Protokoll 180. Verhandlungstag – 29. Januar 2015

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Am 180. Verhandlungstag geht es zunächst um eine DVD, die in der Zwickauer gefunden wurde. Hierauf findet sich eine Art Datenbank mit Orten und Adressen von Personen sowie Fotos von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Ebenso sind Aufzeichnungen über Wetten verzeichnet, welche die drei in der zeit der Illegalität untereinander abgeschlossen haben. Im zweiten Teil des Tages schildern erneut Betroffene des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße ihre Erinnerungen an den Tag und die Folgen des Anschlags. Ein behandelnder Psychologe spricht über die medizinische Behandlung einer weiteren Betroffenen.

Zeug_innen:

  • KOK‚in Jeanette Ar. (BKA Wiesbaden – Asservatenauswertungen Frühlingsstraße)
  • [AF] (Geschädigter des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • [AG] (Geschädigte des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • Engiz A. (Behandlung einer Geschädigten des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße)

[Hinweis: Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verzichten wir auf die namentliche Nennung der Betroffenen des Anschlags in der Kölner Keupstraße. Die Angaben der Zeug_innen zu ihren körperlichen Verletzungen, psychischen Folgen und Behandlungen geben wir hier in einem zusammenfassenden Text wieder.]

Die Verhandlung beginnt um 9:50 Uhr. Erste Zeugin ist KOK‚in Jeanette Ar. vom BKA Wiesbaden. Sie war mit der Auswertung der im Brandschutt der Frühlingsstraße gefundenen Beweismittel befasst. Es geht um eine wieder beschreibbare DVD, handschriftlich beschrieben mit “Treiber und Programme 5.5.07”. Sie sei beauftragt worden, sich nochmal mit der Auswertung zu befassen und habe sich an einem Auswertebericht ihres Kollegen orientierte, so Ar. Das Asservat beinhalte Daten in verschiedenen Ordnern. Da das BKA den Inhalt mit einem Tool aufbereitet habe, könne es sein, dass die Ordnerstruktur im Original anders gewesen sei als die von ihr bearbeitete. Zwei Ordner seien ihr ins Auge gesprungen: ein Ordner namens “Killer” und einer mit dem Namen “für die Aktions DVD”. Darin befanden sich allerdings Softwareprogramme. Der Ordner “Killer” habe drei Unterordner enthalten, erklärte Ar., “Datenbank Aktion wichtig”, “Grafiken” und “Mein Kampf”. In dem ersten Unterordner hätten sich 146 Listen befunden, darin seien Informationen zu Personen, Institutionen, Einrichtungen, Namen, Erreichbarkeiten und sonstige Informationen tabellarisch aufgelistet. Aufgeführt gewesen seien Parteibüros, MdBs, Informationen zu kirchlichen Einrichtungen, Diakonien, Synagogen, Moscheen, Kasernen und militärische Einrichtungen, Vereine, Asylbewerberheime, Waffengeschäfte. Es habe auch Themendatenbanken gegeben, z. B. “CDU” oder “Moschee”. Die Datei “Für Reiseplaner” habe 6.500 Datensätze enthalten und könne als “Mastertabelle” bezeichnet werden, aus denen die anderen Datenbanken generiert wurden.

Auffällig sei gewesen, dass die Informationen zu den Waffengeschäften nur in den Themendatenbanken aufgeführt gewesen seien. Weiterhin habe der Ordner eine Bilddatei des Innenstadtbereichs der Stadt Nürnberg enthalten, die mit “map&guide” erstellt worden sei. In der Graphik seien 13 Markierungen angebracht worden, drei davon als Smileys. Dazu habe ihr Kollege nähere Ausführungen gemacht. Er sei zu dem Schluss gekommen, dass sich unter den Markierungen kein Mordtatort befunden habe, sie seien aber generell in der Nähe von Banken, Restaurants, einem Fußballverein und einem Waffengeschäft gewesen. Der Unterordner “Grafiken” habe zwei selbstausgestellte Mitgliedsausweise von Tennisclubs enthalten: von Großgründlach und Ehlershausen. Außerdem sei ein Bedienstetenausweis eines Hotels namens “Mercura” in Frankfurt darin gewesen, das Hotel sei nicht existent. Die Ausweise seien teilweise mit dem Foto von Beate Zschäpe oder dem Namen Mandy Struck versehen gewesen.

