Kurz-Protokoll 194. Verhandlungstag – 19. März 2015

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An diesem Prozesstag sagen zunächst zwei Nachbarinnen aus der Zwickauer Polenzstraße aus. Sie kannten Zschäpe als „Lisa Dienelt“. Sie erzählen von Begegnungen mit ihr und den beiden Männern, mit denen sie ein Wohnung teilte. Diese Vernehmungen weisen darauf hin, wie gut die Tarnung Zschäpes funktionierte und wie sie dadurch eine Fassade der Normalität für alle drei aufrecht erhielt. Aus der damaligen Chemnitzer Neonazi-Szene sagt im Anschuss Enrico Pö. aus.  Er berichtet u.a., wie er 1996 mit Böhnhardt Mundlos und anderen in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald war. Mundlos und Böhnhardt hatten braune Hemden und eine Art Uniform an. Die ganze Gruppe erhielt Hausverbot.


Zeug_innen:

  • Sindy Hö. (Nachbarin aus der Zwickauer Polenzstraße)
  • Isabell St. (Nachbarin aus der Zwickauer Polenzstraße)
  • Enrico Pö. (Mgl. Erkenntnisse zu Wohlleben, Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt; Nazi-Szene Chemnitz)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Erste Zeugin ist Sindy Hö. Götzl sagt, es gehe um die Zeit in der Polenzstraße. Götzl fragt, wie der Kontakt zu Zschäpe ausgesehen habe. Hö.: „Die hat ab und zu aus dem Fenster geschaut, war viel mit dem Fahrrad unterwegs. In die Wohnung bin ich nicht gegangen. Telefonnummern haben wir auch nicht getauscht. Nur so Gespräche, wenn man sich mal getroffen hat.“ Götzl: „Wie häufig?“ Hö.: „In der Woche drei, vier Mal. Aber ich habe sie gut in Erinnnerung behalten. Sie war freundlich, aufgeschlossen, man konnte sich gut mit ihr unterhalten.“ Auf Frage, wie sie sich Hö. vorgestellt habe, sagt Hö.: „Ja, mit Lisa Dienelt, stand auch so an der Klingel.“ Götzl: „Haben Sie mit Frau Dienelt darüber gesprochen, ob sie einen Beruf hat, was sie macht?“ Hö.: „Sie meinte, dadurch, dass ihr Partner soviel Geld verdient, kann sie zu Hause bleiben.“
Götzl fragt, was Hö. denn über den Freund sagen könne, den sie auch gesehen habe, der aber meist, so die Angabe von „Lisa Dienelt“ auf Montage war. Hö.: „Recht groß, kurze Haare, stattlich gebaut, man konnte schon vermuten, dass er auf dem Bau ist. Er hatte einen PKW gehabt, einen Kombi.“ Der sei aber einmal mit einem Caravan gekommen, der zu groß gewesen sei für die Einfahrt, also draußen geparkt habe. Götzl: „Hat denn dieser Freund jetzt dort gewohnt?“ Hö.: „Ich denk mal schon. Das ist aber meine Vermutung.“ Götzl fragt nach dem ebenfall erwähnten Bruder: „Bruder von wem?“ Hö.: „Von dem Freund.“
