Kurz-Protokoll 203. Verhandlungstag – 11. Mai 2015

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Heute geht es um den Überfall auf den Edeka-Markt in Chemnitz, der 1998 vermeintlich vom NSU begangen wurde. Dazu sagen die Kassiererinnen aus. Außerdem werden Polizeibeamte zu ihren Ermittlungen, wie der Auswertung der Bilder der Überwachungskamera, befragt.

 

Zeug_innen:

  • Ramona W. (Kassiererin in überfallenem Edeka-Markt)
  • Heike E. (Kassiererin in überfallenem Edeka-Markt)
  • Stefanus Er. (Kriminalbeamter NRW)
  • Annika Vo. (Polizeibeamtin)

 

Der Prozesstag beginnt um 09:49. Die erste Zeugin ist Ramona W. Götzl erklärt der Kassiererin, es gehe ihnen um den Überfall auf den Edeka-Markt in Chemnitz in der Irkutskerstraße 1 am 18. Dezember 1998. Die Zeugin W. berichtet, sie habe an dem Tag Spätdienst gehabt und sei in der ersten Kasse im Eingangsbereich gesessen. Weiter sagt sie: „Es war viel los, es war die Woche vor Weihnachten. Und gegen 18:00 Uhr hat meine Hauptkassiererin mich als erstes abgeschöpft. Dann habe ich nur einen Mann gesehen, der an einer Säule lehnte. Ich habe weiter meine Arbeit gemacht und hörte ein bisschen Tumult im Hintergrund. Und in dem Moment kam ein weiterer in schwarzem langem Mantel vorbei gerannt und der andere im karierten Hemd hinterher und meine Kollegin hat gerufen ‚Überfall!’. Es ist noch ein Kunde hinterher, so viel ich weiß.“ Götzl fragt, ob die Männer maskiert gewesen seien. W. sagt, sie habe nur den an der Säule gesehen und der sei nicht maskiert gewesen, er hätte nur die schwarze Mütze aufgehabt. Zur Größe gibt die Zeugin an, der Mann an der Säule sei nicht sehr groß gewesen, ein Meter sechzig, siebzig und nicht dick, aber er sei ein bisschen kräftig gewesen. Gefragt nach der Größe und Statur der weiteren Person sagt Frau W.: „Auf alle Fälle größer, die sind ja raus gerannt“.
Vorhalt aus W.s Vernehmung beim BKA am 18.06.2012: Ein Kunde im Alter von 16, 17 Jahre rannte hinterher, als plötzlich ein Schuss fiel. Frau W. sagt: „Das war der junge Mann. Ich hab den nur von hinten gesehen. Und die Schüsse hat jeder gehört, deswegen sind alle im Eingangsbereich stehen geblieben. Ein Kunde hat gerufen: ‚Es wird geschossen!’“
Auf die Nachfrage, wie viel Beute das gewesen sei, gibt W. an, über 20.000 DM und allein bei ihr hätten 5000 DM bei der Abrechnung gefehlt. Götzl fragt: „Welche Folgen hatte der Überfall für Sie selbst?“ W. antwortet: „Es ist halt so, dass man doch ein bisschen mehr zur Seite schaut. Wenn heute jemand länger wartet, das ist nicht ungewöhnlich, dann sind es halt Männer, die auf Ihre Frauen warten. Aber man hat es verdrängt, es sind ja 17 Jahre halt. Und man macht halt seine Arbeit.“
Als zweite Zeugin wird Heike E. aufgerufen. Götzl erklärt ihr, es gehe um den Überfall auf den Edeka-Markt am 18.12.1998. Die Zeugin E. berichtet: „Also unsere Hauptkassiererin hat um 18:00 Uhr ihre Kasse zugesperrt und ist dann von Kasse zu Kasse gelaufen. Wir haben ihr das Geld in so kleinen Säckchen gegeben. Sie kam von der letzten Kassiererin zurückgelaufen und hinter meiner Kasse hörte ich, dass es laut wurde, drehte mich um und habe gesehen, wie eine Person meiner Kollegin eine Waffe vor den Körper hielt und versuchte, ihr die Tasche wegzureißen, was dieser Person auch gelang. Dann ist diese Person weggerannt, meine Kollegin hinterher. Ich hab von der Kasse durchs Mikrofon ‚Überfall!’ gerufen. Von draußen kam ein Knall und ein Kunde kam von draußen rein und sagte: ‚Draußen wird geschossen.’“ Götzl fragt, ob E. ihm die Person beschreiben könne. E. gibt an: „Die hatte so ein Tuch vor dem Gesicht, ein schwarzes. Und einen schwarzen Mantel. Aber mehr kann ich nicht sagen.“