Weiterhin seien selbst erstellte Wettvereinbarungen vorhanden gewesen, es sei dabei immer um die Gewichtsreduktion gegangen. Die Einsätze seien das Putzen der Wohnung und das Schneiden von Videoclips gewesen. Einmal sei ein Foto von Frau Zschäpe und einmal eins von Böhnhardt abgebildet. Frau Zschäpe habe mit Liese unterschrieben. Dann enthalte der Ordner noch Urlaubsfotos, auf denen Zschäpe und Böhnhardt zu sehen seien. Der Unterordner “Mein Kampf” enthalte Online-Ausgaben von “Mein Kampf” und ein Parteiprogramm der NSDAP sowie die Datei “nazikontakte”. Darin sei ein Hinweis auf eine rechtsgerichtete Homepage von Lauck und die NSDAP/AO gewesen und wie man das Internet als Propagandawaffe nutzen und Zugang zu gesperrten Seiten erlangen kann. Der nächste als relevant angesehene Ordner sei “für die Aktions DVD” gewesen, darin sei ein Unterordner “3D” enthalten gewesen. Hier habe sich Software zur 3D-Animation und Audioverarbeitung gefunden und “3D für Einsteiger”, ein Sonderheft des Computermagazins “PC Game Hardware”. Abschließend stellt Ar. die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung des Asservats dar: es seien keine Fingerabdrücke gefunden worden, jedoch eine DNA-Mischspur. Diese habe definitiv Mundlos zugeordnet werden können sowie einer unbekannten Person. Wann die DVD gebrannt worden sei, habe technisch nicht festgestellt werden können. Anhand der Ordnerstruktur könne jedoch vermutet werden, dass sie im Mai 2007 erstellt worden sei.

Dann folgt die Inaugenscheinnahme der Wettvereinbarungen. Auf der mit Zschäpes Foto konnten Gewicht und Zielgewicht eingetragen werden, kommentiert Ar. Wettpartner seien “Liese” gewesen, die die Gewichtsreduktion vornehmen wolle, sowie “Killer” und “Cleaner” als Unterzeichner, erläutert Ar. Auf der zweiten Wettvereinbarung sei der Teil von Zschäpe erneut mit “Liese” unterzeichnet, der mit dem Foto von Böhnhardt mit Böhni, das Putzen der Wohnräume und das Schneiden der Videoclips sei angeführt. Götzl hält Ar. vor: Lisa: 10 mal das Bad putzen, 200x Videoclips schneiden… Böhni: Wohnung putzen…Videoclips schneiden… Killer setz auf die Liese, Cleaner setzt auf die Liese, Liese setzt auf ihr eisernes Durchhaltevermögen gegen Killer und gegen Cleaner. Götzl hält er weiter vor: Es lässt sich folgern, dass der Spitzname Cleaner Uwe Böhnhardt und der Name Killer Uwe Mundlos zuzurechnen sein dürfte. Götzl fragt nach der Begründung. Ar. erläutert, dies lasse sich aus dem Vorgelesenen und der Wohnsituation folgern. Das Wort “Cleaner” habe als Teil der Zugangsdaten von Böhnhardt festgestellt werden können. Der Ordner „Killer“ sei der einzige Ordner, der nur persönliche Daten umfasse, und sei Uwe Mundlos zuzuordnen, liest Götzl vor und bittet um eine Erläuterung, was mit “persönliche Daten” gemeint sei. Der Ordner sei der einzige, auf dem selbst erstellte Daten und keine Software gespeichert worden seien, antwortet Ar.

