Kurz-Protokoll 227. Verhandlungstag – 15. September 2015

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Der einzige Zeuge des Tages ist der ehemalige V-Mann-Führer von Marcel Degner, alias V-Mann „Hagel“, Jürgen Zweigert. Degner stritt vor Gericht ab, V-Mann gewesen zu sein. Zweigert gibt während seiner Aussage an, er habe Degner nach dem Trio gefragt, allerdings habe der V-Mann gesagt, er kenne die drei nicht. Alle weiteren Informationen zu Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe seien gegenüber Norbert Wießner angegeben worden, der Degner vertretungsweise führte und laut Zweigert für den Themenkomplex „Drilling“ zuständig gewesen sei. Degner sei dann als V-Mann abgeschaltet worden, als er eigenmächtig handelte und einen Anwalt gegen das Verbot von Blood&Honour einschaltete. Vorher habe er aber immer wahrheitsgemäß berichtet.

Zeuge:

  • Jürgen Zweigert (ehem. TLfV, Führung des V-Mannes „Hagel“, Marcel Degner)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Zeuge ist heute Jürgen Zweigert (zuletzt 144. Verhandlungstag). Nach der Verlesung von Zweigerts Aussagegenehmigung sagt Götzl: „Es geht uns bei Ihrer Einvernahme um die Führung des V-Mannes ‚Hagel‘, insbesondere von 1997 bis 2000 und dann geht es uns zum anderen um Mitteilungen des V-Mannes an Sie.“ Götzl sagt, Zweigert solle zunächst mal über die Führung des V-Mannes berichten, wie es abgelaufen ist, den Zeitraum, in dem Zweigert zu ihm Kontakt gehabt habe, die Häufigkeit. Zweigert: „Also gut, okay, ich kann nicht genau sagen, wann ich ihn von Wießner übernommen habe, der ihn angeworben hatte. Die Treffen fanden nach Möglichkeit einmal die Woche statt. Also, am Anfang war das ein bisschen problematisch mit ihm, weil er sich doch sehr zurückgehalten hat, das liegt aber an der Person. Es musste eine gewisse Vertrauensbasis aufgearbeitet werden, dass er gemerkt hat, dass er hier nicht in irgendeiner Art und Weise vorgeführt wird. Dann hat er aber auch offen berichtet nach unserem Eindruck über Verbindungen, die er hatte, Veranstaltungen, an denen er teilgenommen hatte, über Personen. Nach unserer Erkenntnis hat alles so der Wahrheit entsprochen, war also eine zuverlässige Quelle gewesen.“
Er habe ihn geführt bis 2000, so Zweigert auf Frage: „Wo er abgeschaltet werden musste, weil er eigenmächtig gehandelt hatte. Da ging es um das Verbot von Blood & Honour, wo er aus irgendeinem Grund gemeint hat, er müsste dagegen vorgehen, ohne sich vorher mit uns abzusprechen. “ Götzl: „Zurück zur Übernahme des V-Mannes durch Sie 1997, mit welchen Informationen wurde ihnen damals der V-Mann übergeben?“ Zweigert: „Als Mitglied von Blood & Honour Thüringen, bzw. sogar, er war ja der Sektionschef von Thüringen und er war Kassierer oder so was von dieser Sektion Deutschland. Das war also ein bisschen undurchsichtig, die ganze Geschichte. Aber er hatte da schon, was den Bereich Mitteldeutschland anbelangt, einen relativ guten Einfluss gehabt.“ Götzl: „Was ist damit gemeint?“ Zweigert: „Dass er sich also stark engagiert hat, um auch diese ganze Blood & Honour-Bewegung am Leben zu erhalten. Da hat er sich intensivst eingesetzt.“ Götzl: „Was haben Sie denn von ihm erwartet und inwiefern wurde das dann umgesetzt?“ Zweigert: „Dass er über die Veranstaltungen, an denen er teilnimmt, Konzerte, Treffen von Blood & Honour, umfassend berichtet.“
Götzl: „Haben in der Zeit ab der Übernahme weitere Personen den V-Mann betreut, im Vertretungsfalle?“ Zweigert: „Vertreter war der Herr Wießner gewesen und dann kam später, wann das genau war, kann ich nicht sagen, der Kollege Neisen, der ihn wohl auch einige Male getroffen hat.“ Vertretungsfälle seien z. B. gewesen, wenn er, Zweigert, Urlaub gehabt habe oder aus anderem Grund verhindert gewesen sei. Zweigert: „Wie ich mir die Unterlagen nochmal angeschaut habe, wurde mir gesagt, dass der Kollege Neisen so um die zehn Treffen hatte und der Kollege Wießner ein paar mehr. Aber diese Unterlagen habe ich nicht gesehen, das wurde mir nur mitgeteilt. Da ging’s ja auch um das Problem der drei Personen aus Jena. Der Herr Wießner hatte ja hinsichtlich dieses Themas mit ihm Treffen wahrgenommen.“
