Kurz-Protokoll 193. Verhandlungstag – 18. März 2015

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Am heutigen Prozesstag nimmt zunächst der Sachverständige Leygraf Stellung dazu, ob Carsten Schultze im Tatzeitraum noch einem Jugendlichen gleichstand. Er stellt zunächst Treffen mit Schultze dar, um dessen Erzählungen danach mit verschiedenen Faktoren zur Entwicklung von Jugendlichen zu Erwachsenen in Zusammenhang zu bringen. Danach ist Giso Tschirner geladen, dieser gibt an, Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos nicht zu kennen. Er streitet ab, Sprengstoff übergeben zu haben. Mike Ma., der dritte Zeuge des Tages war ein Schulfreund Zschäpes und auch Teil ihrer damaligen Clique, damit kannte er auch Mundlos und Böhhnhardt. Er erzählt u.a., dass diese Clique gemeinschaftlich klaute. Außerdem stellt er die neonazistische Gesinnung der drei dar.

Zeug_innen:

  • Prof Dr. Norbert Leygraf (Sachverständiger zu Carsten Schultzes Strafmündigkeit)
  • Giso Tschirner (Erkenntnisse zu Böhnhardt, Zschäpe, Mundlos und zur Chemnitzer Neonazi-Szene)
  • Mike Ma. (Jugendfreund von Beate Zschäpe)

Als erstes wird der Sachverständige Prof. Dr. Leygraf, Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Direktor Institut forensische Psychiatrie Duisburg vernommen. Götzl sagt, es gehe darum, ob Carsten Schultze im Tatzeitraum noch einem Jugendlichen gleichstand und es würden auch Äußerungen des Herrn Schultze zu den Tatvorwürfen interessieren. Leygraf antwortet, er habe Schultze am 26.03. und am 02. und 04. April 2012 in der JVA Köln exploriert und Unterlagen über eine psychotherapeutische Behandlung herangezogen. Insbesondere zu Schultzes früheren Zugehörigket zur rechten Szene und bei Fragen zu den Tatvorwürfen hätten sich längere Schweigephasen ergeben. So seien die Angaben zu seinen damaligen Einstellungen sehr blass, wenig konkret geblieben. Sehr deutlich sei die Tendenz gewesen, seine früheren Aktivitäten innerhalb der rechtsradikalen Szene unter dem Aspekt einer gemeinschaftlichen Freizeitgestaltung zu betrachten, über seine fremdenfeindlichen Überzeugungen habe er immer nur auf konkrete Nachfragen etwas gesagt.
Von wesentlicher Bedeutung sei sicher seine homosexuelle Orientierung gewesen, die er schon frühzeitig bei sich festgestellt habe und als einen Makel erlebt hat. Seinen Einstieg in die rechte Szene habe er mit einer Protesthaltung gegen seine Eltern begründet. Es sei auch um die Aufwertung seines Selbstwertgefühls gegangen, die Zugehörigkeit zur Szene habe ihm Gefühl einer besonderen Bedeutsamkeit gegeben. Jetzt werde das nur ein Teil gewesen sein, das werde man nicht alleine unter dem Aspekt einer jugendlichen Protesthaltung und Homosexualität betrachten können, zumal er zu einer bagatellisierenden Begründung neige.
Nun spricht Leygraf zur Frage, ob Schultze zur Tatzeit noch einem Jugendlichen gleichstand. Das sei eine Frage, bei der man selten zu einem eindeutigen Ergebnis komme. Im Allgemeinen werden Reifekriterien zu Grunde gelegt. Es gehe u.a. um die Fähigkeit zu einer realistischen Lebensplanung, Eigenständigkeit gegenüber den Eltern. Realistische Alltagsbewältigung, Stabilität der Stimmungslage, Fähigkeit eine initime Beziehung einzugehen und aufrechtzuhalten.
Dr. Leygraf kommt zur Zusammenfassung: Eine genaue Bestimmung der Persönlichkeitsentwicklung sei nach 15 Jahren nicht mehr möglich. In einigen Bereichen durchaus altersgerecht, aber auch sehr wesentliche Aspekte, die ihn seinerzeit in einer normalen Persönlichkeitsbildung beeinträchtigt haben und somit zu Reifungsdefiziten geführt haben dürften. Insbesondere weise der weitere Verlauf hin, dass sich Schultze damals in einer biografischen Phase befand, in der noch erhebliches Entwicklungspotenzial vorhanden war.