RAin Sturm fragt, ob sie den gedruckten Namenszug meinte, als sie davon sprach, dass die “Wettvereinbarung” unterzeichnet gewesen sei. Ar. antwortet, es habe keine eingescannten Unterschriften gegeben. Dann will Sturm wissen, ob das Asservat im Hinblick auf Zugriffszeitpunkte ausgewertet werden konnte. Wenn das gemacht worden sei, dann vom Referat für die technische Aufbereitung. Ihr sei nur bekannt, dass untersucht wurde, wann die DVD gebrannt wurde und das konnte nicht festgestellt werden. NKRA Schön fragt, ob sie die Historie des Bildes von Frau Zschäpe und Uwe Böhnhardt, das auf der Wettkarte abgebildet ist, kenne. Ar. antwortet, sie wisse nicht, worauf er hinauswolle. Nach der Erläuterung, dass er das Datum, an dem das Bild aufgenommen wurde meine, erläutert Ar., ihr sei aktuell nicht erinnerlich, ob da ein Datum gestanden habe. In dem Vermerk sei angegeben, dass das Bild zwischen dem 20.07.2004 und dem 06.08.2004 angefertigt worden sein soll, so Schön.

NKRA Daimagüler stellt Fragen zu der Datei mit der Auflistung von Organisationen, Einrichtungen und Personen. Allerdings kann Ar. keine der Fragen beantworten, da sie mit Einzelauswertungen, z.B. um welche Personen es sich handelte, nicht befasst war. Dann ist erneut RA Schön dran. Er hält einen Vermerk vor, bei dem Asservat handele es sich um eine CD-Rom mit dem Titel “Urlaub 04”, „auf dem Datenträger sind 89 Bilddateien im .jpg-Format abgelegt, 20.07.2004 – 06.08.2004, Aufenthalt von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe in der holsteinischen Schweiz”. Ar. sagt, mit den Metadaten und Erstelldaten der Dateien habe sich nur ihr Vorgänger befasst. NK-Vertreter Scharmer greift einen Vermerk auf, in dem es zu dem Asservat heißt, in einem Ordner mit der Bezeichnung „Killer“ seien Tabellen mit Namen “CDU”, “Arabisch”, “Antifa”, „Migration” und “türkisch” enthalten, es gebe darin 109 Kölner Adressen, zwei Adressen in der Keupstraße. Ar. erläutert daraufhin, dass sie von dem Ermittlungsteam Keupstraße explizit beauftragt worden sei, auszuwerten, welche Kölner Anschriften vorhanden seien.

NKRA Langer fragt im Anschluss, ob es keinen Zeitstempel gegeben habe, anhand dessen man den Erstellungszeitpunkt der DVD habe feststellen können. Da sie die Untersuchung nicht selbst durchgeführt habe, habe sie in ihrem Vermerk mit Bezug zum Bericht der untersuchenden Dienststelle ausgeführt, dass man das nicht feststellen konnte, so Ar. Aber aus der Ordnerverzeichnisstruktur und Aufschrift habe man den Schluss ziehen können, dass das im Mai 2007 erstellt wurde. Nach dem Videobearbeitungsprogramm auf der DVD gefragt, antwortet Ar., es seien verschiedene gewesen, die sie namentlich nicht aufführen könne. In ihrem Vermerk seien sie jedoch aufgelistet. Abschließend fragt NKRA Reinicke, ob es sich um eine Sicherungs-DVD gehandelt habe oder die Programme aus sich heraus lauffähig waren. Darauf erklärt Ar., die ausführbaren Programme würden wegen der Gefahr von Viren bewusst nicht dargestellt, die Verzeichnisstruktur enthielte aber die Bezeichnung “backup”, es könne sich also um eine Sicherungskopie handeln. Als die Zeugin entlassen ist, merkt RA Schön an, er behalte sich eine Erklärung nach §257 vor. Daimagüler schließt sich dem an.

