Kurz-Protokoll 202. Verhandlungstag – 29. April 2015

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Für den heutigen Prozesstag waren zwei Zeug_innen geladen. Urte O., die den Banküberfall in Stralsund am 07.11.2006 als Kundin miterlebt hat, berichtete von ihren Erinnerungen an dieses Ereignis. Den Hauptteil des Prozesstages nahm allerdings die Befragung von Kay St., einem Jugendfreund von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, ein. Er war als Oi-Skin in den 90er Jahren ebenfalls in der rechten Szene aktiv und überraschte mit einer Aussage zu dem Vorfall der Puppen-Attrappe 1996. Entgegen seiner bisherigen Aussagen in diesem Zusammenhang gab er diesmal an, er sei an der Tat beteiligt gewesen und habe Böhnhardt und Mundlos ein Alibi geben sollen. Aufgrund unter anderem dieses Alibis war Böhnhardt bei dem entsprechenden Strafverfahren 1997 freigesprochen worden.

Zeug_innen:

  • Urte O. (Kundin in der Sparkasse Stralsund Banküberfall 07.11.2006)
  • Kay St. (früherer Oi-Skin und Jugendfreund von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt)

Die Verhandlung beginnt um 09:46 Uhr. Als erste Zeugin wird Urte O. zu dem Überfall auf die Sparkasse Stralsund am 07.11.2006 befragt. O. gibt an, sie hätten sich hinlegen sollen, es habe auch einen oder zwei Schüsse gegeben. Es sei in die Luft gefeuert worden. Auf dem Boden liegend habe sie eine Person gesehen, die weiße Turnschuhe getragen habe. Sie wisse, erwidert die Zeugin auf Rückfrage, dass es sich um zwei Personen gehandelt habe, weil sie zwei unterschiedliche Stimmen gehört habe. Das habe sich nach sächsischem Dialekt angehört, es seien eindeutig Deutsche gewesen. Sie meine, eine Angestellte habe in den Tresorraum gemusst.

