An diesem Prozesstag macht Götzl zunächst eine Mitteilung zum Hergang der Kommunikation bezüglich Zschäpes Aussage. Dann stellen die Zschäpe-Verteidiger_innen Sturm, Stahl und Heer einen Antrag auf Aufhebung ihrer Bestellungen als Pflichtverteidiger_innen. Im Anschluss daran wird eine lange Pause eingelegt, da die Verteidigung von Ralf Wohlleben einen Antrag vorbereiten möchte. So verlesen sie nach der Pause ein Ablehnungsgesuch gegen Senatsmitglieder. Der Prozesstag endet nach Erklärung anderer Prozessbeteiligter und wird für ein paar Tage ausgesetzt.
Götzl eröffnet den Verhandlungstag um 09:48 Uhr. Dann sagt er: „Dann werden folgende Umstände mitgeteilt.“ Götzl führt aus: Am 31.08.15 rief mich RA Borchert von der Kanzlei Borchert und Grasel an und teilte mit, die Angeklagte Zschäpe habe angedacht, sich in der Hauptverhandlung schriftlich zu äußern, die Vorbereitung der Erklärung werde aber einige Wochen dauern. Die Kanzlei werde sich, bevor die Erklärung tatsächlich vorliege, nochmal bei mir melden.
Auch die Mitverteidiger würden informiert. Am 30.09.2015 rief mich RA Grasel an und teilte mit, dass die Erklärung vermutlich am 10.11.2015 abgegeben werden könne. Am 27.10.2015 fand am Rande der Hauptverhandlung ein Gespräch zwischen RA Grasel und mir im Hinblick auf die angedachte Erklärung statt. Grasel wurde von mir darauf angesprochen, dass ich beabsichtige, die Prozessbeteiligten vorab von der Abgabe einer Erklärung der Angeklagten zu informieren. Am 28.10.2015 teilte RA Grasel mit, er sehe keine Notwendigkeit, die anderen Verfahrensbeteiligten vorab über die Erklärung zu informieren. Ich wies darauf hin, dass ich mich, sobald ein Termin für die Abgabe einer Erklärung feststehe, aus Fairness-Gesichtspunkten verpflichtet sehe, die anderen Beteiligten darüber zu informieren. Am 28.10.2015 sprach mich RA Heer an und meinte, er habe mich mit Grasel sprechen sehen; es gebe Gerüchte über eine veränderte Situation, er würde darum bitten, informiert zu werden. Ich habe RA Heer an seinen Kollegen Grasel verwiesen. Am 09.11. rief mich RA Borchert an und teilte mit, die Erklärung könne über Grasel nun am 11.11. abgegeben werden. Die anderen drei Pflichtverteidiger seien bereits informiert. Gegen eine Vorabinformation der Verfahrensbeteiligten bestünden keine Einwände.
Götzl sagt in Richtung von Sturm, Stahl und Heer: „Dann zu Ihrem Antrag.“ Heer verliest den Antrag auf Aufhebung der Bestellungen von Sturm, Stahl, Heer als Pflichtverteidiger. Diverse Medien, namentlich Spiegel-Online in einem Artikel vom 20.10.2015, hätten über Gerüchte berichtet, dass RA Grasel angeblich im November im Namen von Zschäpe eine Erklärung vortragen werde. Wenn Götzl die Entscheidung treffe, die seit Beginn der Hauptverhandlung mitwirkenden Verteidiger nicht über verfahrensbezogene Erörterungen mit dem erst seit dem 07.07.2015 an der Hauptverhandlung teilnehmenden Verteidiger zu informieren, könne daraus nur der Schluss gezogen werden, dass selbst der Senat das Vertrauensverhältnis zwischen Zschäpe und Sturm, Stahl, Heer als irreparabel zerrüttet betrachtet. Anders sei nicht zu erklären, dass sie auch auf mehrfache Nachfrage nicht über die mit dem Senat offenbar schon seit längerem besprochene grundlegende Kehrtwende des prozessualen Verhaltens von Zschäpe in Kenntnis gesetzt wurden.
