm und seine Handschuhe angezogen: „In dem Moment kommt ein Fahrradfahrer, wie von der Tarantel gestochen. In einem riesigen Bogen, eigentlich viel zu schnell. Er versuchte die Fliehkraft aus der Kurve zu drücken in Richtung meines Motorrads. Und ich musste das Motorrad rechts rüber und da zog er so an mir vorbei. Ich rief ihm noch nach: Hey Du … Das sage ich jetzt lieber nicht.“ Er habe den genau gesehen, gut visualisiert. Er sei Richtung Nippes gefahren.

Als er unter der Dusche gestanden habe, habe ihn seine Lebensgefährtin angerufen. Das Telefon habe gar nicht aufgehört. Als er ran gegangen sei, habe seine Freundin gesagt: „Du lebst, du lebst. Da war ein Terroranschlag in der Keupstraße, da ist eine Bombe hoch gegangen. Ich sagte, den Knall hab ich mitbekommen, aber das ist 400 Meter weg.“ Er habe mit seiner Freundin diskutiert, habe dann die Polizei angerufen und die habe fünf Minuten später vor der Tür gestanden und in Kalk habe er nach sechs Stunden Wartezeit die gleiche Aussage gemacht wie jetzt auch. Götzl bittet P., den Fahrradfahrer zu beschreiben. Vom Alter her könne er den nicht beschreiben, so P., weil der die Panik im Gesicht gehabt habe, in sein Motorrad reinzufahren [phon.]. Der habe Käppi, Dreiviertelhose getragen, Satteltasche: „Ich habe immer zwei Satteltaschen und der hatte nur eine. Auf der Seite, mit der er mich fast crashte.“ Die Aussage habe er abends um elf Uhr dann auch getätigt. Und später sei der durch die Medien gelaufen, der Fahrradfahrer, den er bildlich beschrieben habe: „Und ich habe nichts mehr gehört und mich gewundert. Und es hieß: Sind Sie sich sicher, dass es ein Deutscher war, könnte es nicht ein Türke sein. Und ich sagte: Ja, das war kein Türke, war ein deutscher Fahrradfahrer, das konnte man eindeutig sehen, allein vom Haarwuchs.“

Götzl fragt, was P. gedacht habe, als er den in den Medien gesehen habe. P.: „Ich dachte, mein Gott, das war einer von denen, die das initiiert haben.“ Götzl fragt nach weiteren Erinnerungen. P. sagt, er sei nicht im visuellen Bereich gewesen, er sei eigentlich in einem anderen Bereich gewesen, er habe das nur akustisch mitbekommen und gefühlstechnisch, diese Erschütterung, und dann, dass der ihm fast ins Motorrad reingefahren sei. Götzl: „Wohin ist der Radfahrer gefahren?“ Der sei vom Clevischen Ring rechts gefahren [phon.], so P. Da sei „Motorrad Jung“ und hinten habe der die Garagen. In dem Bereich habe er, P., gestanden. Und genau in die Straße sei der rein. Götzl fragt, ob P. sich an den Namen der Straße erinnere. P.: „Nee, vielleicht Graf-Mark-Straße?“ Vorhalt aus P.s Vernehmung: Als ich aufsteigen wollte, sah ich den Radfahrer aus der Keupstraße um die Ecke zur Markgrafenstraße geflogen kommen; er fuhr in einem extrem zügigen Tempo und ich hatte Angst dass er mir gegen das Motorrad fuhr. P.: „Korrekt, es ist zehn Jahre her, ich bin ja schon ein alter Mann. Vorhalt: Männliche Person, vermutlich Deutscher. P.: „Mag sein, dass ich das damals so gesagt habe. Götzl: „Verbinden Sie das mit irgendwelchen Beobachtungen?“ P.: „Am Tag drauf, im Express, diese Aufnahme, da sagte ich: das isser.“ Götzl erwidert, P. rekurriere jetzt auf Veröffentlichungen am nächsten Tag, aber die Vernehmung sei bereits am 09. gewesen. P.: „Richtig. Ja, okay, verhärtet hat sich das erst tags drauf, da muss ich Ihnen Recht geben.“

Götzl hält vor, dass es in der Vernehmung zum Alter heiße: 45 bis 55 Jahre. Da habe er sich auch seine Gedanken drüber gemacht, so P., es sei dann, wie gesagt, nichts mehr gekommen und Menschen in solchen Situationen seien extrem gestresst und würden schwer schätzbar aussehen. Vorhalt: Ca. 75 bis 80 kg. P.: „Ja.“ Zur Statur sagt er, der sei drahtig und fit gewesen, durchtrainiert, habe einen definierten Körperbau gehabt. Vorhalt: Trainiertes Äußeres. P.: „Ja, genau.“ Die Haare habe man schlecht erkennen können wegen der Kappe und dunkler Sonnenbrille. Vorhalt: Gräulich meliertes Haar. P.: „Die kamen irgendwie hier so raus.“ Vorhalt: Brille mit goldfarbener Fassung und optischen Gläsern. Das seien tönbare Gläser gewesen, so P., keine normale Sonnenbrille. Vorhalt: Eher als gutsituiert einzuschätzen. P. sagt, es sei ein gutes Fahrrad gewesen, er achte als Fahrradfahrer auf den Gesamtzustand: „Die eine Satteltasche, die da dran war, hab ich selber, die ist hochwertig.“ Das Rad habe einen Nabendynamo gehabt. Götzl fragt nach weiteren Details zum Rad. P.: „Ein Hochwertiges. So dass man mit einer sehr hohen Geschwindigkeit die Balance um die Ecke halten kann.“ Vorhalt: Herrenrad, Trekking-Auführung, mit Gepäckträger. P.: „Und in Fahrtrichtung links hing die Satteltasche, schwarz zum Einklinken.“ Vorhalt: In Fahrtrichtung rechts eine kleine, auffällig rote Tasche. P.: „Nee, rot? Habe ich da rot gesagt?“ Es sei zehn Jahre her, so P.

