Kurz-Protokoll 219. Verhandlungstag – 20. Juli 2015

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Der Prozesstag beschäftigte sich in der Hauptsache mit einem Antrag der drei Zschäpe-Pflichtverteidiger_innen Heer, Stahl und Sturm, sich von der Verteidigung entpflichten zu lassen. Danach wurde der Zeuge Kay St. zum zweiten Mal gehört. In seiner ersten Aussage im NSU-Prozess hatte er angegeben, dass er selber und auch die Angeklagten Zschäpe und Wohlleben am Aufhängen eines Puppentorsos mit antisemitischer Beschriftung und dem Abstellen einer Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke beteiligt gewesen seien, und dass er 1996/ 97 bei Polizei und Gericht Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und Wohlleben mit Falschaussagen ein Alibi für die Tatzeit verschafft habe.

 

Zeuge:

  • Kay St. (früherer Oi-Skin und Jugendfreund von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt)

Der Prozesstag beginnt um 09:55 Uhr mit einem Antrag von Zschäpes Pflichtverteidiger RA Wolfgang Heer, seine Bestellung aufzuheben. RA Wolfgang Stahl schließt sich dem Antrag an. Er sei nicht mehr in der Lage, die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Verteidigung zu tragen. Als Dritte beantragt RAin Anja Sturm ebenfalls, ihre Bestellung durch den Senat aufzuheben. Eine Verteidigung „lege artis“ [= nach den Regeln der Kunst] sei ihr nicht mehr möglich.
Götzl reichen die Ausführungen zu den Entpflichtungsanträgen offensichtlich nicht aus: „Gründe haben wir keine erfahren, um es mal auf den Punkt zu bringen!“, moniert er.
Sturms darauffolgende Versicherung, dass entsprechende Gründe vorliegen würden, wird von RA Heer bestätigt, der darauf hinweist, dass er sich nicht strafbar machen werde, da er der Schweigepflicht unterliege. RA Stahl schließt sich an. Es folgt ein Schlagabtausch zwischen Götzl und RA Heer anlässlich der schriftlich vorliegenden Ausführungen zum Entpflichtungsantrag. Heer betont dabei immer wieder, dass alles Notwendige vorgetragen sei.
Nun bezieht die BAW Stellung zu dem Antrag. OStAin Greger sagt, der Antrag sei zurückzuweisen.
Im weiteren Verlauf beziehen sechs der Nebenklagevertreter_innen Stellung und weisen auf verschiedene Aspekte hin: RAin Edith Lunnebach: „Angesichts dessen, worum es hier geht, und dass ein sich ein Großteil hier sehr intensiv um Aufklärung bemüht, finde ich das, was hier als Befindlichkeit von Frau Zschäpe über mehrere Wochen diskutiert wird, unwürdig, auch aus Sicht meiner Mandantin.“ Sie habe aber den Eindruck, dass verhindert werden solle, dass Zeugen gehört werden, die Zschäpe belasten könnten. Auch RA Mehmet Daimagüler findet, dass dem Antrag auf dieser Grundlage nicht stattgegeben werden könne. Er weist darauf hin, dass Zschäpe die Schweigestrategie jeden Tag beenden könne und es an ihr liege, ihre Verteidigung von der Schweigepflicht zu entbinden.
Der neue vierte Pflichtverteidiger Zschäpes, RA Mathias Grasel, meldet sich zu Wort und verkündet, er dürfe für seine Mandantin mitteilen, dass dem Antrag ihrer bisherigen Pflichtverteidiger nicht entgegengetreten werde. Er bittet Götzl „bei der Gelegenheit“ darum, ein am heutigen Morgen von Zschäpe an den Vorsitzenden Götzl gerichtetes Schreiben zu verlesen. Götzl liest das Schreiben vor, mit dem Zschäpe eine Änderung der Sitzordnung beantragt.
Dann merkt OStA Weingarten kurz an, dass es ihnen aufgezwungen sei, sich in diesem Verfahren unter erwachsenen Menschen mit der Sitzordnung befassen zu müssen, und man doch so verfahren möge, wenn sachliche Gründe dem nicht widersprechen. NK-Vertreter RA Daimagüler merkt an: „Ich war vorletztes Wochenende bei meiner Mandantschaft in der Türkei und da war die Hauptfrage: Wer hat meinen Bruder umgebracht und warum musste er sterben? Und jetzt haben wir einen Antrag zur Sitzordnung. Ich finde das unwürdig.“
Götzl verkündet die Verfügung, dass der Antrag, die jeweilige Bestellung als Pflichtverteidiger aufzuheben, abgelehnt ist. Zur Begründung führt er aus, dass für die Entpflichtung ein wichtiger Grund vorliegen müsse. Die Ausführungen der Antragsteller würden keine konkrete Hinweise und Anhaltspunkte dafür liefern. Es sei nicht einmal in groben Umrissen skizziert, warum eine sachgemäße Verteidigung nicht mehr möglich sei. Somit stehe eine ausreichende Beurteilungsgrundlage nicht zur Verfügung. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes und zur Sicherung des Verfahrens sei dem Antrag daher nicht nachzugehen gewesen.
Götzl will den für den Tag geladenen Zeugen St. aufrufen, worauf sich wieder die ursprünglichen drei Verteidiger_innen Zschäpes einschalten, um zu sagen, dass sie ihre Verteidigung nicht fortsetzen können. NK-Vertreter RA Langer sagt daraufhin: „Offensichtlich soll die Vernehmung des Zeugen St. verhindert werden. Wenn ein Kommunikationsproblem allein ausreichen kann, so eine Vernehmung zu verhindern, dann hat in der Tat die Angeklagte oder einer der Verteidiger die Herrschaft über das Verfahren übernommen. Das kann nicht sein.“ RA Stahl sagt, er verwahre sich dringend dagegen, dass ihnen unterstellt werde, die Beweisaufnahme vereiteln zu wollen, was ja „quasi ein Vorwurf der versuchten Strafvereitelung“ sei. Götzl beendet den Disput mit dem Hinweis, dass die Verteidigung ja die Protokolle kenne und vorbereitet sei. Er ruft den Zeugen St. herein.

