An diesem Verhandlungstag werden (ehemalige) Mitarbeiter des LfV Hessen zu Telefonaten mit Andreas Temme befragt. Diese Telefonate spielten sich in einem Zeitraum ab, in dem Temme des Mordes an Halit Yozgat verdächtigt wurde. Er, ein hauptamtlicher VS-Mitarbeiter und V-Mannführer war zum Zeitpunkt des Mordes am Tatort, dem Internetcafé, meldete sich danach nicht als Zeuge bei der Polizei und gab dann an, er habe nichts mitbekommen. Diese Version der Ereignisse wird bis heute stark angezweifelt. Die mitgeschnittenen Telefonate waren Bestandteil eines ausführlichen Beweisantrags von Nebenklagevertreter_innen am 188. Verhandlungstag.
Zeugen:
- Hans-Joachim Mu. (ehem. Mitarbeiter des LfV Hessen, Telefonat mit Andreas Temme)
- Frank-Ulrich Fe. (ehem. Mitarbeiter des LfV Hessen, Telefonate mit Andreas Temme)
- Michael Ha. (Mitarbeiter des LfV Hessen, Telefonat mit Andreas Temme)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Erster Zeuge ist Hans-Joachim Mu. Götzl: „Es geht um Ereignisse in Zusammenhang mit einem Tatgeschehen 2006 in Kassel zum Nachteil Halit Yozgats. Von Interesse ist ein Telefonat, das zwischen Ihnen und Herrn Temme am 09.05.2006 stattgefunden haben soll. Sie haben gehört, worum es geht: Ob das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen die polizeilichen Ermittlungen gesteuert oder beeinflusst hat durch Zugänglichmachung oder Vorenthalten von Informationen.“ Mu.: „Ich weise nur allgemein darauf hin, dass wir die Ermittlungen der Polizei nicht gesteuert oder beeinflusst haben.“ Mu. kann sich zunächst nicht an den Inhalt des Gesprächs erinnern.
[Es wird die Audiodatei wiedergegeben. Aus redaktionellen Gründen können wir das Telefonat hier nicht wiedergeben. Auf wichtige Stellen gehen die Verfahrensbeteiligten im Verlauf der weiteren Vernehmung mit Vorhalten ein. Siehe zum Inhalt des Telefonats auch die Beweisanträge der NK Yozgat vom 188. Verhandlungstag.]
Mu. gibt an, Temme habe den Auftrag gehabt, eine dienstliche Erklärung abzugeben. Mu. weiter: „Man mag also aus dem Telefonat herausgehört haben, dass ich versucht habe, für meinen Kollegen da zu sein. Sie mögen aber auch feststellen, dass ich ihn nicht beeinflusst habe aus dienstlicher Sicht, was er schreiben soll.“
Götzl: „Welche Funktion hatten Sie zu der Zeit?“ Mu.: „Ich war Abteilungsleiter für einen operativen Bereich, zu dem ich in meiner Aussagegenehmigung nichts sagen darf.“ Götzl fragt, wie Mu.s Kenntnisstand zur damaligen Zeit gewesen sei zur Situation Temmes und welche Informationen er im Hinblick auf die Vorwürfe gegen Temme gehabt habe. Mu.: „Ich wusste, dass er sich in unmittelbarer Nähe des Tatorts aufgehalten hat. Ich kenne den Grund des Aufenthaltes, nicht an dem Tatort, sondern in dem Objekt. Das war ein Internetbüro gewesen, in dem Herr Temme gesurft hat. Über Einzelheiten des Surfens kann ich nur sagen, das hat mit dem Dienst nichts zu tun gehabt, sicherlich nicht.“ Auf Frage, woher er diesen Informationsstand gehabt habe, sagt Mu.: „Ob das aus der Polizeiarbeit war oder aus Aussagen Temmes, das kann ich heute nicht mehr sagen. Das war auch schnell in der Zeitung.“ Götzl fragt nach dem Kontakt zur Polizei. Mu. sagt, es sei natürlich von beiden Seiten Kontakt aufgenommen worden und insofern sei das nicht ungewöhnlich, dass man mit der Ermittlungsbehörde Kontakt hat.
