Am heutigen Verhandlungstag geht es vor allem um Auswertungen von Kartenmaterial und Ausspähnotizen, die in der Frühlingsstraße in Zwickau gefunden wurden. Zwei Beamt_innen des BKA, die mit der Auswertung der entsprechenden Asservaten betraut waren, werden nach Vorgehensweise und Ergebnissen befragt.
Zeug_innen:
- Detlev Ku. (ehemals BKA Meckenheim, zur Auswertung des in der Frühlingsstraße aufgefunden Kartenmaterials)
- Jeanette Pf. (BKA, zur Auswertung des in der Frühlingsstraße aufgefunden Kartenmaterials)
Der Prozesstag beginnt um 09:51 Uhr. Als Zeuge ist Detlev Ku. geladen. Es geht um die Auswertung von Asservaten, Kartenmaterial und Adressdaten. Der Zeuge gibt an, im Brandschutt der Frühlingsstraße 26 in Zwickau seien eine DVD und ein USB-Stick jeweils mit Adressenmaterial gefunden worden. Dieses sei vom Technikbereich für die Recherche aufbereitet worden. Es seien 19 Adressen aus Kiel und ein Stadtplan der Stadt Kiel mit 19 Ziffern zusammengeheftet worden. Der Auftrag sei gewesen, die Adressen auf DVD und USB-Sticks mit den Eintragungen von Kiel und mit Straftaten in Kiel abzugleichen. Sie sollten prüfen, ob sich zu den Orten rechtsmotivierte Straftaten zuordnen ließen. Ein Abgleich der Adressen mit dem Infosystem der Polizei sei aber zunächst negativ verlaufen.
Im Kartenmaterial habe es Unterstreichungen und Pentagramme gegeben. Weiter seien sieben Einrichtungen der CDU enthalten gewesen, was ihn schon etwas verwundert habe.
Es folgt die Inaugenscheinnahme der Asservate. Der Zeuge gibt als Datum den 04.09.2005 an, man sehe die Adressen von zwei islamistischen Kulturvereinen. Als Götzl ihn darauf hinweist, dass er den Begriff “islamistisch” verwende, reagiert Detlev Ku.: “Ok, sagen wir so: orientalisch, osmanisch, von den Räumlichkeiten Nordafrika bis Naher Osten. Wir haben also mehrere Einrichtungen unserer Mitbürger, die eine andere Herkunft als das deutsche Volk haben.” [Große Empörung oben wie unten].
Die Verhandlung geht weiter mit der Fortsetzung der Befragung der Zeugin Jeanette Pf., BKA. Götzl fragt die Zeugin nach der Vorgehensweise bei der Auswertung von Kartenmaterial und Asservaten u.a. bezüglich Chemnitz, Dortmund, Greifswald, Ludwigsburg, Münster, Plauen. Die Zeugin gibt an, das Kartenmaterial von Stuttgart und Dortmund, das sie ausgewertet habe, sei eine Adhoc-Aktion gewesen. Tagsüber hätten sie die Markierungen auf den Karten gesehen. Nach dem normalen Arbeitstag seien sie daraufhin in der Nacht vom 30.11. auf 01.12. hereingerufen worden, um das Kartenmaterial im Hinblick auf eine Gefährdungslage nochmal anzuschauen. Vielleicht gebe es ja noch ein NSU-Mitglied. Sie unterstreicht, es handle sich also nur um eine Erstauswertung.
Das weitere Kartenmaterial, das sie vorstellen wolle, habe ihr Kollege La. ausgewertet, er sei mittlerweile verstorben. Sein Vorgehen sei sehr ähnlich zu ihrem gewesen. Sie hätten das Kartenmaterial als Lichtbilder vorliegen gehabt. Sie hätten die Markierungen mit google-Maps abgeglichen und mit den Örtlichkeiten der sog. 10.000er-Liste abgeglichen. Dann seien diese Vermerke an die regionalen Einsatzabschnitte gegangen, die sie in der Regel vor Ort abgeklärt hätten.
Jeanette Pf. führt aus, ihr Kollege La. habe in seinem Bericht schon sehr viele Sparkassen und Banken festgestellt. Sie hätten sich aber vor Ort vor allem die Punkte angeschaut, die sie sich nicht hätten erklären können. In der Sparkasse Paul Bertz-Straße [phon.] habe es 2003 einen Banküberfall gegeben. Bei google-maps sei bei dem markierten Punkt jedoch keine Sparkasse mehr erkennbar gewesen. Die Orte seien nach wie vor nicht erklärbar: Das sei ein großes Solarfeld, aber da habe kein türkischer Imbiss oder etwas, das als Tatort in Betracht gekommen sei, gestanden. Der ganze Bereich sei eine Kleingartenanlage.
