Dieser Verhandlungstag ist geprägt vom der Vernehmung des ehemaligen V-Mann-Führers von Carsten Szczepanski, Reiner Görlitz, die sich schwierig gestaltet. Der Zeuge ist durch Verkleidung unkenntlich gemacht, antwortet einsilbig und blättert wiederholt in seinen Unterlagen. Diese Unterlagen werden nach längerer Diskussion vom Gericht beschlagnahmt und die Zeugenvernehmung wird schließlich unterbrochen. Es geht außerdem um Aliasnamen und Adresslisten des NSU. Gerade bei letzteren wird erneut deutlich, wie systematisch der NSU so wahrscheinlich mögliche Anschlagsziele sammelte.
Zeug_innen:
- Reinhard Görlitz (LfV Brandenburg, V-Mann-Führer von Carsten Szczepanski)
- Annika Al. (KOK, BKA Meckenheim, Aliaspersonalien des NSU-Kerntrios)
- Jürgen He. (KHK, BKA Meckenheim, Auswertung von Adresslisten des NSU)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:44 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl, dass es bei der letzten Vernehmung von Reiner Görlitz um die Protokolle des Bundestags-UA gegangen sei. Es gebe dort ein Protokoll aus nichtöffentlicher Sitzung. Man habe eine Mitteilung des Deutschen Bundestages erhalten, dass dieses Protokoll heruntergestuft worden sei und im Internet veröffentlicht werden solle. Man habe nachgeschaut und das Protokoll befinde sich tatsächlich im Internet.
Dann wird die Vernehmung des Zeugen Reiner Görlitz (zuletzt 215. Verhandlungstag) fortgesetzt. Diesmal erscheint Görlitz mit einen Zeugenbeistand, RA Peters. Wieder hat Görlitz eine Kapuze über dem Kopf, die er nicht absetzt, und trägt darunter vermutlich eine Perücke. Götzl ruft Görlitz die erteilte Belehrung in Erinnerung und sagt dann: „Wir waren bei Fragen der Verteidigung Wohlleben. Sind noch Fragen?“ Wohllebens Verteidiger RA Klemke: „Herr Görlitz, kennen Sie den Toni Stadler?“ Görlitz: „Ich habe Sie nicht verstanden.“ Klemke wiederholt seine Frage. Görlitz schweigt zunächst, dann sagt er: „Ich glaube, da verweise ich auf meine Aussagegenehmigung und die erstreckt sich auf die Tätigkeit als V-Mann-Führer von Carsten Szczepanski 1997/ 98 im Hinblick auf das Trio.“ Klemke: „Okay, okay. Als Sie Szczepanski kennenlernten, befand er sich in der JVA, im geschlossenen oder im offenen Vollzug?“ Görlitz: „Mir ist in Erinnerung, dass er sich damals im geschlossenen Vollzug befand.“ Klemke: „Wissen Sie, ob Ihre Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss auf die JVA genommen hat, Verbindung aufgenommen hat, dass der Herr Szczepanski in den offenen Vollzug kommt?“ Görlitz: „Ist mir nicht bekannt.“ Klemke: „Haben Sie selbst intern in Ihrer Dienststelle gegenüber Vorgesetzten insoweit Anregung gegeben, sich mit der JVA ins Benehmen zu setzen?“ Görlitz: „Nein.“
Klemke: „Wie sieht es aus mit dem Postverkehr des Herrn Szczepanski, gab es da von Ihrer Seite irgendwelche Aktivitäten gegenüber Vorgesetzten, sprich Anregungen, Vorschläge sich mit der JVA in Verbindung zu setzen, um eine Aufhebung der Postkontrolle zu erwirken?“ Görlitz schweigt. Klemke: „Und würden Sie mich bitte angucken, wenn ich mit Ihnen rede?“ Götzl sagt in Richtung von Görlitz: „Es geht darum, dass Sie sich dem Fragenden zuwenden.“ Görlitz sagt wieder nichts. Dann sagt Götzl zu Görlitz: „Entschuldigen Sie, Herr Görlitz, es geht nicht, dass Sie in Ihren Unterlagen blättern. Konzentrieren Sie sich auf die Frage!“ Görlitz: „Ich kann mich im Augenblick an konkrete Gespräche nicht erinnern.“ Zschäpes Verteidiger RA Heer sagt, er nehme zur Kenntnis, dass Görlitz etwas verfremdet sei wie letztes Mal, er sehe Görlitz jetzt aber überhaupt nicht mehr. Götzl sagt in Richtung Görlitz: „Es geht ja ganz einfach, wenn Sie sich nicht Herrn Rechtsanwalt Peters zuwenden, sondern dem Fragenden.“
Heer sagt, es sei eher ein Problem mit der Kapuze und der Perücke, das decke die ihm zugewandte Gesichtshälfte komplett ab. Klemke: „Vielleicht kann sich der Zeuge einen Zopf binden.“ Götzl sagt, Klemke solle das nicht ins Lächerliche ziehen. Klemke: „Nicht ich ziehe es ins Lächerliche, sondern die Maskerade des Zeugen ist lächerlich.“ Heer: „Wenn der Zeuge jetzt noch die Kapuze runternähme.“ Götzl sagt zu Görlitz, der solle die Hand vom Mund nehmen. Klemke: „Die Frage war, ob Sie diesbezüglich tätig geworden sind gegenüber Ihren Vorgesetzten hinsichtlich der Postkontrolle.“ RA Peters sagt, das sei nicht Unhöflichkeit seines Mandanten, sondern schlicht der Sitzordnung geschuldet. Götzl entgegnet, dass dann vielleicht Peters und Görlitz die Plätze tauschen könnten. Klemke: „Haben Sie intern in irgendeiner Weise mitgewirkt auf evtl. Einflussnahme, dass die Postkontrolle aufgehoben wird in der JVA?“ Görlitz: „Einge- Ich habe nicht eingewirkt, nein.“