Es folgt der Zeuge [AF], Anwohner der Keupstraße. Er schildert, dass er an dem besagten Nachmittag von der Arbeit gekommen sei und mit seinem Auto in die Garage fahren wollte. Da die Toreinfahrt verschlossen war, habe er anhalten müssen, um die Garage aufzumachen. Als er unmittelbar hinter der Toreinfahrt gewesen sei, habe die Explosion stattgefunden, direkt gegenüber bei dem Frisör. Er sei ausgestiegen, weil er nicht gewusst habe, was passiert sei. Auf der Straße habe er die Verwüstungen gesehen und die Menschen, die verletzt auf der Straße lagen. Er habe mit seinem Handy den Notruf gewählt. Zwei Sanitäter seien wohl in der Nähe gewesen und kümmerten sich um Leute. Er sei in das Gebäude gegangen, weil auch dort unten die Scheiben zerstört gewesen seien und er nach seiner Schwiegermutter habe sehen wollen. Seine Frau und Tochter seien arbeiten und unterwegs gewesen. Er habe sich um seine Schwiegermutter, die zur Straßenseite wohnte, gekümmert und sei dann zurück auf die Straße gegangen. Krankenwagen und Polizeibeamte seien da gewesen und er sei gebeten worden, wieder ins Haus zu gehen. Polizeibeamte seien in die Wohnung gekommen und hätten gefragt, ob ihnen etwas aufgefallen sei. Der Nachmittag sei dann so abgelaufen, dass das Haus von der Feuerwehr nach eventuell verletzten Personen durchsucht worden sei. Am Haus habe es erhebliche Schäden gegeben. Und durch die Druckwelle sei das Dach seines Fahrzeugs eingedrückt worden.

Götzl fragt nach, ob es weitere Beschädigungen oder Einschläge am Fahrzeug gegeben habe. [AF] verneint dies. Auf weitere Nachfragen antwortet er, er sei eigentlich bereits ganz durch die Einfahrt und damit circa 10 Meter von der Straße entfernt gewesen, habe einen BMW gefahren und sei selbst nicht verletzt worden. Seine Schwiegermutter sei nicht verletzt worden, aber natürlich sehr aufgeregt gewesen, sie habe nicht realisiert, was da passiert war. Sie habe das zerstörte Friseurgeschäft gesehen und zuerst eine Gasexplosion vermutet. [AF] habe keine gesundheitlichen Beschwerden aufgrund der Ereignisse gehabt, seine Schwiegermutter auch nicht, allerdings habe es bei ihr ein paar Tage gedauert, das Geschehen zu verkraften. Dann schildert [AF] auf Nachfrage den Weg, den er genommen hatte. Ihm sei nichts Besonderes aufgefallen, ein ganz normaler Nachmittag sei es gewesen. Vor einem Feiertag sei eigentlich immer viel los in der Gegend, alleine durch die türkischen Restaurants und Geschäfte. Als er die Explosion gehört habe, sei er gerade im Begriff gewesen auszusteigen, habe aber noch im Fahrzeug gesessen. Erst nach zwei Tagen, nachdem das Fahrzeug freigegeben worden war, sei er zur Werkstatt gefahren. Dort habe ein Sachverständiger festgestellt, dass sich das ganze Dach gesenkt habe.

Anschließend sagt Götzl, [AF] hätte Rechtsanwalt Tikbas beauftragt, der dann einen Antrag auf Nebenklage gestellt habe. [AF] widerspricht. Tikbas sei an sie herangetreten und habe sie davon überzeugen wollen, als Nebenkläger aufzutreten. Das hätten sie abgelehnt. Warum der dann doch die Unterlagen eingereicht habe, sei ihm unklar, denn er habe nie eine Vollmacht dafür bekommen. Als sie dann die Unterlagen vom Gericht zugeschickt bekamen, habe er mehrfach telefoniert, um das rückgängig zu machen. Ob sie Tikbas vorher Informationen gegeben hätten, fragt Götzl nach. [AF] verneint. Tikbas habe aber vorgetragen, dass der PKW kaputt war. Das habe er ihm am Telefon gesagt, so [AF]. Tikbas habe wissen wollen, ob sie gesundheitliche Schäden oder Sachschäden davongetragen hätten. Götzl fragt, wie sie Tikbas zu den gesundheitlichen Belastungen informiert hätten. Ob das so wie heute vorgetragen gewesen sei. [AF] bestätigt dies. Götzl stellt dar, dass Tikbas vorgetragen habe, dass [AF] “posttraumatisch belastet wäre” und das bis heute andauere. Das stimme nicht, antwortet [AF]. Er habe Tikbas keineswegs bevollmächtigt, es habe zu keinem Zeitpunkt ein Mandatsverhältnis bestanden, weder mit ihm noch mit seiner Schwiegermutter. Die habe nie mit Tikbas gesprochen.[Eminger und Zschäpe lachen darüber].

