Kurz-Protokoll 223. Verhandlungsstag – 3. August 2015

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Das Kurzprotokoll entspricht der vollständigen Version des Protokolls von diesem Verhandlungstag.

Da der für diesen Tag geladene Zeuge nicht erscheint, ist an diesem Tag Raum für Erklärungen, Lesungen aus Dokumenten und Anträge. Dies wird von Vertreter_innen der Nebenklage für einen ausführlichen Beweisantrag rund den ehemaligen V-Mann Michael See alias “Tarif” genutzt. Es wird die Beiziehung von rekonstruierten Akten sowie die Vernehmung des Verfassungsschützers “Lothar Lingen”, der diese Akten nur Tage nach dem Auffliegen des NSU vernichten ließ, beantragt.

Zur Präsenz: Die Verteidigung Wohlleben heute neben RAin Schneiders mit RA Jochen Lober statt Klemke und mit RA Andreas Junge statt RA Nahrath. (Hier geht es zu einem Hintergrundartikel zum Thema: http://www.nsu-watch.info/2015/08/neue-anwaelte-fuer-wohlleben-in-vertretung/)

Der Prozesstag beginnt um 09:52 Uhr. Der einzige für diesen Tag geladene Zeuge, Tom T., ist nicht erschienen bisher. Götzl: „Wir werden die Zeit nutzen für offene Erklärungen.”
NKRAin Basay und NKRA Hoffmann geben zur Zeugin Pf., einer BKA-Beamtin (220. Prozesstag) folgende Erklärung ab: „Die Zeugin Kkin Pf. hat in ihrer Vernehmung ihre Ermittlungen zu einer Fahrt der Angeklagten Zschäpe am 16.06.2011 zum Angeklagten Gerlach dargestellt. Die Reise der Angeklagten Zschäpe zum Wohnort des Angeklagten Gerlach steht im Zusammenhang mit der Abholung eines Reisepasses. Der Angeklagte Holger Gerlach hatte nämlich kurz zuvor, d.h. am 19.05.2011 einen Reisepass zur Verwendung durch das Trio beantragt und am 16.06.2011 ausgehändigt bekommen. Der am 16.06.2011 abgeholte Reisepass des Holger Gerlach wurde im November 2011 in den Trümmern der Frühlingsstraße gefunden.
Das Besorgen eines gefälschten Reisepasses ist eine zentrale Aufgabe bei der Aufrechterhaltung einer illegal aktiven Zelle. Damit liegt ein weiteres starkes Indiz dafür vor, dass die Angeklagte Zschäpe als Mittäterin in alle Handlungen des NSU einbezogen war.
Weiter konnte die Zeugin Pf. in ihrer Vernehmung am 21.07.2015 Angaben über eine in den Trümmern der Frühlingsstraße gefundene DVD machen. Die Ermittlungen der Zeugin haben ergeben, dass die darauf enthaltene Dateienstruktur und zahlreiche Dateien so auch auf Festplatten aufzufinden sind, die dem Angeklagten Eminger zuzurechnen sind. Damit dürfte feststehen, dass auf dieser DVD Daten zwischen dem Angeklagten Eminger und Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ausgetauscht wurden. Diese Feststellungen sind insbesondere deshalb wichtig, weil auf der DVD unter anderem die „Turner Tagebücher“ enthalten sind. Damit steht fest, dass der Angeklagte Eminger und die Kern-NSU-Mitglieder einen Austausch über die terroristische Ideologie und Rechtfertigung hatten.
Außerdem fanden sich auf der DVD selbstgestaltete Entwürfe für T-Shirts, auf denen neben einem Bild von Rudolf Hess und einem Totenkopf der Paulchen Panther-Spruch „Es ist nicht alle Tage – Wir kommen wieder, keine Frage“ enthalten ist. Eine so deutliche Anspielung auf die im NSU-Bekennervideo enthaltene Paulchen-Panther-Geschichte lässt den Schluss zu, dass Eminger von den Straftaten der Drei und dem Inhalt des Bekennervideos informiert war.“