Klemke fragt, ob Görlitz auf eine vorzeitige Entlassung Szczepanskis hingewirkt habe. Görlitz sagt wieder nichts. Klemke: „Haben Sie da …“ Görlitz sagt in den Satz von Klemke hinein: „Nein.“ Klemke: „…Verbindung gesucht?“ Görlitz: „Ich habe keine Verbindung gesucht.“ Klemke fragt, ob es da Gespräche zwischen der Dienststelle und der JVA gegeben habe. Görlitz: „Ich meine mich zu erinnern, dass es Gespräche gegeben hat.“ Klemke: „Wissen Sie, wer da mit wem gesprochen hat?“ Görlitz: „Das weiß ich nicht.“ Klemke: „Er war aber Ihr V-Mann?“ Görlitz: „Ich habe die Mitteilungen, die Szczepanski mir gegeben hat, aufgenommen.“ Klemke: „Das war nicht meine Frage. Meine Frage war, ob Sie, obwohl es Ihr V-Mann war, wirklich keinen Kenntnisse darüber haben, ob ihre Dienststelle mit der JVA oder anderen Stellen Gespräche über eine vorzeitige Entlassung geführt hat?“ Görlitz: „Das war nicht meine Gesprächsebene [phon.], solche Gespräche zu führen.“ Klemke: „Ich habe gefragt, ob Sie Kenntnisse hatten.“ Görlitz: „Ich habe gesagt, dass ich mich erinnere.“ Klemke: „Was ist da konkret gesprochen worden?“ Görlitz: „Das entzieht sich meiner Kenntnis.“
Die Frage, ob er sich auf die Vernehmung heute vorbereitet habe, bejaht Görlitz. Klemke: „Wie?“ Görlitz: „Durch Gespräche mit der Referatsleitung und dem Zeugenbeistand.“ Klemke: „Haben Sie Akteneinsicht genommen?“ Görlitz: „Ich habe auch Akteneinsicht genommen.“ Klemke: „Wann?“ Görlitz schweigt zunächst etwas und sagt dann, das sei vor einigen Tagen noch gewesen. Klemke fragt, wie groß der Umfang der Akten gewesen sei. Wieder schweigt Görlitz zunächst. Dann sagt er: „Das bezog sich letztendlich intensiver auf etwa vier Aktenordner.“ Klemke: „Was thematisieren die vier Ordner, die Sie intensiver gesichtet haben?“ Görlitz: „Die Deckblattmeldungen in der Zeit ’97/ ’98.“ Klemke: „Mehr nicht?“ Nach kurzem Schweigen sagt Görlitz: „Mehr nicht.“ Klemke: „Sie erwähnten bei Ihrer letzten Vernehmung, dass das Handy, das Carsten Szczepanski von der Dienststelle erhalten hat, am 25.8.98 getauscht worden sei. Wie ist der Tausch vonstatten gegangen?“ Görlitz sagt, er habe ein [phon.] neues Handy erworben und das alte Handy eingezogen. Klemke fragt, wie Görlitz das konkret gemacht habe. Görlitz: „Ich habe das Handy an mich genommen und in der Behörde abgegeben, was weiter passiert ist, ist mir nicht bekannt.“
Klemke: „Wissen Sie, was mit solchen Funktelefonen passiert, wenn Sie von V-Männern entgegengenommen wurden und abgegeben wurden?“ Görlitz: „Nein, das weiß ich nicht konkret. Ich nehme an, die werden vernichtet.“ Klemke: „Wissen Sie, ob die ausgewertet werden vorher?“ Görlitz: „Nein, das weiß ich nicht.“ Klemke: „Wer in Ihrer Dienststelle könnte Auskunft geben darüber?“ Görlitz: „Ich glaube, auf diese Frage-, die unterliegt nicht der Aussagegenehmigung.“ Klemke: „Aha. Ist Ihnen bekannt, ob der Herr Szczepanski während der Zeit seiner Tätigkeit für Ihre Behörde Zugang zu Waffen hatte?“ Görlitz: „Ist mir nicht bekannt.“ Klemke: „Sind Ihnen Ermittlungsverfahren bekannt gegen Herrn Szczepanski im Zusammenhang mit scharfen Schusswaffen?“ Görlitz: „Sind mir nicht bekannt.“ Klemke: „Auch nicht die Affäre mit Herrn Menzel und einem Kleinkalibergewehr mit Laserpointer?“ Görlitz: „Nein.“
Klemke: „Auch nicht bekannt. Sie sagten das letzte Mal, der Herr Szczepanski hätte ausschließlich die Aufgabe gehabt, Informationen zu sammeln und weiterzugeben. Mehr nicht?“ Görlitz: „Mehr nicht.“ Klemke: „Auch nicht im Hinblick auf die Schaffung von, ich sage mal, Strukturen im Bereich Königs Wusterhausen? Da gab es auch keine konkreten Aufträge?“ Görlitz: „Selbstverständlich hatte er Aufträge Informationen zu beschaffen, das beinhaltete auch, über Organisationsstrukturen und Argumentationsstrukturen zu berichten.“ Klemke: „Berichten oder errichten?“ Görlitz: „Berichten.“ Klemke: „Ich hatte gefragt, ob er den Auftrag hatte, Strukturen zu bilden.“ Görlitz: „Nein.“ Klemke: „Zu fördern?“ Görlitz: „Nein.“ Klemke: „Nicht. Sagt Ihnen der Name Uwe Menzel was?“ Görlitz schweigt kurz und sagt dann: „Nein.“ Klemke: „Der Uwe Menzel soll sich gegenüber dem BKA so geäußert haben, dass Szczepanski bereits zu Zeiten, als er in Haft saß, herumerzählt habe, dass er Waffen besorgen könne, das soll er unter anderem dem Herrn Menzel gesagt haben. Haben Sie dazu Kenntnisse?“ Görlitz: „Herr Szczepanski hat darüber mir nichts berichtet.“ Klemke: „Der Herr Menzel hat bei einer Vernehmung beim BKA ausgesagt, dass Szczepanski die Strukturen in Königs Wusterhausen aufgebaut habe. Ist in diesem Zusammenhang Ihnen etwas zur Kenntnis gelangt?“ Görlitz: „Mir ist nicht bekannt, dass Herr Szczepanski Strukturen aufgebaut hat in Königs Wusterhausen.“