Sie verneint, mit „Frau Dienelt“ selbst mal über den Bruder gesprochen zu haben. Einmal sei es kurz um ihm gegangen, so Hö. auf Frage. Hö.: „Sie hat erwähnt, dass es da zu unfreiwilligen, wie sagt man das jetzt, Geschlechtsverkehr kommt, wo halt alle beide. Und dass sie halt nicht begeistert ist, aber dass es halt verlangt würde von ihr.“ Götzl: „Wer war bei dem Gespräch zugegen?“ Hö.: „Niemand.“ Götzl fragt, ob sie weiteres dazu gesagt habe. Hö. verneint: „Man hat gemerkt, dass sie auch beschämt war darüber.“ Götzl: „Beschämt? Was meinen Sie damit? Woran machen Sie das fest?“ Hö.: „Na ja, es wurde halt leiser im Gespräch und man hat gemerkt, dass es ihr unangenehm ist und sie es in dem Moment bereut hat, dass sie es ausgesprochen hat.“
Auf Frage, was der Grund des Auszugs von Zschäpe war, sagt Hö.: „Sie hat gemeint, es war ein Wasserschaden im Haus, da hat es zur Decke reingetropft. Und ein weiterer Grund war die Betriebskostenabrechnung, die fürs ganze Haus enorm hoch ausfiel. Da wollte sie lieber gehen.“
Götzl: „Ging es in Gesprächen mit Frau Dienelt mal um finanzielle Angelegenheiten?“ Hö.: „Es war mal ein Gespräch, wo ich angedeutet habe, dass es bei mir finanziell knapp sei und da hat sie mir angeboten, ein bissel auszuhelfen. Aber das habe ich zum Glück nicht in Anspruch nehmen müssen.“ Götzl fragt, ob frühere Aufenthaltsorte von „Frau Dienelt“ Thema gewesen seien. Hö.: „Sie hätten wohl mal in Jena gewohnt oder in Chemnitz.“
Sie sei nach wie vor der Meinung, dass „Lisa“ mit allem nichts zu tun hat und „er“ der Drahtzieher gewesen sei, so Hö. weiter. „Lisa“ sei nur zu Hause gewesen, habe nicht mal zum Döner gehen dürfen, was sie aber doch gemacht habe, habe keine Telefonnummer rausgeben dürfen. Vorhalt aus Hö.s Vernehmung beim BKA: Sie wirkte wie ein naives Kind und hätte am liebsten beim Freund nachgefragt, was sie tun soll und darf, insbesondere wenn es um die Vergangenheit ging. Hö.: „Ja, weil es um den Wasserschaden ging. Da kommt jemand, um den Wasserschaden zu beheben. Da hätte sie schon am liebsten den Telefonhörer in die Hand genommen: Darf ich den reinlassen. Sie war immer so auf ihn bezogen. Nur in Bezug auf ihn wirkte sie so naiv. Den Rest, da war sie eine taffe Frau.“
Nachdem die Zeugin entlassen ist, behalten sich verschiedene Verfahrensbeteiligte Erklärungen vor. V. d. Behrens gibt sofort eine kurze Erklärung ab. Sie sagt, dass die Zeugin nochmal bestätigt habe, was Zschäpe auch in der Anklage vorgeworfen werde. Nämlich, dass Zschäpe für die Eingliederung zuständig gewesen sei. Zschäpe habe Geschichten erzählt, was mit den Männern ist, wenn die nicht da sind, habe sich unauffällig gegeben. Auch wenn unklar sei, was Interpretation der Zeugin und was tatsächlich abgelaufen ist, sei neu, dass die Zeugin angegeben habe, dass Zschäpe zumindest an mehreren Stellen, wo es sozial adäquat gewesen wäre, etwa Nachbarn in die Wohnung zu lassen oder die Nummer zu geben, auf die Männer verwiesen habe. Sich als abhängig darzustellen, sei die einzige Möglichkeit für Zschäpe gewesen, aus der Situation herauszukommen. Dass es wirklich eine Abhängigkeit gegeben habe, habe bisher kein anderer Zeuge bestätigt, weder aus der Polenzstraße, noch aus früheren Zeiten.