Es folgt die Inaugenscheinnahme weiterer Asservatenfotos. Dieses Asservat, so die Zeugin, habe ihr Kollege La. ausgewertet. Das sei eine Karte der Stadt Greifswald, die von den Tourismusbüros gratis verteilt werde. Ihr Kollege La. habe mit den Markierungen nicht wirklich was anfangen können. Ein regionaler Einsatzabschnitt habe die Markierungen dann aber ganz gut einordnen können: Das Ostseeviertel, ein Plattenbaugebiet aus den 50er und 80er Jahren, beim kleinen Kreuz ein Einkaufszentrum und unten die Sparkassenfiliale Ostpommern, Rigaerstraße. Das große Kreuz sei der Innenhof jener Plattenbausiedlung. Von dort habe man eine super Sicht auf die Sparkasse in 30 oder 40 Meter Entfernung. Die Interpretation sei gewesen, dass von dort die Filiale Rigaer Straße ausgespäht worden sei.
Es folgt die Inaugenscheinnahme des Materials, das sich auf Ludwigsburg bezieht. Pf. sagt, der Kollege habe eine Markierung in der Asberger Straße festgestellt. Dort habe er potentielle Tatorte gefunden, u. a. ein türkisches Restaurant. Bei dem Abgleich mit der 10.000er Liste des NSU ist ein türkisch-islamischer Verein verzeichnet worden.
Es folgt die Inaugenscheinnahme einer großen des Karte Verkehrsverbund Mittelsachen, außerdem einer Karte aus Plauen. Auf den Blättern des Verkehrsverbunds Mittelsachsen seien keine Markierungen festgestellt worden. Im Straßenverzeichnis seien insgesamt fünf Straßen markiert: Bahnhofstraße und Bahnhofsplatz und drei weitere. Mit Ausnahme des Bahnhofsplatzes seien die Markierungen aus dem Straßenverzeichnis auch auf dem Stadtplan verzeichnet. Auf dem Kartenmaterial wurden zehn Markierungen festgestellt, neun davon Banken und Sparkassen. Nur eine nicht. Götzl unterbricht um 11:15 Uhr und setzt gleich die Mittagspause an.
Die Verhandlung wird um 12:23 Uhr fortgesetzt. Es folgt die Inaugenscheinname weiterer Asservatenfotos, zu sehen sind an den Rändern ziemlich verbrannte Stadtpläne. Auch dieses Asservat habe der Kollege La. Ausgewertet, so Pf. Auf diesem Stadtplan von Stuttgart habe er sechs Markierungen gesehen, die erste hätte sie aber nicht finden können, sie habe nur fünf Markierungen gefunden. Vier seien mit “P” eingezeichnet worden, es handele sich dabei – das habe die regionale Überprüfung bestätigt – um Polizeidienststellen, wie ein Revier oder eine Einsatzhundertschaft. Die Polizeidienststelle in der Mönchshaldenstraße habe es nur bis Ende 2004 gegeben, dadurch könne man vielleicht eine zeitliche Einordnung vornehmen.
Es folgt die Inaugenscheinnahme eines weiteren Asservats. Pf. gibt an, hier handele es sich um das Straßenverzeichnis von Zwickau, das von Kollege La. ausgewertet worden sei. Da habe es keinen eigentlichen Stadtplan dazu gegeben. Markiert seien Bahnhofsstraße, Längenfelderstraße, Ernst-Grube-Straße, Werdauerstraße und die Ziegleistraße. Der google-Abgleich und die Begehung vor Ort hätten teilweise keiner Erklärungen gebracht. Unter den angegebenen Adresse sei beispielsweise ein Zahnarzt oder eine Bank drin, ein Industriegebiet mit vielen Möglichkeiten und die Hausnummer in der Ernst-Grube-Straße sei nicht existent. Und unter anderem sei auch ein Fahrradladen eingekreist worden.
Es folgt die Inaugenscheinnahme eines weiteren Asservats. Neben der Straßenkarte seien, so die Zeugin, auch einzelne Kartenausdrucke mit unterschiedlichen Ausdruckdaten sichergestellt worden. Jeanette Pf. nimmt eine chronologische Reihenfolge vor. Bei einem Vermerk habe sie das Datum zunächst nicht lesen können, ihr Kollege Gl. habe aber den 30.05.2005 identifiziert. Der Ausschnitt zeige die Dortmunder Nordstadt. Handschriftlich sei vermerkt worden, was markiert worden sei: Westhofenstraße “türkisches Bildungszentrum”. Es seien, so glaube sie, fünf oder sechs Kulturzentren oder religiöse Vereine markiert gewesen. In der Auswertung habe sie das Kreuz in der Uhlandstraße übersehen. Alles Vereine. Interessant sei die Überschrift: “Wohngebiet wie Mühlheim Köln”, was augenscheinlich ein Verweis auf die Keupstraße in Köln sei. Sie sei nicht persönlich in der Nordstadt Dortmund gewesen, aber sie glaube, es sei ähnlich dort, mit einem hohen Ausländeranteil.