Klemke: „Er soll nach Angaben von Herrn Menzel immer wieder den Leuten in diesen Strukturen nahegebracht haben, sich zu bewaffnen.“ Das sei ihm nicht zur Kenntnis gelangt, sagt Görlitz. Klemke: „Und insofern hat er auch keinen Auftrag gehabt?“ Görlitz: „Er hat keinen Auftrag gehabt.“ RAin Schneiders sagt, bei seiner letzten Einvernahme hier habe Görlitz angegeben, dass er nicht mehr wisse, ob er das Handy oder nur die Sim-Karte eingezogen habe, das müsse er nachsehen. Heute, so Schneiders, habe Görlitz gesagt, er habe das Handy eingezogen: „Haben Sie jetzt eine konkrete Erinnerung oder haben Sie nachgesehen?“ Görlitz: „Ich glaube mich zu erinnern, dass ich das Handy eingezogen habe.“ Schneiders: „Sind Sie nochmal die Deckblattmeldungen
durchgegangen in Bezug auf die Frage?“ Görlitz: „Nein.“
RA Nahrath: „Herr Görlitz, bei Ihrer letzten Vernehmung gab es das Thema einer SMS von Jan Werner an Szczepanski auf dessen Diensthandy, das Sie eingezogen und abgegeben haben wollen, diese SMS hinsichtlich einer Sache namens ‚Bums‘. Können Sie sagen, ob Sie davon Kenntnis genommen haben, bevor Sie das Handy eingezogen haben?“ Görlitz: „Nein.“ Nahrath fragt, ob Görlitz später davon Kenntnis genommen habe. Görlitz: „Ich habe später davon erfahren, von diesem Vorgang.“ Nahrath: „Wann und von wem?“ Görlitz: „Ich habe es in den Vorgängen gelesen.“ Nahrath: „In Ihren Akten, die Sie geführt haben?“ Görlitz: „Nicht, die ich geführt habe.“ Nahrath: „In welchen Akten dann?“ Görlitz sagt längere Zeit nichts, offenbar berät er sich mit seinem Zeugenbeistand. Nahrath möchte wissen, was da besprochen wird. Peters: „Das war keine inhaltliche Diskussion, nur dass der Zeuge das präzise ausdrückt.“ Götzl sagt in Richtung von Peters: „Ja, also, es geht nicht darum, dass Sie inhaltlich Einfluss nehmen.“ Nahrath sagt, die Frage sei relativ klar: „In welchen Akten hat er das gelesen?“ RA Peters sagt, die Frage sei beantwortet.“ Nahrath: „Nein.“ Götzl: „Nein, die Frage ist tatsächlich nicht beantwortet.“
Nahrath sagt, Görlitz habe angegeben, dass er über die SMS in Vorgängen gelesen habe, und die Frage, ob in eigenen Akten, habe er verneint; es stelle sich nun die Frage, in welchen Akten Görlitz das gelesen habe. Görlitz: „Des Untersuchungsausschusses.“ Nahrath: „Die standen Ihnen zur Verfügung?“ Görlitz: „Die standen mir zur Verfügung.“ Nahrath fragt, wann Görlitz über diese SMS gelesen habe. Görlitz: „In Vorbereitung hier auf diese Verhandlung. Ergänzend: Natürlich auch im Hinblick auf die Vorbereitung zum Untersuchungsausschuss.“ Nahrath: „In Form eines Vermerkes in diesen Akten?“ Görlitz: „Nein.“ Nahrath: „Eine Verschriftung der SMS?“ Görlitz: „Es war eine Verschriftung der SMS.“ Nahrath fragt, ob sich Görlitz erinnere, wer die vorgenommen habe. Görlitz: „Nein.“ Nahrath fragt, welche Behörde das gewesen sei, die Polizei oder das Amt von Görlitz. Görlitz: „Das weiß ich jetzt nicht.“
Nahrath: „Ergibt sich diese Information aus den Schriftstücken auf Ihrem Tisch?“ Görlitz: „Da ist auch was erwähnt, ja.“ Nahrath: „Können Sie das mal nachsehen? Wir können auch mal unterbrechen für fünf Minuten.“ Götzl: „Ich habe jetzt nicht vor, zu unterbrechen.“ Görlitz schaut in der Mappe, die er auf dem Tisch liegen hat, nach. Dann sagt er: „Ich habe hier eine Zusammenstellung: ‚Was ist mit den Bums‘. Und hier ist unter anderem zu finden eine Eintragung, dass am 25.08.1998 um 19:21 Uhr eine SMS auf das Handy geschickt wurde: ‚Was ist mit den Bums‘. Und es ist erwähnt, dass das BKA nichts über den Standort [phon.] sagen konnte, noch ob die SMS ihn erreichte. Weil Jan Werner vorher Szczepanski versuchte telefonisch zu erreichen, ihn aber nicht erreichte.“ Nahrath: „Und was ist das für eine Unterlage, wer hat sie erstellt, ist das ersichtlich?“ Görlitz: „Nein, ist nicht ersichtlich.“ Nahrath: „Wie kommen Sie an dieses Blatt?“ Görlitz: „Das ist eine Zusammenstellung.“ Nahrath fragt, von wem die sei, da müsse doch ein Name stehen. Görlitz: „Nein, das habe ich mir wahrscheinlich irgendwie notiert hier.“ Nahrath: „Wahrscheinlich?“ Görlitz: „Ich habe das notiert.“ Nahrath: „Aus welchen Unterlagen, irgendwoher müssen Sie diese Information ja bekommen haben?“ Görlitz: „Aus einem Vermerk, der von der Referatsleitung zum Beispiel erstellt wurde am 30.01.13.“ Nahrath sagt, die Verteidigung Wohlleben habe Beratungsbedarf. Es folgt eine Pause.
