Kurz-Protokoll 235. Verhandlungstag – 8. Oktober 2015

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Da der Verhandlungstag so kurz war, entspricht dieses Kurzprotokoll dem langen Protokoll

Der Prozesstag wird dominiert vom Antrag der Verteidigung Wohlleben, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, Beate Zschäpe zu einer neuen Verteidigung zu verhelfen und den Untersuchungshaftbefehl für den Angeklagten Wohlleben auszusetzen.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:51Uhr, auf der Anklagebank nimmt heute Jacqueline Wohlleben neben dem Angeklagten Ralf Wohlleben Platz. Zu Beginn des Verhandlungstages kündigt RA Nahrath einen Antrag der Verteidigung Wohlleben an und begründet auf Nachfrage Götzls, es sei ein Aussetzungsantrag, der sofort vorzutragen sei. RA Nahrath trägt vor, die Verteidigung Wohlleben schließe sich den von den RAen Sturm, Heer und Stahl am 07.10.2015 [vgl. Protokoll 234. Verhandlungstag] gestellten Anträgen an. Er beantragt außerdem, dass die Hauptverhandlung ausgesetzt wird, der Senat für eine ordnungsgemäße Verteidigung der Angeklagten Zschäpe sorgt und dass der Haftbefehl gegen Wohlleben ausgesetzt wird.

Nebenklagevertreter RA Kuhn wirft ein, eine nicht ausreichende Verteidigung Zschäpes könne die Stellung Wohllebens nicht soweit beeinträchtigen, dass Revisionsgründe daraus entstünden.
RA Grasel bekundet, dass sich Frau Zschäpe dem soeben verlesenen Antrag gern anschließen „würde“. Götzl unterbricht die Verhandlung bis 10:40 Uhr, um das Schriftstück zu kopieren.

Nach der Unterbrechung fragt Götzl nach Stellungnahmen. OStA Weingarten erklärt, es gebe keinen Anspruch auf dienstliche Erklärungen von Mitgliedern des Gerichts. Sie hätten solche Erklärungen lediglich gegenüber dem entscheidenden Spruchkörper abzugeben. Auch aus dem grundsätzlichen Anspruch auf ein faires Verfahren entstehe kein solcher Anspruch. Es sei nicht abzuleiten, dass das Gericht sich auf Zuruf einzelner Verfahrensbeteiligter zu rechtfertigen habe. Auch der Hinweis auf den Anspruch auf rechtliches Gehör sei hier völlig fehlgehend. Aus dem Umstand, dass ein Angeklagter nicht mit seinem Verteidiger spreche, sei nicht per se abzuleiten, dass eine ordnungsgemäße Verteidigung beeinträchtigt sei – wenn sie auch suboptimal sein möge. Eine Aussetzung komme schon deshalb nicht in Frage, weil das Gericht keinerlei Einfluss auf Kommunikationsverhalten zwischen Angeklagter und Verteidigung habe. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei es völlig absurd, anzunehmen, die Angeklagte könnte die Verteidigung torpedieren. Die Vorbereitung des RA Grasels sei unbeachtlich, da die Angeklagte durch die RAe Sturm, Heer, Grase l und Stahl verteidigt sei. Alle Anträge seien somit abzulehnen.

RA Heer erklärt für sich und RA Sturm, sie würden keine Stellungnahme zum Antrag abgeben, zur Rechtsgrundlage des eigenen Antrags habe er sich bereits am Tag zuvor geäußert. NK-Vertreter RA Erdal merkt an, dass dies kein unaufschiebbarer Antrag sei. Der Antrag der Angeklagten Zschäpe sei bislang nur eine Absichtserklärung, sie habe sich noch nicht angeschlossen. RA Grasel präzisiert daraufhin: Frau Zschäpe schließt sich dem Antrag an. Götzl fragt die RAe Sturm und Heer, ob sie bereit seien, Sitzungsniederschriften an RA Grasel zu übergeben. Schließlich seien laut Aussage von RA Grasel bereits Niederschriften übergeben worden. RA Heer: „Wie kommen Sie darauf?“ RA Grasel bekundet, er habe keine Sitzungsniederschriften erhalten, auch auf mehrfache Nachfrage zu einzelnen Beweisvorhalten habe er keine Antwort bekommen. Götzl fragt die RAe Heer und Sturm, ob sie sich dazu äußern wollten. RA Heer bekundet, sie seien sehr wohl bereit, zur Einarbeitung von RA Grasel in den Verfahrensstoff beizutragen. Auf erneute Nachfrage Götzls antwortet er, er habe sich seine soeben abgegebene Erklärung sehr wohl überlegt. Die Sitzung wird erneut unterbrochen bis 11:30 Uhr.

