Kurz-Protokoll 206. Verhandlungstag – 19. Mai. 2015

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Der heutige Verhandlungstag ist zunächst von einem Antrag der Verteidigung von Beate Zschäpe geprägt, dass der Sachverständige Psychiater Saß ihre Mandantin nur noch eingeschränkt beobachten darf. Sie bemängelt, dieser könne vertrauliche Gespräche hören. Bis zur Mittagspause wird die Verhandlung immer wieder unterbrochen. Dann sagt ein ehemaliger Polizeibeamter aus der Schweiz zu Ermittlungen bei Schläfli und Zbinden aus. Die Verteidigung Wohlleben hatte beantragt, diesen Zeugen zu laden, um den ermittelten Lieferweg der Mordwaffe Ceska in Zweifel zu ziehen. Dann wird Bernd Tödter vorgeführt. Es geht erneut um Angaben, die dieser zu den Verbindungen des NSU zur Neonazi-Szene in Kassel bei der Polizei machte. Er sagt heute aus, dass er sich alle diesen Angaben nur ausgedacht habe, um Hafterleichterungen für sich zu erreichen.
Zeugen:

  • Anton Ja. (Ermittlungen Schläfli & Zbinden, Lieferkette der Ceska)
  • Bernd Tödter (Erkenntnisse zu Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt u. deren Verbindungen u.a. nach Kassel)

Die Sitzung beginnt um 09:52 Uhr. Zunächst verliest RA Heer einen Antrag, nach dem der psychiatrische Sachverständige Dr. Saß den Saal verlassen solle, sofern Verhandlungspause oder ist und sich die Mandantin Zschäpe im Saal aufhält. Sein Gutachten dürfe nicht auf Feststellungen beruhen, die aufgrund von Gesprächen der Angeklagten mit ihren Anwält_innen oder von ihrem Verhalten während der Sitzungspausen beruhen. Deswegen beantrage er, dass der Sachverständige eine Platz im Sitzungssaal bekomme, wo er zwar Zschäpe sehen, aber nicht hören könne. Auch fühle sich seine Mandantin beobachtet. Sie dürfe ihren Laptop in der Vorführzelle nicht benutzen und sei deswegen auf Besprechungen mit ihren Anwält_innen im Sitzungssaal angewiesen. Das Gutachten des Sachverständigen Saß solle zum einen auf der Beobachtung des Verhalten der Angeklagten bei der jeweiligen Beweiserhebung beruhen, zweitens auf der Beobachtung ihrer Interaktion, unter anderem mit ihren Verteidiger_innen. Zweites verletze aber den Kernbereich von dem Mandantenverhältnis, verletze ihre Menschenwürde und degradiere sie zum Objekt des Verfahrens. Es geht auch darum, dass Dr. Saß nicht an allen Verhandlungstagen anwesend sei, dann durch Götzl unterrichtet werde, und dass der Richter mit seiner Unterrichtung des Sachverständigen nach dessen Abwesenheit bei der Einvernahme von Zeug_innen selbst eine Selektion der Informationen vornehme. Er könne die Hauptverhandlung ja unterbrechen, solange der Sachverständige Saß nicht da sei.
Als erstes nimmt die BAW Stellung: An welchen Teilen der Hauptverhandlung der Sachverständige teilnehme, sei seine Sache und es gäbe kein Recht der Angeklagten auf Unbeobachtetsein im Gerichtssaal, für vertrauliche Besprechungen solle sie sich zurückziehen. Der Sachverständige dürfe verwerten, was er als relevant beachte, das gelte auch für Wahrnehmungen außerhalb der Verhandlung. Der Vorsitzende Richter Götzl bittet Dr. Saß, ersteinmal einen Platz nach links zu rutschen und die Angeklagte möge, sofern sie längere Gespräche führen wolle, eine Pause beantragen. Man versuche, es zu ermöglichen, dass sie ihren Laptop in den Vorführraum mitnehmen könne, das dürfe kein Problem sein.
Der Sachverständige Saß äußert sich: Er werde jetzt auf Einzelheiten der Bewertungen und Beschreibungen nicht eingehen, und er könne sicherlich hier alles und alle im Saal beobachten, die Interaktion mit den Verteidigern, aber er könne die Gespräche nicht verstehen, er kenne den Inhalt nicht.
Anschließend erklärt Götzl, Frau Zschäpe könne selbstverständlich den Laptop in der Vorführzelle benutzen, das sei ein Missverständnis gewesen, dass sie das nicht könne. Götzl lehnt den Antrag ab. Zu 1: Niemand könne gewährleisten, dass Zeug_innen auch außerhalb des Sitzungsaals Wahrnehmungen bekunden. Eine erneute Ladung von Zeug_innen bei Abwesenheit von Dr. Saß wäre unzumutbar für die Zeug_innen und die Prozessbeteiligten. Zu 2: Es ist unbotmäßig, dass andere Prozessbeteiligte aufgrund des Wunsches von anderen den Raum verlassen sollen. Zu 3: Die Beobachtung der Angeklagten sei keine verbotene Vernehmungsmethode, bei einer schweigenden Angeklagten sei die Beobachtungen zulässig. Der Sachverständige habe bestätigt, dass er Inhalte nicht verstehen könne.