Eine Erklärung zum Zeugen Sandro Tauber (221. Prozesstag) gibt NKRA Hoffmann ab: „Der auf Antrag der Verteidigung Wohlleben geladene Zeuge war JN-Mitglied, ist bis heute NPD-Mitglied und hat sich noch 2005 als Bundestagskandidat von der NPD in Thüringen aufstellen lassen. Es war unklar, wem der Zeuge mit der Behauptung ‚Ausländer hätten in der Politik des THS keine Rolle gespielt‘ und ‚man habe damals jegliche Art von Gewalt im THS und in der JN abgelehnt‘, helfen wollte: Der NPD in dem anhängigen Verbotsverfahren oder dem Angeklagten Wohlleben oder beiden. Auch ansonsten war die Aussage des Zeugen hinsichtlich des Beweisthemas unergiebig, da der Zeuge mit seiner Aussage weiter verfahrensfremde Ziele verfolgte, nämlich seinen eigenen Status in der Szene durch die Aussage zu fördern.
Der Zeuge Tauber ist der zweite Zeuge, der von der Verteidigung als vermeintlicher Entlastungzeuge benannt wird und doch nur zeigt, welches Ansehen Wohlleben in der Szene genoss und wie die Zeugen ihm bis heute verbunden sind und zu ihm aufsehen. Die Art, wie der Zeuge Tauber über den Angeklagten berichtete, widerspricht der These der Verteidigung, dass der Angeklagte Wohlleben insgesamt eine untergeordnete Rolle spielte.“

Nun kommt es zur Verlesung von Dokumenten, in denen es um die Rolle von Wohlleben, Gerlach, der Emingers und Schultze geht. Die Antwort des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz vom 23.11.2011 auf eine Erkenntnisanfrage der BAO „Trio“ vom 20.11.2011 zu Ralf Wohlleben, welche Bedeutung und Ämter er innehatte und welchen Organisationen er angehört habe: Wohlleben gehörte zum Führungskreis des THS, 1994 trat er in die NPD ein, 1997 wurde er als Beisitzer in den NPD-Landesvorstand gewählt, blieb dort mit Unterbrechungen bis 2008. Bis 2008 stellv. NPD-Landesvorsitzender. Zusätzlich 1999-2010 Vorsitzender des NPD-KV Jena Saale-Holzlandkreis, ab 1998 JN-Mitglied.
Auf die Frage, ob Erkenntisse vorliegen, dass Wohlleben Kontakte zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gepflegte habe: Dem TlfV liegen derzeit keinen Hinweise vor, dass Wohlleben über 2001 hinaus Kontakte zu den dreien pflegte.

Schreiben des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) an die BAO „Trio“. Es geht um die Auswertung der Fahndungsmaßnahmen nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe und Erkenntnisse des TLfV über die Person Holger Gerlachs: Holger Gerlach wird unter der Überschrift “Aktive Mitglieder” an sechster Stelle aufgeführt. Dokument TlfV: Wohlleben bat Gerlach, Kontakt zu Thorsten Heise aufzunehmen, um an Heises Auslandskontakte zu kommen. Gerlach wurde aufgefordert, das Ergebnis des Heise-Gespräches ihm schnellstmöglich mitzuteilen.

Nun geht es um André, Maik und Susann Eminger. Susann Eminger war dem LfV Sachsen bis zu dem Ermittlungsverfahren nicht aus rechtsextremistischen Zusammenhängen bekannt. Sowohl André als auch Maik waren 2000/2001 Mitglieder der in Johanngeorgenstadt agierenden Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE), 19 Mitglieder, aufgelöst 2001. Die Polizeidirektion schätzte ein, dass die Zwillingsbrüder eine herausgehobene Position innehaben. Zu André wurde bekannt, dass er die Absicht habe, einen „saubere” Kameradschaft zu haben, ohne Altnazis und Schläger.

Schließlich wird noch ein Schreiben des TlfV an die BAO „Trio“ mit der Auswertung der Vorgangsakte „Drilling“ verlesen, die Erkenntisse des TLfV über die Person Carsten Schultzes enthält: Die Rolle Carsten Schultzes ist bei der Flucht von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ist wie folgt zu bewerten: 1999/2000 gab es Anhaltpunkte dafür, dass Wohlleben den Carsten Schultze zeitweise als Kontakt- und Unterstützerperson der drei Gesuchten in den Vorgang eingebunden hat. Es gab Hinweise, Carsten Schultze habe zeitweise den einzigen telefonischen Kontakt gehalten, Carsten Schultze war in die Wohnung Zschäpes eingestiegen; es gab das Bemühen, sich konspirativ zu verhalten.

Die Nebenklage-Anwält_innen von der Behrens und Dr. Luczak lesen stellvertretend für viele Vertreter_innen der NK einen Beweisantrag vor. Es wird u.a. die Beiziehung von rekonstruierten Akten sowie die Vernehmung des Verfassungsschützers “Lothar Lingen”, der diese Akten nur Tage nach dem Auffliegen des NSU vernichten ließ, beantragt.
Der vollständige Antrag ist hier zu finden: http://www.nsu-nebenklage.de/wp-content/uploads/2015/08/2015.08.03.-Beweisantrag.pdf
Ende des Verhandlungstages: 12:10 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blog NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/08/03/03-08-2015/