Protokoll 207. Verhandlungstagtag – 20. Mai 2015

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Am heutigen Prozesstag ist erneut geladen. Er war bereits am 11.03.2015 befragt worden und hatte damals bestritten, für das LfV Thüringen als V-Mann tätig gewesen zu sein. Nach einer Befragung seines damaligen V-Mann-Führers Norbert Wießner steht die Frage seiner Tätigkeit als V-Mann heute noch einmal zur Verhandlung. Da Degner dabei bleibt, nicht für das TLfV gearbeitet zu haben, endet die Befragung schnell. Die Nebenklage versucht mit weiteren Beweisanträgen Aufschluss darüber zu bekommen, welche Informationen Marcel Degner über Ralf Wohlleben und den NSU hatte.

Zeuge:

  • Marcel Degner (Neonazi-Umfeld, Blood and Honour Thüringen, ehemaliger V-Mann des LfV Thüringen)

Der Prozess beginnt um 09:48 Uhr. RA Hoffmann beginnt mit der Fortsetzung der Befragung Marcel Degner vom 11. März und bezieht sich auf die Aussage des Zeuge Wießner (V-Mann-Führer von Degner), der angegeben hatte, Marcel Degner habe als V-Mann für das LfV gearbeitet. Hoffmann will wissen, was der Zeuge dazu sage. Der Zeuge erwidert, er habe nicht erwartet, dass die etwas anderes sagen würden. Seine Geschichte sei so, wie er sie dargestellt habe. Er habe keine Infos weitergegeben. Auf die Frage, ob er Wohlleben beim Aufbau des NSU unterstützt habe, entgegnet er, davon sei ihm nichts bekannt. Hoffmann ist überrascht, dass der Zeuge bei seiner Aussage bleibt und will den Prozess für 15 Minuten unterbrechen.

Die Sitzung wird bis 10:10 Uhr unterbrochen. Dann kündigt RA Hoffmann an, er halte es für sinnlos, dem Zeugen weitere Fragen zustellen. NK-Anwalt RA Kolloge fügt an, er halte die Angaben nicht für Falschaussagen, sondern für ein Verhalten oder eine Haltung. Der Zeuge wolle keine Antwort geben, das sei Zeugnisverweigerung. Er beantragt, den Zeugen unter Androhung von Mitteln, die die StPO vorsieht, zu einer Antwort zu bringen. NK-Vetreter RA Narin schließt sich an. Wohlleben-Vertreidigerin RAin Schneiders sieht keinen Anlass, einem Mitarbeiter einer Verfassungsschutzbehörde mehr Glauben zu schenken als einem anderen Zeugen.

Götzl bittet des Zeugen nach draußen und holt Stellungnahmen zum Antrag von RA Kolloge ein. Wohlleben-Verteidiger RA Klemke hält den Antrag für absurd, §70 STPO sei nicht dazu gedacht, wahrheitsgemäße Aussagen zu erzwingen, sondern überhaupt Aussagen. Dem stimmt Götzl zu. RA Kolloge entgegnet, erhalte die Aussagen des Zeugen für Zeugnisverweigerung, es seien keine Aussagen. Es folgt eine Diskussion zwischen Götzl und Kolloge, ob die Aussagen des Zeugen als Falschaussagen oder Zeugnisverweigerung interpretiert werden sollen. Davon hängt die Anwendung des §70 StPO ab. Götzl hält die Aussagen am Ende nicht für Zeugnisverweigerung.
Auch BAW Diemer versteht die Antworten des Zeugen als Aussagen, es müsse geprüft werden, ob es sich um Falschaussagen handelt. Götzl unterbricht bis 10:40 und zieht sich zur Beratung zurück.

Um 10:44 Uhr wird der Prozess fortgesetzt und Götzl verkündet den Beschluss: Die Anträge, gegen den Zeugen wegen grundloser Aussageverweigerung nach §70 StPO Zwangsmaßnahmen zu verhängen, werden abgelehnt und begründet dies damit, das der Zeuge ausgesagt habe, geprüft werden müsse die Wahrhaftigkeit der Aussage. Der Zeuge wird wieder hereingeholt. Götzl fragt den Zeugen noch einmal nach einer Tätigkeit für das LfV, der Zeuge verneint erneut, für das LfV gearbeitet zu haben. Die Befragung des Zeugen wird beendet.