Als nächstes wird der Kriminalbeamte Ernst St. als Zeuge aufgerufen. Er war mit dem Überfall auf die Edeka-Filiale befasst. St.: „Nach dem 04.11.2011 in der Frühlingsstraße kam es zu weiteren Ermittlungen. Im Brandschutt sind verschiedene Munitionsteile gefunden worden von Patronen im Kaliber 6.35 mm. Bei dem Abgleich mit anderen Tatmunitionsunterlagen wurde eine Spurengleichheit zu den drei in der Irkutsker Straße sichergestellten Patronen festgestellt: die drei Patronen aus der Frühlingsstraße wurden aus der gleichen Waffe abgefeuert wie die drei Patronen aus der Irkutsker Straße.“
Um 12:09 Uhr hat RAin v. d. Behrens das Wort. Sie sagt, nach §257 Absatz zwei zur Vernehmung von Stephan Lange werde folgende Erklärung abgegeben: „Anders als die Romanfigur Pinocchio, von der er seinen Spitznamen hat, sah man dem Zeugen nicht an der Nase an, wenn er log. Aber auch so war unverkennbar, dass der Zeuge mehrfach die Unwahrheit gesagt hat. Insbesondere die Versuche, B&H als reine Musikbewegung darzustellen, gehen offensichtlich an der Wahrheit vorbei.“ RAin v. d. Behrens weiter: „Zudem wird beantragt, Asservat Fanzine ‚Blood and Honour‘ 2/96 vollständig, Hilfsweise 2, 6-7. 11-14. 27. 28. 65 und 72 zu verlesen, zum Beweis der Tatsache, dass in dem Heft die Ideologie des bewaffneten Kampfes eines ‚Leaderless Resistance‘ autonom handelnder Zellen beworben wird und zum Mord an Migranten durch in den Kopf schießen aufgerufen wurde.
Im Anschluss ruft Götzl die Polizeibeamtin Annika Vo. als Zeugin auf. Götzl sagt, es gehe um den Überfall auf Postfiliale Chemnitz am 30.11.2000, Johannes-Dick-Straße 4. Die Zeugin habe den Bericht verfasst. Es gehe auch um eine Spur „Helfer”. Aber zunächst bittet Götzl zum Überfall Postfiliale zu berichten. Annika Vo. sagt, die Tat habe sich am 30.11.2000 in der Johannes-Dick-Straße 4 in Chemnitz ereignet. Zwei bewaffnete Täter hätten die Postfiliale betreten und hätten unter Vorhalt der Waffen oder zumindest Gegenständen, die wie eine Schusswaffe ausgesehen hätten, die Herausgabe von Scheingeld gefordert. Die Täter seien maskiert gewesen, seien aggressiv und lautstark aufgetreten. Die Täter seien arbeitsteilig vorgegangen, das hieße, ein Täter sei im Schalterbereich geblieben und habe die Herausgabe von Geld gefordert, der andere Täter habe aufgefordert, zum Tresor zu gehen und forderte auch dort die Herausgabe vom Scheingeld. Weiter sagt die Zeugin aus: „Also am 04.11.2011 wurde ja in Eisenach die Bank überfallen und die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in dem Wohnmobil aufgefunden.“ Des Weiteren habe sich der Brand in der Frühlingsstraße Zwickau ereignet. Aus ersterem ließe sich ein vergleichbarer modus operandi feststellen, das hieße, in Eisenach hätten zwei Täter eine Bank überfallen und anschließend hätten sie die Flucht mit einem Wohnwagen antreten wollen. Zur Frühlingsstraße sei zu sagen, dass im Brandschutt zahlreiche Asservate aufgefunden worden seien: Waffen und Kleidungsstücke, die in diesem Fall eine Rolle spielen. Götzl fragt, welche Unterlagen sie zur Verfügung gehabt habe. Vo. antwortet, damals Lichtbilder und die Auswerteberichte zu den Asservaten, des Weiteren die Bilder der Überwachungskameras. Die Bilder werden in Augenschein genommen. Zur Zuordnung der Täter sagt Vo.: „Täter 2 hält die Waffe in der linken Hand, der andere in der rechten Hand. Anzumerken ist, dass in den Zeugenvernehmung der Eltern von Böhnhardt und Mondlos zur Frage kam, ob ihre Kinder Rechts- oder Linkshänder waren. Vater Mundlos gab an, dass sein Sohn Beidhänder war, mit rechts geschrieben und mit links gezeichnet habe [phon.]. Und Uwe Böhnhardt sei nach Aussage seiner Mutter Linkshänder gewesen. Es wäre dann eine Zuordnung, dass es sich bei Täter 2 um Uwe Böhnhardt und bei Täter 1 um Uwe Mundlos handeln könnte.“
Vo. führt weiter aus, es gehe dann um die Bekleidungsgegenstände. Die Täter seien, wie hier zu sehen sei, mit Tüchern vermummt gewesen, sogenannte Bandanas. Und solche Tücher seien auch in der Frühlingsstraße aufgefunden worden. Bei den Tüchern aus der Frühlingsstraße sei anzumerken, dass sie mit einem Bindfaden ausgestattet wurden. Dieser ermöglicht es, das Tuch schnell aufzusetzen oder abzunehmen, was auch für eine Tätermaskierung sprechen würde.