Die Hauptverhandlung wird um 11:38 Uhr fortgesetzt, RA Klemke gibt für die Verteidigung Wohlleben eine Stellungnahme zur Erklärung der Bundesanwaltschaft ab: Die BAW führe aus, dass die Angeklagte Zschäpe durch die RAe Sturm, Heer und Stahl ausreichend verteidigt sei. Davon könne jedoch keine Rede sein. Es fände keine Kommunikation der Angeklagten und der drei Verteidiger statt. Die Erklärung Grasels vom Tag zuvor, der Prozessantrag sei nicht mit ihm oder Frau Zschäpe abgestimmt, zeuge davon, dass es sich nicht um einen einseitigen Kommunikationsabbruch von Frau Zschäpe handele. Es sei für jeden mit Händen greifbar, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Zschäpe und Sturm, Heer und Stahl nachträglich zerrüttet sei, sagt Klemke und verweist auf die Entpflichtungsanträge und den gestrigen Antrag. Es sei ausgeschlossen, dass ein solches Verteidigungsverhältnis eine sachgerechte Verteidigung leisten könne. Auch Grasel könne eine solche Verteidigung nicht leisten. Mangels Rückgriffs auf die bisherigen Sitzungsniederschriften der drei Verteidiger könne er die bisherige Beweiserhebung nur lückenhaft würdigen. RA Heer habe auf die Frage des Vorsitzenden, ob Grasel die Sitzungsniederschriften bekommen könne, eine eloquente aber ausweichende Antwort gegeben. Klemke stellt fest, dass die Angeklagte spätestens seit dem 20.07.2015 nicht mehr verteidigt sei.

Götzl fragt nach Stellungnahmen. NK-Vertreter RA Langer sagt, soweit auf die unkommentierten Mitschriften von Mitverteidigern Bezug genommen werde, halte er es für abwegig, auf einen Grundsatz zu bestehen, diese herauszugeben. Er würde seine unkommentierten Mitschriften auch niemandem geben. Wenn RA Klemke seine Mitschriften an RA Grasel gebe, könne das Problem ja behoben werden. RA Prosotowitz ergänzt, im Internet seien sämtliche Sitzungstage – bis auf die letzten zehn – ausführlich dokumentiert, da sei man nicht auf die Mitschriften der Verteidiger angewiesen. RA Klemke dazu: „Es mag sein, dass kein Rechtsanspruch besteht, dass ihm Sitzungsniederschriften ausgehändigt werden. Darauf kommt es nicht an.“ Klemke führt aus, dass es bei einem Informationsdefizit des Rechtsanwaltes Grasel bleibe aufgrund der Weigerung der RAe Sturm, Heer und Stahl. Er selbst fertige aus einer ganz anderen Perspektive seine Mitschriften an, da er den Angeklagten Wohlleben verteidige. Wenn OStA Weingarten dies bezweifle, solle er ihn doch wegen Parteiverrats anzeigen. Dass man sich im Internet über den Verfahrenshergang informieren solle, bezeichnet Klemke als „sehr abenteuerlich“.

NK-Vertreter RA Hoffmann vermerkt zum Hinweis Klemkes, dass dieser Wohlleben und nicht Zschäpe verteidige, dass ihm dies in den vergangenen Wochen nicht so klar gewesen sei. Ihm, Hoffmann, sei noch nicht mal klar geworden, ob RA Grasel überhaupt alle Sitzungsniederschriften angefordert habe. Aber davon abgesehen habe man es mit einem destruktiven Verhalten der Angeklagten Zschäpe zu tun: Sie habe nicht gesagt, sie möchte andere Anwälte und hätte diesen und jenen gefunden, sondern sie habe lediglich gesagt, sie möchte die Drei nicht mehr. Sie sei nicht in der Lage gewesen, ein konkretes Fehlverhalten dazulegen. Es handele sich offensichtlich nur um eine destruktive Situation mit dem Ziel, den Prozess zu stören. Bei Grasel habe sie lediglich gesagt, nun gut, dann nehme ich den. Dabei sei von vornherein klar gewesen, dass Grasel die Hauptverhandlung mit all dem Wissen über das Geschehen nicht würde führen können. Und die RAe Stahl, Heer und Sturm hätten ja schließlich weiter teilgenommen und seien prozessual aktiv.

Nebenklage-Vertreter RA Scharmer erklärt, die RAe Stahl, Heer und Sturm hätten mehrfach ihre Bereitschaft zur Kommunikation mit der Angeklagten Zschäpe erklärt. Er sehe keinen Zweifel an dieser Aussage und gehe davon aus, dass – wenn Frau Zschäpe mit diesen Anwälten sprechen möchte – sie dies jederzeit tun kann. Deswegen liege es rein an ihr, ob die Verteidigung betrieben werden könne oder nicht – darauf habe der Senat keinen Einfluss. Wenn die Verteidigung Wohlleben der Auffassung sei, das Verfahren müsse ausgesetzt werden, weil ein Angeklagter schlecht verteidigt sei, dann wären ja die meisten Strafverfahren nutzlos und würden ins Leere laufen.