Als Zeuge folgt nun Giso Tschirner. Götzl fragt nach der rechten Szene Chemnitz, nach Waffen, nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe und Wohlleben. Tschirner: „Ich kenne von denen gar keine.“ Götzl fragt nach Tschirners Bezug zu Chemnitz, der rechten Szene, was er darüber wisse. Tschirner: „Kenn ich ein paar Leute.“ Götzl fragt, wie es in den 90er Jahren gewesen sei. Tschirner: „Ja man war halt dabei.“ Götzl fragt nach Jörg Winter. Tschirner sagt, er sehen ihn zwei-drei mal im Jahr. Götzl fragt nach Starke, woher Tschirner den kenne und wann er Kontakt gehabt habe. Tschirner sagt, den kenne er aus Chemnitz, Kontakt hätten sie das letzte mal bei der B&H-Zeit gehabt. Götzl fragt nach Tschirners Rolle bei B&H. Dieser antwortet, er habe Security gemacht. Er sei 1998 oder 1999 bei B&H eingetreten.
Tschirner gibt an, über Waffen könne er nichts sagen, das sei kein Thema gewesen. Götzl fragt nach Sprengstoff. Tschirner: „Dazu haben Sie mich befragt bei der Polizei. Starke hätte angeblich ausgesagt, ich hätte ihm Sprengstoff übergeben. Stimmt aber nicht.“ Götzl: „Wissen Sie, ob Herr Winter mal Bezug zu Sprengstoff hatte?“ Tschirner sagt, ja, dass er da mal experimentiert habe. Er, Tschirner habe das bei der Polizei erfahren und im Nachhinein habe er mit Winter drüber gesprochen. Tschirner: „Mir wurde von der Polizei zur Last gelegt, dass ich den Sprengstoff übergeben habe. Ich hab Winter angerufen, weil das nicht stimmt. Und er hat gesagt, dass er ihn selber übergeben hat.“ Mehr wisse er über die Übergabe nicht.

NKRA Hoffmann gibt eine Erklärung zu Steffen Hi. (191. Verhandlungstag) ab. Hi. sei ein Freund von André Eminger Ende der 1990er und Anfang 2000er Jahre gewesen. Er habe die im Beweisantrag genannten Tatsachen bestätigt. Er habe die von André Eminger vertretene Ideologie, die der Zeuge auf Kernsätze reduziert habe: „Türken sind böse und müssen weg.“ Und, bezogen auf Juden: “alles böse, müssen weg”. Der Frage nach André Emingers Einstellung zu Gewalt habe der Zeuge versucht, auszuweichen. Zum Fanzine The Aryan Law and Order habe er versucht, die Aussage beim BKA abzustreiten. Er habe aber eingeräumt, dass es die Eminger-Brüder gewesen seien, die Artikel redigiert hätten. Diese Frage ist wesentlich, weil in verschiedenen Artikel positiv Bezug genommen werde auf Terrororgansiationen wie The Order oder White Aryan Resistance. Hinzu komme ein positives Bekenntnis auf die 14 Words. Der Angeklagte habe Anfang 2000 eine Ideologie vertreten, die mit der des NSU übereinstimmte.