RA Hoffmann widerspricht der Entlassung des Zeugen, RA Kuhn wirft ein, er halte möglicherweise ein Vereidigung für notwendig. RA Hoffmann beantragt, den Mitarbeiter des LfV, Jürgen Zweigert, als Zeugen zu vernehmen. Herr Zweigert sei derjenige, der Degner offensichtlich geführt hat. Er könne Kenntnisse, die Meldungen und Kontakte vermitteln. Diese Vernehmung werde ergeben, dass Degner von 1998 bis 2001 mit Gruppen in Thüringen und Sachsen, u. a. auch mit Ralf Wohlleben und den Mitgliedern von B&H in Chemnitz zusammengearbeitet habe. Aufgrund der Vernichtung von Unterlagen sei wenig Material verhanden, die Vernehmung von Wießner habe noch nicht ausreichend Informationen über die V-Mann-Tätigkeit ergeben. Vor der Entlassung von Degner als Zeugen müssten alle Informationen auch von Zweigert zusammengetragen werden.

NK-Vertreter RA Narin schließt sich dem Antrag an und fügt hinzu, Zweigert werde bekunden, dass Marcel Degner während seiner Tätigkeit für die Beschaffung von Geldmitteln und Logistik für die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zuständig war und mit dem Vertrieb der von Mundlos hergestellten T-Shirts mitbefasst gewesen sei. Auch NK-Vertreterin RAin von der Behrens schließt sich an. Die Erkenntnisse zu Marcel Degners Kontakten und getätigten Spenden für das Trio ließen vermuten, dass er tiefer verstrickt gewesen sei und Kenntnisse davon gehabt habe, was Wohlleben vom Trio gewusst habe. Vermutlich habe er auch Kontakte zu André Eminger gehabt. Die BAW bittet um Unterbrechung zur Verhandlung des Antrags, Zweigert als Zeugen zu laden. Götzl unterbricht die Sitzung.

Um 11:25 geht es weiter. BAW Greger führt aus: Zum Beweis der Tatsache, dass Marcel Degner 1998 – 2001 mit anderen Gruppen in Thüringen und Sachsen, mit Ralf Wohlleben und Mitgliedern der B&H-Szene Chemnitz zusammengearbeitet haben soll, soll der Zeuge Jürgen Zweigert geladen werden. In dieser Allgemeinheit halte er den Beweisantrag für ablehnungswürdig. Die Tatsachen seien für die Entscheidung ohne Bedeutung, sie ließen keine Rückschlüsse auf die angeklagten Taten zu. Aus dieser Zeugenvernehmung sei kein Erkenntnismehrgewinn zu erwarten. Zschäpe-Verteidiger RA Heer schließt sich an. Götzl wendet sich mit der Frage an RA Hoffmann, ob der Antrag von ihm so gemeint gewesen sei, dieser erwidert, er habe auch Bezug genommen auf Vernehmung des Zeugen Zweigert, insofern sei es enger gemeint gewesen. Jetzt ist unklar, auf welchen Beweisantrag überhaupt Bezug genommen wird.

RAin v. d. Behrens erinnert daran, dass bei der Vernehmung des Zeugen Degner zwei Anträge gestellt worden seien – die Ladung von Wießner und die Ladung von Zweigert. Götzl und v. d. Behrens sind uneinig, ob diese Anträge wirklich beide gestellt worden seien. Hoffmann sagt, es stehe die Frage im Raum, ob der Angeklagte Wohlleben Kontakt zu B&H-Strukturen, zu Degner, zu B&H Sachsen gehabt habe, ob er unter Umständen teilgenommen habe an Diskussionen über den bewaffneten Kampf. Zu alldem müsse der Zeuge Zweigert Auskunft geben können. Denn er habe über diesen Zeitraum die V-Person Degner geführt und regelmäßig Berichterstattung erhalten. Götzl entgegnet, dann solle Hoffmann den Antrag so stellen, damit klar werde, worüber Beweis erhoben werden solle. Hoffmann stimmt zu, den Antrag noch einmal zu stellen.

Götzl bittet jetzt um die noch ausstehende Erklärung zur Vernehmung der Zeugin . RA Hoffmann beginnt. Die Vernehmung habe lediglich ergeben, dass sie am 29./30. Januar 2000 auf der bekannten Schulungsveranstaltung in der JH Froschmühle in Thüringen über Brauchtum referiert habe. Sie sei von eingeladen worden. Sie habe in Abrede gestellt, sicher zu wissen, ob Ralf Wohlleben anwesend gewesen sei. Zum Gespräch über das Trio und der Rolle von Ralf Wohlleben in diesem Gespräch habe die Vernehmung nichts ergeben. Die Zeugin habe angegeben, ein solches Gespräch nicht gehört zu haben und damals weder Beate Zschäpe noch Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt gekannt und von untergetauchten Thüringern nichts gewusst zu haben. Sie habe insbesondere die Darstellungen Christian Kapkes brüsk von sich gewiesen. Entgegen ihrer Beteuerungen spreche jedoch einiges dafür, dass die Zeugin hätte aufklären können, wer auf der Veranstaltung mit wem was über das Trio gesprochen habe. Ganz offensichtlich sei die Zeugin nicht gewillt gewesen, weitergehende Angaben zu machen, was nahelege, dass sie weitere Erkenntnisse habe.