Um 10:34 Uhr geht es weiter und Nahrath fragt: „Herr Görlitz, wenn Sie von der Referatsleitung gesprochen haben, ist da Ihre gemeint?“ Görlitz: „Ja.“ RA Heer sagt, es setze sich fort, was er bereits thematisiert habe, es sei bei der Aussage und auch beim Nachdenken das Gesicht des Zeugen nicht erkennbar: „Ich rege an, das ins Protokoll aufzunehmen.“ Es folgt eine kurze Debatte zwischen der BAW und RA Heer über die Sitzordnung. Dann beantragt Heer, den Zeugen aufzufordern, die Kapuze abzunehmen. Götzl sagt, es gebe entsprechende Auflagen. Heer erwidert, Görlitz habe ja noch einen Perücke darunter: „Doppelt ist nicht erforderlich und ich beantrage das.“ Götzl: „Herr Rechtsanwalt Heer, nehmen Sie doch einfach hier vorne Platz!“ Heer sagt, so sei die Sitzordnung und das gelte ja auch für seinen Kolleginnen und Kollegen hinter ihm. Götzl: „Gegebenenfalls werden wir nicht fortsetzen können dann.“ RA Klemke sagt, wenn man heute nicht fortsetzen könne, rege er an, dass die Aussagegenehmigung von Görlitz erweitert werde bzgl. Toni Stadler, der Referatsleitung und der Frage, was mit dem Handy passiert ist. RAin Schneiders: „Ich würde gern zu der Sitzposition etwas sagen: Ich habe ohnehin eine ungünstige Position, da habe ich mich mit abgefunden, aber wenn der Beistand sich nach vorne beugt, dann sehe ich gar nichts mehr.“ Götzl sagt, dann solle sich RA Peters halt ein bisschen zurück setzen und Görlitz vielleicht die Kapuze ein bisschen zurücksetzen: „Ist vielleicht auch angenehmer von der Wärme.“
NK-Vertreter RA Scharmer nimmt Stellung: „Der Antrag ist aus meiner Sicht nachvollziehbar. Es gibt wohl Auflagen des Innenministeriums Brandenburg, von denen Sie sprachen, Herr Vorsitzender.“ Er kenne, so Scharmer, die Aussagegenehmigung, vielleicht seien ihm die Auflagen entgangen und es könne berichtet werden, welche das sind und wer die erlassen hat. RA Bliwier: „Ich schließe mich dem Antrag an. Diese Maskerade ist ziemlich unerträglich.“ Er wolle das, so Bliwier weiter, auch damit verbinden, dass dem Zeugen aufgegeben wird, die mitgebrachten Unterlagen zu überlassen, um zu prüfen, auf welche Weise sich der Zeuge vorbereitet hat: „Also Abnahme der Kapuze und Aushändigung der Unterlagen an den Senat.“ RA Hoffmann schließt sich an. RA Reinecke sagt, er wolle auf einen anderen Aspekt hinweisen: „Das geht uns jetzt seit zwei Jahren so, dass wir die Zeugen nicht sehen können.“ [Die NK sitzt hinter dem Zeugentisch.] Hinsichtlich der „Maskerade“ schließe er sich an, so Reinecke. RA Behnke schließt sich an.
Götzl sagt in Bezug auf RA Scharmer, dass in der Aussagegenehmigung stehe, dass sicherzustellen sei, dass der Zeuge in der Verhandlung nicht erkannt werden. Dann fragt er Görlitz: „Sind Sie bereit, die Unterlagen auszuhändigen?“ Görlitz: „Nein.“ Götzl: „Aus welchem Grund?“ Görlitz sagt, die habe er zusammengestellt. RA Peters sagt, es handele sich um Kopien von Unterlagen des VS Brandenburg, Verschlusssachen; es handele sich ausschließlich um Aufzeichnungen des Zeugen zur Vorbereitung auf den heutigen Tag und Görlitz sei nicht befugt, diese Unterlagen herauszugeben. Götzl sagt, es sei die Frage, ob eine Sperrerklärung nach StPO vorliege. Peters sagt, dass Görlitz die nicht herausgeben dürfe. Götzl sagt, das sei nur so, wenn das Herausgeben der Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde.
Bundesanwalt Diemer: „Da meine ich jetzt schon, dass man das abklären müsste.“ Götzl: „Das mache ich ja gerade, das ist der Zweck der Sache.“ Peters sagt, er gehe davon aus, dass es eine Sperrerklärung gebe, er könne das sofort klären. Götzl: „Dann überlassen Sie uns die Unterlagen, wir werden sie nicht sichten natürlich, und Sie fordern eine Sperrerklärung an. Wir geben Ihnen die Gelegenheit die Sperrerklärung zu prüfen und uns zukommen zu lassen.“ Diemer sagt, es müsse doch einen Grund geben, die Unterlagen sicherzustellen. Götzl erwidert, der Zeuge beziehe sich auf die Unterlagen, habe darin nachgesehen, es sei die Frage, ob er sie übergeben könnte. Diemer sagt, der Zeuge sei als Beweismittel ja hier, um auszusagen; es müsse formuliert werden, warum man die Unterlagen einsehen muss. Diemer sagt, man könne nicht einfach Behördenunterlagen beschlagnahmen, es handele sich um einen Geheimdienst, zumindest müsse die Behörde eine Sperrerklärung abgeben können.
Nun sagt Peters, die Unterlagen würden Notizen aus den Vorbereitungsgesprächen enthalten, das betreffe also das Mandantenverhältnis, deswegen seien diese Unterlagen nicht herauszugeben. Götzl sagt, es gehe aber nicht um Anwaltspapiere, sondern um die Papiere des Mandanten. RA Bliwier sagt, er nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass bei der Erklärung, um was für Unterlagen es sich handele, erst von Behördenunterlagen, dann seien es Aufzeichnungen gewesen und jetzt sei das Mandatsverhältnis genannt worden sei. Die Unterlagen seien natürlich sicherzustellen, so Bliwier, niemand gucke da rein, und dann sei ggf. eine Sperrerklärung einzuholen. Peters entgegnet, dass in dem Aktenordner unterschiedliche Dokumente seien, deswegen habe er dies erklärt. Götzl: „Und deswegen denke ich, dass diese Vorgehensweise Ihren Interessen und den Interessen der Verfahrensbeteiligten gerecht wird.“
OStA Weingarten: „Herr Vorsitzender, ich muss nochmal für uns darauf hinweisen: Der Zeuge ist Beamter und gibt an, im Ordner befinden sich Unterlagen seiner Behörde, wenn auch vielleicht Kopien. Er darf die nicht rausgeben.“ Es müsse jetzt, so Weingarten, ein Ersuchen an die Behörde gehen, wenn das verweigert werde, könne ggf. eine Sperrerklärung angefragt werden. Das Vorgehen, das Götzl vorgeschlagen habe, sei schwierig, Görlitz verstoße so gegen seine Dienstpflichten. In Richtung NK sagt Weingarten, dass eine Beschlagnahme von Behördenunterlagen selbstverständlich nicht möglich sei. NK-Vertreter RA Lucas: „Ich möchte mich dem Antrag von Rechtsanwalt Bliwier anschließen, weil ich nicht weiß, was das für Unterlagen sind, dass das Gericht die Unterlagen sichtet.“ Götzl: „Nicht zu sichten.“ Lucas sagt, man habe hier drei verschiedene Versionen des Zeugenbeistandes gehört, es sei eine Situation, wo der Beistand aufpassen müsse, dass er nicht einen strafbaren Bereich touchiert.