RA Heer sagt, er wolle noch auf das Nicht-Mandatsverhältnis zu sprechen kommen. Wie die Kontaktaufnahme gelaufen, was gesagt worden sei und ob es weitere Korrespondenz gegeben habe. [AF] antwortet, Tikbas sei auf sie zugekommen, habe sich von sich aus telefonisch bei ihnen gemeldet und ihnen nahegelegt, als Nebenkläger aufzutreten. Dann habe er ihnen per Email eine Vollmacht zukommen lassen. Sie hätten dann aber entschieden, nicht als Nebenkläger aufzutreten. Tikbas habe noch ein- zweimal angerufen und habe sie drängen wollen. Er habe ihm deutlich gesagt, dass sie nicht wollten und sei umso erstaunter gewesen, als nach drei, vier Wochen die Unterlagen vom Gericht gekommen seien. Diese Vollmacht hätten sie ihm nie erteilt. Darauf kommt Heer auf seine Aussage “er wollte uns unbedingt vertreten” zu sprechen. Ob ihm noch ein Wortlaut in Erinnerung sei? [AF] verneint und Heer fragt weiter, wie er denn die Aussage „Er hat uns nahegelegt, als Nebenkläger aufzutreten” verstanden habe, ob es dabei auch um ihn als Rechtsanwalt gegangen sei oder nur darum, dass sie sich dem Verfahren anschlössen? Er habe das Gefühl gehabt, dass Tikbas sie auch als Rechtsanwalt vertreten wollte, so [AF]. Woran er das festmache, will Heer wissen. Tikbas habe immer gesagt, sie sollten sich keine Gedanken machen, er würde sie vertreten, sie brauchten auch nie zu dem Prozess nach München zu fahren, er würde alles vertretungsweise für sie regeln. Auf die Nachfrage, wen er mit „für uns“ meine, gibt [AF] an, dass es um ihn und seine Schwiegermutter gehe.

Dann fragt Heer, ob er Kopien von Schriftstücken von Herrn Tikbas erhalten habe, die der an das OLG gesandt hat, oder sonst irgendetwas Schriftliches. [AF] verneint beides. Sie hätten nur einmal einen kurzen Emailverkehr gehabt, als Tikbas ihm die Vertretungsvollmacht habe zukommen lassen. Möglicherweise habe er die noch auf seinem Rechner, da müsse er nachsehen. Ob Tikbas sie über eine Entwicklung innerhalb des Mandatsverhältnisses in Kenntnis gesetzt oder darüber informiert habe, dass das OLG die Nebenklage zugelassen habe, will Heer weiter wissen. Beides verneint [AF] und bestätigt, dass er erst durch das OLG München informiert worden sei. Tikbas habe sich auch anschließend nicht gemeldet, aber er habe ihn angerufen, weil sie überrascht gewesen seien, dass sie vom OLG Unterlagen bekommen hätten und er sie entgegen der Absprache als Nebenkläger gemeldet hätte. Tikbas habe daufhin gesagt, er habe immer gehofft, dass sie ihm noch die Vollmacht schicken würden. [AF] verneint auch die Frage, ob er als Nebenkläger am Verfahren teilnehmen wolle. Götzl merkt an, das sei ja zurückgenommen worden. Ob er Herrn Tikbas von der Schweigepflicht entbinde, will Götzl dann von [AF] wissen, für den Fall, dass der sich darauf berufe. Ja, natürlich, antwortet [AF].