Vorhalt: Das war meines Erachtens definitiv keine übliche Gepäcktasche. P.: „Richtig, keine Einfachgeschichte von Aldi, Lidl, das war eine hochwertige Tasche, 99 Euro von Ortlieb.“ Götzl fragt nach der Kleidung des Radfahrers. P.: „Trekkinghose, T-Shirt, Kappe und Sandalen. Es war ja warm an dem Tag.“ Vorhalt: Helles kurzärmeliges, längs gestreiftes Oberhemd (schmale Streifen), helle Trekking-Cargo-Hose. P.: „Ja, wo mehrere Taschen dran sind.“ Götzl: „Haben Sie noch eine Erinnerung an das Hemd?“ P. sagt, wenn er Hemd gesagt habe, dann sei das auch ein Hemd gewesen, er sei sich jetzt nicht mehr so sicher, es sei zehn Jahre her. Vorhalt: Helle Cargo-Hose mit abzippbaren [phon.] Beinen. P.: „Ja, denn ich habe von Camel auch so eine Hose, da hängen die Zipfelchen vom Reißverschluss rechts und links. Vorhalt: Hosenbeine endeten unterhalb des Knies. P.: „Richtig. Eine Dreiviertelhose endet ja unter den Knien. Vorhalt: Und Schuhe, die ich nicht näher beschreiben kann. P.: „So Art Römersandalen oder so.“

RA Reinecke: „Diese Straße, die Markgrafenstraße, wissen Sie wo die weiter hinführt?“ P.: „Im Prinzip nachher auf den Clevischen Ring. Das ist eine Einbahnstraße. Wenn man zu „Jung“ hinten an die Garagen will, muss man über den Clevischen Ring rechts und wieder rechts. Wo die ansonsten verläuft, kann ich nicht sagen.“ Reinecke: „Zur Haltestelle Von-Sparr-Straße?“ P. sagt, er sei kein Bahn- oder Busfahrer. Reinecke fragt, ob P. weiß, wo der Radfahrer hin ist. Der sei, wie gesagt, blitzartig vorbei gewesen: „Ich habe dem noch schmutzige kölsche Worte hinterhergerufen, dann war der weg, nicht mehr in meinem Blickbereich.“ Er sei dem später mal nachgegangen, da könne man, wenn man die Strecke kennt, schnell abbiegen. Reinecke: „Ist da ein Parkplatz vom Aldi?“ P.: „Kann ich nicht sagen.“ Reinecke fragt, ob P. nur einmal vernommen worden sei. Einmal, an dem Abend, so P. Er bejaht die Frage, ob er erwartet habe, nochmal befragt zu werden, nachdem das Bild in der Zeitung gewesen sei: „Aber da ist nichts mehr gekommen.“ Reinecke: „Als das Foto in der Zeitung war, da dachten Sie, das war die Person?“ P.: „Exakt.“ Das sei im „Express“ gewesen, so P. auf Nachfrage.

RA Narin: „Wurden Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt mal Videoaufnahmen vorgespielt?“ P.: „Negativ. Da bin ich eben schon vor der Tür drauf angesprochen worden.“ Er habe auch gedacht, er sei auf dem falschen Schirm [phon.], weil er bei seiner Vernehmung nach seiner politischen Ausrichtung gefragt worden sei, und was er da überhaupt zu suchen hätte: „Ich sagte: Ich gebe nur kund, was ich gesehen habe und jetzt werde ich behandelt, als wäre ich der Bombenleger. Das Gefühl hatten viele an dem Abend.“ Er sei ja auch Rettungssanitäter. Und da hätten die ganzen Geschädigten gesessen. Da habe einer, ein türkischer Landsmann, eine blutende Wunde gehabt, dem habe er „ein Pflästerchen“ geklebt, wisse er noch, und der habe das Gleiche gesagt: „Ist doch nicht normal, die unterstellen uns, wir hätten was damit zu tun.“ Er sei auch abgeholt von der Polizei, habe aber nachts um Zwei schauen müssen, wie er heimkomme. Götzl sagt, hier sei als Beginn 21:20 Uhr und als Ende 22:51 Uhr aufgeführt. Das sei richtig, so P., er sei aber schon um 18 Uhr abgeholt worden. Auf Vorhalt, er habe von 2 Uhr gesprochen, sagt P.: „Subjektiv wahrgenommen, gefühlt. Entschuldigung.“ Götzl sagt, er sei aber schon interessiert, dass P. wahrheitsgemäß berichte und fragt, ob die Angaben durch die Polizei eingeflossen seien in das Protokoll, dass er behandelt worden sei, als sei er der Bombenleger. Das könne er nicht sagen, so P. Auf Frage, ob er das Protokoll unterschrieben habe, sagt P.: „Ich habe was unterschrieben, richtig, ja.“

Es folgt die Einvernahme des Zeugen [U], der mit seinem RA Mohammed und dem Dolmetscher am Zeugentisch Platz nimmt. Zunächst wird der Dolmetscher noch einmal vereidigt, weil er nun aus dem Arabischen übersetzt. [Wir geben hier die Angaben von [U] wieder, wie sie vom Dolmetscher aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt wurden.] [U] berichtet: „Ich war vor dem Geschäft. Es kamen Kunden. Sie haben mich gebeten, mit reinzukomen. Sie haben mich gebeten, Kebap zuzubereiten. Ein Mitarbeiter war da, der Döner zubereitete, ich habe den Kebap zubereitet. Da kam es zu einem Knall. Der Kunde hat mich gefragt: Ist die Gasflasche bei Dir explodiert? Nein, habe ich gesagt. Der Mitarbeiter hat sich auf den Boden geworfen. Fensterscheiben sind kaputt gegangen und Nägel sind ins Geschäft reingeflogen. Da haben wir laute Schreie gehört. Wir sind hinausgegangen und es hieß, jemand hat einen Bombe geworfen. Und wir haben einen Mann gesehen, der am Brennen war. Dann hat man dieses Feuer gelöscht. Dann kamen die Journalisten und die anderen.“ Sie seien bis 23 Uhr befragt worden, so [U] weiter, sie hätte das Geschäft zugemacht. Dann habe ihn seine Tochter abgeholt. [U] verneint, bei dem Geschehen verletzt worden zu sein. Der Mitarbeiter sei ein wenig verletzt, der habe sich zu Boden geworfen. Götzl: „Wo wurde er verletzt?“ [U]: „Am Bein, ich weiß es nicht genau.“

Götzl: „Und von den Kunden wurde keiner verletzt?“ [U]: „Nein.“ Götzl sagt, es gehe ihm nun um Positionen, wo sich [U] genau aufgehalten habe, wo der Mitarbeiter und wo die Kunden. [U]: „Ich war vor dem Geschäft draußen. Dann kamen die Kunden. Ich ging mit den Kunden ins Geschäft hinein, sie verlangten Kebap, ich habe das zubereitet und hingelegt.“ Der Mitarbeiter sei bei dem Döner gewesen: „Hier ist der Dönerstand und hier die Stelle, wo man Kebap zubereitet.“ Götzl fragt, wie weit der Bereich, wo der Mitarbeiter war, entfernt sei von Schaufenster, Außenwand, Türe: [U]: „Ungefähr ein halber Meter Abstand zwischen Dönerstand und Schaufenster, ungefähr.“ Götzl: „Und der Ort, an dem Ihr Mitarbeiter war, als der Knall erfolgte, war das an dieser Position?“ [U]: „Er stand neben dem Döner und hat sich in meine Richtung hingeworfen.“ Er selbst habe sich zum Zeitpunkt des Knalls neben der Kebap-Zubereitungsstelle aufgehalten, so [U] auf Frage. Seine Entfernung von der Außenwand, vom Schaufenster, sei eineinhalb Meter oder zwei Meter gewesen. Götzl: „Und ich muss nachfragen: Der Mitarbeiter ein halber Meter entfernt zur Außenwand?“ [U]: „Er war einen halben Meter entfernt.“