RA Scharmer sagt, der Zeuge habe sich mit den Unterlagen vorbereitet auf diesen Termin hier. Man habe relativ wenige Deckblattmeldungen in den Akten in Bezug auf die genannten vier Aktenordner. Scharmer weiter: „Der Zeuge hat selbst dort hineingeschaut, um dadurch sein Gedächtnis aufzufrischen. Und er kann das dadurch besser als wir. Wir können daraus nicht vorhalten. Deswegen sind diese Akten möglichst zu beschlagnahmen. Das Vorgehen, das Sie vorgeschlagen haben, ist praktikabel und umzusetzen.“ RA Hoffmann sagt, man habe hier die problematische Situation, dass man Deckblattmeldungen habe, das sei Jahre her. Es handele sich um ein wichtiges Beweisthema. Auch bei diesem Zeugen gebe es große Probleme mit der Erinnerung: „Ich gehe davon aus, dass sich die Behörde sehr schwertun wird, hier eine Sperrerklärung zu erlassen und zu sagen, hier sind Belange, die sind wichtiger als die Aufklärung dieser Sache. Wir müssen diese Unterlagen hier sichern, deswegen spricht alles für das Vorgehen des Vorsitzenden.“
Peters sagt, es gebe keine drei Versionen, sondern unterschiedliche Dokumente: „Herr Görlitz hat sich vorbereitet, wie Sie ihn aufgefordert haben, Herr Vorsitzender.“ Es handele sich zu einem erheblichen Teil um eingestufte Unterlagen und die könne man nicht abgeben. Man könne das gerne so klären, dass das VS-Amt darüber entscheidet, die Unterlagen könnten aber nicht herausgegeben werden, sonst verstoße Görlitz gegen sein Dienstpflichten. Götzl: „Ich denke, dass es das Innenministerium klären müsste.“ Peters: „Ich bin gerne bereit, den Kontakt sofort aufzunehmen.“ RA Klemke sagt, er frage sich, woher Peters das wisse, dass es sich um unterschiedliche Dokumente handele: „Weil, wenn er reingesehen hätte, dann hätte man schon ein Dienstvergehen des Zeugen. Ich kann also nicht nachvollziehen, wie er zu der Wertung kommt.“ Es gehe nicht nur um die Frage einer Sperrerklärung, sondern auch um die Sicherung des Beweises, so Klemke: „Ich habe erhebliche Zweifel dass der Zeuge sich ordnungsgemäß vorbereitet hat. Vorher hat er gesagt, er hätte Akten gelesen des Bundestags-Untersuchungsausschusses. Und kurze Zeit später sagte er, es gibt einen Vermerk seiner Referatsleitung.“ Deswegen seien die Akten erst einmal zu beschlagnahmen, dann ggf. zu versiegeln und dann sei beim Innenministerium Brandenburg abzuklären, ob es eine Sperrerklärung gibt.
Zschäpe-Verteidiger RA Stahl sagt, wenn er es richtig verstanden habe, sei der Ordner kein behördlicher Ordner, sondern ein Ordner des Zeugen, ein Unterlagenkonvolut mit verschiedensten Dokumenten und Ablichtungen, u.a. Unterlagen, die das Mandantenverhältnis betreffen würden. Die Unterlagen würden als Beweismittel in diesem Verfahren in Betracht kommen, und man müsse differenzieren, welche Unterlagen mglw. einer behördlichen Sperrerklärung unterliegen könnten. Im Übrigen seien die Unterlagen, die der Zeuge selber erstellt habe, schriftliche Beweismittel und würden der Beschlagnahme unterliegen. Unterlagen, die das Mandantenverhältnis betreffen würden, könnten vorher entnommen werden. NK-Vertreter RA Kuhn sagt, er sei der Ansicht, dass auch bei den Unterlagen, die das Anwaltsverhältnis betreffen, kein Beschlagnahmeverbot bestehe, weil sie im Besitz des Zeugen seien. Kuhn nennt eine BGH-Entscheidung.
OStA Weingarten entgegnet, die Beschlagnahme setze ein Einverständnis voraus, dieses sei nicht erteilt worden. Wenn Kuhn die BGH-Entscheidung vollständig lesen würde, so Weingarten, wisse er, dass überhaupt erst mal der obersten Dienstbehörde die Gelegenheit gegeben werden müsse, eine Sperrerklärung abzugeben. Wenn diese nicht begründet sei, dann könne evtl. eine Beschlagnahme folgen. Weingarten: „Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, Herr Rechtsanwalt Stahl, wenn ich als Beamter des Generalbundesanwaltes Kopien mache aus Akten der Behörde, dass das dann meine Privatakte ist? Das ist Aktengut der Behörde. Der Mann ist Beamter.“ RA Stahl: „Wenn Sie als Privatperson und Zeuge hier erscheinen müssen und haben einen Stehordner mit einem Konvolut verschiedener Ablichtungen, dann ist das keine Behördenunterlage. Das ist eine Ablichtung. Und da kann man der Fairness halber schauen, dass die Behörde eine Gelegenheit bekommt, dazu eine Stellungnahme abzugeben.“ RA Peters sagt, Beamten hätten eine Vorbereitungspflicht, Görlitz habe sich vorbereitet im Rahmen seines Dienstverhältnisses, alle Unterlagen würden das Dienstverhältnis betreffen.
Ein NK-Vertreter schließt sich dem Antrag Bliwiers an und sagt, er wolle hinzufügen, dass der Zeuge nach seiner Erinnerung angegeben habe, dass es sich primär um eigene Akten und Notizen handele, also handele es sich nicht vollständig um Behördenunterlagen. Ein weiterer NK-Vertreter sagt, Peters habe ja mitgeteilt, dass der Zeuge aus den Akten zitieren darf, und wenn Görlitz zitieren dürfe, sei ja ungeklärt, ob bzgl. dieser Unterlagen eine Sperrerklärung überhaupt vorliegen kann. RAin Schneiders sagt, die Verteidigung Wohlleben wolle sich dem modifizierten Antrag Bliwiers anschließen. Sie selber habe Sichtkontakt zum Ordner und habe Zweifel an der Richtigkeit der Angabe, dass es sich um Behördenunterlagen handelt, von ihrer Position aus sehe es so aus, als ob das aus dem Untersuchungsausschuss stamme. Nahrath: „Auf die Gefahr hin, dass ich mich weit aus dem Fenster lehne: Wir wissen alle, dass in diesem Verfahren so viele Unterlagen weggekommen sind, wie es nicht hätte sein dürfen. Ich habe Sorge, dass, wenn dieser Ordner eine halbe Stunde mitgenommen wird, er nicht mehr vollständig ist.“
Zeugenbeistand RA Peters sagt, sie könnten nur etwas dazu sagen, wenn man der Behörde mitteilen könne, um welche Akten es da geht. NK-Vertreter RA Erdal: „Der Aktenordner muss hier im Raum bleiben!“ Peters fragt, ob er etwa hier im Raum telefonieren solle. Götzl: „So geht’s nicht, Herr Rechtsanwalt Erdal. Ich nehme von Ihnen keine Anweisungen entgegen. Und Befehlston ist hier nicht angemessen.“ In Richtung von RA Peters sagt Götzl: „Wenn Gelegenheit besteht, dass Sie das bei der Zeugenbetreuung machen, machen wir das so.“ Es folgt eine Pause bis 11:30 Uhr.
