An diesem Prozesstag geht es zunächst darum, die Mandantschaft von „Meral Keskin“ im NSU-Prozess weiter zu klären. Es sagt ein Arzt aus, der sie angeblich behandelte. Neben einer Sachverständigen-Befragung zum Überfall auf den Edeka-Markt nutzt Götzl den Prozesstag, um Entscheidungen zu verschiedenen Anträgen von Nebekläger_innen mitzuteilen. Diese fallen größtenteils negativ aus.
Zeuge und Sachverständige:
- Dr. Arnt K. (Arzt, der angeblich „Meral Keskin“ behandelt hat, Anschlag in der Kölner Keupstraße)
- Dr. Oliver Peschel (Rechtsmedizinischer SV, Gefährdung des Zeugen F.K., Überfall auf einen Edeka am 18.12.1998)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:45 Uhr. Götzl spricht den NK-Vertreter RA Willms an: „Zu Ihrer Mandantin, Frau Keskin: Wann hatten Sie denn zuletzt Kontakt?“ Willms: „Kurz vor der letzten Ladung, im Juni.“ Götzl: „Wann hatten Sie zuletzt versucht, Kontakt aufzunehmen?“ Willms: „Eigentlich immer, die ganze Zeit.“ Er habe Kontakt zu [I] gehabt, so Willms, der ihm Angaben habe machen können, dass sie im Krankenhaus liegt. Götzl:“ Sie müssen doch Kontakt mit Ihrer Mandantschaft haben!“ Willms: „Mir wurde gesagt, Sie liegt schwer krank im Krankenhaus.“ Götzl sagt, dass entweder Willms hier in Kürze für Klarheit sorge oder der Senat müsse dem nachgehen und das ermitteln.
Danach folgt die Einvernahme des sachverständigen Zeugen Dr. Arnt K. K. ist Orthopäde. Götzl sagt, es gehe um die Patientin „Meral Keskin“ nach dem Anschlag in der Keupstraße am 09.06.2004, inwiefern Dr. K. sie behandelt habe und welche Verletzungen vorlagen, ob sie sich später noch bei K. vorgestellt habe und was sie K. zur Entstehung der Verletzungen berichtet habe. K.: „Meine Erinnerung ist lückenhaft, ich hatte an diesem Tag einen Nachtdienst, Bereitschaftsdienst, bei dem ich unfallchirurgische Erstversorgung gemacht habe.“ Relativ am Anfang des Dienstes hätten sie, so K., die Nachricht erhalten, dass eine Explosion stattgefunden habe und sie sich drauf einstellen sollten, evtl. eine größere Anzahl von Patienten zu bekommen. K.: „Es kam aber nur ein einziger Patient mit dem Rettungswagen, soweit ich weiß, weiblich. Zum Alter kann ich kaum noch was sagen. Die Patientin wurde nur ambulant versorgt, ich habe sie kein weiteres Mal betreut.“
[Zum Fall Ralph Willms und zur nicht existenten Nebenklägerin „Meral Keskin“ siehe unsere Stellungnahme http://www.nsu-watch.info/2015/10/es-ist-nicht-nur-ein-strafprozess/ und die Stellungnahme der Initiative Keupstraße ist überall http://keupstrasse-ist-ueberall.de/medienwirbel-um-die-nebenklage-stellungnahme-der-initiative-keupstrasse-ist-ueberall/]
Es folgt die Anhörung des SV Oliver Peschel. Götzl sagt, es gehe um das Gutachten zum Überfall am 18.12.1998 auf einen Edeka-Markt in der Irkutsker Straße in Chemnitz: „Was können Sie aus rechtsmedizinischer Sicht zur Gefährdung des Herrn K. sagen?“ Peschel: „Ich fasse zusammen, was Herr K. hier gesagt hat. Er berichtete, es sei dreimal geschossen worden, ein Schuss sei am Kopf vorbei, er habe ein Zischen gehört, ein weiterer an der Brust vorbei. Man habe einen Einschuss in etwa Brusthöhe hinter ihm an der Wand gesehen. Heute bekamen wir die Information Kaliber 6,35 mm Browning. Das ist ein relativ kleines Kaliber.“ Peschel führt aus, das Kaliber reiche aber durchaus aus, um ganz gravierende Verletzungen zu erzeugen. Wenn man das auf verletzungsintensive Bereiche des Körpers anwende – der Hals, mit großen Arterien und Venen und der stark durchbluteten Schilddrüse und den Atemwegen, aber auch Herz und Lunge – seien Durchschüsse [phon.] bzw. tief penetrierende Schussverletzungen zu erwarten.