St. betritt um 15:43 den Gerichtssaal. Götzl entschuldigt sich dafür, dass er so lange warten musste und fragt ihn, ob es seiner Ansicht nach Ergänzungen zu seinen Angaben vom letzten Mal (202. Verhandlungstag) gebe, was der Zeuge verneint. Götzl kündigt nun an, dass er das ein oder andere Detail nachfragen wolle und will wissen, welche Kenntnisse Kay St. über die Frage eines etwaigen Anwalts für Zschäpe und dessen Bezahlung hatte. Der Zeuge verneint, dass er darüber Kenntnisse hatte und er sei auch nicht darauf angesprochen worden. Er verneint auch die Frage, ob er denn Informationen darüber hatte, dass sich Zschäpe in den 1990er Jahren um einen Anwalt bemüht hätte.
Zum Stichwort „Geld und Unterstützung“ hält Götzl vor, St. habe geäußert, er sei entschlossen gewesen, keine Unterstützung zu geben, und als Ralf Wohlleben gefragt habe, wo das Geld bleibe, habe er gesagt, er hätte es in einen Briefkasten getan. „Bei den Eltern von Herrn Böhnhardt“, bestätigt St. Götzl fragt, ob dies vereinbart gewesen sei, was St. verneint. Er wisse nicht, ob Geld von den Eltern geflossen sei.
Vorhalt: Als Uwe Mundlos mir sagte, dass man Sprengstoff besorgen wolle, kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, da ich dagegen war; ich habe gesagt, man solle sich das genau überlegen, wir seien ja schließlich nicht im Krieg; das Gespräch führten Mundlos und ich, an andere Personen kann ich mich nicht erinnern. Götzl: „Können Sie sich an so ein Gespräch erinnern?“ St.: „Ja, man muss auch mal bedenken, das ist ziemlich lange her, wenn behält man einfach nur Bruchstücke in Erinnerung und die habe ich hier kundgetan.“ Er ordne das 1996/1997 ein, eher Anfang 1997, sagt St. auf Nachfrage des Vorsitzenden. „Wissen Sie, ob von Seiten Uwe Mundlos die Rede war, von wem er Sprengstoff besorgen wolle?“, fragt Götzl weiter. St. sagt, er meine sich zu erinnern, dass die Rede von Kameraden aus den alten Bundesländern gewesen sei. Es seien aber keine Namen gefallen, ergänzt er auf Nachfrage.
Vorhalt: Die Beziehung zu Uwe Böhnhardt war irgendwann zu Ende. Ich habe mit Beate vielleicht Ende 1997 gesprochen und hatte den Eindruck, dass sie auch selbst da raus wollte. Was damit gemeint sei, will Götzl wissen. St.: „Ich würde sagen, es gab gravierende soziale Probleme, es wurde massiv gegen Beate gehetzt von den beiden Uwes, es ging um die Familie von Beate.“ Er sei der Meinung, dass Zschäpe sich da „abseilen“ wollte. Für die beiden Uwes sei die Familie von Zschäpe „Assis“ gewesen. Das hätten sie auch kundgetan und sie spüren lassen, erläutert St. weiter. Götzl greift nun auf, dass St. beim letzten Mal über die Ereignisse „Stichwort Puppentorso“ gesprochen hat und über seine späteren Aussagen dazu. Ihn interessiere zunächst, wo die Kegel aufgestellt worden seien, als die Puppe aufgehängt wurde, so Götzl. „An jedem Ende der Brücke“, schildert St. die Situation. Götzl hält vor, dass St. von dem Schild mit dem Begriff „Bombe“ berichtet habe. Auf Frage sagt St., dass er meine, dieses Schild als erstes an der Brücke gesehen zu haben, als es dahin gestellt worden sei.
Götzl frag nach den Angabe St.s bei der Polizei 1996. St. kann sich nicht mehr genau erinnern, was er damals angegeben habe bzgl. des Alibis, als das eine gemeinsame Feier angeben wurde. St.: „Ich habe das alles zugegeben, dass das nicht richtig war. Im Endeffekt geht es hier um feige Morde, Sprengstoffanschläge, brutale Banküberfälle, nicht um irgendwelche Dinge von vor 20 Jahren, die falsch und widerwärtig waren, aber die im Endeffekt niemandem geschadet haben. Ich habe mich entschlossen auszusagen und ich habe gesagt, dass ich falsch ausgesagt habe und jetzt ins Detail zu gehen …“ Der Verhandlungstag endet um 16:16 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/07/20/20-07-2015-2

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