Am heutigen Verhandlungstag sagen zwei ehemalige V-Mann-Führer aus. Zunächst der heutige Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath. Er führte den V-Mann Carsten Szczepanski, alias „Piatto“. Meyer-Plath gibt an, dieser habe neben Angaben zur rechtsextremen Szene in Brandenburg, Berlin und Sachsen auch welche zu Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos gemacht. Meyer-Plath wird intensiv von den Verfahrensbeteiligten befragt. Am Nachmittag wird dann Norbert Wießner befragt, der viele wichtige V-Leute im NSU-Komplex führte, vertretungsweise auch Marcel Degner. Letzterer hatte in der Hauptverhandlung abgestritten, ein V-Mann gewesen zu sein. Wießner wird zu Angaben Degners während seiner Tätigkeit für das TlfV befragt, und bestätigt erneut, Degner sei der V-Mann „Hagel“ gewesen.
Zeugen:
- Gordian Meyer-Plath (Präsident des LfV Sachsen, V-Mann-Führer von Carsten Szczepanski)
- Norbert Wießner (Führung des V-Manns Degner/ „Hagel“)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Erster Zeuge ist Gordian Meyer-Plath. Götzl sagt, es gehe um die Führung des V-Mannes Carsten Szczepanski. Meyer-Plath: „Ich habe die V-Mann-Führung unterstützt, in Vertretungsfällen habe ich die Quelle aber auch alleine getroffen.“ Die Erkenntnisse, die „Piatto“ [Szczepanski] habe beibringen können über rechtsextremistische Bestrebungen in Brandenburg, die Musikszene, die Veranstaltung von Konzerten, Herstellung von Tonträgern, seien recht vielfältig gewesen.
Szczepanski habe in fünf Meldungen von untergetauchten „sächsischen Skinheads“ berichtet und später wie die Planungen dieses Personenkreises gewesen seien. Die Quelle sei auch beauftragt worden, möglichst viel in Erfahrung zu bringen wie das weitergeht mit dem Untertauchen und auch mit Bewaffnung. Meyer-Plath sagt, dass Szczepanski berichtet habe, dass drei sächsische Skinheads untergetaucht seien, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. In einer zweiten Meldung habe Szczepanski konkretisiert, dass sie sich ins Ausland absetzen wollten und das Geld mittels Banküberfällen beschaffen wollten. In einer dritten Meldung habe Szczepanski berichtet, dass einer der Untergetauchten Autor einer Szenepublikation gewesen sei: „Und dann die letzten zwei Meldungen, dass Jan Werner versuche, eine oder mehrere Waffen zu beschaffen und dass ihm das noch nicht gelungen sei, aber er es versuche.“ Zur zeitliche Einordnung dieser Meldungen sagt Meyer-Plath, das sei im Zeitraum August, September, Oktober 1998 gewesen. Die Erkenntnisse seien außerdem an das Auswertereferat „gesteuert“ worden, die sie an das Bundesamt, das sächsische Amt und mit Verzögerung auch an das thüringische Amt gesteuert hätten.
Götzl fragt, welche weiteren Personen bei den Kontakten mit Szczepanski angesprochen worden seien. Meyer-Plath: „Insbesondere zwei. Der Jan Werner und die Antje Probst. Weil er von diesem mitbekommen habe, dass sie versuchten, die Untergetauchten zu unterstützen. Werner im Rahmen einer Waffenbeschaffung und Probst mit Papieren, eben für die weibliche Untergetauchte.“ Götzl: „Ab wann war denn Carsten Szczepanski als V-Mann tätig und wie kam es dazu?“ Das habe er nur aus den Akten, so Meyer-Plath, er meine, das sei 1994 losgegangen. Szczepanski habe an den VS geschrieben und daraufhin sei eine Kontaktaufnahme erfolgt.
Götzl: „Sind denn die Informationen überprüft worden und ggf. mit welchem Ergebnis?“ Meyer-Plath bestätigt und sagt, das Feedback sei gewesen, dass die Information immer von sehr hoher Qualität gewesen sei und aus einem exklusiven Bereich stamme. Auf Frage, welche Leistungen Szczepanski erhalten habe, sagt Meyer-Plath, er meine, dass Szczepanski für den gesamten Zeitraum in einem Bereich von 80.000 DM gewesen sei.