Weil der Senat die Mitwirkung dreier Verteidiger für erforderlich erachtet habe, die Verteidigung von Zschäpe aber nunmehr faktisch auf nur einen Verteidiger verlagert habe, könne jedenfalls jetzt von einer ordnungsgemäßen Verteidigung nicht mehr die Rede sein. Die Verteidigerbestellungen [von Sturm, Stahl, Heer]seien nur noch Fassade und dienten erkennbar nur der Aufrechterhaltung des Scheins einer ordnungsgemäßen Verteidigung. Der mutmaßliche Wille von Zschäpe, ihre Verteidigung künftig anders zu gestalten, sei zu respektieren. In Anbetracht der erheblichen Belastungen, die dieses Verfahren für Zschäpe mit sich bringe, dürfe sie eine ihren Wünschen entsprechende und den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren genügende Verteidigung erwarten: „Unsere Bestellungen sind daher aufzuheben, die Folgen für das Verfahren sind hinzunehmen.“
Wohlleben-Verteidiger Klemke sagt, angesichts der Umstände habe die Verteidigung Wohlleben erheblichen Beratungsbedarf, man benötige also mindestens eine Stunde Unterbrechung. Götzl sagt, man unterbreche dann bis 11:35 Uhr. Um 11:38 Uhr geht es weiter. Klemke: „Und zwar beantragt die Verteidigung Wohlleben, die Hauptverhandlung für drei Stunden zu unterbrechen, wir möchten ein Ablehnungsgesuch gegen Senatsmitglieder formulieren.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 14:45 Uhr.“ Um 14:51 Uhr geht es weiter. Schneiders beginnt damit, dass Wohlleben den gesamten Senat wegen der „Besorgnis der Befangenheit“ ablehne.
Dann begründet Klemke das Ablehnungsgesuch: In den Beschlüssen vom 13.10. und 14.10. hätten die abgelehnten Senatsmitglieder ausgeführt, dass Zschäpe durch Sturm, Stahl, Heer ordnungsgemäß verteidigt sei. Zu dem Zeitpunkt, spätestens am 31.08.2015, sei den Senatsmitgliedern ausweislich der heute von Götzl abgegebenen Information durch ein Telefonat Götzls mit RA Borchert bekannt gewesen, dass Zschäpe eine schriftliche Einlassung plane, deren Vorbereitung laut Borchert jedoch einige Wochen benötige. Weiterhin sei den Senatsmitgliedern bekannt gewesen, dass Zschäpe spätestens seit dem 20.07.2015, als Stahl, Sturm, Heer beantragten, ihre Bestellungen zurückzunehmen, augenscheinlich nicht mehr mit diesen kommunizierte. Aus den genannten Tatsachen müsse den Senatsmitgliedern zum Zeitpunkt der Verkündung der Beschlüsse vom 13. und 14.10. bekannt gewesen sein, dass Zschäpe und Grasel auf der einen Seite eine Einlassung vorbereiteten und dass dies Heer, Stahl, Sturm auf der anderen Seite nicht bekannt war.
Die Richter hätten in erheblichem Maße ihre Fürsorgepflicht ggü. Zschäpe verletzt. Das Gericht habe für eine Verfahrensgestaltung zu sorgen, die die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht verkürzt. Indem die Richter es zugelassen hätten, dass Zschäpe und Grasel einerseits und Sturm, Stahl, Heer andererseits einander diametral entgegengesetzte Verteidigungsstrategien verfolgen, hätten sie nicht nur eine Verkürzung der Verteidigungsmöglichkeiten in Kauf genommen, sondern es hingenommen, dass die Verteidigung durch die Rechtsanwälte Sturm, Stahl, Heer und Sturm leer gelaufen sei.
Zugleich hätten sie die Gefahr zugelassen, dass Verteidigungsaktivitäten von Sturm, Stahl, Heer die geplante Einlassung Zschäpes torpedieren könnten. Aus Sicht von Wohlleben seien die Richter so verfahren, weil sie eine Einlassung der Angeklagten Zschäpe um jeden Preis hätten erlangen wollen, auch um den Preis der empfindlichen Störung oder sogar Aufhebung ihrer Verteidigungsfähigkeit. Daraus müsse Wohlleben den Schluss ziehen, dass den Richtern eine sachgerechte Verteidigung Zschäpes wegen der angekündigten Einlassung völlig gleichgültig ist.
Darüber hinaus stelle die Vorgehensweise des Senats einen Verstoß gegen das Fairnessgebot dar. Wohlleben müsse befürchten, dass die Richter ähnliche Maßstäbe an seine eigene Verteidigung anlegen.
Götzl: „Ja, wir werden wie folgt verfahren: Wir werden unterbrechen und werden fortsetzen am kommenden Dienstag, 17.11., 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 16:46 Uhr.
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