Es folgt die Zeugin St. Sie wohnte in der Polenzstr. 5. Götzl fragt, wie der Kontakt zu Zschäpe ausgesehen habe. St.: „Die Frau Zschäpe, die war immer sehr nett, man hat sich gegrüßt, wenn man sich gesehen hat, wenn man sich in der Stadt getroffen hat, also ich kann eigentlich nichts Negatives sagen.“ Auf Frage sagt St., die habe im Erdgeschoss rechts gewohnt, links sei die Schuldnerberatung gewesen. Und man habe sich in der Stadt getroffen oder im Hof beim Wäscheaufhängen, wenn die Kinder gespielt haben. Sie verneint, dass sie sie damals unter dem Namen Zschäpe kennengelernt habe: „Ich kenne Sie unter dem Namen Lisa.“
Auf Frage, ob Zschäpe alleine dort gewohnt habe, sagt St.: „Also, es waren zwei Männer dort, aber ob die dort gewohnt haben, oder sich immer dort aufgehalten habe, weiß ich leider nicht.“ Götzl: „Haben Sie sonst eine Erinnerung zu den Männern?“ St.: „Dass die sehr viel weg waren.“ Auf Frage, bei welchen Gelegenheiten sie die gesehen habe, sagt St.: „Wenn die ihr Wohnmobil aufbereitet haben, geputzt haben oder gepackt haben jetze.“ Götzl fragt, ob sie mal in der Wohnung gewesen sei. St.: „Ja, einmal.“ Auf Nachfrage sagt sie: „Die war halt lange verreist, die Lisa, und die hatte einen Wasserschaden gehabt und da hat sie mir das Bad gezeigt.“ Auf Frage, ob sie sonst die Wohnung gesehen habe, sagt sie, sie habe nach dem Bad kurz die Küche gesehen, es seien nicht mehr als fünf Minuten gewesen. Götzl fragt nach Kellerräumen. Ihr Mann sei mal in den Kellerräumen gewesen, so St., wegen dem Heizungsraum und habe gesagt, da sei viel Geld reingesteckt worden, Trockenlegung und gedämmt.
Dann fragt RA Stahl, ob sich St. an die Frage im Vernehmungsprotokoll, wo oft die in den Urlaub gefahren seien, erinnere. St.: „Ja.“ Stahl möchte wissen, ob tatsächlich nach mehreren Personen gefragt worden sei. St. sagt, das sei allgemein von ihr so gedacht gewesen. Stahl sagt, es gehe darum. ob sich St. erinnere, ob eine, zwei oder drei Personen in der Wohnung gewohnt haben. St.: „Ich vermute halt, dass die zwei Männer mit gewohnt haben. Sie hat halt auch Männerwäsche aufgehangen.“ Die Zeugin wird entlassen.
Stahl erklärt, die Vernehmung habe aus Sicht der Verteidigung Zschäpe „einmal mehr“ zum Vorschein gebracht, dass die These des GBA, dass die drei Personen im Untergrund gegangen waren und seitdem immer zusammen gewohnt hätten, auch Arbeitsthese in den Vernehmungen gewesen sei. Wenn man die Niederschrift der Befragung lese und man St. so höre, müsse man sich fragen, wie St. darauf gekommen sei, dass dort drei Personen gelebt haben. St. sei nicht neutral befragt worden, sondern z. B. nach „den Personen“.