Danach sagt Götzl, dass RA Peters gerade an der Abklärung sei und man daher mit der Zeugin Annika Al. (218. Verhandlungstag) fortsetze. Götzl: „Wir setzen die unterbrochene Vernehmung fort, ich rufe Ihnen die erteilte Belehrung nochmal in Erinnerung. Es ging ja bei Ihrer Einvernahme um die Abklärung der Nutzung von Aliaspersonalien. Wir würden weitergehen und würden dann zu Asservaten kommen, die Herrn Gerlach betreffen.“ Al.: „Ja.“ Götzl: „Bitte schön.“ Al. sagt, dass zu Gerlach ein Reisepass sichergestellt worden sei im Wohnmobil, der sei ab 2011 gültig gewesen, mit dem Lichtbild des Gerlach. Gerlach selber habe ausgesagt, dass er von Böhnhardt die Haare geschnitten bekommen habe, damit er mehr die Ähnlichkeit von Böhnhardt annimmt. Im Zuge der weiteren Ermittlungen sei auch herausgekommen, dass ein anderer Reisepass, der bis 2011 gültig gewesen sei, von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe genutzt worden sei: „Diesen haben wir jedoch nicht aufgefunden. Im Wohnmobil befand sich außerdem ein Führerschein auf den Namen Gerlach, der auch für die Anmietung von PKWs und Wohnmobilen benutzt wurde. Im Wohnmobil befand sich außerdem eine ADAC-Karte und eine AOK-Versichertenkarte. Zu diesen zwei Asservaten konnten wir jedoch keine direkte Nutzung feststellen.“
Des weiteren hätten sich im Wohnmobil zwei Fahrradpässe befunden, wozu ein Fahrrad im Wohnmobil und eines in der Frühlingsstraße 26 hätten sichergestellt werden können. Götzl: „Auf welchen Namen?“ Al.: „Auch auf Gerlach.“ Dann fragt Götzl nach Asservaten bzgl. „Andreas Hoffmann“. Al.: „Das ist nach unseren Ermittlungen eine fiktive Personalie, dazu konnten wir keine reale Person feststellen, die wurde unter anderem zum Einkauf von Computertechnik benutzt.“ Es gebe aber eine Einzahlerquittung, die sich mit der Anmietung der Polenzstraße befasse. Die Schrift auf der Quittung habe Mundlos zugeordnet werden können. Götzl: „Dann würde mich noch interessieren: Lisa Mohl?“ Al.: „Lisa Mohl? Wir haben zu der Personalie zwei Kundenkarten festgestellt, einmal für den Laden ‚Powergames‘ und für die Zwickauer Energieversorgung. Sonst konnten wir den Namen nicht feststellen.“ Götzl fragt, ob in Zwickau eine existente Person dieses Namens habe festgestellt werden können. Al.: „Nein, wir gehen davon aus, dass es eine Abwandlung von ‚Lisa Pohl‘ ist.“
Götzl fragt nach der Personalie „Andreas Müller“. Das sei vermutlich auch eine fiktive Personalie, so Al.: „Die wurde auf einer Liste mit Zugangsdaten für Onlinedienste festgestellt, unter der Überschrift ‚Media-Markt Online Gerri‘ und die Zugangsdaten dazu notiert. Wir haben aufgrund der Überschrift die Personalie dem Herrn Böhnhardt zugeordnet, weil aus Urlaubsbekanntschaften bekannt wurde, dass Böhnhardt ‚Gerri‘ genannt wurde.“ Vorhalt aus dem Vermerk: Media-Markt Online Gerri, Name: Andreas Müller, Straße: Reichenbacher Straße 144, Zwickau, 1.8.77, E-Mail-Adresse, dann Code: „Cleaner 10“. Al.: „Ja.“ Götzl: „Was sagen Sie dazu?“ Al.: „Kann ich nicht viel zu sagen. Das ist eine Liste mit den Zugangsdaten, die relativ umfangreich war, und darauf kam öfter auch die Mailadresse vor oder in Abwandlung. Wir gehen davon aus, dass es sich um einen Spitznamen bei Onlinediensten handelt. Ich kann nicht mehr sagen, ob der konkret auch verwandt wurde“ Götzl fragt, ob Al. auch mit der Personalie „Pohl“ befasst gewesen sei. Al.: „Nicht direkt. Nur am Rande letztendlich. Ich habe ja nur die wichtigsten Informationen in meinen Vermerk aufgenommen, weil der Vermerk des Kollegen relativ umfangreich war. Aber mir ist bekannt, dass der Name ‚Pohl‘ mit mehreren Vornamen genutzt wurde, mit mehreren Anschriften, teilweise fiktive, teilweise bekannte wie die Frühlingsstraße 26.“
Dann fragt Götzl zu Carsten Ri. (95. Verhandlungstag). Da seien im Brandschutt der Frühlingsstraße Einzahlbelege sichergestellt worden, so Al. In den Ermittlungen sei herausgekommen, dass es wahrscheinlich so war, dass Carsten Ri. selbst die Anmietung der Altchemnitzer Straße 12 übernommen und die Wohnung Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe zur Verfügung gestellt habe. Es seien Rechnungen im Brandschutt gefunden worden, aber in abgewandelter Schreibweise. Es sei davon auszugehen, dass die Personalie nochmal benutzt wurde, ohne dass Ri. davon gewusst hat. Aus dem ‚C‘ in Carsten sei ein ‚K‘ geworden. Götzl fragt, was Al. zu den Asservaten betreffend Silvia Ro. (zuletzt 72. Verhandlungstag) sagen könne. Al.: „Da wurde unter anderem eine AOK-Versichertenkarte im Brandschutt der Frühlingsstraße 26 sichergestellt. Diese wurde auch für Zahnarztbehandlungen in der Stadt Halle verwandt. Frau Sch., geborene Ro., hat angegeben, dass sie die Versichertenkarte gegen einen Betrag von 300 Euro an den Herrn Gerlach gegeben hat.“
Es seien zu der Personalie weitere Asservate in Brandschutt festgestellt worden, ein Bibliotheksausweis und eine Kopie, wobei es sich um Fälschungen gehandelt habe. Diese seien also nicht zu nutzen gewesen, das sei in der Bibliothek ermittelt worden. Dann habe es noch Brillenpässe gegeben, die ursprünglich auf den Namen gelautet hätten, da sei aber der Name Ro. durchgestrichen und durch den Namen „Pohl“ ersetzt, außerdem Payback-Karten, da gebe es aber keine Ermittlungen, ob die benutzt worden seien. Götzl hält zu den Zahnbehandlungen aus dem Vermerk vor, dass ein Behandlungsvermerk einer Zahnarztpraxis in Halle aufgefunden worden sei und zugehörig eine Quittung für die Krankenkassengebühr; es habe am gleichen Tag eine weitere Zahnbehandlung bei einem anderen Zahnarzt in Halle gegeben, Behandlungen habe es am 02.05., 08.05. und 09.05. gegeben, in beiden Praxen sei die aufgeführte Versichertenkarte vorgelegt worden. Al. bestätigt den Vorhalt. Es gibt keine weiteren Fragen, die Zeugin wird entlassen.