Götzl: „Sie hatten geschildert dass sich Nägel im Geschäft befunden hätten, wieviele und in welchem Bereich?“ [U]: „Durch das Schaufenster und in Richtung des Dönerstandes, neben dem Dönerstand in die Wand rein. Und vor dem Geschäft, wo ich vorher stand, dort sind auch Nägel eingeschlagen, gegen die Glasscheiben und flogen auch hinein.“ Götzl: „Bis zu welcher Entfernung lagen Nägel in Ihrem Geschäft?“ [U]: „Gegen die Wand haben Sie eingeschlagen. Aber wie weit sie ins Geschäft hinein eingedrungen sind, weiß ich nicht. Ich war sowieso unter Schock.“ Auf Nachfrage nach dem Schock sagt [U]: „Ich hatte Angst.“ Im Folgenden schildert [U] Beschwerden am Ohr, die er seitdem bis jetzt habe, und die Behandlung. Er wisse nicht mehr, wann und wie oft er beim Arzt gewesen sei, er sei nicht gleich nach dem Vorfall beim Arzt gewesen, er entbinde seine Ärztin von der Schweigepflicht. Vorhalt aus der Vernehmung von [U] durch das BKA 2013: Mein Mitarbeiter wurde nicht von einem der Nägel, sondern von einem Glassplitter getroffen. [U] bejaht das. Götzl: fragt, ob [U] das gesehen habe. [U]: „Er war doch neben mir.“ Auf Frage sagt [U], er wisse nicht, wo der Mitarbeiter getroffen worden sei. Götzl: „Wie können Sie dann wissen, dass er von einem Glassplitter getroffen wurde? Sie müssen dann doch eigentlich die Stelle nennen können.“ [U] sagt, der Mitarbeiter habe ihnen gesagt, er sei von der Glasscherbe getroffen worden. Götzl: „Also eine Äußerung Ihres Mitarbeiters?“ [U] bejaht das.

NK-Vertreter RA Kuhn: „Erinnern Sie sich, ob Sie im Jahr 2004 unmittelbar nach der Tat von der Polizei befragt worden sind?“ Das verneint [U]. Kuhn sagt, in einer Altakte seien die Personalien von [U] angeführt und da solle [U] angegeben haben: Er glaube, dass es sich um einen Anschlag gegen Türken im Allgemeinen handelt, ohne das näher ausführen zu können. [U]: Ich habe sowas nicht gesagt.“ Der SV Mölle: „Zu den Nägeln: Können Sie ungefähr sagen, wieviele Nägel Sie gesehen haben, außerhalb wie innerhalb des Ladens?“ [U]: „In der Nähe ungefähr sieben Nägel.“ Mölle: „Im Laden oder außen?“ [U]: „Kann ich nicht genau sagen, sowohl innerhalb als auch außerhalb, aber ich habe ungefähr 7,8 Stück gesehen. Dann kamen die Journalisten rein und haben Fragen gestellt.“ Mölle: „Haben Sie beobachtet, ob ein Nagel richtig in der Wand dringesteckt war?“ [U]: „Der Nagel war gegen die Wand geschlagen und runtergefallen, innerhalb des Geschäftes.“ Mölle: „Also, man hat ein kleines Loch gesehen an der Wand?“ [U]: „Ja.“ Es folgt die Mittagspause bis 13:15 Uhr. Danach sagt Götzl in Richtung von SV Mölle in Bezug auf dessen letzte Frage, dass er keine Vorgaben machen, sondern offen fragen solle.

Dann folgt der Zeuge [V], der mit seinem RA Schulz und dem Dolmetscher am Zeugentisch Platz nimmt. [Wir geben hier die Angaben von [V] wieder, wie sie vom Dolmetscher aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzt wurden.] Er berichtet: „Die Geschäfte liefen an dem Tag nicht so gut. Wir waren drei Freunde draußen. Wir unterhielten uns draußen, kamen dann hinein. 45, 50 Sekunden später, nachdem wir ins Geschäft hineingetreten waren, haben wir die Explosion gehört. In dem Moment haben wir uns zu Boden geworfen. Das war ein fürchterlicher Knall, so dass ich ihn in meinem Körper gespürt habe. In dem Moment ging mein Hörvermögen weg. Langsam kamen Stimmen, schreie von draußen. Ich wollte mich zusammenraffen, aber habe gedacht, es könnte noch ein Bombe explodieren, deshalb bin ich liegengeblieben. Unsere Schaufensterscheiben, insgesamt 6,5 Meter groß, sind alle zu Bruch gegangen.“ Die Gegenstände im Schaufenster seien überall verteilt gewesen, so [V] weiter. Der Frisörladen sei etwa 17 Meter von ihnen entfernt, frontal: „Ich habe mich dann zusammengerafft und hinausgeschaut. Die Menschen schrien laut, sie waren blutüberströmt. Es kam eine Wolke Rauch, die die ganze Straße befallen hatte. Das was ich gesehen hatte, war wie ein Erdbeben von sechs, sieben Grad. Die Schaufensterscheiben waren zu Bruch gegangen, die Türen der anderen Geschäfte waren kaputt gegangen. An den Fahrzeugen waren überall Nägelspuren.“

Vor dem Frisörladen seien Menschen gewesen, die laut geschrien hätten, blutüberströmt gewesen seien: „Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, dann kamen die Ambulanzfahrzeuge, die Polizei. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie ein wenig später eingetroffen sind. Sie versperrten die Straße und erlaubten uns zwei Tage nicht, unsere Geschäfte zu betreten. Wir haben versucht, das Ganze aufzuräumen. Dann kamen Zivilbeamte, fragten uns: kann es Mafia gewesen sein, kann es sich um Schutzgelderpressung handeln, kann es PKK, Hizbullah sein. Sie kamen ein zweites Mal, haben die gleichen Fragen gestellt. Also sie haben uns nicht in dem Moment gefragt: Wie ist ihre Situation, sind Sie in der Lage, einer Vernehmung zu folgen, wie war meine psychische Situation. Die Wirkung dessen war immer noch in meinem Körper, in meinem Geist. Meinem Neffen hab ich gesagt, er soll ihnen sagen: Warum schieben sie das auf die lange Bahn? Ich weiß doch, wer das gemacht hat, Rassisten, die Neonazis. Der Polizist hat dieses Zeichen gemacht: Psst. Schweige. Danach habe ich nicht mehr gesprochen. Die Verletzungen sind geblieben. “