Götzl: „Kommen wir gleich zu diesen Unterlagen. Bitte berichten Sie, welche Unterlagen das waren.“ Zweigert: „Das sind die von mir gefertigten Deckblattberichte, die wurden mir vorgelegt. Es ging ja darum, was in der Ladung niedergeschrieben wurde. Da ging es um die drei Personen, und dieses Thema wurde nicht von mir besprochen, das hat der Herr Wießner besprochen.“ Götzl: „Welche drei Personen?“ Zweigert nennt Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt. Götzl: „Haben Sie diese Unterlagen dann eingesehen?“ Zweigert: „Meine ja, aber nur meine.“ Götzl: „Und bezüglich der drei Personen?“ Zweigert: „War nichts.“ Götzl: „War nichts?“ Zweigert: „War nichts.“ Die Kollegen vom LfV, die ihm die Unterlagen vorbereitet hätten, hätten die auch ausgewertet und ihm gesagt, Wießner habe diese Treffen mit der Quelle gemacht.
Götzl: „Gab es eine interne Absprache, dass Herr Wießner sich um dieses Thema kümmert?“ Zweigert, sagt, dass Wießner offensichtlich vom Präsidenten des TLfV beauftragt worden sei, sich mit diesem Thema zu beschäftigen: „Das ist nie richtig publik gemacht worden, ich hatte aber so den Eindruck, dass er den Auftrag hatte, sich um den Sachverhalt ganz speziell zu kümmern. So hoch angebunden war das Verschwinden dieser drei Personen damals gar nicht. Die Wertigkeit, die sie heute haben, bestand ja damals nicht. Das waren irgendwelche Angehörigen der Kameradschaft Jena, die sich aus irgendeinem Grund abgesetzt hatten. Außer Tino Brandt kannte keine Quelle diese Personen.“ Götzl: „Und die Information, dass ‚Hagel‘ Ihnen gesagt habe, er kenne diese Personen nicht?“ Zweigert: „Das war also nachdem die Personen weg waren, da wurden wir generell angehalten, alle Quellen zu fragen, ob sie die Personen kennen und wissen, wo sie sich aufhalten. Und ‚Hagel‘ sagte, er kenne aus Jena nur den Herrn Wohlleben und den Herrn Kapke, André. Andere Personen waren ihm nicht bekannt.“ Götzl fragt, um welchen Kontext es bei Wohlleben und Kapke gegangen sei. Zweigert: „Es ging um irgendwelche, in der Regel um Konzerte, wo man sich getroffen hatte. Aber der Kontakt war, denke ich mal, ganz selten. Er hatte also eigentlich nach Jena keine regelmäßigen Verbindungen.
Götzl fragt, wie es mit der Bezahlung von „Hagel“ ausgesehen habe. Zweigert: „Entlohnung fand statt, das ist richtig. Der jeweilige V-Mann-Führer hat bei jedem Treffen eine Entlohnung vorgenommen in Form von Prämie und Auslagen. Das war dann in unterschiedlicher Höhe. Das hing davon ab, was er für Veranstaltungen besucht hatte und welche Auslagen er hatte.“ Auf Nachfrage sagt Zweigert: „Er ist gut entlohnt worden. So Prämien gab es in der Regel so um die 4, 500 DM. Und die Auslagen haben sich in unterschiedlicher Höhe bewegt, ob es Benzingeld war, Eintritt für irgendwas oder Spenden für irgendwas. Das ist ihm dann erstattet worden.“
RAin Schneiders fragt, ob der V-Mann andere Aufgaben als die Informationsbeschaffung gehabt habe, ob er Einfluss habe nehmen sollen. Zweigert: „Nein, er sollte nur umfassend berichten, nicht Einfluss nehmen. Einfluss zu nehmen, das ist von uns nicht erfolgt.“
NK-Vertreter RA Bliwier: „Ich habe Sie heute so verstanden, dass Sie mit Degner tatsächlich ein Gespräch geführt haben, ob er was zu den drei Flüchtigen sagen kann.“ Zweigert: „Ja, ein generelles Gespräch.“ Bliwier: „Und er antwortete, er würde die gar nicht kennen?“ Zweigert: „Richtig.“ Bliwier: „Erinnern Sie Sie sich an Ihre Vernehmung im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags?“ Zweigert: „Ja.“ Bliwier hält vor, dass Renner im Thüringer UA gefragt habe, ob Zweigert die Quelle mal auf die Drei habe ansprechen sollen, und auch das habe Zweigert laut Protokoll verneint, weil es keine Bezüge zwischen dieser Quelle und dieser Szene gegeben habe. Bliwier: „Das ist jetzt ein gewisser Widerspruch.“ Zweigert: „Ja, aber jetzt habe ich mich auch wieder belesen und damals nicht. Es war generell so, dass wir jede Quelle in diesem Bereich fragen sollten, und das war halt negativ.“ Bliwier: „Ja, wo haben Sie das gelesen, so dass Ihre Erinnerung jetzt besser ist?“ Zweigert: „Ich habe die Deckblattmeldungen zu ‚Hagel‘ gelesen, wo mir gesagt wurde, dass zu diesem Thema ‚Drillinge‘ bei mir nichts drinsteht, aber bei Wießner. Und das ist dann im Gespräch erfolgt, dass wir die Quellen befragt haben.“
