Teil 4: Combat 18 in Dortmund und weitere Spuren
Dieser Artikel wird aufgrund seines Umfanges in vier Teilen im jeweiligen Abstand von wenigen Tagen auf nsu-watch.info veröffentlicht. Er bietet mit Fokus auf das Unterstützungsnetzwerk des NSU einen umfassenden Überblick über die Erkenntnisse antifaschistischer Recherche zum neonazistischen Netzwerk Blood & Honour und seinen terroristischen Strukturen wie Combat 18.
von Michael Weiss für NSU-Watch
Teil 1: Die Unterstützung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt durch Blood and Honour in der Anfangsphase [veröffentlicht am 26.5.2015]
Teil 2: Blood and Honour und seine Flügelkämpfe [veröffentlicht am 29.5.2015]
Teil 3: Der Import von „Leaderless Resistance“ und Combat 18 [veröffentlicht am 4.6.2015]
Teil 4: Combat 18 in Dortmund und weitere Spuren
Text in einem Dokument:
Der NSU im Netz von Blood & Honour und Combat 18 – Gesamtversion
Die Kreise um die Band Oidoxie
Die Hammerskins sind ein weiteres militantes Netzwerk mit einem Faible für den Untergrund und einem elitären Selbstverständnis. Den Hammerskins kommt heute zunehmend Bedeutung zu, auch deswegen, da sie nach der Zerschlagung von B&H-Nachfolgeorganisationen etliche Personen aus B&H-Kreisen aufgenommen haben, die politisch heimatlos geworden waren. Mit C18 in Deutschland hatten die Hammerskins lange Zeit ihre Probleme, zu selbstherrlich traten C18-Leute auf, zu frech formulierten diese Führungsansprüche. Seit 2011 herrscht weitgehend Friede. Malte Redeker, führender Hammerskin in Deutschland, schrieb in einer internen Mail am 5. Juli 2011 an seine „Brüder“ der Hammerskin Nation (HSN): „Das andere Gespräch fand zwischen mir und den deutschen Combat18 Leuten statt. Wie unlängst […] beschlossen wurde, hat sich die deutsche Grundeinstellung zum C18 (zumindest dem deutschen Flügel) gewandelt. Von einer passiven aber ablehnenden Haltung sind wir zu einer neutralen Haltung übergegangen. Es war einhellige Meinung, keinen Krieg mehr über 15 Jahre alte Geschichten zu führen. Das Gespräch wurde mir von Gottschalk und einigen Streetfighting Crew Leuten „gedrückt“, da die Jungs parallel zu uns zur selben Erkenntnis gekommen sind. Gottschalk hatte mir also 1 zu 1 dasselbe erzählt, was ich ihm eh ausrichten wollte. Das Gespräch war sehr aufschlussreich und verlief in sehr guter Atmosphäre. Es gibt keinen einzigen C18 Mann in Deutschland, der keine gute Beziehung zur HSN möchte. Wir müssen es jetzt ja nicht überstürzen mit Verbrüderungen, etc. Aber ist grundsätzlich mal gut zu hören, dass unser „Friedensangebot“ mehr als willkommen geheissen wird. Schauen wir also mal, dass wir die Oidoxie Jungs irgendwo mal spielen lassen.[…]“ Aus dieser Mail geht hervor, dass es noch im Jahr 2011 eine Struktur in Deutschland gab, die – immerhin von den Hammerskins – als „deutsches C18“ angesehen wurde: Die „Streetfighting Crew Leute“, die „Oidoxie Jungs“.
Die Musikband Oidoxie wurde 1995 vom Dortmunder Marko Gottschalk gegründet. In den 1990er stellte sie die Struktur von B&H im Ruhrgebiet. Oidoxie und die mit ihr „verbrüderten“ Band Weisse Wölfe (Sauerland) und Extressiv (Raum Werne) machte sich mit Songs wie „Terrormachine Combat 18“ (Oidoxie) und Texten wie „You know what I mean, hail, hail, hail the terrormachine, hail, hail, hail Combat 18“ (Weisse Wölfe) zum Sprachrohr des deutschen C18.