Im Folgenden schildert [V] kurz seine Ängste und psychische Beschwerden. [V] weiter: „Trotzdem ging ich nicht zum Arzt, ich hatte Angst. Fünf Monate liefen die Geschäfte nicht, es kamen keine Kunden rein.“ Götzl: „Sind Sie denn vernommen worden von Seiten der Polizei?“ [V]: „Beim zweiten Mal habe ich das gesagt.“ Götzl: „Dann kommen wir zunächst zum ersten Mal, wann war das?“ [V]: „Ich habe ihnen gesagt, dass ich mich im Laden befand und dass ich den Vorfall erlebt habe. Er fragte mich: Haben Sie einen Verdächtigen, es kann sein, dass die Schutzgeld verlangen könnten, es kann sein dass das die PKK ist, die Hizbullah, haben Sie einen Verdacht auf andere Organisation. Ich sagte, ich habe überhaupt keinen Verdacht. Denn mit allen Inhabern in der Keupstraße besuchen wir uns gegenseitig, familiär. Bis jetzt gab es gar keine Situation, wo uns jemand unter Druck gesetzt hat.“ Götzl fragt, wann diese Vernehmung gewesen sei. [V]: „Ich kann mich momentan nicht genau erinnern, vier, fünf Tage nach dem Vorfall, glaube ich.“ Götzl: „Und was ist mit dem ‚beim zweiten Mal habe ich das gesagt‘ gemeint?“ [V]: „Also, im Hinblick auf die erste Frage habe ich diese Antworten der Polizei gegeben. Es kamen immer die gleichen Fragen. Sie haben immer andere beschuldigt, uns beschuldigt. Die Polizei hat mich hart behandelt, schlecht behandelt, obwohl ich dort der Geschädigte war.“ Götzl: „Das ist das eine, aber ich wäre schon dankbar, wenn Sie auf meine Fragen eingehen würden. Wann wurden Sie das zweite Mal vernommen?“ [V]: „Ich glaube zwei, drei Tage später, ich kann mich nicht genau erinnern.“

NK-Vertreter RA Narin sagt, er schlage vor, zwischen Befragung und Vernehmung zu differenzieren, da liege wohl ein sprachliches Missverständnis vor, das sei sprachlich im Türkischen anders. [V]: „Im Stehen haben Sie mir die Frage gestellt.“ Götzl: „Mir geht es einfach darum, wann Sie befragt wurden, und dann geht es mir um den Inhalt.“ [V]: „Als sie das erste mal in das Geschäft kamen, waren wir gerade beim Aufräumen. Sie haben stehend die Fragen gestellt. Beim zweiten Mal war es genauso, im Stehen, innerhalb des Geschäftes.“ Götzl: „Und wieviel Zeit lag zwischen dem ersten und zweiten Mal?“ [V]: „Ich weiß es jetzt nicht, zwei, drei Tage. In dem Moment konnte ich mich nur mit Mühe und Not nach Hause begeben, ich konnte nicht mit meinen Kindern, meiner Ehefrau reden zu dem Zeitpunkt.“ Götzl fragt, wer mit [V] im Geschäft gewesen sei oder im Bereich des Geschäftes. Zwei ältere Freunde seines älteren Bruders, so [V], die seien ab und zu gekommen und man habe sich unterhalten. Der eine sei bereits verstorben.

Götzl: „Zum Zeitpunkt der Explosion, wo haben Sie sich da genau aufgehalten?“ [V]: „Ich war mit einem Abstand von drei bis dreieinhalb Metern zum Schaufenster. Unsere Tür war offen, weil es im Juni war.“ Götzl fragt nach weiteren Verletzungen: „Ich sage mir manchmal, wenn ich doch körperlich verletzt worden wäre, dann hätte man sie durch Nähte oder anderweitig behandeln können.“ Aber das was er verloren habe, könne ihm niemand begleichen. Natürlich sei auch die Psyche der anderen Personen beeinträchtigt worden, so [V] auf Frage, er wisse nicht, ob die zum Arzt gegangen sind oder nicht. Er verneint, wegen seiner Hörprobleme beim Arzt gewesen zu sein, zwei Wochen später habe er wieder hören können, aber ab und zu habe er noch Schwierigkeiten. [V] schildert seine Hörprobleme nach dem Knall. Götzl: „Können Sie mir erklären, warum Sie sich nicht in ärztliche Behandlung begeben haben?“ [V]: „Ich hatte Angst.“ Götzl fragt, wovor. [V]: „Aufgrund des Verhaltens des Polizeibeamten, wie er mich so streng behandelt hat, sein Gesichtsausdruck, seine Blicke, wonach er mich als Beschuldigten gesehen hat.“ Der Beamte habe ihm die Fragen sehr streng gestellt. Götzl sagt, dann sei für ihn nachzuvollziehen, wenn [V] Schwierigkeiten mit der Polizei habe: „Aber wieso gingen Sie nicht zum Arzt?“ [V]: „Ich ging nicht zum Arzt, ich hatte Angst, denn ich habe mir die Freunde angeschaut, die zum Psychiater gegangen sind. Bei denen hat sich auch nichts geändert.“ Götzl: „Aber wir sprechen von den zwei Wochen, bei denen Sie die Beschwerden mit dem Gehör gehabt haben.“ [V]: „Ich hatte Angst.“

Er verneint, je beim Arzt gewesen zu sein wegen seiner Beschwerden mit dem Gehör. Auf Frage sagt [V], seine psychischen Beschwerden seien nach 2004 aufgetreten, früher habe er die nicht gehabt. Dann schildert er die Beschwerden genauer. Götzl: „Können Sie sagen, warum Sie keine therapeutische und ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben?“ Er habe mit anderen gesprochen, und gefragt, ob es denen genutzt habe, dass sie hingegangen sind. Die hätten gesagt, es sei noch mehr geworden. Götzl: „Diese Situation, dass Sie einem Polizeibeamten schilderten, sie wüssten, wer das gemacht hat und der hätte dann ‚Psst‘ gemacht. Wann ist das gewesen?“ [V]: „Bei der zweiten Befragung.“ Götzl fragt, ob [V] Auffälligkeiten beobachtet habe in der Zeit, bevor es zur Explosion kam. [V]: „Nein, die Straße war ruhig in dem Moment. Wir saßen sogar draußen, wir haben einen kleinen Hof, dort waren wir draußen.“