Es folgt der Zeuge Ma., Mike, 40, in Jena geboren. Götzl sagt, es gehe um Erkenntnisse über Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Ma.: „Ich bin ehemaliger Klassenkamerad von Beate in der Goetheschule in Jena. Wir waren Freunde, mehr eigentlich nicht. 1991 sind wir aus der Schule raus, ich bin dann in die Lehre und dann gabs keinen Kontakt mehr.“ Götzl fragt nach den weiteren Perosnen. Ma.: „Da kenn ich nur Herrn Mundlos und Böhnhardt durch die Clique in Winzerla, wo wir uns nach der Schule getroffen haben. Und Herrn Wohlleben kenne ich nur durch seinen Bruder, flüchtig.“ Götzl fragt nach der zeitlichen Einrodnung, wann der Zeuge die Personen kennengelernt hat. 8./9. Klasse sei 1988/1989 so in dem Dreh gewesen, da hätten sie sich außerhalb der Schule cliquenmäßig getroffen.
Götzl fragt nach dem letzten Kontakt mit Zschäpe. Ma.: „Ich glaube, das war nach der Gerichtsverhandlung, wo ich mich distanziert hatte. Wir hatten eine gemeinsame Gerichtsverhandlung wegen Diebstahl.“ Götzl: „Inwiefern hat die politische Einstellung eine Rolle gespielt?“ Ma.: „Jeder hat ja so seine politischen Einstellungen. Man hat auseinanderdiskutiert, es sind harte Worte gefallen, aber man hat sich respektiert. Aber durch die Gerichtsverhandlung hat man mir geraten, da Abstand zu nehmen. Aus meiner Sicht war die politische Einstellung damals wie heute anders als meine: rechts orientiert.“
Götzl fragt, was Ma. zu Böhnhardt sagen könne. Ma.: „Für mich war er ein kleiner Waffennarr. Da gabs solche Spring- oder Klappmesser und jeder wusste, dass er so ein Teil in der Tasche hatte. Also reizen durfte man ihn nicht.“ Götzl: „Ging es bei den Gesprächen auch um Anwendung von Gewalt und gabs auch mal gewaltsame Auseinandersetzungen?“ Ma.: „Nö. Außer, dass es mal eine Rangelei gab. Aber so direkt: jetzt los, wir verhauen ihn, das nicht.“
Vorhalt: Und ein Jugendclub ‚Casablanca‘, wo Leuten aufgelauert wurde. Ma.: „Richtig. Denn das ‚Casblanca‘ war alternativ.“ Vorhalt: Ich kann mich noch an das Auto von Böhnhardt erinnern. Ma.: „Ja. Ich weiß nur nicht, wem das Auto gehörte. Es war ein Auto vorhanden, definitiv.“ Vorhalt: Dessen Kennzeichen einen Bezug zum Dritten Reich herstellte. Ma.: „Ja, AH. Oder HA. Jedenfalls in dem Sinne.“ Vorhalt: Die wurden von uns allen beleidigt….Kanacke, Fidschi…alle machten mit. Waren wir in der Gruppe unterwegs wurden Parolen wie ‚Deutschland den Deutschen‘ gerufen. Ma.: „Das war an der Tagesordnung, ja.“ Vorhalt: Zur Haltung gegenüber Waffen kann ich sagen, dass bei allen drei Interesse bezüglich Waffen vorhanden war. Ma.: „Dadurch, dass wir auf dem Markt Butterflys oder Klappmesser gestohlen haben, gabs natürlich Interesse an Waffen.“ Vorhalt: Wie würden sie die ideologische Einstellung der drei Personen darstellen? – Ich würde sie als rechtsradikal bezeichnen. Der Zeuge bestätigt. Vorhalt: Dass alles was nicht rechts war, z. B. linke Wahlplakate, abgerissen wurde. Außerdem erinnere ich mich an Wortparolen wie Ausländer raus, Deutschland den Deutschen und Arbeit für Deutsche. Der Zeuge bestätigt. Der Zeuge wird entlassen. Klemke: „Nach über 40 Lebensjahren hat Herr Ma. meinem Mandant ein Bruder gegeben, das findet mein Mandant nicht schlecht.“ Verhandlungstag endet um 17:48 Uhr.

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