Als Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 1998 aus Jena flüchteten, holte der Saalfelder Neonazi und Zuträger des Thüringer Geheimdienstes Andreas Rachhausen den Fluchtwagen der späteren NSU-Mitglieder aus Sachsen zurück.
von Arthur Sajdowski, erschienen in der rechte rand, Heft 150
Mitte August 1992 marschierten über 1.800 Neonazis durch Rudolstadt und glorifizierten den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Mitorganisator und Anmelder des Aufmarschs war Andreas Rachhausen aus dem benachbarten Saalfeld. Ehe der spätere V-Mann Tino Brandt in der Region das Zepter in der Hand hielt, war Rachhausen Anführer der örtlichen Neonazi-Szene. Im September 1992 strahlte »Spiegel-TV« einen Beitrag aus, der die paramilitärische Ausbildung von Anhängern der »Deutsch Nationalen Partei« (DNP) in Thüringen mit Waffen und Sprengkörpern zeigte, so auch das Erstürmen von Häusern und Flüchtlingsheimen. Der Drahtzieher der Übung, der DNP-Chef und spätere V-Mann Thomas Dienel rief dort zur Gewalt auf und billigte das »Verbrennen« von »Negern« und »Fidschis«. Auch Rachhausen war bei der inszenierten Übung dabei und geriet deswegen in ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Mitte der 1990er Jahre wurden zahlreiche weitere Verfahren gegen ihn geführt, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten und Landfriedensbruchs. Am 28. April 1995 entzog er sich einem Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung und floh über Belgien in die USA und dann nach Dänemark, wo er bei dem bekannten Auschwitzleugner und Nazi Thies Christophersen untertauchte. Knapp ein Jahr später wurde er nach Deutschland ausgeliefert.
Spitzel mit »Alkoholproblem«
Während seiner Haftzeit führte das »Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz« (TLfV) einen Anwerbeversuch bei Rachhausen durch, um ihn als V-Mann zu gewinnen. Fortan wurde er als »Gewährsperson« mit dem Decknamen »GP Alex« geführt. Nach Angaben von Rachhausen habe er dafür mindestens 3.000 DM erhalten. Einer seiner Ausforschungsschwerpunkte seien der »Thüringer Heimatschutz« (THS), dessen Anführer Brandt und die »Kameradschaft Saalfeld« gewesen. Mindestens drei Treffen zwischen TLfV und Rachhausen sind dokumentiert. Ein Ex-V-Mann-Führer sprach von zwei Treffen mit ihm pro Monat. Rachhausen relativierte die Spitzelversuche und gab an, nur Belanglosigkeiten ausgeplaudert zu haben. Unter anderem sei ihm der Auftrag erteilt worden, das »Pogromly«-Spiel der drei abgetauchten späteren Mitglieder des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) zu beschaffen – jedoch ohne Erfolg. Der damals zuständige Referatsleiter beim Verfassungsschutz sagte 2013 vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss, man habe Rachhausen zunächst nicht nur als Informant eingesetzt, sondern ihn auch fest verpflichtet und ihm Aufträge erteilt. Wegen Rachhausens »Alkoholproblem« habe man sich dann 1998 von ihm getrennt.
Zentrum des »Heimatschutzes«
Während seiner Zeit als Geheimdienst-Zuträger war der Neonazi Rachhausen 1997 an einer Gaststätte in Heilsberg nahe Rudolstadt, einem zentralen Treffpunkt des THS, beteiligt. Er soll in dem Objekt gewohnt, zeitweise den Betrieb mit abgesichert und bei den Verträgen geholfen haben. Im Oktober 1997 entdeckte die Polizei dort das damals größte Waffenlager der rechten Szene Thüringens. In der Gaststätte fanden Treffen des THS, Vorträge und Konzerte statt. Auch Böhnhardt hat Rachhausen dort nach eigenen Angaben 1997 kennengelernt.
Abschleppdienst
Am 26. Januar 1998 wurde im Rahmen von Durchsuchungen eine Bombenwerkstatt in Jena ausgehoben. Das später als NSU bekannt gewordene Trio aus Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe flüchtete aus der Stadt mit einem Auto des Neonazis Ralf Wohlleben. Auf dem Weg in das Chemnitzer Versteck blieb das Fahrzeug liegen. Wie Rachhausen einräumte, fuhr er daraufhin im Auftrag von Wohlleben zum Abstellort und brachte das Fahrzeug zurück nach Thüringen. Das TLfV erhielt durch seinen V-Mann Brandt davon Kenntnis. Doch als Rachhausens V-Mann-Führer den Fluchthelfer befragte, leugnete er. Der Geheimdienstler notierte zu Rachhausens Dementi: »glaubwürdig«. Damit war der Fall erledigt. Erst anderthalb Jahre nach dem Auffliegen des NSU gestand der damalige Spitzel in einer Polizeivernehmung die Aktion. Als sein früherer V-Mann-Führer gefragt wurde, ob er Rachhausen wirklich vertraute, sagte er: »Ich hielt ihn für einen Filou.«
Kampf ums »biologische Überleben«
Rachhausen ist heute Inhaber eines Saalfelder Montage- und Kühltechnik-Unternehmens und Unterstützer der rechten Szene. In einem Gerichtsverfahren im Jahr 2013 gab er zu, 2009 der Thüringer NPD einen Wagen als Wahlkampfmobil zur Verfügung gestellt und ein Konzert mit der rechten Hooligan-Band »Kategorie C« in Saalfeld organisiert zu haben. Am 23. Juli 2014 war der heute 43-Jährige im NSU-Verfahren als Zeuge vor dem Oberlandesgericht (OLG) München geladen. Auf die Frage des Richters Manfred Götzl zu seiner damaligen rechten politischen Einstellung antwortete er, das sei nur »der Kampf um das biologische Überleben unseres Volkes« gewesen. Zu seiner Tätigkeit für den Verfassungsschutz gab er an, diese sei nichts Besonderes gewesen. Hinter vorgehaltener Hand sei in der rechten Szene immer gesagt worden: »Wenn vier am Tisch sitzen, sind zwei vom Verfassungsschutz.«
Während der Zeugenanhörung hatte Rachhausen vor sich eine Akte mit einer nicht öffentlichen »Erkenntniszusammenstellung« des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2012 über seinen ehemaligen Kameraden und Vize-Chef des THS, Mario Brehme, liegen. Wie sie in seinen Besitz kam, wird er vielleicht bei der nächsten Befragung vor dem OLG erklären müssen.