NK-Vertreter RA Reinicke stellt fest, dass es keinen Anspruch darauf gebe, dass eine Verteidigung funktioniere – damit habe sich das BVerfG in verschiedenen Entscheidungen auseinandergesetzt. Eine Aussetzung würde ja bedeuten, dass sie in einem Jahr hier wieder säßen. Er sagt, dass eine Neuauflage auch mit erheblichen Nachteilen unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes verbunden sei und zu erheblichen Belastungen und Retraumatisierungen bei den Opfer führen könne. Man müsse sich klarmachen, dass hier ein Antrag gestellt werde der bedeute, 50 oder mehr Opfer noch mal diese Mühe zuzumuten, nur weil die Angeklagte Zschäpe glaubt, eine falsche Wahl getroffen zu haben. Die Belange von Frau Zschäpe seien hier zweitrangig gegenüber den sonstigen Belangen im Strafverfahren.

RA Klemke erwidert, dass RA Hoffmann aus seiner Sicht nur formal in der Stellung eines Nebenklagevertreters sei, trotzdem wolle er auf dessen Einwand eingehen. Es sei nicht der Fall, dass die Situation seit Monaten allein auf Destruktion seitens der Angeklagten Zschäpe zurück gehe – allein der Hinweis RA Grasels vom Tag zuvor beweise dies. Auch zur Kommunikation habe der Tag zuvor bewiesen, dass dem nicht so sei, da die Angeklagte gar nicht informiert worden sei. Im Übrigen sei die Frage einer effektiven Verteidigung mit Sicherheit nicht zweitrangig: er habe noch nie davon gelesen, die Rechte eines Angeklagten zurück treten zu lassen, nur weil eine Aussetzung zu Erschwernissen bei mutmaßlichen Opfern führe.

Nebenklagevertreter RA Daimagüler stellt fest, dass die Angeklagte Zschäpe mehrfach versucht habe, ihre ursprüngliche Verteidigung zu entbinden. Sie habe dies ohne Substanz gemacht, weshalb die Anträge auch zu Recht abgelehnt worden sind. Hätten die Anträge Erfolg gehabt, seien ihre Verteidiger jetzt weg und dann gäbe es auch keine Kommunikation der drei mit RA Grasel. Frau Zschäpe sei zu Recht als Mörderin angeklagt – und seine Mandantschaft bestehe aus Familien, deren Mitglieder ermordet, deren Kinder erschossen worden sind. Zwischenruf RA Klemke: „Unverfroren!“ RA Erdal merkt an, dass RA Stahl in der vorhergehenden Woche die Angeklagte Zschäpe angesprochen habe, woraufhin diese sich demonstrativ abwandte und nicht mit ihm habe reden wollen. Wie solle sich ein Anwalt da noch verhalten, so Erdal. Es liege an der Angeklagten selbst. RA Hoffmann fügt hinzu: „Allein der letzte Satz, Nummer zwei im Antrag: ‚Der Senat sorgt für eine sachgerechte Verteidigung der Angeklagten Zschäpe’, das kann nicht ernst gemeint sein.“ Wie solle der Senat darauf hinwirken, dass die Verteidiger miteinander reden, so Hoffmann. Das sei ein Eingriff und dem könne man demnach gar nicht nachkommen, es handele sich demnach ausschließlich um ein Störfeuer.

RA Klemke wendet ein, aus den Anträgen gehe hervor, dass sich der Antrag, der Senat habe für eine ordnungsgemäße Verteidigung zu sorgen, auf den Zustand nach der Aussetzung der Hauptverhandlung beziehe. Die Überlegung, wie die Angeklagte Zschäpe dann zu verteidigen sei, obliege dem Vorsitzenden. RA Daimagüler meldet sich zu Wort, da Klemke ihn direkt angesprochen habe. Nach über 230 Verhandlungstagen könne man schon mal eine Prognose in den Raum stellen, das sei realistisch. Götzl darauf: Es gehe nur um Stellungnahmen, nicht um eine Beweiswürdigung. Klemke: „Die Unschuldsvermutung gilt bis zur Rechtskraft des Urteils.“ Ein weiterer Nebenklagevertreter merkt an, RA Grasel habe bisher nie erklärt, dass er sich nicht genügend habe einarbeiten können, da fehle noch eine eindeutige Stellungnahme. RAin Schneiders wendet ein, dass es einer gesonderten Erklärung nicht bedürfe, da sich die Angeklagte Zschäpe schließlich den Anträgen der Verteidigung Wohlleben angeschlossen habe. Der Verhandlungstag endet um 12 Uhr.

Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert:
Ganz davon abgesehen, dass die Ursache der Situation in der Verteidigung Zschäpe das destruktive Verhalten der Angeklagten selbst ist, die die Kommunikation zu Sturm, Stahl, Heer verweigert und auch Grasel entsprechende Weisungen zu geben scheint: Natürlich kennt die Strafprozessordnung kein Recht auf eine besonders qualifizierte Verteidigung einer Mitangeklagten. Zu beantragen, den Prozess auszusetzen, damit möglicherweise eine andere Verteidigung den eigenen Mandanten entlastet, ist natürlich ziemlich dreist.
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/10/08/08-10-2015/