Dann geht es weiter mit dem Zeugen Pö. Götzl fragt zu Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe. Pö. sagt, Böhnhardt und Mundlos habe er kennengelernt, 1996. Auf Nachfrage zu den Umständen sagt Pö., er sei mit einem damaligen Freund auf Konzerten gewesen, da habe den ein oder anderen getroffen: „Naja, waren Leute aus Jena. Da waren mehrere Leute da, da waren auch Mundlos und Böhnhardt dabei.“ Auf Nachfrage sagt er, es habe sich auch ergeben, dass man 1996 in der Gedenkstätte Buchenwald war. Dann habe es keinen weiteren Kontakt gegeben. Götzl: „Und was Frau Zschäpe anbelangt?“ Pö.: „Kenne ich nicht.“
Götzl fragt, was es mit den Ereignissen in Buchenwald auf sich habe. Pö. sagt, er sei mit einem weiteren Chemnitzer dahin gefahren, nach Jena. Da habe man sich getroffen, da seien Mundlos und Böhnhardt auf jeden Fall dabei gewesen. Man sei dann rüber gefahren nach Weimar, zur Gedenkstätte Buchenwald: „Da gab es dann halt einen Platzverweis, soweit ich mich erinnere. Dann halt ein lebenslanges Verbot in der Gedenkstätte für alle Anwesenden.“ Götzl fragt nach dem Grund dafür. Pö.: „Unangemessene Kleidung, sag ich mal so, von Herrn Böhnhardt und Herrn Mundlos. Sie meinten, sie hätten braune Freizeithemden an, es stellte aber eine Art Uniform dar.“ Pö. weiter: „Soweit ich mich erinnere, trat der Herr Mundlos vor allem sehr energisch hervor, was unangebracht war, meiner Meinung nach.“ Auf Frage, wer noch zugegen gewesen sei, sagt Pö., er könne sich gut erinnern, dass der, mit dem er aus Chemnitz da gewesen sei, Thomas Starke gewesen sei.
Götzl fragt, ob Pö. etwas zu sonstigen Ereignissen, Zusammentreffen mit Mundlos und Böhnhardt sagen könne. Pö.: „Das ist halt, in den Jahren ’96, ’97 waren die halt hier und da zugegen.“ Götzl bittet Pö. die beiden vom Verhalten her zu beschreiben. Pö.: „Also nach meiner Erinnerung war auf jeden Fall der Herr Mundlos, sage mal, der Wortführer. Der Böhnhardt eher so der Mann im Hintergrund.“ Götzl fragt nach politischen Auffassungen von Böhnhardt und Mundlos. Pö.: „Sehr rechtsorientiert auf jeden Fall. War ich auch.“ Götzl fragt, was Pö. zu Starke sagen könne. Pö.: „Thomas Starke. So ein Fall für sich. Der hat viel gemacht in Chemnitz. Verkauf von Musik und so weiter angeleiert, Merchandising, Kontakte geknüpft und vieles in die Wege gebracht.“ Götzl fragt nach B&H. Pö.: „Das sagt mir was, dass es halt verboten ist. Ich hatte damit nichts zu tun, ganz einfach.“ Auf Frage, ob Starke etwas damit zu tun gehabt habe, sagt Pö., der habe halt überall mitgemacht, sei überall präsent gewesen, daher gehe er davon aus, dass der dabei gewesen sein könnte, aber er wisse es halt nicht. Auf Frage nach Mandy Struck sagt Pö.: „Mit der Frau war ich mal über ein halbes Jahr zusammen.“
Götzl fragt, ob Pö. im Hinblick auf Böhnhardt und Mundlos mitbekommen habe, dass nach denen gefahndet wird. Das sei ihm nicht bekannt, so Pö. Er sei von 1998 bis 2000 selber in Haft gewesen. Götzl fragt, wann 1998. Pö.: „September.“ Götzl fragt, ob davor im Jahr 1998 die Rede davon gewesen sei, dass jemand in Chemnitz eine Wohnung sucht. Pö.: „Also, ist mir nichts bekannt. Götzl fragt nach den „88ern“. Pö.: „Das war so eine Vereinigung, die es in Chemnitz mal gab, aber das ist auch schon sehr, sehr lang her.“ Das sei mehr so eine Spaßgeschichte gewesen, so Pö. auf Nachfrage, auf keinen Fall eine politisch motivierte Geschichte. Götzl fragt, ob Pö. Eminger kennt. Pö. bejaht und nennt auch Maik Eminger: „Ich war mit der bei der Frau Struck in der alten Heimat. Wollte sehen, wo sie herkommt, da hat sie mir die Zwei vorgestellt, in einem Jugendclub, glaube ich.“ Götzl fragt nach Kontakten nach Baden-Württemberg. Pö.: „Ich persönlich nicht, aber wir waren dort mal zu Gast.“ Er meine, so Pö. weiter, das sei Richtung Ludwigsburg gewesen.
Scharmer fragt nach Stefan Apel (zuletzt 62. Verhandlungstag). Der komme aus Jena, so Pö. Auf Nachfrage sagt er: „Haben uns halt getroffen in Jena und auch in Chemnitz, wo halt der Mundlos und der Böhnhardt auch dabei waren, so habe ich das formuliert.“ Auf Frage, wo man sich in Jena getroffen habe, sagt Pö.: „Der Anlaufpunkt war der Herr Apel. Bei dem zu Hause, soweit ich mich erinnere. Und dann halt in Kneipen, gastronomischen Einrichtungen.“
Scharmer fragt, ob Pö. Erinnerungen an eine politische Einstellung von Eminger und/ oder seinem Bruder habe. Pö.: „Die waren damals noch sehr, sehr jung. Soweit ich mich erinnere, war das in ihrem Kinderzimmer, wo wir uns kennengelernt haben. In den jungen Jahren, wo sie damals waren, kann ich das nicht ernstnehmen.“ Der Verhandlungstag endet um 16:39 Uhr.

Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert hier.

Die Zeugin war nun angesichts der Tatvorwürfe gegen ihre ehemalige Nachbarin bemüht, diese als unschuldiges Opfer ihres Freundes (Uwe Mundlos) darzustellen. Und so interpretierte sie vermeintliche Blicke, Gesten und Andeutungen der ihr als Lisa Dienelt bekannten Zschäpe: Lisa habe ihr ihre Telefonnummer nicht gegeben, weil ihr Freund nicht gestört werden wollte, Lisa habe ihr angedeutet, dass sie mit ihrem Freund und dessen Bruder (Uwe Böhnhardt) gemeinsamen Sex habe, obwohl sie das nicht wolle. All diese Schlüsse waren jedoch nicht auf wirkliche Beobachtungen gestützt und lösten sich auf Nachfragen des Vorsitzenden in vage Vermutungen auf.

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