RA Schulz fragt, ob [V] nach der Explosion Nägel im Geschäft gefunden habe. [V] sagt, er habe zehn Nägel im Geschäft zusammengesammelt und draußen insgesamt [phon.] 50 Nägel [phon.]. Die seien verbogen gewesen, ca. 10 cm lang. Er habe sie in eine Tüte hineingetan und aufgehoben, aber jetzt wisse er nicht mehr, wo die sind: „Alle Nägel waren verbogen. Es war kein Nagel da, der gerade war.“ NK-Vertreter RA Hoffmann fragt, ob [V] an dem Haus außer den Fensterscheiben Schäden festgestellt habe. Neben dem Frisörgeschäft habe es an den Türen gebrochene Stellen gegeben, so [V]. Neben ihnen, drei, vier Meter weiter habe es bei der Konditorei einen Kleinbus gegeben, wo sie Kuchen geliefert hätten. Wenn dieser Wagen nicht dagewesen wäre, wäre es noch schlimmer gewesen, so [V] weiter. Das habe sie geschützt, gerettet: „Ich habe in der Umgebung des Fahrzeugs geschaut, an dem Kleinbus gab es viele Löcher.“ Auf Frage, ob der Kleinbus zwischen dem Laden von [V] und dem Frisör gewesen sei, wo die Bombe losgegangen ist, sagt [V], der sei nicht genau dazwischen gewesen, sondern zur Hälfte. Hoffmann fragt, was für Schäden am Haus gewesen seien. [V] sagt, die Fensterscheiben seien kaputt gegangen. Er habe das nicht genau gesehen, aber ihre Glasscheiben, acht Millimeter dick, sechseinhalb Meter Schaufensterscheiben waren ….“ [V] weiter: „Wenn wir von draußen nicht reingegangen wären, wären wir weg. Von den Nägeln. Ich habe 50 Nägel vor dem Geschäft gefunden. Und alle die reingekommen sind, müssen durch die Tür reingekommen sein.“

Hoffmann: „Befand sich über dem Schaufenster eine Reklameschild?“ [V] bejaht das. Hoffmann: „Waren daran Schäden?“ Er glaube ja, so [V], sie hätten Schrift gewechselt. Es seien Nägelspuren da gewesen, so [V] auf Nachfrage, der vordere Bereich sei von Nägeln getroffen gewesen und alle Nägel seien runtergefallen. Die Fensterscheiben seien derartig runtergefallen, so dass das Holz gelockert gewesen sei. Hoffmann: „Wo befand sich das Holz?“ [V]: „Im Schaufenster drin.“ Hoffmann fragt, ob oberhalb des Schaufensters weitere Schäden zu erkennen gewesen seien. [V]: „Kleine Brüche, Bruchspuren, das war aus Plastik, so in dieser Form, wir haben das ausgetauscht.“ Hoffmann: „Und in der Hauswand?“ [V] sagt, weil das aus Beton gewesen sei, habe er nichts feststellen können. OStA Weingarten: „Auf Frage von RA Schulz, ob es Nägel im Geschäft gegeben habe, gaben Sie eine Antwort, die ich, offen gesagt nicht ganz verstanden habe. Ich habe gehört, dass sie zehn Nägel im Geschäft gefunden haben.“ [V]: „Im Geschäft zehn.“ Weingarten: „Und dann nannten Sie noch eine Zahl.“ [V]: „Mit den Nägeln draußen zusammen, die ich draußen gesammelt habe.“ Auf Frage, wann er die aufgesammelt habe, sagt [V]: „Zu dem Zeitpunkt, wo das passiert war, wo die Scheiben zu Bruch gegangen waren, bin ich hinausgegangen und habe sie aufgesammelt.“ Auf Frage sagt [V], er habe sie in eine Tüte getan, es sei Jahre her, er wisse nicht mehr, wo sie sind. Weingarten fragt, ob [V] also die Nägel aufgesammelt habe, bevor Ambulanz und Polizei gekommen sind. [V]: „Natürlich, ich konnte ihnen das nicht zeigen, ich hatte Angst.“

Es folgt der Zeuge [W], der mit seinem RA Matt am Zeugentisch Platz nimmt. Der Dolmetscher setzt sich ebenfalls neben [W], übersetzt jedoch nicht. [W] berichtet: „Also ich war wie üblich auf der Arbeit, ich hab gegen 10 Uhr angefangen. Es war ein schöner Tag, ein sonniger Tag, ich habe auch schöne Laune gehabt. Gegen Nachmittag kam ein lauter Knall, wie ich ihn noch nicht gehört habe und in dem Moment war ich am Fenster. Ich war an der Straßenseite am Bedienen und mein Chef in der hinteren Seite. Ich hab mich reflexhaft gedreht, als es geknallt hat. Da habe ich eine Druckwelle hinter meinem Rücken gehabt und die Scheibe ist auf mich zugekommen. Ich bin drei, vier, fünf Meter auf dem Boden gerutscht. Nachdem ich aufgestanden bin, war ich schockiert, wusste nicht, was passiert ist. Der erste Gedanke: Die Gasleitungen sind explodiert unten. Dann bin ich neugierig geworden, wollte sehen, was da los ist, ob aus dem Keller Feuer oder Rauch kommt.“ Der eine habe Rauch, Qualm gehabt, einer habe eine schwere Verletzung gehabt. Er selbst sei schockiert gewesen. Er sei da hingelaufen, es seien noch Menschen im Frisörsalon gewesen. Er habe nach Wasser gerufen. Leute seien aus dem Frisörsalon rausgekommen. Er habe seine Schürze zerschnitten und versucht, bei dem einen Jungen gegenüber das Blut zu stoppen; auf eine offene Wunde habe er ein Tuch geschmissen [alles phon.].

Die anderen hätten den anderen mit Wasser gelöscht, der auf dem Boden gelegen habe: „Das war eine Katastrophe. Aber die ersten vier, fünf Minuten wusste ich ja nicht, dass es eine Bombe war, ich dachte an eine Gasexplosion beim Frisör. Aber dann sagten die Leute, Bombe, denn es hat nach Pulver gerochen, überall.“ Es sei alles kaputt gewesen, Ambulanz, Polizei, Bundespolizei seien auch da gewesen später. Die Verletzten seien mitgenommen worden, er sei zurückgegangen von der Keupstraße, denn es sei auch für ihn ein Schock gewesen. Er habe an der Seite gestanden, die Verletzten hätten die mit den Ambulanzen weggenommen, die Polizei habe eine Sperre gemacht, dass keiner reinkommt. Für die Spurensicherung hätten die noch eine Sperre gemacht. Nach zwei Stunden sei er in den Laden gegangen und sie hätten die Sachen aufgeräumt, und dann sei er von der Keupstraße weg gewesen. Auf Frage sagt er, er sei eigentlich nicht groß verletzt worden, aber nichts, wo er ins Krankenhaus gemusst habe.