NK-Vertreter Hoffmann schließt mit der Frage an, ob an den Fenstern Schäden zu erkennen gewesen seien, als [AF] aus dem Auto ausstieg. Im Erdgeschoss seien die Schaufenster und die Inneneinrichtung zerstört gewesen, die Haustür habe Schaden erlitten, im Oberlicht über der Tür sei sei die Scheibe ganz raus gebrochen. Das seien die Schäden gewesen, die er im ersten Augenblick wahrgenommen habe, so [AF]. Er meine den ersten Stock, präzisiert Hoffmann. Dort sei ihm nichts aufgefallen, aber im zweiten Stock seien Fenster zerstört gewesen. Alle Fenster hätten jedoch nachgestellt werden müssen, da sie sich durch die Druckwelle verzogen hatten. Gegenstände, die gegen die Fenster oder bei offenem Fenster in die Wohnung geflogen wären, habe er keine gesehen. Hoffmann nimmt Bezug auf eine Aussage der Schwiegermutter, die habe gesagt: „Ich sah in dem Moment schon alles durch die Luft fliegen”. Die habe in der Küche gesessen und auf die Straße geguckt. Sie habe draußen auf der Straße gemeint, nicht in der Wohnung. Nach Schäden an der Fassade gefragt, erklärt [AF], einige Nägel steckten im Mauerwerk und im Regenfallrohr, überwiegend in Höhe der der zweiten Etage. NK-Vertreter Matt fragt, wie weit [AF]s Fahrzeug vom Frieurgeschäft entfernt gewesen sei. Die Toreinfahrt sei 10 m lang, dann die Fahrbahnbreite, also ca. 15 Meter, rechnet [AF]. Es folgt eine Pause bis 11:37 Uhr.

Die Verhandlung wird fortgesetzt mit [AG], der Schwiegermutter des Zeugen [AF]. Sie habe zuhause am Küchentisch gesessen, so [AG]. Auf einmal habe sie einen Knall gehört, ein Zittern, dann hätten sich die Fenster bewegt. Sie sei aufgestanden, zum Fenster gegangen und habe gesehen, dass der Friseurladen ganz zerstört gewesen sei. Dann sei ihr Sohn die Treppe runter gekommen und habe gerufen. Sie habe gesagt, er solle weiterlaufen und gucken, was mit dem [AF] sei. Dann sei sie zurück in die Küche gegangen. Alles andere wisse sie nur vom Erzählen. Die Feuerwehr sei ins Haus gekommen, unten in den zwei Ladenlokalen seien alle Fenster zerstört gewesen. Aber selbst gesehen habe sie das nicht. Das erste Mal sei sie erst wieder sonntags auf die Straße gegangen. Ob sie selbst verletzt worden sei, fragt Götzl nach. Nein, zum Glück nicht, antwortet [AG], aber wenn da nicht so ein großer Lieferwagen gestanden hätte, wären alle Nägel bei ihr zum Fenster rein geflogen. Wo sie sich zu dem Zeitpunkt, wo sie die Explosion wahrgenommen habe, aufgehalten habe, fragt Götzl weiter. Sie sei in der Küche in der ersten Etage gewesen. Auf die Frage, wie weit das von der Außenwand entfernt sei, gibt sie an, das sei so wie der Raum hier, nicht gerade so weit.