Als nächtes kommt Kay St. in den Zeugenstand. Götzl fragt nach Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Er kenne, so Kay St., Beate Zschäpe und Uwe Mundlos bestimmt seit Ende der 80er, vielleicht auch Anfand der 90er Jahre. Uwe Böhnhardt habe er Mitte der 90er Jahre kennengelernt. Anfangs hätten sie sich fast täglich getroffen. Das sei mit der Zeit eingeschlafen, sie hätten sich dann nur noch alle zwei Monate getroffen. Zwischen Stefan Apel, dem Cousin von Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos habe es ziemliche Differenzen gegeben. Es habe damals eine Trennung gegeben zwischen Skinheads, zu denen auch er gehört habe und mehr oder weniger organisierten Rechtsradikalen. Mundlos habe Apel als asozialen Skinhead bezeichnet. Sie als Skinheads seien weniger politisch interessiert gewesen, sie hätten Spaß haben wollen. Sie hätten geschult werden sollen und hätten das nicht gemacht.
Es habe Mitte der 90er Jahre eine Radikalisierung in der rechten Szene gegeben. Es seien Themen aggresiver behandelt worden und es sei um Organisierung gegangen. Er erinnere sich noch, dass Mundlos wollte, dass er zu einem Treffen des Thüringer Heimatschutzes habe mitkommen sollen, das habe er abgelehnt.
Götzl fragt nach der Rolle von Uwe Böhnhardt. Er sei vielleicht 1994 aufgetaucht, als Freund von Uwe Mundlos. Er habe ihn nicht leiden können. Er sei ziemlich aggressiv gegen Leute gewesen, die nicht seiner Meinung gewesen seien. Er habe einen Faible für Waffen und Messer gehabt. Zur Kleidung von Mundlos und Böhnhardt sagt St., dass sie kurz vor dem Abtauchen in einer Art SA-Uniform herumgelaufen seien, also braune Kleidung. Zschäpe habe einfach dazugehört. Sie sei anfangs mit Mundlos liiert gewesen und dann mit Böhnhardt. Er habe sie als freundlichen Menschen gekannt, sie sei offen und selbstbewusst gewesen.
St. gibt an, Beate Zschäpe das letzte Mal noch kurz vor dem Abtauchen Anfang August gesehen zu haben, Böhnhard und Mundlos eher Ende 1997 zum letzten Mal. Nach dem Abtauchen habe er indirekt Kontakt gehabt, er sei nach Geld gefragt worden bzw. sei ihm von Böhnhardt ausgerichtet worden, wo denn sein Geld bleibe.
Götzl fragt nach der Vorgeschichte. 1996 habe er Mundlos und Böhnhardt als als Alibi-Zeuge gedient. Es sei ihm gesagt worden, es handele sich um die Puppe an der Autobahn. Sie hätten gesagt, sie bräuchten jemanden, der bezeugen könne, dass sie das nicht gewesen seien, auch innerhalb der Szene. Das Alibi sei irgendeine Feierlichkeit auf einem Dorf geworden. Sie seien losgefahren und hätten diese Puppe aufgehangen. St. sagt, Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, er selbst und Wohlleben seien dabei gewesen. Er, St., habe ein paar Verkehrskegel in die Hand gedrückt bekommen und die schnell auf der anderen Seite aufstellen sollen. Und da habe er zum ersten Mal das Schild “Vorsicht Bombe” gesehen. Neben ihm selbst habe auch Wohlleben Kegel aufgestellt. Beate Zschäpe habe praktisch nichts gemacht, zugeschaut und Böhnhardt und Mundlos hätten die Puppe gemeinsam aufgehängt.
Irgendwann sei, so der Zeuge, ein Fingerabdruck von Böhnhardt gefunden worden, dann sei gesagt worden, sie müssten sich absprechen, was gesagt werde. Alle Beteiligten seien dabei gewesen.
Auf die Frage, wer nach dem Abtauchen auf ihn zugekommen sei und nach dem Geld gefragt habe, antwortet der Zeuge: Wohlleben. Er habe zu Böhnhardts Eltern gehen sollen. Als er erfahren habe, dass es um richtigen Sprengstoff gegangen sei und damit auch schon Drohungen gemacht worden seien, habe er sich entschlossen, seine Unterstützungszusage zurückzunehmen. Es sei außerdem nicht um Unterstützung gegangen, einen Rechtsanwalt zu bekommen, sondern um den Untergrund. Geldbeschaffung über Banküberfälle, da habe er gemerkt, für ihn sei Schluss.
Götzl fragt noch einmal nach, in wessen Briefkasten er das Geld getan habe. In den von Familie Böhnhardt, antwortet der Zeuge. Der Kontakt zu Böhnhardts Eltern sei sehr kurz gewesen. Er erinnere sich, mal kurz mit ihnen im Wohnzimmer gesessen zu haben. Sie hätten gesagt, sie könnten 300 oder 600 Mark vorstrecken, bräuchten sie aber wieder. Auf die Frage, von wem ihm gesagt worde sei, er solle zu Böhnhardts Eltern gehen, antwortet der Zeuge: Wohlleben. Er selbst habe kein Geld zur Verfügung gestellt, antwortet der Zeuge auf Götzls Frage, hätte es vielleicht getan, wenn es um einen Anwalt für Zschäpe gegangen wäre.
Götzl will nun wissen, ob St. André Kapke gekannt habe. Jeder, der in Jena wohne, so der Zeuge, kenne ihn. Aber er habe ihn nicht leiden können. Kapke habe ihn seiner Erinnerung nach nie auf die Drei angesprochen und er, St., habe auch nichts über deren Aufenthaltsort oder Taten gewusst. Götzl will wissen, ob über Sprengstoff oder das Besorgen von Sprengstoff gesprochen worden sei. Er sei, so St., mal von Mundlos angesprochen worden, dass es möglich sei, Sprengstoff zu besorgen. Er habe zu Mundlos gesagt, er solle sich überlegen, was er mache, sie seien doch nicht im Krieg.
Götzl will wissen, welche Kontakte Mundlos in der damaligen Zeit in den alten Bundesländern gehabt habe. Der Zeuge gibt an, er sei dabei gewesen auf Parties in Ludwigsburg. Götzl fragt nach Kontakten in andere Bundesländer und der Zeuge nennt Chemnitz. Dort sei er öfters mit Uwe Mundlos gewesen.
Götzl fragt, was St. über das Leben von Zschäpe wisse. Zschäpe sei bei ihrer Mutter aufgewachsen, der Vater sei wohl Rumäne gewesen. Geschwister von ihr kenne er nicht, deswegen meine er, sie habe keine. Zschäpes Mutter sei, so meine er, arbeitslos gewesen. Sie sei, so glaube er, bis 1991 in die Schule gegangen. Über das Verhältnis von Zschäpe zu ihrer Mutter könne er nichts sagen, er kenne aus der Familie die Mutter, den Cousin und die Großmutter. Die Großmutter habe eine große Rolle gespielt, er meine, sie sei für Zschäpe die Größte gewesen, sie hätten ein sehr enges Verhältnis zueinander gehabt. Sie habe eine Lehre gemacht. Sie sei zu dem Zeitpunkt politisch rechtsgerichtet eingestellt gewesen. Sie sei normal gekleidet gewesen, nicht szenetypsich. Auch Wohlleben sei normal gekleidet gewesen.
Zum Thema Waffen sagt St., er sei sowohl bei Böhnhardt als auch bei Mundlos in der Wohnung gewesen, bei Mundlos habe er vielleicht mal ein Messer gesehen und bei Böhnhardt Messer und vielleicht mal eine Schreckschusspistole. Götzl will wissen, ob dem Zeugen Pogromly etwas sage. Das habe er nach dem Auffliegen der Drei gehört, gesehen habe er es nicht. Götzl fragt noch, ob der Zeuge Paulchen Panther kenne. St. bejaht das, Mundlos sei ein absoluter Fan von Paulchen Panther gewesen.
Götzl informiert, dass die Verteidigung von Zschäpe und Wohlleben signalisiert habe, eine Besprechungspause zu brauchen. Deswegen sei es sinnvoll, wenn der Zeuge noch einmal komme. Götzl schließt die Sitzung um 15:09 Uhr.

Auf dem Blog der Nebenklage-Vertreter_innen heißt es:

“Das erste Mal seit langer Zeit kam es heute vor dem Oberlandesgericht München zu einer wirklich überraschenden Zeugenaussage. (…) Mitte 1996 war eine Puppe mit Davidstern auf der Brust an einer Autobahnbrücke aufgehängt und daneben eine Bombenattrappe platziert worden. Uwe Böhnhardt wurde letztlich freigesprochen, weil mehrere „Kameraden“, darunter der heutige Zeuge, ihm ein Alibi gegeben hatten. Heute bestätigte der Zeuge, was ohnehin naheliegend war, nämlich dass dieses Alibi falsch war. (…) Seine Aussage ist natürlich ein Schlag für die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben, deren Verteidigungsstrategien u.a. darauf basieren, dass Zschäpe und Wohlleben an konkreten Taten nie beteiligt gewesen seien.”

Zur vollständigen Version des Protokolls geht es hier.