Götzl: „Wie viele Personen waren in dem Bereich des Laden gewesen.?“ [W]: „Sechs, sieben Leute, die ich bedient habe.“ Götzl: „Wo hielten sich die einzelnen Personen auf?“ [W]: „Das ist eine längliche Theke und da gegenüber haben die gestanden. Das ist kein Restaurant, sondern ein Schnellimbiss.“ Auf Frage, wie weit weg von Außenwand, Schaufenster und Tür die Kunden gewesen sei, sagt [W]: „Die waren auch so einen Meter weg. Ich war ganz an der Scheibe, im Kassenbereich. Und wenige waren auch vor mir.“ Götzl: „Sind die Personen im Laden verletzt worden?“ [W]: „Ich glaube nicht, die sind alle rausgegangen. Als ich zurückkam, war keiner mehr da.“ Götzl: „Hatten Sie im Anschluss nach dem Ereignis irgendwelche Beschwerden?“ [W]: „Beschwerden nicht, aber natürlich habe ich ein paar Wochen Angst gehabt, denn wir wussten ja nicht, warum das gemacht worden ist. Dann kam ein Bild raus von einem Mann, der mit Fahrrad gekommen ist. Dann hatte ich immer Schiss, wenn einer mit dem Fahrrad gekommen ist. Das hat ein paar Wochen gedauert. Nach 2011 ist die ganze Angst bei uns rausgekommen. Denn nachdem rausgekommen ist, dass Leute erschossen werden, da habe ich mich beim Arbeiten immer gedreht um die Gesichter zu erkennen. So kleine Dinge hab ich gehabt, aber so große Dinge nicht.“ Auf Frage, ob er im Bereich des Ladens Nägel gesehen habe, sagt [W]: „Als wir aufgeräumt haben, habe ich nur einen Nagel gesehen, der reingekommen ist .“ Der sei im Laden gewesen, wo das Schaufenster war. Götzl: „Was ist mit dem Nagel geschehen, ist der aufbewahrt worden?“ [W]: „Nee, den hab ich weggeschmissen, den überall lagen Nagel.“ Der Nagel habe so zehn Zentimeter im Bereich des Schaufensters gelegen, als wäre der da reingekommen, so [W] auf Frage. OStAin Greger: „War Ihr Gehör beeinträchtigt?“ [W]: „Die erste Minute ja, aber nachher nicht.“ Greger: „Was haben Sie die ersten Minuten gehört?“ [W]: „Der Knall, der Druck, die Lautstärke, danach kommt nichts und dann nach ein paar Sekunden, einer Minute war das wieder okay.“

Es folgt die Zeugin [X], die mit ihrem RA Platz am Zeugentisch nimmt. Sie berichtet, sie habe wie jeden Morgen ihren Laden auf der Keupstraße geöffnet, 15, 16 Meter vom Frisörladen. Sie sei dann nach nebenan, um ihren Vater zu begrüßen, der sein Café gehabt habe: „Es war ein schöner Tag, ziemlich ruhig, ich habe drei, vier Kunden gehabt, denke ich.“ Nachdem sie Kaffee getrunken habe, habe sie sich an die Tür in den Rahmen gestellt. Ihre Freundin und Nachbarin sei vorbei gekommen. Das Telefon sei gegangen und sei seien gemeinsam in den Laden rein: „Sie hat sich auf einen Stuhl gesetzt, ich bin hinter die Theke. Dann habe ich das Telefongespräch beendet. Wir haben vielleicht zwei, drei Sätze geredet und dann ging der gigantische Knall los. Wir beide waren total schockiert und hatten das Gefühl, als würde die Straße nicht mehr existieren. Als würden wir als einzige in der Straße existieren. Aus Panik machte ich die Jalousien runter. Mein Vater kam angelaufen, um nach mir zu schauen.“ Sie hätten sich gegenseitig beruhigt. [X]: “ Dann realisierten wir erst, was passiert ist. Wir haben gemerkt, dass die Frontscheiben gebrochen waren und jede Menge Nägel im Laden. Dann kamen die Nachbarskinder runter, die hatten natürlich ganz viel Angst und haben geweint und musste ich die erstmal beruhigen. Letztendlich mussten wir aus dem Laden raus. Das sind so gebrochene Erinnerungen. Und dann war eine große Leere. Wir wussten nicht, was geschehen ist.“

Es sei ein Chaos gewesen, es seien Alarmanlagen losgegangen, blutende Leute, jeder habe geschrien und geweint: „Und nachher beim Aufräumen haben wir gemerkt, dass genau wo ich stand am Rahmen, drei Nägel eingeschlagen sind. Genau da, wo ich immer stand am Türrahmen. Das hat einen noch einmal richtig fertig gemacht.“ Sie sei körperlich nicht verletzt worden, so [X] auf Frage. Götzl fragt, ob die Frontscheibe des Ladens zerbrochen ist. [X]: „Die linke Seite war komplett weg. Und ich weiß gar nicht, wie viele Nägel ich im Laden hatte, ich habe sie nicht gezählt. Ich habe mir nur gemerkt, die drei Nägel, die genau wo ich stand eingeschlagen sind.“ Götzl fragt, wie es in der Zeit nach dem 09.06. für [X] war. [X]: „Vom körperlichen Zustand, dass man so eine Blockade hat, dass man nicht in den Laden will, das war bei meinem Vater sowohl als bei mir der Fall. Wir haben gekämpft, die Schäden zu beseitigen, mit den Versicherungen. Kundschaft blieb ganz weg. Jeder hat die Keupstraße gemieden. Meine Existenz litt darunter und ich musste Ende des Jahres dann meinen Laden schließen.“ Götzl fragt nach der genauen Position, als [X] den Knall wahrgenommen habe. [X]: „Im Verkaufsraum hinter der Theke.“ Die Frontscheibe sei zweieinhalb große Schritte weg von ihr gewesen: „Das war ein kleiner Laden.“ Sie habe hinter Theke gestanden, vorne links habe ihre Freundin vor der Theke gesessen. Soweit sie wisse, habe die keine Verletzungen erlitten. RA Hoffmann fragt, was „Nägel eingeschlagen“ bedeutet. Dass die Nägel eingeschlagen, abgeprallt und im Ladenvorraum zu erkennen gewesen seien, so [X]. Das sei ein weißer Kunststoffrahmen: „Da sah man die Einschläge.“ Es folgt eine Pause bis 14:49 Uhr.