RA Bliwier sagt, man wisse aus den Akten, dass die Polizei versucht habe, das LfV dazu zu bringen, mitzuteilen, woran Temme arbeitet, z. B. welche Quellen er führt: „Haben Sie eine Erinnerung dazu?“ Mu. sagt, das könne er sich vorstellen, er habe aber keine Erinnerung. Bliwier: „Stichwort Gärtner, das war eine Quelle.“ Dann fragt Bliwier: „Ist Ihnen heute bekannt, dass Temme im Zusammenhang mit der Tat ein längeres Telefonat mit Gärtner geführt hat?“ Mu.: „Das weiß ich heute nicht und da bewegen wir uns in den Bereich der operativen Fragestellung, die ich nicht beantworten würde.“
Bliwier sagt, es habe eine Sperrerklärung von Bouffier [Volker Bouffier, damals hessischer Innenminister, heute Ministerpräsident] gegeben und fragt, ob Mu. zu der Vorlage beigetragen habe. Mu.: „Ich habe sicherlich dieser Vorlage an Innenminister Bouffier nicht widersprochen.“ Bliwier: „Nein, meine Frage war, ob Sie daran mitgewirkt haben.“ Mu.: „Schließe ich nicht aus, wäre ungewöhnlich, wenn ich es nicht getan hätte.“
RA Narin: „Können Sie mir sagen, ob Ihr Amt mal befasst war mit dieser Mordserie, bevor die Sache mit Temme aufflog? Haben Sie dazu eigene Erinnerungen?“ Mu.: „Habe ich eigene Erinnerungen, zu denen ich aber keine Stellungnahme abgebe.“ Narin: „Warum?“ Mu.: „Weil die mit Temme und der Mordgeschichte Kassel nichts zu tun haben.“ Mu. sagt, es seien andere Behörden betroffen gewesen und er berufe sich auf die Einschränkung. Narin: „War Temme dienstlich befasst mit dieser Mordserie, bevor er sich am Tatort befunden hat?“ Mu.: „In dieser Unmittelbarkeit der Fragestellung: Nein.“ Narin: „Und mittelbar?“ Mu.: „Das war keine Aufgabe von Temme und der Quellenführung.“ Narin: „Wessen Aufgabe war es denn?“ Mu.: „Aufgabe der Ermittlungsbehörden und auch unserer Behörde.“ Wenn es Informationen gegeben hätte, so Mu., wären die nicht bei ihnen liegen geblieben, so Mu. Mu. auf weitere Nachfragen RA Scharmers zum Thema: „Ich möchte dazu überhaupt keine Aussagen treffen. Es ist eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass man sich als Behörde mit dieser Serie, auch in ihrem Entstehen, befasst hat. Und es ist auch kein Geheimnis, dass die Verfassungsschutzbehörden im Rechtsextremismus einen Arbeitsbereich haben.“ Scharmer: „Hatten Sie denn Erkenntnisse, dass die Mordserie von Tätern aus dem Bereich Rechtsextremismus begangen wurde?“ Mu.: „Man hat alle Möglichkeiten damals in Erwägung gezogen und Rechtsextremismus war immer eins, das immer im Vordergrund stand, ohne dass man festlegen konnte, dass es eindeutig aus diesem Bereich kommt.“ Scharmer: „Ich rede von 2006, Sie auch?“ Mu.: „Ja. Das war ja die letzte Tat, 2006, soweit ich weiß.“ Der Zeuge wird entlassen.
Dann wird der Zeuge Fe. (104. Verhandlungstag) gehört. Götzl sagt, es gehe um die Tat am 06.04.2006 in Kassel, Holländische Straße, „zum Nachteil“ Halit Yozgats, und um Temme, um Telefonate vom 02.05. und 15.05.2006 und die Frage, ob das LfV Hessen Einfluss auf die polizeilichen Ermittlungen genommen hat. Götzl fragt Fe., was er zum Beweisthema sagen könne. Fe.: „Ich habe genau vor einem Jahr schon mal hier gesessen und erzählt, was ich damals wusste, was ich aus der Zeitung gelesen habe. Sie haben mir zwei Telefonate vorgelesen, die Temme an mich gerichtet hatte. Ich hatte sie vergessen, weil sie nicht meine Initiative und auch belanglos waren. Ich habe auch jetzt nicht mehr Kenntnis über diese Telefonate, außer dem, was Sie mir vorgelesen haben. Die Behinderung der Polizei ist nie gewesen, jedenfalls nicht von der Außenstelle Kassel. Die ersten vier Tage, nach dem Temme festgenommen war, kam die Polizei um 22 Uhr zu mir nach Hause und ging mit mir in seinen Büroraum, um ihn zu durchsuchen. Sie konnten alles durchsuchen. Ich hatte den Auftrag, dass ich die geheimen Unterlagen nicht offenlege. Mir wurde bescheinigt von der Polizei, dass ich alles getan habe, um zu helfen.“
Dann werden die ersten Sekunden des Mitschnitts des Telefonats vom 02.05.2006 vorgespielt.