Sie wisse nicht wie breit so eine Straße sei. Die Küche liege zur Keupstraße hin, sie habe 3, 4 Meter vom Fenster entfernt gesessen und das Fenster sei geschlossen gewesen, antwortet [AG] auf Nachfragen Götzls. Beschwerden habe sie nach dem 9. Juni nicht gehabt. Auf die Frage hin, ob sie Probleme gehabt habe, beim Einschlafen oder seelische Probleme, will sie nicht von seelischen Problemen sprechen, aber schlafen könne sie heute noch nur sehr schlecht. Sobald eine Autotür zuschlage, sitze sie schon im Bett. Am Anfang sei die Explosion ihr immer wieder hochgekommen, aber das habe sich jetzt mit den Jahren wieder gelegt. Aber das Ereignis sei noch immer im Hinterkopf. Abschließend meint Götzl, er habe noch eine ganz andere Frage; ob sie Kontakt zu Rechtsanwalt Tikbas gehabt habe. Den kenne sie überhaupt nicht, antwortet [AG]. Bei den Akten liege ein Antrag, dass sich [AG] vertreten durch RA Tikbas als Nebenklägerin im vorliegenden Verfahren beteiligen wolle, erläutert Götzl und fragt, ob sie ihn jemals beauftragt habe. Sie habe ihn weder beauftragt, noch kenne sie den Herrn, es habe keinerlei Kontakt gegeben. Die Zeugin wird entlassen und Götzl merkt an, das Gericht habe vom BKA noch eine Keupstraßenskizze bekommen. Die Prozessbeteiligten hätten Gelegenheit, sich diese Skizze anzuschauen, da sie relativ großformatig sei, könne sie nicht kopiert werden. Dann unterbricht er die Verhandlung für die Mittagspause bis 13 Uhr.

Nach der Mittagspause wird der Sachverständige Al., Psychologe aus Köln, befragt. Götzl bitte ihn, von der Behandlung von [N] zu berichten, inwiefern er mit der Behandlung befasst war, was sie berichtet habe, welche Untersuchungen durchgeführt wurden, welche Befunde es gebe und welche Therapie sie erhalten habe. Seine Patientin habe ihn von der Schweigepflicht entbunden. Al. schildert er, worunter sie leide und dass er zu der Meinung gekommen sei, dass ihre Leiden mit dem Anschlag in der Keupstraße zu tun hätten. In den Fragen von RAen Sturm, Heer, Klemke, Schneiders und NK-RAs Hoffmann und Erdal an den Sachverständigen geht es immer wieder darum, ob sich die Leiden der Patientin auf den Anschlag zurückführen lassen. Wenn er geahnt hätte, wie differenziert er befragt würde, hätte er die Daten zu seiner Patientin mitgebracht, so Al.

Nachdem der Sachverständige entlassen ist, gibt NK-Vertreter Hoffmann eine Erklärung nach §257 ab. Am Schluss sei es ihm wie dem Zeugen ergangen: wenn klar gewesen wäre, in welchem Ausmaß diese Befragung stattfinden würde, hätte seine Mandantin den Sachverständigen nur teilweise von der Schweigepflicht entbunden. Die Nebenklage seiner Mandantin sei zugelassen worden, weil der Verdacht bestehe, dass sie Opfer eines versuchten Mordes war. In einem Prozess, in dem wöchentlich mitgeteilt werde, dass das Beschleunigungsgebot gelte, werde trotzdem jeder der behandelnden Ärzte geholt, kritisiert Hoffmann in seiner Erklärung. Es geht immer um die Frage, ob eine gefährliche Körperverletzung gegeben sei. Bei der Befragung sei es aber nicht darum gegangen, ob der versuchte Mord im Raum stehe. Schon in der Diskussion zur Zulassung der Nebenklage habe er darauf hingewiesen: die objektive Situation, ob seine Mandantin sich am Fenster befand oder nicht, als die Bombe explodierte, sei unerheblich. Der Schwerpunkt liege ja nicht auf der Körperverletzung. Insofern sehe er sachfremde Erwägungen, wenn versucht werde, detailreich in eine Richtung zu fragen. Seiner Mandantin würde unterstellt, sie hätte gelogen. Offensichtlich habe diese ausufernde zeitraubende Befragung einfach nur dazu dienen sollen, seine Mandantin hier der Lüge zu bezichtigen und insgesamt den Prozess gegen die Nebenklägerin zu drehen.