Hoffmann fragt Zweigert: „Hat Ihnen die Quelle Hagel berichtet von Diskussionen auf Strategietreffen von Blood & Honour, die eine mögliche Selbstauflösung von Blood & Honour Sachsen zum Thema hatten?“ Zweigert: „Ich kann mich nicht erinnern, ob das mal Thema einer Diskussion war, tut mir leid.“ Hoffmann fragt, ob sich Zweigert nicht erinnere, ob er dazu in den Deckblattmeldungen etwas gelesen habe. Zweigert: „Das waren an die 100 Stück, die ich gelesen habe. Zu einzelnen Fragen kann ich nichts sagen.“ Hoffmann: „Zum Abschluss: Diese 100 Stück, waren das alles Deckblattmeldungen, die Sie gefertigt haben?“ Zweigert: „Richtig, an die 100, nicht exakt.“
RA Langer fragt, ob Wießner und Neisen, wenn sie Zweigert vertreten hätten, auch Schriftliches verfasst hätten über die Treffen. Das bejaht Zweigert, es seien immer Deckblattmeldungen verfasst worden. Auf Nachfrage sagt Zweigert: „Gelesen habe ich die nicht: Ich gehe davon aus, dass es mir erzählt wurde.“ V. d. Behrens sagt, dass Wießner zuletzt im April hier bekundet habe, es gebe nur drei bis vier Blätter zu Degner. Zweigert sagt, das könne er nicht beurteilen, er könne nur sagen, was er letzte Woche gesehen habe, Kopien, so habe es ausgesehen, und das seien die Deckblattmeldungen gewesen, die er selbst gefertigt habe.
V. d. Behrens fragt, ob Zweigert bekannt sei, dass es im TLfV eine Auslobung von 3.000 DM gegeben habe für Hinweise, die zur Ergreifung der Drei führen. RA Stahl beanstandet wegen fehlender Relevanz. V. d. Behrens sagt, der Zeuge könne bei der Erläuterung der Frage im Saal bleiben und führt aus, dass Wießner das bekundet habe und es ergebe sich auch aus Deckblattmeldungen. Sie interessiere sich in dem Kontext dafür, wie wichtig das Thema ‚Trio‘ für das LfV war. Der Zeuge wird aus dem Saal geschickt. V. d. Behrens sagt, dass Zweigert mehrfach bekundet habe, dass für ihn das Thema Trio und Untertauchen kein großes Thema gewesen sei und auch ansonsten nicht die Brisanz gehabt habe wie heute. Es gebe aber erhebliche Anhaltspunkte, dass es hoch auf der Tagesordnung des TLfV, des TLKA und des Thüringer Innenministerium gestanden habe, ein Hinweis darauf sei die Auslobung, ein anderer die Sendung „Kripo Live“. Es gehe ihr darum, woraus sich diese Einschätzung stützt. Das sei so nicht plausibel. Nach einer Pause verkündet Götzl, dass die Frage zurückgewiesen ist und der Zeuge kommt wieder in den Saal.
RA Narin: „Waren terroristische Strukturen in der rechten Szene Thema mit Degner?“ Zweigert: „Nein.“ Narin fragt, ob Gewalt in der Szene Thema gewesen sei. Zweigert spricht von „Auswüchsen in der Skinheadszene“ und sagt: „Mit Alkoholgenuss hing das zusammen, aber das waren irgendwelche anderen Geschichten, da hat er sich nicht dran beteiligt.“
Götzl sagt den obligatorischen Satz vor der Entlassung des Zeugen: „Dann bleibt der Zeuge unvereidigt.“ Dann widerspricht jedoch RA Bliwier der Entlassung des Zeugen und beantragt die Beiziehung der Unterlagen, die der Zeuge zur Vorbereitung herangezogen hat. Die von Zweigert genannten etwa 100 Deckblattmitteilungen würden nicht vorliegen. Der Zeuge habe Aufgabe und Recht, sich auf die Aussage vorzubereiten, zur Überprüfung müssten aber die Verfahrensbeteiligten die Unterlagen einsehen können. Eine Entlassung des Zeugen Zweigert komme nicht in Betracht, bis die Unterlagen vorliegen. U.a. RA Behnke schließt sich dem Antrag an. Götzl: „Für heute jedenfalls sind wir am Ende, Herr Zweigert, mit Ihrer Einvernahme.“ Zweigert verlässt den Saal. Der Verhandlungstag endet um 15:09 Uhr.

Hier der Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage : http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/09/15/15-09-2015/

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