[Temme wird zunächst zu Fe. durchgestellt, nach der Begrüßung sagt Fe.: „Dir geht’s nicht gut, ne?“ Temme: „Nein.“ Fe.: „Sehe ich, höre ich. Uns auch nicht, Andreas. Glaubst Du?“ Temme: „Ich weiß.“ Fe.: „Mhm. Was kann ich Dir helfen?“]
Das Abspielen wird unterbrochen und Götzl fragt, ob Fe. jetzt eine Erinnerung habe. Fe. sagt, jetzt, wenn er es höre, könne er sich erinnern. Götzl: „Können Sie aus der Erinnerung noch Ergänzendes zu dem Gespräch sagen?“ Fe.: „Ich weiß, es war sehr oberflächlich. Wir gingen ja davon aus, dass er eventuell doch wiederkommt, dass das doch ein Versehen ist mit seinem Auftritt bei der Polizei. Vor dem Gespräch wusste ich von der Polizei, wie die Vernehmungen angeblich schleppend verliefen und dass er wenig zur Zusammenarbeit bereit gewesen sein soll.“ [Die Wiedergabe der Audiodatei des Telefonats vom 02.05.2006 wird fortgesetzt.]
Dann fragt Götzl: „Was sagen Sie dazu?“ Fe.: „Ja, ich habe wieder rausgehört, dass wir alle angenommen haben, dass er zum falschen Zeitpunkt am falschen Platz war. Dass er, vielleicht aus dem Ziel einen guten Dienst zu machen, das verschwiegen hat, dass er da war. Und hat gehofft: Na, vielleicht kriegen sie es nicht raus, ich habe nichts gesehen, die haben mich nicht gesehen. So war sein Verhalten. Denn ein Tötungsdelikt, einen Mord, habe ich ihm nie zugetraut. Und das zum Schluss mit dem ‚dann bist du tot‘, damit habe ich gemeint: Wenn Du zu dem Ortstermin musst, vielleicht im Blickpunkt von Journalisten bist mit Kameras, ist deine Möglichkeit, im operativen Bereich zu arbeiten, vorbei, dann bist du tot. Ich habe seine V-Leute übernommen. Diese ganze Problematik für ihn war der Aufenthalt in dem Café und für ihn war das Wichtige, dass er da gechattet hat. Das Dienstliche, seine V-Leute, das hatten wir im Griff, privat konnten wir nicht helfen. Wenn die V-Leute gefragt hätten, wo bleibt denn der V-Mann-Führer, dann hätten wir gesagt, der ist krank oder irgendwas. Und das Private ist sein privates Umfeld zu Hause. Das ist ja schon wieder dienstlich, die Polizeiaussage, wo er nicht konform war mit unserer Auffassung, dass er gleich hätte hingehen sollen und nicht mauern. Er war ja wohl, das habe ich jetzt erst erfahren, wiederholt bei der Polizei zwischen der Tat und seiner Festnahme, und hat da Abfragen gemacht. Nicht zu der Tat.“
Fe. auf Frage: „Ich hatte den Auftrag in den ersten zehn Tagen die geheimen Berichte, wo die V-Leute erkannt werden könnten, durfte ich nicht rausgeben an die Polizei.“ Bliwier: „Und Sie haben die nicht rausgegeben?“ Fe.: „Ja. Und Wiesbaden hatte ja auch die Berichte. Der eigentliche Bericht liegt in Wiesbaden, der Durchschlag bleibt in Kassel. Die wurden von mir nicht rausgegeben. Was in Wiesbaden mit den Originalberichten bleibt, das wusste ich nicht.“
RA Bliwier: „Stichwort Benjamin Gärtner: Sie haben vorher gesagt, dass Sie ihn nach Temme wieder übernommen haben. Hat in den Treffen mit Gärtner diese Tat im Internetcafé irgendeine Rolle gespielt?“ Fe.: „Nein. Ich hab mehrere Rechte geführt, keiner hat je darüber gesprochen und je damit angefangen.“ Bliwier: „Ist Ihnen bekannt, dass es im Zusammenhang mit der Tat ein zehnminütiges Telefonat Temme/ Gärtner gegeben hat?“ Fe.: „Nein.“
