Bereits zu DDR-Zeiten ist Michael See in der Neonaziszene aktiv. Er steigt in den 1990er Jahren zu einem der führenden Neonazis in Thüringen, später in Niedersachsen auf – und wird langjähriger V-Mann.
von Margarete Schlüter, erschienen in der rechte rand, Heft 150
Es ist der 25. November 1991, als Michael See zusammen mit Angehörigen der »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei« (FAP) im thüringischen Nordhausen das »Ausländerbegegnungscafé« angreift.
Zusammen mit zwei anderen Neonazis wird er vier Tage später wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen vor einer Diskothek festgenommen. Der 17-jährige See wird zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Während der Haft wird er vom »Internationalen Hilfskomitee für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e. V.« (IHV) und der »Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V.« (HNG) betreut. Er schreibt für deren Blätter sowie für die extrem rechte »Deutsche Rundschau«. Nach vorzeitiger Haftentlassung am 1. September 1993 übernimmt See die Führung der »Kameradschaft Leinefelde«. See ist mittlerweile einer der führenden Neonazis in Thüringen. Zusammen mit neun anderen Neonazis wird er im August 1994 aufgrund geplanter Aufmärsche zum siebten Todestag des Hitlerstellvertreters Rudolf Heß als Rädelsführer festgenommen. Bei den anschließenden Haus durchsuchungen findet die Polizei unter anderem Propagandamaterial und Waffen. Zudem werden Fotos beschlagnahmt, die eine Schändung der KZ-Gedenkstätte Buchenwald dokumentieren. Zusammen mit anderen Neonazis posiert er dort im Braunhemd und soll zum Hitlergruß animiert haben.
Angeklagt wegen des Anbringens volksverhetzender Aufkleber im Jahr 1994 werden Michael See und drei weitere Neonazis im Oktober 1994 verurteilt. Das Verfahren endet mit drei Freisprüchen und einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten für den Hauptangeklagten See, der den Druck zu verantworten und in Buchenwald gegen das Uniformverbot verstoßen hat. Die Haftstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt, weil See unter anderem angibt, aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein.
Neonazi wider Willen?
Michael See wendet sich an das Bundesinnenministerium, bittet um Hilfe beim Ausstieg und bietet sich als Informant an. Resultat: See ist weiterhin als Neonazi aktiv und liefert unter dem Decknamen »Tarif« bis 2002/2003 gegen ein monatliches Gehalt von 500 bis 600 Mark Informationen an das »Bundesamt für Verfassungsschutz« (BfV). Er solle die von ihm seit Frühjahr 1994 herausgegebene Zeitschrift »Sonnenbanner«, das selbsternannte »Kampfblatt für Nationale Sozialisten«, zur Tarnung weiterhin betreiben, wie See gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« kundtut. Das »Sonnenbanner« erscheint in unregelmäßigen Abständen mit insgesamt 19 Ausgaben bis 2001. Zunächst war es das »Zentralorgan der ASD«, der »Aktion Sauberes Deutschland«, die 1986 von Ernst Tag gegründet wurde. Nachdem die leitenden Funktionäre See und Neubauer Mitte 1994 aus der ASD und der IHV ausgeschlossen werden, gründet ersterer die »Aktion Volkswille« (AVW) und den »Freundeskreis Nationaler Sozialisten« (FNS), welcher zum Teil aus ASD-Strukturen besteht. Im Januar 1995 erfolgt ein Zusammenschluss zum FNS/AVW. Dieser agiert konspirativ, ist in Referate aufgegliedert, soll Stammtische abhalten und gibt mehrere Publikationen heraus. Das »Sonnenbanner« fungiert als Organ des FNS/AVW, der sich als Kampfgemeinschaft versteht.
Kampfgemeinschaft im Sinne des NS?
Über die »NS Bewegung heute« sinniert See 1999 in einem Artikel des »Sonnenbanners«: Die BRD sei »ein Produkt des für uns leider verlorengegangenen Krieges als Folge seiner Errichtung durch Okkupanten«. Derzeit amtiere eine illegitime Regierung, »da die letzte Reichsregierung durch Inhaftierung und Morde an der Amtsausführung gehindert wurde«. See fordert dazu auf, in den »Untergrund« zu gehen, »autonome Zellenstrukturen« aufzubauen.
Zwei Jahre später tritt er als parteiunabhängiger NPD-Kandidat zusammen mit seiner Frau, deren Namen er mit der Heirat angenommen hat, bei den Kommunalwahlen 2001 in Niedersachsen an. Im gleichen Jahr erscheint die letzte Ausgabe des »Sonnenbanners«, in der von Dolsperg antisemitische Äußerungen veröffentlicht. Im darauf folgenden Prozess wird er vom (2009 verstorbenen) neonazistischen Rechtsanwalt Jürgen Rieger verteidigt.
Rückzug nach Schweden?
Das Ehepaar von Dolsperg, mit Kontakten zur »Artgemeinschaft« und der »Deutschen Heidnischen Front«, zieht 2002 nach Schweden auf einen alten Hof. Dort könnten sie ihre Weltanschauung leben, erklären sie 2005 in einem Interview mit dem extrem rechten Umwelt-Fanzine »Fallen Rain« und 2010 in der ebenfalls extrem rechten Zeitschrift »Umwelt & Aktiv«.
Im Zuge von Recherchen des Fernsehmagazins »Fakt« im Oktober 2013 wird Michael von Dolsperg von seinen Aktivitäten in Deutschland eingeholt. Denn dort hatte er nicht nur Kontakt zu bundesweit agierenden Neonazis, »Blood & Honour« und dessen bewaffnetem Arm »Combat18«, sondern auch zu Tino Brandt, André Kapke und Ralf Wohlleben. Michael von Dolsperg sei eine »Topquelle des Verfassungsschutzes im unmittelbaren Umfeld des NSU«, so »Fakt«. In der 1998 durchsuchten Garage, angemietet durch Beate Zschäpe, fand sich eine Ausgabe des »Sonnenbanners«. Dem »Spiegel« gegenüber sagt von Dolsperg, dass Kapke ihn 1998 darum gebeten haben soll, das NSU-Trio zu verstecken. Doch in Rücksprache mit seinem V-Mann-Führer lehnt er dies ab. Was er wusste und an Informationen weitergegeben hat, ist weitgehend unbekannt. Denn nur ein Teil der über ihn existierenden Akten des »Verfassungsschutzes«, die im November 2011 vernichtet wurden, ließ sich rekonstruieren.