Götzl fragt daraufhin, ob die Rüge sich auf die Befragung der Verteidigung beziehe oder auch auf seine. Hoffmann verneint. RA Heer erwidert, er verwehre sich gegen die Unterstellung, die Verteidigung Zschäpe hätte darlegen wollen, dass die Mandantin gelogen habe. Es gehe allein darum, ob die Mandantin weiter am Verfahren teilnehmen könne. Ihrer Ansicht nach sei das nicht der Fall, man werde sich nächste Woche dazu äußern. RA Klemke schließt an, er verstehe auch nicht, wie Hoffmann darauf komme, dass die Verteidigung seine Mandantin der Lüge bezichtige. Im Übrigen erinnere ihn die Äußerung des Kollegen Hoffmann an Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt wie sei mir gefällt. Denn der Sachverständige habe gesagt, dass die Angstzustände schon vor dem Anschlag begonnen hätten. Entweder habe der Kollege nicht zugehört oder er handele nach der Pippi Langstrumpf-These. Wenn in einem Attest nur eine Diagnose stehe, müsse er laden, wirft Götzl ein, denn man müsse wissen, auf was die Diagnosen beruhten.

RA Reinecke merkt an, die Diskussion, welchen Anteil das Erleben des Vorfalls in der Keupstraße hatte, sei uninteressant. Denn der BGH sage, dass der Schädiger keinen Anspruch auf einen gesunden und robusten Geschädigten habe. Nur wenn die Täter sich erkundigt hätten, dass in der Umgebung nur Gesunde seien, nur dann wäre es interessant. Die Täter hätten darauf keine Rücksicht genommen, sondern es sei ihnen darum gegangen, möglichst viel Terror auszuüben. NKRA Matt gibt noch eine Erklärung zum Sachverständigen Dr. Ibisch ab. Die Ausführungen zu den Sprengversuchen hätten noch einmal deutlich gemacht, welche Kraft und Zerstörung so eine schon auf freiem Feld habe. In Bezug auf die Geschwindigkeiten der Nägel – 215 m pro Sekunde – möchte er drauf hinweisen, dass bei Geschossen aus Pistolen ebenfalls Geschwindigkeiten von 200-400 m pro Sekunde zu messen seien. Also ähnelte die Sprengwirkung einem Kugelhagel von 800 Kugeln. Um 14:52 Uhr endet der Prozesstag.

Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert:
„Darüber hinaus fanden sich ‚Wettverträge‘ zwischen Zschäpe und Böhnhardt über geplante Gewichtsabnahmen. Als Wetteinsatz war unter anderem ‚200 mal Videoclips schneiden‘ eingetragen. Da auf den gesamten Computern keine anderen Videos, die solche Mengen an Schnitten erfordern würden, aufgefunden wurden, kann klar geschlossen werden, worum es dabei ging: Wetteinsatz war die Bearbeitung des NSU-Bekennervideos. Zschäpe hat dieses also offensichtlich mitgestaltet, ein wichtiges Indiz für ihre mittäterschaftliche Rolle in der Gruppe. Mundlos tritt auf diesen Wettvereinbarungen mit dem Namen ‚Killer‘ auf, Zschäpe als ‚Liese‘ und Böhnhardt als ‚Cleaner‘. Das könnte einen Hinweis auf die Arbeitsteilung bei den Morden geben, bei denen Mundlos die gezielten Todesschüsse abgab, während Böhnhardt ‚zur Sicherheit‘ schoss, um sicher zu gehen, und Spuren verhinderte, bspw. Patronenhülsen einsammelte. Die DVD macht deutlich, dass auch Zschäpe als vollwertiges Mitglied der Gruppe in die grundlegenden Arbeiten, wie die Erstellung der Bekenner-DVD, eingeweiht war, und die drei untereinander sogar mit der Mordbegehung ihre ‚Späße‘ trieben. Was die Beweiskraft dieser DVD angeht, könnte man mit dem Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Scharmer von einem ‚asservierten Geständnis‘ Zschäpes sprechen.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/01/29/29-01-2015/

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