Narin: „In welchem Bereich war Temme eingesetzt?“ Fe.: „Es ist ja nun bekannt: Gärtner. Dann hatte er einen Islamisten, dann hatte er einen zusätzlichen Rechten, aber nicht aus Nordhessen.“ Es geht nun um ein interenes Schreiben von 2006, das V-Mann-Führer anweist, ihre V-Leute nach der Mordserie zu befragen. Narin: „Das Schreiben ist ja von 2006: Wer hatte denn die Aufgabe, VM zu befragen?“ Fe.: „Die V-Mann-Führer.“ Narin: „Und was hat Temme gemacht?“ Fe.: „Das kann aber keiner kontrollieren, ob er gehandelt hat, höchstens am Ergebnis. Die Auswertung erfährt, ob er eine Antwort gibt oder nicht. Soviel Vertrauen herrscht: Wenn er keine Antwort gibt, hat er keine Erkenntnis gewonnen. Wenn er eine Erkenntnis gewonnen hat, dann teilt er die der Auswertung mit.“
Nach einer Pause bis 14:36 Uhr folgt der Zeuge Ha. Götzl verliest die Aussagegenehmigung und sagt dann, es gehe um ein Telefonat vom 28.04.2006 zwischen Ha. und Temme und um die Frage, ob das LfV Hessen die polizeilichen Ermittlungen gesteuert oder beeinflusst hat. Götzl fragt, ob sich Ha. an den Inhalt erinnere. Ha.: „Von unserem Amt kam die ganze Zeit kein Sachstand und keine Statements zu der Festnahme. Und weil ich mit Temme mehrere Jahre zusammengearbeitet habe und nachmittags oder am Wochenende Freizeitaktivitäten durchgeführt habe. Nach seinem Weggang nach Kassel haben wir nur sporadisch telefoniert. Und als dann der Herr Temme nach seiner Festnahme wieder freigelassen worden war, kam von unserem Amt auch keine Information. Da ich Temme kenne, habe ich mich entschlossen ihn anzurufen und das Gespräch eröffnet mit dem Satz: Was hast Du denn da für ’ne Scheiße gemacht?“
Götzl fragt, ob Ha. etwas sagen könne zur Frage, ob das LfV Hessen polizeiliche Ermittlungen gesteuert, beeinflusst hat. Ha.: „Dazu kann ich keine Aussage machen. Informationen von unserem Amt, von unserer Amtsleitung in puncto Temme oder zu dem Mord in Kassel, da wurden wir nicht intern informiert. Die einzige Informationsquelle waren die Medien.“ Götzl fragt, ob Ha. sonst noch Erinnerungen an den Inhalt des Telefonats habe. Ha.: „Ich habe gefragt, was er gemacht hat, ob er in dem Café war.“ Dazu habe Temme nichts gesagt, so Ha. weiter. Ha.: „Dann habe ich auch gesagt, er braucht da nix mehr weiter zu sagen. Vom subjektiven Eindruck in dem Gespräch war mir dann klar, dass da keine Informationen rüberkommen. Götzl hält vor: Temme: Aber das war schon ganz schön heftig letzten Freitag. Ich sage es Dir. Wenn der ganze Spaß soweit rum ist, dann muss ich mal vorbeigucken, dann … – Ha.: Mhm. – Temme: … dann kann ich Dir das Ganze ja … – Ha.: Jaja, genau. – Temme: … am Stück erzählen. Das ist am Telefon ein bisschen schlecht, … – Ha.: Jaja. – auch wegen dem ganzen anderen Drumrum, wegen – von wegen, äh, dass ja niemand außerhalb darüber auch nur irgendwas erfahren darf. Götzl: „Was bedeutet das: ‚dass niemand außerhalb was erfahren darf‘?“ Ha.: „Das kann ich nicht sagen. Meine Vermutung ist, dass Temme gemeint hat, da ja der Verfassungsschutz involviert ist durch seine Person, dass nur behördenintern ermittelt werden soll.“
Nachdem der Zeuge entlassen ist, stellt NK-Vertreter RA Langer einen Beweisantrag. Zum Beweis der Tatsache, dass Mitglieder des Trios am 25.10.2011 den Mitangeklagten Eminger im Uniklinikum Leipzig, Liebigstraße 18-20, besucht haben und damit das besonders enge Verhältnis zu Eminger auch noch kurz vor dem geplanten Banküberfall in Eisenach am 04.11.2011 dokumentiert wird.
Hier geht es zum Kommentar des Blog NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/06/17/17-06-2015/