Götzl: „Dann werden wir die Zeit nutzen, um Beschlüsse verkünden.“ Als erstes verkündet Götzl den Beschluss, dass die folgenden Anträge der Verteidigung Zschäpe abgelehnt sind: Lichtbilder in Augenschein zu nehmen, die die „völlig unzureichende Sicht“ von der Besucherempore verdeutlichen sollten; das Bild der Saalkamera in der Totalen in Augenschein zu nehmen; ein Lichtbild in Augenschein zu nehmen, das belegen solle, dass zumindest die beiden ersten der Verteidigung Zschäpe zugewiesenen Arbeitstische von der Richterbank vollständig einsehbar seien, und Maßnahmen zu ergreifen, eine Einsehbarkeit zu verhindern; den GBA Harald Range und seine Vertreter Diemer, Greger und Killmer als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass der GBA bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens entschieden habe, die Klage beim OLG München zu erheben; von allen Mitgliedern des Senats und vom Präsidenten des OLG dienstliche Stellungnahmen einzuholen, ob mit dem GBA im Laufe des Ermittlungsverfahrens Gespräche geführt wurden, dass die Anklage beim OLG München erhoben werde.
Dann verkündet Götzl die Verfügung, dass folgende Anträge der Verteidigung Zschäpe abgelehnt sind: ins Protokoll aufzunehmen, dass in den Sitzungssaal nicht mehr als 51 Zuschauer und 50 Vertreter von Presseorganen eingelassen worden seien; ins Protokoll aufzunehmen, dass die Projektoren, die das von der zentralen Kamera aufgenommene Bild an die Wände projizieren, am ersten Hauptverhandlungstag um 10:33 Uhr, also 8 Minuten nach Sitzungsbeginn, eingeschaltet worden seien und seitdem eine Totale der unteren Ebene des Saals aus Sicht der Richterbank abbilden würden, der jeweilige Sprecher nicht erfasst werde und ein Teil des Bildes unten rechts ausgeschnitten sei; ins Protokoll aufzunehmen, dass das Bild von der Empore aus, einzelne Gesichter so klein abbilde, dass eine Individualisierung nicht möglich sei.
Dann lehnt Götzl mehrere Anträge der NK ab. Als Begründung führt er an, diese seien für die Schuld- und Straffrage bei den Angeklagten unerheblich.
So lehnt er u.a. die Anträge der NK vom 24.06.2013 und 06.11.2014 ab, den Zeugen Sebastian Seemann zu laden und zu vernehmen [siehe hierzu Protokolle vom 14. und 156. Verhandlungstag]weil sie „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“ seien. Zudem verkündet Götzl, dass folgende Anträge der NK abgelehnt sind: Dokumente des PP Dortmund zu Seemann und sämtliche nach 04.11.2011 erfolgten Ermittlungen und Vernehmungen des PP Dortmund, des LKA NRW und des BKA zu B&H, zu C18-Strukturen in Dortmund und Umgebung, zur Band „Oidoxie“ und der „Oidoxie Streetfighting Crew“ und deren Verbindung in die Szene in Kassel sowie zum Waffenhandel zwischen der belgischen und der deutschen Naziszene, zu den Personen Seemann, Gottschalk, Toni Stadler und Robin Schmiemann beizuziehen. Die Anträge seien „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“.
Außerdem werde, fährt Götzl fort, den folgenden Anträgen nicht nachgekommen: das bei der StA Dortmund gegen Robin Schmiemann wegen räuberischer Erpressung geführte Verfahren und die zu Seemann beim VS NRW geführten Akten beizuziehen.
Dann verkündet Götzl, dass der Antrag Nachermittlungen zu den dienstlichen Einsätzen von Michèle Kiesewetter bei „Großlagen“ im rechten Spektrum [siehe 79. Verhandlungstag]abgelehnt wird.
Dann verkündet Götzl, dass dem Antrag, die beim bayerischen LKA geführte Akte und sämtliche sich bei der Polizei Köln und der Polizei Nürnberg oder dem bayerischen LKA befindlichen Unterlagen, die die Zusammenarbeit dieser Behörden im Zusammenhang mit Hinweisen zur Täteridentität im Mordfall Yaşar und im Sprengstoffanschlag Keupstraße betreffen, v.a. Aufzeichnungen über die gemeinsamen Besprechungen zwischen der „BAO Bosporus“ und der „EG Sprengstoff“ im August 2005 und im September 2006, beizuziehen [vgl. 104. Verhandlungstag], nicht nachgekommen wird. Der Verhandlungstag endet um 12:52 Uhr.
Hier geht es zum Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/09/29/29-09-2015/
Zur vollständigen Version des Protokolls geht es hier.