Es folgt die Befragung des Schweizer Zeugen Anton Ja., 60 Jahre, seit neun Jahren im Ruhestand, vorher war er 35 Jahre Polizeibeamter. Götzl sagt, es gehe um die Ermittlungen der Kantonspolizei Bern im Jahre 1998 betreffend Frank We., die Firma Schäfli&Zbinden u.a. Anton Ja. berichtet, er habe ab 1998 ermittelt wegen gefälschter Waffenerwerbsscheinen. Ende 1997 wurde im Kanton Bern ein deutscher Staatsangehöriger mit mehrern Feuerwaffen im Auto kontrolliert, das sei Frank We. gewesen, man habe ihn in Haft genommen und die Herkunft der Waffen überprüft. Einige waren in einem Waffengeschäft im Kanton Bern erworben und hatten gefälschte Waffenerwerbsscheine. Das wären drei Waffen gewesen. Es sei sich nicht sicher, immerhin sei das 17 Jahre her, aber Herr Zbinden sei freigesprochen worden. Er solle auch Waffen an Frank We. verkauft haben. Götzl fragt nach den Waffenbüchern bei Schäfli&Zbinden. Da sei „immer alles korrekt und in Ordnung“ gewesen, sagt Anton Ja.
Die BAW sagt, der Zeuge habe ja gesagt, dass ihm Unstimmigkeiten in den Waffenbücher der Firma Schläfli&Zbinden nicht aufgefallen seien und fragt, wie oft er sich die angeschaut habe. Der antwortet: Wenn irgendwo eine illegale Waffe gefunden worden sei, habe er abgleichen sollen, an wen die Waffe verkauft worden sei. Dafür gehe man zum Händler und schaue bei dem Importdatum nach und dann finde man die Waffe und zumindest den ersten Käufer. So eine Aufgabe sei bestimmt einmal im Monat der Fall, über 14 Jahre lang.

Der Zeuge Bernd Tödter wird hereingebeten und erscheint mit seinem Zeugenbeistand RA Waldschmidt. Zunächst fragt Götzl, ob der Zeuge von seiner Seite aus Ergänzungen zu seinen Befragungen am machen wolle, was dieser bejaht. Alle Aussagen, die er gemacht habe bei der Polizei, seien gelogen. Die habe er sich nur ausgedacht. Die Personen, die hier säßen, kenne er nicht, die habe er nie gesehen, höchstens in der Zeitung. Der Grund für seine Aussagen bei der Polizei war, er wollte sich Hafterleichterung erschleichen. Nach kurzer Zeit sagt Götzl, man sei es ja beim letzten Mal durchgegangen, da habe der Zeuge ja alles mögliche gesagt, ob die Angaben bei der Polizei, die im Protokoll enthalten seien gemeint seien. Tödter sagt, die meisten Aussagen wären ihm in den Mund gelegt worden, die habe er nicht gemacht. Die Namen, die angegeben seien, kämen aus dem Internet, alles andere habe er erfunden. Also den Brief z.B, den er geschrieben habe, dass er Informationen hätte, da habe er sich gedacht, er springe da mal auf den fahrenden Zug auf und schaue, was dabei rauskomme. Götzl und die Nebenklage befragen den Zeugen intensiv und halten ihm seine Aussagen erneut vor. Dieser bleibt dabei, dass er sich alles ausgedacht habe.
NKRA Bliwier fragt, ob der Zeuge aus der Haft heraus Kontakt zu Beate Zschäpe aufgenommen habe. Ja, sagt der. Wann wisse er nicht mehr, sagt er auf Nachfrage, er habe nur „schöne Grüße“ bestellen wollen. NKRA Narin fragt Tödter, ob dieser Andreas Temme kenne. Ja, der sei ihm bekannt, sagt der Zeuge. Woher? Aus Kassel. Der habe beim VS gearbeitet, das sei jedem bekannt gewesen. Er kenne ihn nicht persönlich, den Namen aber. Das sei ihm zugetragen worden, aus dem Netzwerk, aus Sturm 18. Der Zeuge wird um kurz nach 18 Uhr unvereidigt entlassen. Der Prozesstag endet.

Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert:

„Als nächstes erschien wieder einmal Bernd Tödter, vorgeführt aus der Untersuchungshaft, wo er wieder einmal wegen des Verdachts von Gewaltdelikten einsitzt. […] Er legte sich zu Beginn der Vernehmung fest: seine damalige Aussage bei der Polizei habe er sich ausgedacht, die Angeklagten und Böhnhardt und Mundlos habe er noch nie gesehen, er habe sich damals mit aus dem Internet angelesenen Wissen Hafterleichterungen erschleichen wollen: „Ich hab mir gedacht, ich spring mal auf den fahrenden Zug auf und guck, was dabei rauskommt.“ Der Vorsitzende konnte diesen Sinneswandel nicht ganz nachvollziehen, zumal Tödter durchaus Gelegenheit zum Kontakt mit „den Drei“ hatte, u.a. mehrfach bei seinem Bruder in Zwickau zu Besuch war und es auch Verbindungslinien innerhalb der Nazi-Szene gab. Auch aus der Nebenklage kamen Nachfragen – so war Tödter etwa vor seinen Angaben bei der Polizei in der Haft und hatte gar keine Möglichkeit, sich Informationen zum NSU aus dem Internet zu besorgen. Tödter blieb dabei, alles sei aus dem Internet oder selbst ausgedacht gewesen, manches habe ihm auch die Polizei in den Mund gelegt und er habe das „abgenickt“. Welche der sich widersprechenden Angaben Tödters stimmen, ist schwer zu sagen. Klar ist: es ist unvorstellbar, dass der NSU seine Morde in ganz Deutschland ohne Unterstützung durch Nazis vor Ort durchgeführt hat. Dies gilt insbesondere für die Morde 2006 in Kassel und Dortmund.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/05/19/19-05-2015/