Sie habe wortreich Erinnerungslücken präsentiert. Gleichzeitig habe sie aber nicht zu erklärende Erinnerungsinseln hinsichtlich der Veranstaltung in der Froschmühle. Zu den Dingen, an die sie sich genau zu erinnern meinte, habe auch gehört, bei keinem Gespräch wie Kapke und Brandt es geschildert hatten, dabei gewesen zu sein. Wie sie offen zugegeben habe, sah sie sich auch nicht verpflichtet, vollständige Angaben zu machen, sondern habe selbst entscheiden, was zum Beweisthema gehöre oder nicht. Ihre Motivation habe sich aus ihrer Antwort zum Verfassungsschutz gezeigt: “Ich bin doch kein Verräter”. Ihre Aussage, keinen Kontakt zu B&H-Kreisen zu unterhalten, sei unglaubhaft, weil sich im B&H-Magazin zwei Artikel von ihr befänden, vor denen ihr Name und ihre Adresse abgedruckt sei, was sicher nicht ohne ihre Einwilligung geschehen wäre. Von daher erscheine es nicht unplausibel, dass die Zeugin als Vertrauensperson zu und Graupner eingesetzt worden sei, um einen Kontakt zu zu vermitteln.

Hoffmann beantragt daher, das Protokoll der Vernehmung beizuziehen. Der Zeuge Tauber könne möglicherwiese dazu Auskunft geben, ob es auf der Veranstaltung ein Gespräch über das Trio gegeben habe und wer anwesend gewesen sei. Es finde sich kein Protokoll der Vernehmung Tauber in der Gerichtsakte. Dass dieser nicht vernommen wurde, erscheine aber unwahrscheinlich, da er im THS aktiv gewesen sei, mit Holger Gerlach Kontakt gehabt habe und derjenige gewesen sei, dem der Angeklagte Schultze den Rücktritt von den Parteiämtern mitteilte. Auch gab Schultze an, dass er Tauber mitgeteilt hätte, dass er das Trio unterstützt habe. Es ist davon auszugehen, dass Tauber wie auch Edda Schmidt im unbekannten Verfahren vernommen worden sei. Es erscheine willkürlich, welche Zeugen in dem unbekannten und welche in dem hiesigen Verfahren vernommen werden. Die Vernehmungsniederschrift sei beizuziehen, weil ein Verfahrenszusammenhang bestehe.

Christian Kapke habe in der polizeilichen Vernehmung über das Gespräch mit Edda Schmidt über das Trio berichtet. Das BKA habe zu Erkenntnissen zu Schmidt beim BfV nachgefragt. Anschließend sei nichts durch die Ermittlungsbehörden erfolgt, obwohl die Zeugin Schmidt als Vermittlerperson zu Kapke eingesetzt worden war. Erst eineinhalb Jahre später sei eine staatsanwaltliche Vernehmung im unbekannten Verfahren erfolgt, die Niedeschrift sei aber nicht zur Gerichtsakte gereicht worden. Erst auf Aufforderung des Vorsitzenden wurde sie am 20.04.15 nachgereicht. Die Folge: weder Christian Kapke noch Andres Graupner konnten zu den Angaben Schmidts befragt werden. Götzl schließt die Sitzung um 11:48 Uhr.

Auf dem Blog der Nebenklage-Vertreter_innen heißt es:

“Degner scheint sich sicher zu sein, mit seiner Lüge durchzukommen, weil die Akten mit den ausführlichen Berichten des V-Mannes „Hagel“, so nach Auskunft des Thüringer VS-Mitarbeiters sein Deckname, geschreddert wurden. (…) Tatsächlich scheint außer der Nebenklage niemand ein besonderes Interesse zu haben, näheres zur Tätigkeit des V-Mannes zu erfahren. Der Vorsitzende Richter Götzl konfrontierte Degner nicht einmal selbst damit, dass zwischenzeitlich der VS-Mitarbeiter seine V-Mann-Tätigkeit bezeugt hatte.”

http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/05/20/20-05-2015/

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