Götzl fragt, ob Kontakt mit anderen Behörden aufgenommen worden sei, als sie die Informationen, den Erhalt von Waffen, Überfall, bekommen hätten, und ggf. mit welchem Ergebnis. Meyer-Plath: „Die Nachrichtensteuerung ist eine Aufgabe des Auswertereferates. Ich kann nur der Akte entnehmen, dass die Meldungen die entsprechenden Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes erreicht haben, und dass es zu einer Zusammenkunft der Behörden Sachsens, Thüringens und Brandenburgs gekommen ist. Da habe ich nicht teilgenommen, ich kann das nur dem Protokoll entnehmen, was ein sächsischer Teilnehmer gemacht hat. Es ging darum, wie diese Erkenntnisse an die Polizei gesteuert werden können.“ Das sei ca. im September 1998 gewesen, als es um die Banküberfälle gegangen sei.
Götzl hält die Meldungen „Piattos“ vor und Meyer-Plath bestätigt sie jeweils. Vorhalt: Laut Antje Probst sind drei sächsische Skinheads, zwei Männer eine Frau, wegen verschiedener Straftaten auf der Flucht vor der Polizei; die Drei, von denen einer anonym Artikel für „White Supremacy“ geschrieben habe, wollen sich innerhalb von drei Wochen mit geliehenen Pässen nach Südafrika absetzen.
Vorhalt: Jan Werner soll zur Zeit den Auftrag haben, die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen; Gelder dafür soll die B&H-Sektion Sachsen bereitgestellt haben, die Gelder stammen aus Konzerten und CD-Verkauf; vor ihrer Flucht nach Südafrika soll das Trio einen weiteren Überfall nach Erhalt der Waffen planen, um mit dem Geld Deutschland zu verlassen.
Vorhalt: Feststellungsdatum Ende September 1998, Königs Wusterhausen, Potsdam, Munzig: Am Rande des Konzerts erfuhr Quelle, dass Jan Werner bei seinen Versuchen, die drei Flüchtigen mit Waffen zu versorgen noch nicht erfolgreich war und sie fortsetzt.
RA Klemke fragt, ob es überhaupt keinen Anhaltspunkt bzgl. des Aufenthaltsorts der drei Untergetauchten gegeben habe. Meyer-Plath: „Nein.“ Klemke fragt, ob auch nicht bundeslandmäßig. Meyer-Plath: „Höchstens indirekt.“ Es sei ja deutlich geworden, dass Jan Werner und Antje Probst Kontakt haben sollen, da bestehe insofern eine gewisse Plausibilität hinsichtlich deren Lebensumfeld, aber wirklich eingrenzen könne man das nicht.
NK-Vertreter RA Hoffman fragt, ob es im ‚United Skins‘ [das Szczepanski mitmachte]Aufrufe zur Gewalt, Auseinandersetzung mit terroristischer Gewalt gegeben habe. Meyer-Plath: „Ich meine: Nein.“ In vielen anderen Publikationen sei die Frage gestellt worden, die sich die Szene gestellt habe, ob man Ideologie über die Musik verbreitet oder den Weg in den Untergrund beschreitet. Hoffmann: „Gab es auch im ‚United Skins‘ solche Diskussionen?“ Daran könne er sich nicht erinnern, so Meyer-Plath. Hoffmann: „Haben Sie Erkenntnisse, ob Szczepanski Werbung gemacht hat für militante und bewaffnete Aktionen?“ Meyer-Plath sagt, das habe Szczepanski nach seiner Erinnerung nicht gemacht.
RAin v. d. Behrens fragt, ob Meyer-Plath bekannt sei, ob Szczepanski im April 1998 ein Praktikum im Sonnentanzladen von Michael und Antje Probst in Chemnitz gemacht hat. Meyer-Plath sagt, er wisse aus den Akten, dass es später dort eine Beschäftigung gegeben haben solle, an ein Praktikum könne er sich nicht erinnern. V. d. Behrens: „Ist Szczepanski öfters nach Chemnitz gefahren und wenn ja, hatte er besondere Aufträge dort zu erfüllen?“ Meyer-Plath sagt, er erinnere sich, dass Szczepanski Aufträge bekommen habe, gerade dort bei Veranstaltungen zum Aufenthaltsort des Trios Erkenntnisse zu beschaffen, und auch zu B&H, weil die Entwicklung der sächsischen Sektion auch Auswirkungen auf B&H Brandenburg und Berlin gehabt habe.
V. d. Behrens: „Sie führten aus, dass es ein Treffen gegeben hat, ob und wie diese Information an die Polizei weitergegeben werden soll. Was ist das Ergebnis dieses Treffens?“ Meyer-Plath: „Ich kenne nur ein Protokoll, was ein sächsischer Kollege gefertigt hat, das den Brandenburger Behörden aber erst 2012 zugegangen ist. Es war die Frage, wie das in geeigneter Form gemacht werden könnte. Und dass der Thüringer Verfassungsschutz es an das LKA machen sollte.“ [phon.] Er könne nicht sagen, ob unter Wahrung des Quellenschutzes oder offen, er habe nicht teilgenommen.