Um das Jahr 2003 entstand aus dem „Oidoxie-Saalschutz“ die Oidoxie Streetfighting Crew. Zunächst auf den Raum Dortmund beschränkt gründeten sich – autorisiert von den Dortmundern – „Crews“ auch in Kassel und in Schweden, wohin Gottschalk exzellente Kontakte pflegt. Kasseler Neonazis der „Nordhessen Crew“ stellten Bühnenordner beim Auftritt von Oidoxie am 17. September 2005 auf einem B&H-Konzert in Tschechien. Zu den Geburtstagspartys führender Kasseler „Crew-Member“ reisten in den Jahren 2006 und 2007 Oidoxie und/oder Extressiv an. Einzelne dieser Konzerte wurden von der Polizei verhindert, andere fanden statt. Am 18. März 2006 feierte „Crew-Member“ Stanley R. mit Oidoxie seinen Geburtstag in einem Rocker-Clubhaus in Kassel. Am 17.06.2006 spielten Oidoxie und Extressiv im Clubhaus auf der Geburtstagsfeier von „Crew-Member“ Michel F. vor 50 bis 100 geladenen Gästen.
Es ist signifikant: In der Oidoxie Streetfighting Crew gab es im Frühjahr 2006 eine innige Verbindung zwischen Kasseler und Dortmunder Neonazis, die sich als „deutsches Combat 18“ verstanden. Das Clubhaus in Kassel, in dem die Partys mit Oidoxie stattfanden, lag keine 20 Fußminuten von dem Internet-Cafe entfernt, in dem Halit Yozgat vom NSU ermordet wurde. Doch es gibt keine Gewissheit, dass diese Verbindung auch das Bindeglied zu den NSU-Morden an Halit Yozgat am 4. April 2006 in Kassel und an Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 in Dortmund war.
Combat 18 in Dortmund
Im Jahr 2000 eskalierte in Nordrhein-Westfalen die neonazistische Gewalt: Am 14. Juni erschoss der Neonazi Michael Berger in Dortmund und Waltrop zwei Polizisten und eine Polizistin und richtete sich danach selbst. Am 27. Juli explodierte eine mit TNT gefüllte Rohrbombe am Düsseldorfer Bahnhof Wehrhahn und verletzte zehn Personen zum Teil lebensgefährlich. Bei den Opfern handelte es sich ausnahmslos um Migrant*innen, sechs davon mit jüdischem Hintergrund, die von einem Sprachkurs kamen. Am 15. Oktober fand die Polizei bei einem Einsatz in Bocholt beim Neonazi Markus N. eine Rohrbombe, die offensichtlich gegen Linke eingesetzt werden sollte. Markus N. kommt aus der Dortmunder Szene um Oidoxie.
Am 19. Januar 2001 folgte der NSU-Anschlag in einem Ladengeschäft in der Kölner Probsteigasse, der eine 19-jährige schwer verletzte.
Um das Jahr 2000 entdeckten Neonazis der Kameradschaft Dortmund und der Kameradschaft Essen für sich das Label „Combat 18“ und verstanden sich nun als eine C18-Gruppe. Die Kameradschaft Dortmund war weitgehend identisch mit dem engeren Kreis um Oidoxie, mehrere Mitglieder trugen „Combat 18“-Tätowierungen. Diese C18-Gruppe führte unter anderem Schießübungen durch, an denen auch Michael Berger teilnahm. Als dieser am 14. Juni 2000 zwei Polizisten und eine Polizistin erschoss, feierte ihn die Kameradschaft Dortmund mit einem Aufkleber: „Berger war ein Freund von uns! 3:1 für Deutschland“.