Um 11:44 Uhr wird eine Pause eingelegt, die bis 12:14 Uhr verlängert wird. Danach sagt Götzl, dass Görlitz und RA Peters nochmal in den Saal kommen sollen. Er teilt mit, dass nach telefonischer Rücksprache mit einer versiegelten Sicherstellung der Papiere von Görlitz Einverständnis bestehe. Man werde natürlich die Einvernahme von Görlitz unterbrechen, die Unterlagen sicherstellen und versiegeln und Görlitz dann erneut laden müssen: „Dann werden wir Ihre Einvernahme unterbrechen, Sie erneut laden und so dann verfahren.“ Es folgt die Mittagspause bis 13:19 Uhr.
Danach wird der Zeuge He., KHK beim BKA Meckenheim, gehört. Götzl sagt, es gehe um die Auswertung von Namenslisten und Notizzetteln. He. berichtet, er sei in den ersten Tagen schon in der BAO Trio eingesetzt gewesen und habe gleich mit Beginn erste Vermerke geschrieben, darunter die hier in Rede stehenden zu sichergestellten Dateien, die ihm in elektronischer Form vorgelegen hätten. In den darauf folgenden zwei, drei Tagen habe er weitere Unterlagen zur Auswertung bekommen, Papierkopien, Auszüge aus Telefonbüchern: „Also strukturierte, systematisch geordnete Adressen und Telefonnummern, wie man sie üblicherweise in einem Telefonbuch findet. Zudem Notizzettel, die mir als Bilddokumente oder Kopie vorlagen. In den Auswertevermerken habe ich die bewertet und ausgewertet.“ Götzl: „Was hat die Auswertung ergeben?“ He.: „Diese elektronischen Dateien, das waren Namens- und Adresssammlungen mit Bezug zu München, Dortmund, Nürnberg.“ Zu München habe es 88 Datensätze in einer Datei „München“ gegeben, zu Dortmund 37 und zu Nürnberg 6.
He.: „Dabei ist mir aufgefallen, dass diese Dateien offensichtlich sehr systematisch angelegt waren.“ Es seien Adressen zu Personen enthalten gewesen, Mitglieder des Landtags, Parteibüroadressen, „islamistische“ Vereinigungen, Adressen von jüdischen Einrichtungen, Waffenhandlungen, „unterschiedliche Adressen mit konkreten Ortsbezügen“. Die Adressen, bspw. die Waffengeschäfte, hätten eine eigene Typbezeichnung in einer Dateispalte gehabt, so dass jemand die Datei nach diesen Typen angelegt und kategorisiert habe. He. weiter: „Ich habe das so dargelegt, dass hier der Versuch unternommen wurde, Datensätze systematisch anzulegen, die vor dem Hintergrund der Straftaten, die hier zur Rede standen, – ich hatte die DVD des NSU schon gesehen gehabt zu diesem Zeitpunkt -, ich habe die Datensammlung als Vorbereitung von Straftaten gesehen derart, wie sie auf dieser DVD auch dokumentiert waren.“
Die Papiervordrucke seien Auszüge aus Telefonbüchern gewesen mit handschriftlichen Ergänzungen und Textmarkierungen, mit „despektierlichen Bemerkungen“ zu Institutionen oder Personen. Er erinnere sich an einen handschriftlichen Vermerk: „Rote Sau“. Die Notizzettel, die er ausgewertet habe, seien handschriftlich notiert gewesen, teilweise auch mit Markierungen versehen, einerseits mit Textmarkern herausgehoben, andererseits mit X-Zeichen oder Haken gekennzeichnet oder abgehakt. He.: „In der Gesamtbetrachtung von Dateien, Auszügen aus Telefonbüchern und Zetteln habe ich das als Grundlage für Adressdaten in München, Nürnberg und Dortmund gesehen.“ Götzl: „Haben Sie ausgewertet, ob bei den Adressen Aktualität besteht?“ He.: „Ja, das war ein wesentliches Kriterium: Wie aktuell sind die Unterlagen, wie lange wurde mit diesen gearbeitet? Ich habe die Datensätze stichpunktartig überprüft.“ Das habe er durch Recherchen im Internet getan. Einige seien ihm als aktuell erschienen, andere als inaktuell.