V. d. Behrens fragt, ob Meyer-Plath bekannt sei, ob Werner am 25.08.1998 an Szczepanski eine SMS geschrieben hat mit dem Inhalt: „Was ist mit den Bums?“ Meyer-Plath sagt, das kenne er aus dem Schäfer-Gutachten. V. d. Behrens: „Haben Sie die Handyverbindungen, die SMS-Verbindungen von Szczepanski ausgewertet?“ Meyer-Plath: „Sie meinen den generellen SMS-Verkehr? Da habe ich keine Erinnerung daran, dass wir das gemacht haben.“ V. d. Behrens möchte wissen, ob Nummern oder Sim-Karten von Szczepanski getauscht worden seien. Meyer-Plath: „Durch mich nicht.“ Er meine sich zu erinnern, dass die Nummer, die verwendet wurde, im Rahmen einer TKÜ aufgefallen sei und dies Anlass gewesen sei, sich auf eine andere Nummer zu stützen [phon.]. Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders fragt, ob Meyer-Plath Erkenntnisse zu Verbindungen Szczepanskis zum Ku-Klux-Klan habe. Meyer-Plath sagt, soweit er sich erinnere, habe Briefkontakt zum KKK bestanden. Schneiders: „Gab es Bestrebungen von ‚Piatto‘, hier den KKK aufzubauen?“ Meyer-Plath: „Nicht nachdem es zu einer Zusammenarbeit gekommen ist. Ich meine aber, dass es im Vorfeld Bestrebungen von Szczepanski dazu gab.“ Der Zeuge wird entlassen.
Es folgt der Zeuge Norbert Wießner (zuletzt 157. Verhandlungstag). Götzl sagt, es gehe um die Führung des V-Mannes Marcel Degner (191. Verhandlungstag). Wießner: „Ich kann sagen, dass ich diesen V-Mann 2100 vertretungsweise geführt habe. Ich habe zwar die Person angeworben, das war 1997, und war auch bei der Abschaltung der Quelle 2000 dabei. Sonst in dieser Zeit wurde er von Kollegen aus dem V-Mann-Referat geführt. Ich habe ihn nur bei Urlaubsvertretungen und Krankheit des V-Mann-Führers betreut.“ Auf Frage sagt Wießner, Degner sei 1997 angeworben worden. Götzl fragt, ob Wießner 1998/ 99 Kontakt zu ihm gehabt habe. Wießner: „Die zwei Vermerke im Ladungsschreiben sind ja von mir gemacht worden, und zwar war das während der Vertretungsphase. Obwohl wir alle die Anweisungen hatten, bei den Treffs mit den Quellen immer nach den Dreien zu fragen oder Informationen abzuschöpfen. Das galt aber für alle Quellen des Hauses.“ Götzl fragt, um was es bei den Treffen 1998/ 99 gegangen sei. Wießner: „Einmal die Spenden von 700 Euro. Da hatte er als Ansprechpartner den Starke aus Sachsen. Und er hat das Konzert veranstaltet in Heilsberg, das war ein Treffpunkt des THS. Und dort ist für die drei Flüchtigen gesammelt worden, anscheinend 700 DM, die anschließend aber veruntreut worden sein sollen.“
Auf Frage, unter welchen Bezeichnungen Degner geführt wurde, sagt Wießner: „2100 und Arbeitsname war ‚Hagel‘.“ Götzl fragt nach den Umständen der Abschaltung. Wießner: „Aufgrund dieser Verratsfälle, die es im Hause gab, ist diese Person in die Öffentlichkeit gekommen und deswegen wurde er abgeschaltet.“ Das sei 2000 gewesen und dann habe er nochmal einen Hinweis gegeben, ein Jahr später etwa, mit dem so genannten ‚Jobben‘. Wießner weiter: „Und im Schäfer-Bericht ging es los, dass er gleichsetzte ‚Jobben‘ mit den Banküberfällen in Chemnitz. Also ich muss sagen, wir hatten zu dieser Zeit keine Kenntnis über Banküberfälle in Sachsen und Chemnitz. Wir haben für ‚Jobben‘ Schwarzarbeit angenommen. Aber nie kam der Gedanke, dass mit ‚Jobben‘ Banküberfälle gemeint sind. Aufgrund dieser einen Meldung sind Observationen gemacht worden in Sachsen. Zum Ergebnis kann ich Ihnen nichts sagen.“
Götzl: „Gab es von Degner konkrete Informationen zu Beate Zschäpe?“ Wießner: „Dass sie mit Starke liiert war. Das war die einzige Information.“ Auf Frage, ob Andreas [sic!] Kapke eine Rolle gespielt habe, sagt Wießner, dass der ja dieses Spendengeld von 700 DM veruntreut haben solle.