Im Jahr 2006 entstand aus der Oidoxie Streetfighting Crew erneut eine Kleingruppe, die Combat 18 umsetzen wollte. Mitglieder waren unter anderem Marko Gottschalk, der Dortmunder Robin Schmiemann und Sebastian Seemann aus Lünen. In der Gruppe kursierten die „Turner-Diaries“ und Schusswaffen, die von belgischen Neonazis von B&H Vlaanderen beschafft worden waren. Der Rechercheblog DerWesten schreibt, die Dortmunder Gruppe habe zeitweise mehrere Pumpguns und eine Maschinenpistole besessen und resümiert: „Nur mit Glück ist der große Knall einer rechtsradikalen Gewaltorgie in Dortmund ausgeblieben.“ [1]
Sebastian Seemann, der heute Sebastian W. heißt, war eine Schlüsselfigur der regionalen B&H-Szene. Er veranstaltete bis weit in die 2000er Jahre B&H-Konzerte in Belgien, war ein Waffennarr und bereits im Jahr 2006 im schwerkriminellen Milieu unterwegs. Die Neonazis um Seemann waren unter anderem Zuhälter, Waffenschieber und Drogenhändler. In einem Kokain-Deal 2007 kam ihm die Bielefelder Polizei auf die Spur, überwachte ihn und stellte fest, dass Seemann als V-Mann für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz arbeitete und von seinem V-Mann-Führer Warnungen vor Polizeiaktionen erhielt. Der Drogendeal platzte, der darin involvierte Robin Schmiemann schuldete Seemann mehrere tausend Euro und wurde von diesem gedrängt, das Geld aufzutreiben. „Er hat mir damals die Waffe in die Hand gedrückt und mich losgeschickt“, sagte Schmiemann später vor Gericht, nachdem er wegen der Schulden am 2. Februar 2007 in Dortmund einen Supermarkt überfallen und einen 60-jährigen Kunden migrantischer Herkunft mit Schüssen in Brust und Bein um ein Haar getötet hatte. Schmiemann wurde 2008 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Der V-Mann Seemann erhielt 2008 in einem kaum mehr als zweistündigen Prozess ohne Zeugen und Beweisaufnahme aufgrund eines Deals zwischen Richter und Staatsanwalt eine milde Strafe von drei Jahren und neun Monaten Haft wegen Drogenhandels. Die Weitergabe der Waffe an Schmiemann und der illegale Besitz von acht Schusswaffen wurden nie verhandelt und verurteilt.[2]
Im Jahr 2013 wurde ein Briefkontakt zwischen Robin Schmiemann und Beate Zschäpe bekannt. Dieser fand im Frühjahr 2013 statt, alleine im März 2013 schickte Beate Zschäpe drei bis zu 26 Seiten lange Briefe und eine Karte an den im niederrheinischen Geldern inhaftierten Schmiemann. Darin gibt Zschäpe tiefe Einblicke in ihr Seelenleben, der Ton ist vertraut. Ein Hinweis darauf, dass sich die beiden schon zuvor kannten oder gemeinsam an einer Aktion mitgewirkt hatten, findet sich darin nicht. Doch auch ohne es voneinander gewusst haben zu müssen waren die beiden über Jahre miteinander verbunden gewesen: durch die Idee des „leaderless resistance“ und durch die Netzwerke von Blood & Honour und Combat 18.
Noch viele nicht erzählte Geschichten
Natürlich kann dieser Artikel nur einen Anriss geben über die vielfältigen Verschränkungen zwischen dem NSU und dem Netzwerk Blood & Honour. Es gibt viele weitere Spuren: So zum Beispiel in Kassel, wo der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme zum Zeitpunkt des NSU-Mordes an Halit Yozgat im Hinterzimmers des Internet-Cafés saß, in dem die Tat geschah. Und der dorthin aufbrach, nachdem er einen Anruf eines Kasseler Neonazis erhalten hatte, den er als V-Mann führte und der der Stiefbruder eines ehemaligen Kasseler B&H-Exponenten ist. [3] In Dortmund gab eine V-Person zu Protokoll, sie habe wenige Tage vor dem Mord an Mehmet Kubaşık Uwe Mundlos in Dortmund in Begleitung mit einem aus Brandenburg zugezogen „alten“ B&H-Aktivisten gesehen. [4] Wie glaubhaft sind diese Angaben? Die Informationen werden mehr, die Gewissheiten nicht.