Götzl spricht als zweiten Themenbereich die Spur Helfer an. Er fragt die Zeugin, ob sie mit Abklärungen befasst gewesen sei. Vo. bejaht und fragt, ob sie den Vorlauf wiedergeben solle. Götzl bejaht. Vo. führt aus, es habe den Sprengstoffanschlag auf die Probsteigasse am 19.01.2001 gegeben,  die Tochter der Familie sei verletzt worden. Der Täter sei vom Vater gesehen worden, als er vor Weihnachten das Ladengeschäft mit dem Korb betreten habe. In der Dose sei die Sprengvorrichtung gewesen. Ein Phantombild sei erstellt worden. Auch die Tochter habe den Täter damals gesehen.  Auch mit ihr sei ein Phantombild gefertigt worden. Die Phantombilder seien an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) geschickt worden. Das BfV habe diese auch an das Landesamt für Verfassungsschutz gesendet und gefragt, ob da die Person bekannt sei. Am 10. Februar erhielt das Bundeskriminalamt eine dienstliche Erklärung der Leiterin des VS Nordrheinwestfalen. Der Inhalt sei gewesen, dass eine Person, die Ähnlichkeit mit den Phantombildern aufweise, mitgeteilt werden könne. Johann Helfer [vgl. Protokoll 124. Verhandlungstag], geboren 24.04.67 in Köln, sei bekannt gewesen. Er sei Mitglied der rechtsextremen Kameradschaft Walter Spangenberg in Köln. Mit diesem Hintergrund habe die Zeugin Vo. und der Kollege Ma. dann bei der Waffenbehörde in Köln Ermittlungen angestellt. Dort sei bekannt geworden, dass Helfer 1985 wegen Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz bekannt gewesen sei. Des Weiteren hätten sie ein Lichtbild beim Einwohnermeldeamt Frechen zu Johann Helfer eingesehen und das BfV habe ihnen noch eine Ganzkörperaufnahme vom Frühjahr 2002 übersendet. Das Lichtbild der Passbeantragung sei von 2004 gewesen. Diese Bilder seien dann Bestandteil neuerlicher Zeugenvernehmung bei der betroffenen Familie gewesen. Da sie angegeben hätten, dass der Täter längere blonde Haare gehabt hätte, sei das Passbild dahingehend verändert und den Zeugen im Februar vorgelegt worden. Ergebnis sei gewesen, dass der Vater Johann Helfer nicht erkannt habe und die Tochter Helfer aufgrund der Größe sogar komplett ausgeschlossen habe. Weil es keine weiteren Erkenntnisse gegeben habe, seien erstmal keine weiteren Ermittlungen getätigt worden, zumindest nicht in der Zeit, in der sie in dem Bereich tätig gewesen sei. V. d. Behrens hält der Zeugin vor, sie habe ausgesagt, sie hätte den Geschädigten Bilder von Helfer vorgelegt. Es wird ein Lichtbild in Augenschein genommen und v. d. Behrens befragt weiter die Zeugin. V. d. Behrens: „Ist das das Lichtbild, was Sie den Zeugen der Familie vorgelegt haben?“ Vo: „Ja.“ Auf die Frage, ob man das Gesicht aus der Nähe erkennen könne, verneint Vo. und sagt, leider sei die Qualität sehr schlecht. V. d. Behrens hält Vo. vor, sie habe gesagt, die von der Polizei vernommene Zeugin habe Helfer aufgrund der Größe ausgeschlossen. RAin v. d. Behrens fragt, ob die Zeugin irgendwelche Informationen oder Vergleichsbilder von Vo. dazu gehabt hatte. Vo. sagt, nein, ihnen sei nur dieses eine Lichtbild in dieser Form übersandt worden, so habe die Zeugin die Größe nur anhand dieses Bildes einschätzen können. Das sei natürlich sehr schwer bei diesem Bild. Aber die Zeugin habe vom Gesamteindruck gemeint, dass es nicht passe. V. d. Behrens fragt weiter, ob Vo. sich um Lichtbilder von Helfer von 2001 bemüht habe. Vo. sagt, sie hätten das Bild von 2004. Weitere Bilder hätten sie nicht erhoben. Der Verhandlungstag endet um 14:23 Uhr.
Hier geht es zum Kommentar des Blogs nsu-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/05/11/11-05-2015/

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