Dann nimmt Zeuge [Y] mit seinem RA Buhlmann und dem Dolmetscher am Zeugentisch Platz. [Wir geben hier die Angaben von [Y] wieder, wie sie vom Dolmetscher aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzt wurden.] [Y] berichtet: „Ich kann Ihnen denjenigen Moment, den ich erlebt habe, hier jetzt nicht genau zum Ausdruck bringen. Man muss diesen Moment erlebt haben, um das richtig zu erzählen.“ Auf Frage, wo er sich aufgehalten, was er gemacht habe, sagt [Y]: „Ich habe mein Café. Auf beiden Seiten gibt es Fenster und durch die Mitte ist der Eingang. Wir waren bei dem Fenster auf der linken Seite, es ist drei Meter lang. Wir spielten gerade zu dritt, drei Freunde. Unser Spiel war zu Ende. Wir sind in den rechten Bereich gegangen. Ca. von der Stelle, wo wir waren, war dieser Bereich vier Meter entfernt. Zwei Minuten sind vergangen oder drei, ich weiß es nicht genau, dann kam es zu einem Knall. Der linke Bereich, wo wir uns vorher befanden, ist kaputt gegangen. Die Scheiben sind alle reingefallen. Und Nägel. Ich bringe es durcheinander ab und zu. Natürlich haben wir zunächst meine Kunden oder meine Freunde habe ich gefragt: Ist Euch etwas passiert? Ich habe festgestellt, es war nichts. Ich bin dann hinausgegangen zum Laden meiner Tochter. Ich fragte meine Tochter und habe festgestellt, dass sie auch in gutem Zustand war. Dann ging ich erneut auf die Straße und habe versucht, den Leuten auf der Straße zu helfen. Dann kam die Polizei, es kam die Ambulanz.“

Götzl: „Als Sie diesen Knall hörten, im rechten Bereich, mit dem Rücken zur Straße, wie weit waren Sie von der Außenwand entfernt?“ [Y]: „Vier, fünf Meter:“ Die Kunden, Freunde seien im gleichen Abstand gewesen, vielleicht einen oder eineinhalb Meter näher dem Fenster, auf dem rechten Bereich. Der Laden seiner Tochter sei direkt neben ihm gewesen, so [Y] auf Frage. Er bejaht, dass es sich bei seiner Tochter um [X] handelt. Götzl: „Wie ging es denn jetzt weiter, nach dem 09.06.?“ [Y]: „In Beschränknis.“ [phon.] Die Kundschaft sei weniger geworden: „Ich habe versucht, das Geschäft offenzuhalten so weit es mir möglich war, in der Hoffnung, dass es in Zukunft vielleicht besser werden würde. Aber es wurde nicht besser. Und ich habe es im Jahre 2013 geschlossen.“ Götzl fragt nach Beschwerden. [Y] schildert seine Beschwerden. Er habe das überwunden, fühle sich aber nicht gut, wenn er in diese Themen einsteige. Götzl fragt nach den Nägeln. [Y]: „Als die Polizeibeamten in den Laden kamen, haben sie jene Nägel mitgenommen. Ich habe die Nägel nicht an mich genommen, sondern den Polizeibeamten gezeigt, wo sich die Nägel befanden. Sie haben sie aufgesammelt.“ Götzl: „Bis zu welchem Bereich wurden Nägel aufgefunden im Café?“ [Y]: „Drei Meter vom Fenster aus, also mit drei Metern Entfernung gab es die Theke, dort waren also die Nägel angestoßen [phon.] und hinter die Theke gefallen.“ Götzl: „In welchem Bereich sind Glasscheiben geborsten?“ [Y]: „Innerhalb des Cafés.“ Natürlich seien alle Scheiben zu Bruch gegangen, so [Y] auf Frage: „Der linke Bereich ist komplett zu Bruch gegangen. Und die rechte Fensterscheibe, da entstand ein Riss. Und auch die Scheibe der Eingangstür in der Mitte ist kaputtgegangen.“

Es folgt die Zeugin [Z], die mit ihrem RA Heising und dem Dolmetscher am Zeugentisch Platz nimmt. [Wir geben hier die Angaben von [Z] wieder, wie sie vom Dolmetscher aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzt wurden.] Sie berichtet: „An dem Tag habe ich meine Tochter zum Unterricht gebracht und dort gelassen, Nachhilfeunterricht. Dann kam ich in den Laden, gegen 14, 15 Uhr, dort hatte meine Schwägerin die Kunden bedient. Es gab in dem Laden Kunden. Dann gab es auf einmal die Explosion. Unser Laden ist länglich und ich war auf der anderen Seite des Ladens. Meine Schwägerin war ein wenig im vorderen Bereich. Auf einmal kam es zum Knall. Ich dachte, dass es eine Gasexplosion war. Auf einmal bekamen wir Angst, meine Schwägerin rief zu mir: Ruf an. Aber ich konnte nicht anrufen, ich zitterte mit Händen und Füßen. Ich hatte Angst. Danach war überall Rauch in unserem Laden. Die Süßigkeiten im Laden sind auf den Boden gefallen, die Glasscheiben waren unten auf dem Boden. Ich habe auf dem Boden Nägel gesehen, viele Nägel. Zu dieser Zeit konnte ich mich nicht lange dort aufhalten, weil ich meine Tochter abholen musste. Deshalb konnte ich mich nicht länger im Laden aufhalten. Danach bin ich nach Hause gegangen oder gefahren.“

[Z] verneint, selbst verletzt worden zu sein, aber es habe sie stark beeinträchtigt. Als sie wieder diesen Ort betreten habe, habe sie immer gedacht: „Wird es noch einmal passieren, werde ich wieder diese Ängste erleiden?“ So eine Angst sei bei ihr entstanden. Götzl fragt, wie weit der Abstand zwischen der Schwägerin von [Z] und der Mauer, Straßenfront gewesen sei. [Z]: „Ein Abstand wie zwischen uns beiden.“ [Gemeint ist der Abstand zwischen Götzl und der Zeugin.] Götzl fragt, wie weit im Laden [Z] habe Nägel finden können. [Z]: „Ich stand ja im hinteren Bereich. Und bis dort hin kamen ja Nägel, bis dorthin habe ich sie gesehen.“ Götzl fragt, ob die anderen Personen im Laden verletzt worden seien. Die Schwägerin sei nicht verletzt worden, so [Z], aber psychisch beeinträchtigt. Die Kunden seien hinausgegangen. Auf Frage von Götzl gibt [Z] Auskunft über das, was sie zu den Beschwerden ihrer Schwägerin weiß.

Es folgt der Zeuge [S], der mit seinem RA und dem Dolmetscher am Zeugentisch Platz nimmt. [Wir geben hier die Angaben von [S] wieder, wie sie vom Dolmetscher aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzt wurden.] Er berichtet, er sei an dem Tag in die Arbeit gekommen, es sei Nachmittag gewesen. Ein Bekannter habe angerufen: „Lass uns meinen Wagen zu Mercedes in Ehrenfeld bringen, fahr mit mir zusammen dahin. Wir sind mit seinem Wagen zusammen dorthin gefahren, in die Werkstatt. Mercedes hat für uns ein Taxi bestellt, damit wir in die Keupstraße zurückkommen können.“ Auf dem Clevischen Ring habe es Stau gegeben. Er, [S] habe gesagt: „Lassen Sie uns hier aussteigen, das Wetter ist schön, wir gehen zu Fuß. Wir kamen also in Richtung Keupstraße.“ Gerade bei der Einmündung zur Keupstraße gebe es das Geschäft von [F]. Der habe dort auf dem Stuhl gesessen, sie seien dort hingegangen. Er selbst sei auf dessen linker Seite gewesen, und der Bekannte ihm, [S] gegenüber. [F] habe zwischen ihnen beiden gesessen.