Und der Neonazi-Untergrund lässt sich nicht auf das Netzwerk von Blood & Honour reduzieren. Die „Hammerskin Nation“ bietet ein ähnliches Bild: Morde und Anschläge, die von ihren Anhängern verübt wurden, Waffen, die von ihnen beschafft werden, die mystische Verehrung der Terrorgruppe The Order – und das alles noch ein Stück konspirativer und schwerer einzusehen als das Wirken von Blood & Honour. Auch von den Hammerskins findet man einige Spuren in den Kreis der UnterstützerInnen des NSU. Der Angeklagte im NSU-Prozess Andre Eminger stand den Hammerskins, die sich untereinander stets als „Brüder“ ansprechen, offenkundig ebenso nahe wie Blood & Honour. Als der Hammerskin Thomas Gerlach, von dem direkte Verbindungen zu etlichen Personen des NSU-Unterstützungskreises führen, im Oktober 2014 im Münchner NSU-Prozess als Zeuge auftrat, war wirklich nicht zu erwarten, dass er belastende Aussagen machen würde. Welche (doppelte?) Botschaft steckt also in dem Shirt „Brüder schweigen – bis in den Tod“, mit dem ihn André Eminger empfing? Neben der Anspielung auf die Terrorgruppe The Order / Brüder Schweigen auch das Bekenntnis von Andre Eminger zu den „Brüdern“ der Hammerskins? Die Verbindungen der Hammerskins zum NSU und anderen neonazistischen Terrorgruppen sind eine weitere Geschichte, die noch erzählt werden muss.
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Fußnoten:
[1] David Schraven: „Dortmunder Nazis: Combat 18-Zelle versorgte sich mit Waffen“, in DerWesten, 15. Mai 2012, http://www.derwesten-recherche.org/2012/05/3248/
[2] Stephan Rauch: „Stets zu Diensten“, Lotta, Nr. 46, Winter 2011
[3] Vgl. Andrea Röpke: „Der Nazi-V-Mann und der NSU“, in: Störungsmelder, 23. Februar 2015, http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/02/23/der-nazi-v-mann-und-der-nsu_18703
[4] David Schraven: „Die rechte Terrorspur des NSU führt nach Dortmund“, in WAZ, 25.03.2013, http://www.derwesten.de/politik/die-rechte-terrorspur-fuehrt-nach-dortmund-id7766563.html
Tipps zum Weiterlesen:
White Noise – Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour – Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene, Hamburg/Münster 2001
Hilde Sanft, Ulli Jentsch: „Rechter Terror in der antifaschistischen Analyse“, in Antifaschistisches Infoblatt (AIB) Nr.105, Winter 2014, http://www.nsu-watch.info/2015/01/rechter-terror-der-antifaschistischen-analyse/
Dirk Laabs: „Der NSU, >The Order< und die neue Art des Kampfes“, zuerst erschienen im Antifaschistisches Infoblatt (AIB), 04/2014, http://www.nsu-watch.info/2015/02/der-nsu-order-und-die-neue-art-des-kampfes/
Eike Sanders, Kevin Stützel, Klara Tymanova: „Taten und Worte – Neonazistische „Blaupausen“ des NSU“, http://www.nsu-watch.info/2014/10/taten-und-worte-neonazistische-blaupausen-des-nsu/
Hilde Sanft, Eike Sanders, Ulli Jentsch: „Reihenweise Einzeltäter. Die Behörden verhindern die Aufklärung des NSU-Netzwerkes“, in Monitor Nr. 66, Oktober 2014, www.apabiz.de/publikationen/monitor/Monitor_Nr66.pdf
Alex Hartinger, Thomas Sandberg, Michael Weiss: „Nur eine Gang von Vielen? Spurensuche im Netzwerk paramilitärischer deutscher Neonazis“, http://www.blog.schattenbericht.de/2011/12/nur-eine-gang-von-vielen/
„Vom Kamerad zum Member? Blood & Honour trifft die Hells Angels auf der »Nordachse«“, Antifaschistisches Infoblatt (AIB) Nr.100, 03/2013
Text in einem Dokument:
Der NSU im Netz von Blood & Honour und Combat 18 – Gesamtversion