Die Zahl vier hier sei der türkische Imbiss in der Uhlandstraße. Die Rahner Straße oder die Schürhofer Straße seien eben auf dem Asservat markiert gewesen. Das darauffolgende seit quasi das gleiche, nur ein bisschen größer, allerdings stehe da “gutes Objekt, geeigneter Inhaber an der Kreuzung Uhlandstr/Goethestraße”. Also ein paar Monate später habe man die Karte mit diesem Punkt noch einmal ausgedruckt. Diese beiden Kartenausdrucke seien vom 03.04.2006, dem Vortag des Mordes an Mehmet Kubaşık, überschrieben mit “Dortmund CDU zwei mal” und “CDU einmal”. Das stimme auch: Friedensplatz, das sei die CDU im Rat Dortmund. Die Zeugin zeigt auf einen Punkt und gibt an, das sei die Adresse des Kreisverbands der CDU und im Dornröschenweg sei der der Sitz der CDU-Politikerin Br. [phon.] mit dem Zusatz Landtagsbüro.
NK-Vertreter RA Scharmer nimmt Bezug auf den Vermerk zu Dortmund, der in der Nacht vom 30.11. auf den 01.12 angefertigt worden sei mit der Annahme einer Gefährdungslage. Er will wissen, was der Anlass dafür gewesen sei oder welche Anhaltspunkte es gegeben habe. Jeanette Pf. gibt an, sie hätten die Markierungen und diese als Ausspähungen wahrgenommen. Was genau ihren Vorgesetzten dazu bewogen habe, sie wieder reinzuberufen, wisse sie nicht. Scharmer hakt nach, sie habe gesagt, es habe Unklarheit um ein mögliches weiteres NSU-Mitglied und eine mögliche Gefährdung der Orte gegeben. Das sei Spekulation, antwortet die Zeugin, sei aber die Sorge ihres Vorgesetzten gewesen.
RA Scharmer fragt nach weiteren Überprüfungen in Dortmund, wer diese gemacht habe, ob in der Nähe der Markierungen Rechtsextremist_innen gewohnt hätten, z. B. Siegfried Borchardt, Sebastian Seemann oder Marco Gottschalk. Jeanette Pf. kann zu allem nichts sagen, da sie nicht zuständig gewesen sei. Schließlich will Scharmer noch wissen, ob die Festnahme Wohllebens unmittelbar vor der Tätigkeit in der Nacht vom 30.11. auf den 01.12.2011 eine Rolle für die Bewertung der Gefährdungslage gespielt habe. Dazu könne sie nichts sagen, erwidert die Zeugin. Um 13:04 Uhr wird die Zeugin entlassen.
NK-Anwalt RA Daimagüler gibt eine 257-Erklärung zur Einvernahme des Zeugen Detlev Ku. ab. Die sog. 10.000er Liste enthalte 19 Adressen aus Kiel. Diese Liste sei eine der wenigen Möglichkeiten, das Denken, die Vorstellungen des untergetauchten Trios besser zu verstehen. Daher überrasche es, wie wenig mit diesen Listen gemacht worden sei. Dass der Zeuge, der ja im Bereich Staatsschutz tätig war, nicht zu unterscheiden wisse zwischen islamistisch und islamisch und über orientalische Ziele spreche, das verblüffe am Rande. Aber dass nicht der Versuch unternommen worden sei, diese überschaubare Liste besser zu verstehen, dass man sich nicht die Mühe gemacht habe, mit den betroffenen Personen zu sprechen, ob sie nicht möglicherweise Kontakt hatten mit Neonazis, ob es Neonazis in der Nachbarschaft gegeben habe oder Zwischenfälle, um zu schauen ob es nicht lokale Helfer_innen gegeben habe, das stehe in Kontrast zu dem, was die Polizei in diesem Verfahren immer sage: dass alles getan worden sei, die Sache aufzuklären.
NK-Verteter RA Hoffmann stellt den Beweisantrag, KHK B. und T., BKA, die den Zeugen Tom Turner laut Akte 2013 in Recklinghausen befragt haben, zu laden.
Zweitens beantragt RA Hofmann, die Videofilme “Kriegsberichter Vol. 1, Vol. 2 und Vol. 4” in Augenschein zu nehmen, hilfsweise einen Mitarbeiter, der beim BKA geführten “GEG Sound” zu den Ausgaben des Kriegsberichtermagazins zu befragen und Ausschnitte aus den beim BKA vorliegenden Originalkassetten vorzubereiten.
Götzl gibt dann noch die Verfügung bekannt, dass die Anträge, wonach der Vorsitzende Richter, sowie die Richter Lang und Kuchenbauer sich dienstlich zu den Fälschungen im Zusammenhang mit der Nebenklage “Keskin” äußern sollten, abgelehnt werden. Die Sitzung wird um 13:34 Uhr beendet.
Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.
Hier geht es zur vollständigen Version des Protokolls.