Vorhalt: In der Szene halte sich das Gerücht, dass Beate Zschäpe sich den Behörden stellen wolle. Wießner: „Das sind Gerüchte gewesen, das kam zum Teil auch von anderen. Aber das Prinzip war immer: Keiner sagt was, keiner weiß was. Auch auf Nachfragen wurden keine weiteren Antworten gegeben.“ Auf Frage, ob es von Degner Informationen zu Jan Werner und Antje Probst gegeben habe, sagt Wießner: „Das waren ja die Personen, die er kannte aus Sachsen.“ Vorhalt: Nach Einschätzung von Quelle kommt von allen in Chemnitz am ehesten Antje Probst wegen ihrer Kontakte als Unterstützerin in Frage. Wießner sagt, das sei so übermittelt worden, und da seien Folgemaßnahmen gemacht worden, aber zu deren Ergebnis könne er nichts sagen.
Vorhalt: Beim Treffen am 20.11.1999 wurde von VM 2100 mitgeteilt, dass Thomas Starke aus Dresden beim Skinkonzert in Schorba am 13.11.1999 vom B&H-Sektionschef Riese einen Spende für die Drei angeboten worden sei. Wießner: „Das war eines der größten Blood & Honour-Konzerte, das in Thüringen je veranstaltet wurde. Und da ist es angeblich zu dem Gespräch gekommen, mit dem Ausgang.“ Götzl: „Dass die Drei kein Geld mehr brauchen würden, weil sie jobben würden?“ Wießner: „Ja, ich habe das, glaube ich, als wörtliche Wiedergabe verfasst.“
V. d. Behrens: „Ist Ihnen bekannt, ob Akten vernichtet wurden zu Degner?“ Wießner: „Ist mir nichts bekannt, weiß ich nichts von.“ Auf Frage, ob Degner über B&H-Strukturen berichtet habe, sagt Wießner: „Ja über die Sektion wurde natürlich berichtet und es war ja bekannt, dass er Finanzchef von der Division Deutschland war.“
Vorhalt aus einer Deckblattmeldung des LfV Brandenburg vom 09.09.1998: Jan Werner soll zur Zeit den Auftrag haben, die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen; Gelder soll B&H bereitgestellt haben; nach der Entgegennahme der Waffen soll das Trio einen weiteren Überfall planen, um Deutschland sofort verlassen zu können. V. d. Behrens sagt, da gehe es also um mindestens zwei Überfälle: „Kommt eine Erinnerung zurück, dass Sie Erkenntnisse über Überfälle hatten?“ Wießner: „Was sie eben vorgelesen haben, mehr weiß ich nicht“ V. d. Behrens: „Das was ich Ihnen vorgelesen habe, war Ihnen das damals bekannt?“ Wießner: „Ich weiß es nicht. Das ist 15 Jahre her.“ V. d. Behrens fragt, ob Wießner 2001 von Brandt noch einmal einen Hinweis gekriegt habe, dass Geld nicht durch Arbeit vom Trio erzielt werde, sondern durch andere Aktionen. Wießner: „Da war die Nachbetreuung.“ Der Zeuge wird entlassen. Der Verhandlungstag endet um 17:10 Uhr.
Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert:
Neben den im Verfahren ja schon sattsam bekannten Erinnerungsproblemen wurde erneut deutlich, wie die Mitarbeiter der verschiedenen Inlandsgeheimdienste sich um Verantwortung und die Beantwortung von Fragen drücken: wer in der „Informationsbeschaffung“ arbeitet, gibt vor, keinerlei Erkenntnisse darüber zu haben, was mit den so beschafften Informationen getan wurde, wer bei der „Auswertung“ arbeitet, weiß natürlich nicht, woher das Material kam. (…) Völlig nutzlos war die Befragung des inzwischen pensionierten Mitarbeiters des Thüringischen Landesamtes Wiessner, der angab, von einer möglichen Bewaffnung und der Durchführung von Raubüberfällen des Trios keinerlei Kenntnisse gehabt zu haben. Die Meldung des V-Mannes Degner, die drei bräuchten kein (Spenden-)Geld mehr, weil sie jobben, habe zu dem Schluss geführt, die drei würden nur von „Schwarzarbeit“ leben, so behauptete Wiessner heute. Dabei ist „jobben“ ein bekannter Szenebegriff für Banküberfälle, die die NSU-Mitglieder ja auch tatsächlich begingen.
Zur vollständigen Version des Protokolls geht es hier.