Götzl: „Sie sprachen von Systematik. Gab es Kategorisierungen, Typisierungen, Zahlen, Zahlenkombinationen?“ He.: „Ja, die Kategorisierungen waren in Zahlen und Ziffern in einer Spalte unter der Überschrift ‚Typ‘ abgebildet. Waffengeschäfte beispielsweise mit einer Null, wobei die Kategorisierungen nicht über die Dateien München, Nürnberg und Dortmund einheitlich waren, aber jüdische Einrichtungen hatten die Ziffer 9 beispielsweise.“ Götzl: „Welche Bereiche, Themen sind letztlich durch diese Telefonnummern und Adressen betroffen gewesen?“ He.: „Parteivertreter, aber auch Kriminalbeamte offensichtlich. Ich erinnere mich an eine Notierung auf den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Fritsche, dann Pfarrer wurden genannt, Friedhöfe, Kindergärten, was ich nicht so recht einzuschätzen wusste. Da ist das was mir jetzt gerade so dazu einfällt.“ RA Nahrath: „Bei den Materialien, die Sie bekommen haben, handelte es sich dabei um die Originalfunde?“ He.: „Ich habe alle Unterlagen in Kopien oder als Dateikopien vorgelegen gehabt.“
NK-Vertreter RA Daimagüler fragt, ob bei den Personen und Institutionen eine Überprüfung vorgenommen worden sei, ob eine regionale Häufung vorlag. He.: Eine regionale Häufung lässt sich aus der Anzahl der Datensätze ableiten: 88 konkrete Datensätze nur zu München, Dortmund 37 und Nürnberg 6.“ Daimagüler. „Und die Privatpersonen auf der Liste, – damit meine ich nicht die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens -, wurden die befragt, die Pfarrer oder Kriminalbeamten?“ He.: „Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, jedenfalls nicht von mir. Das was ich in Augenschein nehmen konnte: In der Folge der Tätigkeit sind auch Personen angesprochen worden.“ Daimagüler: „Die ‚islamistischen Vereine‘, von denen Sie eingangs sprachen, haben Sie in Erinnerung welche Vereine da genannt wurden?“ He.: „Konkret nicht.“ Götzl: „Ich habe verstanden: ‚islamische Institutionen‘.“ Narin: „Auch ich wollte da nachfragen.“ He.: „Da habe ich mir keine Gedanken gemacht. Institutionen die mit dem Islam in Kontakt standen.“ Daimagüler fragt nach einem Beispiel. He.: „Islamischer Kulturverein.“ Daimagüler. „Die Kindergärten, hatten die eine Besonderheit: Christlich, jüdisch, islamisch?“ He.: „Ich kann mich da nicht erinnern, dass das einen besonderen Bezug hierzu gehabt hätte.“
RA Reinecke: „Einige Blätter sind mit ‚Telefonbuch für Deutschland‘ überschrieben. Ist Ihnen bekannt, dass es entsprechende DVDs zu kaufen gibt?“ He.: „Ist mir bekannt.“ Reinecke: „Haben Sie mal versucht, dass man da durch Migration von Daten diese Blätter herstellen kann?“ He.: „Ich bin davon ausgegangen, dass sie gedruckt wurden, um sie besser händeln zu können. Ich habe aber nicht überprüft, aus welchem Jahr die stammen.“ Reinecke: „Man hätte das über die verschiedenen DVDs vergleichen können.“ He.: „Ich habe die Aktualität darüber geprüft, ob die Daten noch aktuell waren oder nicht. Z. B. dieser Herr Fritsche, der war bis 2003 noch Präsident, danach nicht mehr.“ Reinecke: „Sie haben nicht versucht einzugrenzen, wann die entstanden sind?“ He.: „Doch, ich habe es versucht, aber es ist ja nicht auszuschließen, dass bei der Erstellung aktueller Dateien auch ältere DVDs herangezogen wurden.“ Reinecke: „Haben Sie für München Nürnberg und Dortmund abgeglichen, ob die durch Selektion entstanden sind aus den größeren Datenbanken, die wir haben, mit hunderttausenden Datensätzen?“ He. sagt, zu dem Zeitpunkt habe es die Kenntnis der umfangreichen Datensätze noch nicht gegeben. Reinecke: „Haben Sie das hinterher nochmal nachgeprüft, ob das eine Teildatenbank ist, dessen was insgesamt geprüft wurde?“ He.: „Ich denke, dass das geprüft wurde, aber nicht von mir, weil ich mit weiteren Aufgaben betraut war.“ Götzl: „Eine Nachfrage: „Klaus-Dieter Fritsche: Vizepräsident Bundesamt für Verfassungsschutz‘ und in der Fußnote ‚1996-2005 Vizepräsident des Bundesamt für Verfassungsschutz‘. Sie hatten zu Funktion und Jahr andere Angaben gemacht.“ He.: „Was ich geschrieben habe, gilt.“ Der Zeuge wird entlassen.
RA Daimagüler gibt eine Erklärung ab: Es erscheint offensichtlich, dass der Zeuge nicht unterscheidet zwischen ‚islamisch‘ und ‚islamistisch‘. Das ist für einen muslimischen Anwalt schon schwer zu verdauen. Aus dem Vermerk ergibt sich, dass Personen auf der Liste nicht befragt wurden und dass auch die regionale Häufung nicht zur Besorgnis Anlass gegeben hat. Eine einfache Person hätte vielleicht Hinweise darauf geben können, ob es da lokale Tippgeber gegeben hat. Das ist nicht geschehen, insofern ist die Auswertung eine, die vor allem durch ihre Oberflächlichkeit besticht. Der Verhandlungstag endet um 13:44 Uhr.
Das Blog „NSU-Nebenklage“:
„Bereits eine der ersten Fragen nach dem V-Mann Toni Stadler beantwortete [Görlitz] nicht und verwies auf seine beschränkte Aussagegenehmigung. Stattdessen gab er an, er habe zur Vorbereitung auf seine Aussage erneute mehrere Ordner Akten studiert. Schon dies führte zu Verwunderung, denn seine am 01.07.2015 geschilderten Erinnerungen an seine Zusammenarbeit mit Szczepanski hätten sicher auf einem DinA4-Blatt Platz gehabt. Während einzelner Fragen blätterte er nun in einem Stapel Blätter, gab auf Frage an, es handle sich um Unterlagen und Kopien, die er sich zur Vorbereitung seiner Aussage gefertigt habe. Die […] Aufforderung, diese Unterlagen dem Gericht zu überreichen, verweigerte er. Es folgte eine eigentümliche Auseinandersetzung mit seinem Zeugenbeistand. […] Schließlich erklärte der Vorsitzende Richter ziemlich souverän, die Unterlagen sollten dem Gericht übergeben werden, sie würden dort verschlossen verwahrt, bis das Innenministerium Brandenburg mitteilt, ob eine Sperrerklärung für die Unterlagen erfolgt oder ob sie vom Gericht verwertet werden können. […] Angesichts der Tatsache, dass die Deckblattmeldungen des V-Mannes Szczepanski zu möglichen Waffenkäufen für den NSU durch ein ‚Blood & Honour‘-Mitglied, zum Aufenthalt von Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos in Chemnitz und zu deren Begehung von Banküberfällen für den Prozess von einiger Bedeutung sind und dass Szczepanski und seine V-Mannführer bisher durch Gedächtnisausfälle glänzten, wäre es eine klare Verweigerung der Aufklärung, diese Unterlagen zu sperren. Dem Staat würde allenfalls durch eine solche Sperrung Schaden zugefügt werden. Viel wichtiger wäre es aber eigentlich, die Aktenordner, mit denen sich der Zeuge auf seine Aussage vorbereitet haben will, beizuziehen: diese liegen dem Gericht bislang nicht vor.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/07/29/29-07-2015/