[S] weiter: „Wir haben angefangen, untereinander zu reden. Es war ruhig. Ich schaute in die Richtung der Detonationsstelle. Schräg gegenüber. Auf einmal sah ich, wie das Haus in die Luft geflogen ist. Alle drei sind wir zu Boden gefallen. Danach standen wir auf, haben uns gefragt: Was ist passiert? Wir sagten, wahrscheinlich ist es unter dem Haus zu einer Gasexplosion gekommen. Wir schauten nach links und rechts, haben den Menschen die aus dem Frisörladen rausgekommen sind, geholfen. Die Haare von einen brannten, von [L]. Der andere blutete am Arm. Wir haben sie zur Seite gezogen und ihnen geholfen. Danach sagten sie, es kam zu einer Gasexplosion oder Heizungsexplosion. Aber danach haben wir gesehen: Überall waren Nägel.“ Genau an der Stelle, wo er gestanden habe, sei das Wasserrohr gewesen, in das Wasserrohr seien Nägel eingeschlagen.

Danach hätten sie sich mit [F] verloren, [F] sei ins Krankenhaus gefahren, so [S]. Er selbst sei in das Geschäft gegangen, wo er gearbeitet habe: „An unserem Café war nichts. Aber von der Stelle bis zur 62 waren alle Glasscheiben zerbrochen. Also, drei vier Minuten lang sind noch Nägel von oben runtergefallen. Danach kam die Polizei, die Ambulanz. Als ich zu Boden fiel, hatte ich starke Schmerzen am linken Ohr. Wir fragten: „Wer hat das getan. Sie sagten, die PKK oder islamische Terroristen oder Mafia wegen Geld, Schutzgeld. An dem Abend war niemand mehr da, es wurde versperrt alles, wir haben das Café geschlossen und sind nach Hause gefahren. Am zweiten Tag kam ich ins Café, da hat die Polizei jemand etwas gefragt. Also, zwei, drei Personen kamen von der Aussage zurück. Sie sagten: Die Polizei hat gesagt, sag die Wahrheit, du bist derjenige, der das gemacht hat, wir haben Beweismittel, was habt Ihr getan zu dem Zeitpunkt. Sie haben nicht normal gesprochen mit den Leuten, die zur Polizei gegangen sind, sondern als Beschuldigte: Du hast das getan, du weißt Bescheid wer das getan hat.“ Er habe den Besitzer des Frisörladens gefragt, was die Polizei gesagt habe, und der habe gesagt: „Die Polizei sagte: Ihr habt das getan wegen Mafia, die Türsteher kommen immer mit ihren dicken Autos um ihre Haare schneiden zu lassen. Ich sagte, lieber gehe ich zur Polizei. Weil die meisten haben gesagt, die PKK hat das getan. Und ich bin Kurde, könnte mir die Polizei vorwerfen, warum bist du nicht gekommen am ersten Tag. Weil ich ja den Vorfall gesehen habe, wie das passiert ist. Danach haben die Leute angefangen, nicht mehr dorthin zu kommen. Jeder hat einen angeschaut. Und wenn da einer war mit Fahrrad mit Box oder Motorrad, haben wir das verfolgt.“ Wenn an Mülltonnen altes Zeug zurückgelassen worden sei, habe man Verdacht geschöpft, so [S] weiter.

[S]: „Jeder hatte Verdacht gegen andere. Denn man sagte, einer von uns muss das getan haben, muss sich in der Straße ausgekannt haben. Der Innenminister soll das gesagt haben: Mit Sicherheit haben sie das gemacht.“ Er habe Schmerzen am Ohr gehabt, habe aber nicht zum Arzt gehen können. Zwei, drei Tage seien vergangen, die Schmerzen seien stärker geworden. [F] und sein Begleiter hätten schon angegeben, dass er da gewesen sei. [S]: „Ich sagte mir: Lieber sage ich momentan nichts, erst dann gehe ich zum Doktor, wenn die Polizei zu mir kam. Wenn ein Brief kommt oder geklingelt wurde, rannte ich gleich zur Tür und dachte, die Polizei kommt. Fünf, sechs Jahre, immer wenn ich die Polizei gesehen habe, bin ich auf den anderen Weg gegangen.“ In einem Haus sei von maskierten Polizeibeamten die Tür aufgebrochen worden: „Sie haben sein Haus überfallen. Sie sagten, das soll die PKK, die Kurden getan haben. Ich hatte Angst. Und im Jahre 2011 haben wir im Fernsehen gesehen, dass der Vorfall ans Tageslicht kam.“ Er sei dann wegen sein Probleme am Ohr zum Arzt gegangen, der habe ihm gesagt, dass es nicht besser werde. Auf Fragen von Götzl schildert [S] die Probleme und die Behandlung. Götzl: „Sie sagten, Sie hätten nach dem 09.06. Schmerzen gehabt, wie lange hat das gedauert?“ Circa eineinhalb Jahre, so [S], aber die ersten fünf Monate habe es ziemlich viel weh getan: „Ich ging zu Apotheken, die mir bekannt waren, und habe versucht mir selbst zu helfen. Ich habe mir gedacht: Wenn ich zum Arzt gehe, du hast in der Keupstraße gearbeitet, die Bombe, und das ist deswegen passiert und es heißt überall, die Kurden haben das getan. Du bist Kurde. Und ich habe mir gedacht, die würden der Polizei Informationen erteilen, so ein Patient ist zu uns gekommen. Ich ging deshalb nicht zum Arzt.“ Der Verhandlungstag endet um 15:43 Uhr.

Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert:
„Praktisch alle schilderten auch, dass sie von den eingesetzten PolizeibeamtInnen „wie Täter“ behandelt, immer wieder nach möglichen ‚Mafia‘-, PKK- oder Hizbullah-Verstrickungen gefragt worden seien, obwohl sie selbst deutlich angaben, dass dieser Bombenanschlag nur von Rassisten und Nazis stammen kann. Ein Zeuge berichtete sogar, ein Polizeibeamter hätte ihn mit einem Finger auf den Lippen und ‚Psst‘ aufgefordert, nichts mehr von Nazis und Rassisten zu erzählen.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/01/27/27-01-2015/

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